thier diese Stacheln seitwärts, um den kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebenden, pflanzlichen Quelle ist nicht immer gefahrlos; denn oft sieht man Thiere, welche von den Kaktusstacheln an den Hufen gelähmt sind. Folgt endlich auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der gleichlangen Nacht, so können die Pferde und Rinder selbst dann nicht ruhen. Die plattnäsigen Fledermäuse verfolgen sie während des Schlafes und hängen sich an ihren Rücken, um ihnen das Blut auszusaugen."
"Tritt endlich nach längerer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, so ändert sich die Scene. Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die Steppe mit dem herrlichsten Grün. Pferde und Rinder weiden im frohen Genusse des Lebens. Jm hoch aufschießenden Grase versteckt sich auch der Jaguar und erhascht manches Pferd und manches Füllen mit sicherem Sprunge. Bald schwellen die Flüsse, und dieselben Thiere, welche einen Theil des Jahres vor Durst verschmachteten, müssen nun als Amphibien leben. Die Mutterpferde ziehen sich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche lange inselförmig über den Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengert sich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide schwimmen die zusammengedrängten Thiere stunden- lang umher und nähren sich kärglich von der blühenden Grasrispe, die sich über dem braungefärbten, gährenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhascht, mit dem Schwanze zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde, welche die Spur der Krokodile in großen Narben am Schenkel tragen. Auch unter den Fischen haben sie einen gefähr- lichen Feind. Die Sumpfwasser sind mit zahllosen elektrischen Aalen erfüllt. Diese merkwür- digen Fische sind mächtig genug, mit ihren gewaltigen Schlägen die größten Thiere zu tödten, wenn sie ihre Batterien auf einmal in günstiger Richtung entladen. Die Steppenstraße am Uri Tucu mußte deswegen verlassen werden, weil sie sich in solcher Menge in einem Flüßchen aufgehäuft hatten, daß jährlich viele Pferde durch sie betäubt wurden und in der Furth ertranken."
Nach Pöppig scheint es, als ob der von unserem unvergleichlichen Humboldt unter die Haupt- feinde der Mustangs gezählte Jaguar nicht gerade bedeutenden Schaden anrichtet. "Die großen Katzen," sagt genannter Forscher, "wagen sich nicht heraus auf die offenen Ebenen, wo der don- nernde Hufschlag der zahlreichen Herden selbst weit größere und stärkere Raubthiere in Furcht setzen würde. Werden sie entdeckt, so stürzen die Hengste auf sie los und suchen sie niederzutreten; die Stuten vertheidigen sich durch Ausschlagen."
Einen ungleich gefährlicheren und noch gänzlich unbekannten Feind tragen die Herden in sich selbst. Jn noch höherem Grade, als die in Südamerika umherschweifenden Wildlinge, ergreift die Mustangs der Prairien zuweilen ein ungeheurer Schrecken. Hunderte und Tausende stürzen wie rasend dahin, lassen sich durch kein Hinderniß aufhalten, rennen wie unsinnig gegen Felsen an oder zerschellen sich in Abgründen. Den Menschen, welcher zufällig Zeuge von solch entsetzlichem Ereigniß wird, erfaßt ein Grausen; selbst der kalte Jndianer fühlt sein sonst so muthiges Herz furchterfüllt. Ein Dröhnen, welches immer größere Stärke erlangt und schließlich den Donner, das Brausen des Sturmes oder das Toben der Brandung übertönt, verkündet und begleitet den Vorüberzug der auf Sturmesfittigen dahinjagenden, angstergriffenen Pferde. Sie erscheinen plötzlich am und im Lager, stürzen sich zwischen den Lagerfeuern hindurch, über die Zelte und Wagen weg, erfüllen die Lastthiere mit tödtlichem Schrecken, übertragen auf sie ihre Raserei, reißen sie los und nehmen sie auf in ihren lebendigen Strom -- für immer. So berichtet der Neisende Murray, welcher solchen Ueberfall er- lebte und überlebte.
Weiter nach Norden hin vermehren die Jndianer die Zahl der Feinde, welche den Wild- lingen das Leben verbittern. Sie fangen sie ein, um sie als Reitthiere bei ihren Jagden zu benutzen, und wenn sie die armen Geschöpfe auch nicht schlachten und verzehren, quälen sie dieselben doch so, daß auch das muthigste Pferd nach kurzer Zeit unterliegen muß. Wie bei den Beduinen der Sahara, wird auch bei den Jndianern das Pferd oft die Ursache der blutigsten Kämpfe. Wer keine Pferde hat, sucht welche zu stehlen. Der Roßdiebstahl gilt bei den Rothhäuten für ehrenvoll. Ganze Banden
Einhufer. — Muſtangs.
thier dieſe Stacheln ſeitwärts, um den kühlen Diſtelſaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieſer lebenden, pflanzlichen Quelle iſt nicht immer gefahrlos; denn oft ſieht man Thiere, welche von den Kaktusſtacheln an den Hufen gelähmt ſind. Folgt endlich auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der gleichlangen Nacht, ſo können die Pferde und Rinder ſelbſt dann nicht ruhen. Die plattnäſigen Fledermäuſe verfolgen ſie während des Schlafes und hängen ſich an ihren Rücken, um ihnen das Blut auszuſaugen.‟
„Tritt endlich nach längerer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, ſo ändert ſich die Scene. Kaum iſt die Oberfläche der Erde benetzt, ſo überzieht ſich die Steppe mit dem herrlichſten Grün. Pferde und Rinder weiden im frohen Genuſſe des Lebens. Jm hoch aufſchießenden Graſe verſteckt ſich auch der Jaguar und erhaſcht manches Pferd und manches Füllen mit ſicherem Sprunge. Bald ſchwellen die Flüſſe, und dieſelben Thiere, welche einen Theil des Jahres vor Durſt verſchmachteten, müſſen nun als Amphibien leben. Die Mutterpferde ziehen ſich mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche lange inſelförmig über den Seeſpiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengert ſich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide ſchwimmen die zuſammengedrängten Thiere ſtunden- lang umher und nähren ſich kärglich von der blühenden Grasrispe, die ſich über dem braungefärbten, gährenden Waſſer erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhaſcht, mit dem Schwanze zerſchmettert und verſchlungen. Nicht ſelten bemerkt man Pferde, welche die Spur der Krokodile in großen Narben am Schenkel tragen. Auch unter den Fiſchen haben ſie einen gefähr- lichen Feind. Die Sumpfwaſſer ſind mit zahlloſen elektriſchen Aalen erfüllt. Dieſe merkwür- digen Fiſche ſind mächtig genug, mit ihren gewaltigen Schlägen die größten Thiere zu tödten, wenn ſie ihre Batterien auf einmal in günſtiger Richtung entladen. Die Steppenſtraße am Uri Tucu mußte deswegen verlaſſen werden, weil ſie ſich in ſolcher Menge in einem Flüßchen aufgehäuft hatten, daß jährlich viele Pferde durch ſie betäubt wurden und in der Furth ertranken.‟
Nach Pöppig ſcheint es, als ob der von unſerem unvergleichlichen Humboldt unter die Haupt- feinde der Muſtangs gezählte Jaguar nicht gerade bedeutenden Schaden anrichtet. „Die großen Katzen,‟ ſagt genannter Forſcher, „wagen ſich nicht heraus auf die offenen Ebenen, wo der don- nernde Hufſchlag der zahlreichen Herden ſelbſt weit größere und ſtärkere Raubthiere in Furcht ſetzen würde. Werden ſie entdeckt, ſo ſtürzen die Hengſte auf ſie los und ſuchen ſie niederzutreten; die Stuten vertheidigen ſich durch Ausſchlagen.‟
Einen ungleich gefährlicheren und noch gänzlich unbekannten Feind tragen die Herden in ſich ſelbſt. Jn noch höherem Grade, als die in Südamerika umherſchweifenden Wildlinge, ergreift die Muſtangs der Prairien zuweilen ein ungeheurer Schrecken. Hunderte und Tauſende ſtürzen wie raſend dahin, laſſen ſich durch kein Hinderniß aufhalten, rennen wie unſinnig gegen Felſen an oder zerſchellen ſich in Abgründen. Den Menſchen, welcher zufällig Zeuge von ſolch entſetzlichem Ereigniß wird, erfaßt ein Grauſen; ſelbſt der kalte Jndianer fühlt ſein ſonſt ſo muthiges Herz furchterfüllt. Ein Dröhnen, welches immer größere Stärke erlangt und ſchließlich den Donner, das Brauſen des Sturmes oder das Toben der Brandung übertönt, verkündet und begleitet den Vorüberzug der auf Sturmesfittigen dahinjagenden, angſtergriffenen Pferde. Sie erſcheinen plötzlich am und im Lager, ſtürzen ſich zwiſchen den Lagerfeuern hindurch, über die Zelte und Wagen weg, erfüllen die Laſtthiere mit tödtlichem Schrecken, übertragen auf ſie ihre Raſerei, reißen ſie los und nehmen ſie auf in ihren lebendigen Strom — für immer. So berichtet der Neiſende Murray, welcher ſolchen Ueberfall er- lebte und überlebte.
Weiter nach Norden hin vermehren die Jndianer die Zahl der Feinde, welche den Wild- lingen das Leben verbittern. Sie fangen ſie ein, um ſie als Reitthiere bei ihren Jagden zu benutzen, und wenn ſie die armen Geſchöpfe auch nicht ſchlachten und verzehren, quälen ſie dieſelben doch ſo, daß auch das muthigſte Pferd nach kurzer Zeit unterliegen muß. Wie bei den Beduinen der Sahara, wird auch bei den Jndianern das Pferd oft die Urſache der blutigſten Kämpfe. Wer keine Pferde hat, ſucht welche zu ſtehlen. Der Roßdiebſtahl gilt bei den Rothhäuten für ehrenvoll. Ganze Banden
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Einhufer. — Muſtangs.
thier dieſe Stacheln ſeitwärts, um den kühlen Diſtelſaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieſer
lebenden, pflanzlichen Quelle iſt nicht immer gefahrlos; denn oft ſieht man Thiere, welche von den
Kaktusſtacheln an den Hufen gelähmt ſind. Folgt endlich auf die brennende Hitze des Tages die
Kühlung der gleichlangen Nacht, ſo können die Pferde und Rinder ſelbſt dann nicht ruhen. Die
plattnäſigen Fledermäuſe verfolgen ſie während des Schlafes und hängen ſich an ihren Rücken, um
ihnen das Blut auszuſaugen.‟
„Tritt endlich nach längerer Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, ſo ändert ſich die Scene.
Kaum iſt die Oberfläche der Erde benetzt, ſo überzieht ſich die Steppe mit dem herrlichſten Grün.
Pferde und Rinder weiden im frohen Genuſſe des Lebens. Jm hoch aufſchießenden Graſe verſteckt
ſich auch der Jaguar und erhaſcht manches Pferd und manches Füllen mit ſicherem Sprunge. Bald
ſchwellen die Flüſſe, und dieſelben Thiere, welche einen Theil des Jahres vor Durſt verſchmachteten,
müſſen nun als Amphibien leben. Die Mutterpferde ziehen ſich mit den Füllen auf die höheren
Bänke zurück, welche lange inſelförmig über den Seeſpiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengert
ſich der trockene Raum. Aus Mangel an Weide ſchwimmen die zuſammengedrängten Thiere ſtunden-
lang umher und nähren ſich kärglich von der blühenden Grasrispe, die ſich über dem braungefärbten,
gährenden Waſſer erhebt. Viele Füllen ertrinken, viele werden von den Krokodilen erhaſcht, mit
dem Schwanze zerſchmettert und verſchlungen. Nicht ſelten bemerkt man Pferde, welche die Spur
der Krokodile in großen Narben am Schenkel tragen. Auch unter den Fiſchen haben ſie einen gefähr-
lichen Feind. Die Sumpfwaſſer ſind mit zahlloſen elektriſchen Aalen erfüllt. Dieſe merkwür-
digen Fiſche ſind mächtig genug, mit ihren gewaltigen Schlägen die größten Thiere zu tödten, wenn
ſie ihre Batterien auf einmal in günſtiger Richtung entladen. Die Steppenſtraße am Uri Tucu
mußte deswegen verlaſſen werden, weil ſie ſich in ſolcher Menge in einem Flüßchen aufgehäuft hatten,
daß jährlich viele Pferde durch ſie betäubt wurden und in der Furth ertranken.‟
Nach Pöppig ſcheint es, als ob der von unſerem unvergleichlichen Humboldt unter die Haupt-
feinde der Muſtangs gezählte Jaguar nicht gerade bedeutenden Schaden anrichtet. „Die großen
Katzen,‟ ſagt genannter Forſcher, „wagen ſich nicht heraus auf die offenen Ebenen, wo der don-
nernde Hufſchlag der zahlreichen Herden ſelbſt weit größere und ſtärkere Raubthiere in Furcht ſetzen
würde. Werden ſie entdeckt, ſo ſtürzen die Hengſte auf ſie los und ſuchen ſie niederzutreten; die
Stuten vertheidigen ſich durch Ausſchlagen.‟
Einen ungleich gefährlicheren und noch gänzlich unbekannten Feind tragen die Herden in ſich
ſelbſt. Jn noch höherem Grade, als die in Südamerika umherſchweifenden Wildlinge, ergreift die
Muſtangs der Prairien zuweilen ein ungeheurer Schrecken. Hunderte und Tauſende ſtürzen wie
raſend dahin, laſſen ſich durch kein Hinderniß aufhalten, rennen wie unſinnig gegen Felſen an oder
zerſchellen ſich in Abgründen. Den Menſchen, welcher zufällig Zeuge von ſolch entſetzlichem Ereigniß
wird, erfaßt ein Grauſen; ſelbſt der kalte Jndianer fühlt ſein ſonſt ſo muthiges Herz furchterfüllt.
Ein Dröhnen, welches immer größere Stärke erlangt und ſchließlich den Donner, das Brauſen des
Sturmes oder das Toben der Brandung übertönt, verkündet und begleitet den Vorüberzug der auf
Sturmesfittigen dahinjagenden, angſtergriffenen Pferde. Sie erſcheinen plötzlich am und im Lager,
ſtürzen ſich zwiſchen den Lagerfeuern hindurch, über die Zelte und Wagen weg, erfüllen die Laſtthiere
mit tödtlichem Schrecken, übertragen auf ſie ihre Raſerei, reißen ſie los und nehmen ſie auf in ihren
lebendigen Strom — für immer. So berichtet der Neiſende Murray, welcher ſolchen Ueberfall er-
lebte und überlebte.
Weiter nach Norden hin vermehren die Jndianer die Zahl der Feinde, welche den Wild-
lingen das Leben verbittern. Sie fangen ſie ein, um ſie als Reitthiere bei ihren Jagden zu benutzen,
und wenn ſie die armen Geſchöpfe auch nicht ſchlachten und verzehren, quälen ſie dieſelben doch ſo,
daß auch das muthigſte Pferd nach kurzer Zeit unterliegen muß. Wie bei den Beduinen der Sahara,
wird auch bei den Jndianern das Pferd oft die Urſache der blutigſten Kämpfe. Wer keine Pferde hat,
ſucht welche zu ſtehlen. Der Roßdiebſtahl gilt bei den Rothhäuten für ehrenvoll. Ganze Banden
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/362>, abgerufen am 23.11.2024.
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