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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Lamas. -- Der Guanaco.
durch die Thäler der Cordilleren ritt, hörte er über sich ein eigenthümliches Wiehern und sah dann
gewöhnlich den Leitbock hoch oben auf einer steilen Klippe stehen und starr und regungslos auf ihn
herabschauen. Um diesen Bock versammelte sich nach und nach das ganze Rudel, und alle standen
und schauten zur Tiefe hernieder. Kam man ihnen nahe, so ergriffen sie die Flucht und jagten
mit wunderbarer Schnelligkeit und Geschicklichkeit an den steilsten Felswänden dahin. Sobald sie
jedoch einigen Vorsprung erlangt hatten, blieben sie wieder stehen und schauten von neuem, ganz in
derselben Weise, wie früher, nach der Tiefe herab. Sie ließen übrigens unseren Gewährsmann
niemals sehr nahe an sich herankommen; wenigstens hätte es einer vorzüglichen Büchse bedurft, um
eines der Thiere zu erlegen.

Eigenthümlich ist die Gewohnheit der Thiere, ihre Losung immer auf einem bestimmten Haufen
abzusetzen und nur wenn dieser eine größere Ausdehnung erreicht hat, einen neuen dicht daneben
zu bilden.

Die Brunstzeit fällt in die Monate August und September. Häufige Kämpfe zwischen einem
um die Herrschaft streitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Erbitterung und hef-
tigem Geschrei stürzen die Nebenbuhler auf einander los, beißen, schlagen sich, jagen sich gegenseitig
umher und versuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu stürzen. Nach zehn bis elf
Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und sehendes Junge,
säugt es vier Monate lang, bewacht es sorgsam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es
bei sich, bis es vollkommen erwachsen ist, und nun seinerseits das Kämpfen und Ringen in Sachen
der Liebe beginnt.

Zuweilen sieht man einzelne Huanaco sich einem Rudel von Lamas oder Vicundas anschließen,
aber ohne sich eigentlich unter das Rudel selbst zu mischen. Dagegen weiden Huanacos und Pacos
bunt durch einander auf den Hochebenen.

Der Huanaco vertheidigt sich gegen seines Gleichen mit Schlagen und Beißen, gegen andere
Feinde aber durch ein allen diesen Thieren gemeinsames Mittel. Die Lamas lassen nämlich den
Gegner dicht an sich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen sehr ärgerlichen Ausdruck
an und spucken ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Munde befindlichen
oder ausdrücklich zu diesem Behufe heraufgewürgten Kräuter ins Gesicht, gewöhnlich mit sehr großer
Sicherheit. Jm allergrößten Nothfall bedienen sie sich auch ihres Gebisses und ihrer Hufe, ob-
wohl sie mit diesen nicht eben viel ausrichten.

Der Mensch ist und bleibt der furchtbarste Feind unserer Thiere; gegen andere Angreifer schützt
sie ihre Schnelligkeit. Ob der Kondor ihnen wirklich soviel Schaden thut, als man angibt, steht
noch sehr dahin; wahrscheinlich nimmt er nur Junge und ganz Wehrlose weg. Die Südamerikaner
betreiben die Jagd der Huanacos mit Leidenschaft, weil dieselbe, des schätzbaren Fleisches und Felles
wegen, einen hübschen Gewinn abwirft. Man versucht die weidenden Thiere mit Hilfe guter Hunde
in eine Schlucht zu treiben, jagt ihnen dort nach und wirft ihnen den Lasso mit Bolas oder Wurf-
kugeln um den Hals. An den Berggehängen entgehen alle Lamas leicht ihrem Verfolger; hier
ist es schwer, sich ihnen auch nur auf Schußweite zu nähern. Jn jenen Hochebenen, wo es keine
andere Speise gibt, wird die Jagd der Huanacos und Vicundas oft zu einer Nothwendigkeit, um dem
Mangel zu begegnen.

Jn Gebirgsgegenden fängt man, ihrer Niedlichkeit wegen, gern junge Huanacos ein und
zähmt sie. Solange sie jung sind, benehmen sie sich allerliebst. Sie zeigen sich zutraulich und an-
hänglich, folgen ihrem Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nach und lassen sich wie Lämmchen behan-
deln; je älter sie aber werden, um so geringer wird ihre Liebe und Anhänglichkeit an den Menschen.
Nur selten kommt es vor, daß man die Zahmen dahin bringen kann, frei aus- und einzugehen und,
nach Art der Lamas, sich ihre Aeßung selbst zu suchen. Die älteren geben sich bald alle Mühe, der
Zwingherrschaft des Menschen zu entrinnen und beweisen ihm auch durch ihr Anspucken, welche Ge-

Die Lamas. — Der Guanaco.
durch die Thäler der Cordilleren ritt, hörte er über ſich ein eigenthümliches Wiehern und ſah dann
gewöhnlich den Leitbock hoch oben auf einer ſteilen Klippe ſtehen und ſtarr und regungslos auf ihn
herabſchauen. Um dieſen Bock verſammelte ſich nach und nach das ganze Rudel, und alle ſtanden
und ſchauten zur Tiefe hernieder. Kam man ihnen nahe, ſo ergriffen ſie die Flucht und jagten
mit wunderbarer Schnelligkeit und Geſchicklichkeit an den ſteilſten Felswänden dahin. Sobald ſie
jedoch einigen Vorſprung erlangt hatten, blieben ſie wieder ſtehen und ſchauten von neuem, ganz in
derſelben Weiſe, wie früher, nach der Tiefe herab. Sie ließen übrigens unſeren Gewährsmann
niemals ſehr nahe an ſich herankommen; wenigſtens hätte es einer vorzüglichen Büchſe bedurft, um
eines der Thiere zu erlegen.

Eigenthümlich iſt die Gewohnheit der Thiere, ihre Loſung immer auf einem beſtimmten Haufen
abzuſetzen und nur wenn dieſer eine größere Ausdehnung erreicht hat, einen neuen dicht daneben
zu bilden.

Die Brunſtzeit fällt in die Monate Auguſt und September. Häufige Kämpfe zwiſchen einem
um die Herrſchaft ſtreitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Erbitterung und hef-
tigem Geſchrei ſtürzen die Nebenbuhler auf einander los, beißen, ſchlagen ſich, jagen ſich gegenſeitig
umher und verſuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu ſtürzen. Nach zehn bis elf
Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und ſehendes Junge,
ſäugt es vier Monate lang, bewacht es ſorgſam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es
bei ſich, bis es vollkommen erwachſen iſt, und nun ſeinerſeits das Kämpfen und Ringen in Sachen
der Liebe beginnt.

Zuweilen ſieht man einzelne Huanaco ſich einem Rudel von Lamas oder Vicuñas anſchließen,
aber ohne ſich eigentlich unter das Rudel ſelbſt zu miſchen. Dagegen weiden Huanacos und Pacos
bunt durch einander auf den Hochebenen.

Der Huanaco vertheidigt ſich gegen ſeines Gleichen mit Schlagen und Beißen, gegen andere
Feinde aber durch ein allen dieſen Thieren gemeinſames Mittel. Die Lamas laſſen nämlich den
Gegner dicht an ſich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen ſehr ärgerlichen Ausdruck
an und ſpucken ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Munde befindlichen
oder ausdrücklich zu dieſem Behufe heraufgewürgten Kräuter ins Geſicht, gewöhnlich mit ſehr großer
Sicherheit. Jm allergrößten Nothfall bedienen ſie ſich auch ihres Gebiſſes und ihrer Hufe, ob-
wohl ſie mit dieſen nicht eben viel ausrichten.

Der Menſch iſt und bleibt der furchtbarſte Feind unſerer Thiere; gegen andere Angreifer ſchützt
ſie ihre Schnelligkeit. Ob der Kondor ihnen wirklich ſoviel Schaden thut, als man angibt, ſteht
noch ſehr dahin; wahrſcheinlich nimmt er nur Junge und ganz Wehrloſe weg. Die Südamerikaner
betreiben die Jagd der Huanacos mit Leidenſchaft, weil dieſelbe, des ſchätzbaren Fleiſches und Felles
wegen, einen hübſchen Gewinn abwirft. Man verſucht die weidenden Thiere mit Hilfe guter Hunde
in eine Schlucht zu treiben, jagt ihnen dort nach und wirft ihnen den Laſſo mit Bolas oder Wurf-
kugeln um den Hals. An den Berggehängen entgehen alle Lamas leicht ihrem Verfolger; hier
iſt es ſchwer, ſich ihnen auch nur auf Schußweite zu nähern. Jn jenen Hochebenen, wo es keine
andere Speiſe gibt, wird die Jagd der Huanacos und Vicuñas oft zu einer Nothwendigkeit, um dem
Mangel zu begegnen.

Jn Gebirgsgegenden fängt man, ihrer Niedlichkeit wegen, gern junge Huanacos ein und
zähmt ſie. Solange ſie jung ſind, benehmen ſie ſich allerliebſt. Sie zeigen ſich zutraulich und an-
hänglich, folgen ihrem Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nach und laſſen ſich wie Lämmchen behan-
deln; je älter ſie aber werden, um ſo geringer wird ihre Liebe und Anhänglichkeit an den Menſchen.
Nur ſelten kommt es vor, daß man die Zahmen dahin bringen kann, frei aus- und einzugehen und,
nach Art der Lamas, ſich ihre Aeßung ſelbſt zu ſuchen. Die älteren geben ſich bald alle Mühe, der
Zwingherrſchaft des Menſchen zu entrinnen und beweiſen ihm auch durch ihr Anſpucken, welche Ge-

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[404/0428] Die Lamas. — Der Guanaco. durch die Thäler der Cordilleren ritt, hörte er über ſich ein eigenthümliches Wiehern und ſah dann gewöhnlich den Leitbock hoch oben auf einer ſteilen Klippe ſtehen und ſtarr und regungslos auf ihn herabſchauen. Um dieſen Bock verſammelte ſich nach und nach das ganze Rudel, und alle ſtanden und ſchauten zur Tiefe hernieder. Kam man ihnen nahe, ſo ergriffen ſie die Flucht und jagten mit wunderbarer Schnelligkeit und Geſchicklichkeit an den ſteilſten Felswänden dahin. Sobald ſie jedoch einigen Vorſprung erlangt hatten, blieben ſie wieder ſtehen und ſchauten von neuem, ganz in derſelben Weiſe, wie früher, nach der Tiefe herab. Sie ließen übrigens unſeren Gewährsmann niemals ſehr nahe an ſich herankommen; wenigſtens hätte es einer vorzüglichen Büchſe bedurft, um eines der Thiere zu erlegen. Eigenthümlich iſt die Gewohnheit der Thiere, ihre Loſung immer auf einem beſtimmten Haufen abzuſetzen und nur wenn dieſer eine größere Ausdehnung erreicht hat, einen neuen dicht daneben zu bilden. Die Brunſtzeit fällt in die Monate Auguſt und September. Häufige Kämpfe zwiſchen einem um die Herrſchaft ſtreitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Erbitterung und hef- tigem Geſchrei ſtürzen die Nebenbuhler auf einander los, beißen, ſchlagen ſich, jagen ſich gegenſeitig umher und verſuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu ſtürzen. Nach zehn bis elf Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und ſehendes Junge, ſäugt es vier Monate lang, bewacht es ſorgſam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es bei ſich, bis es vollkommen erwachſen iſt, und nun ſeinerſeits das Kämpfen und Ringen in Sachen der Liebe beginnt. Zuweilen ſieht man einzelne Huanaco ſich einem Rudel von Lamas oder Vicuñas anſchließen, aber ohne ſich eigentlich unter das Rudel ſelbſt zu miſchen. Dagegen weiden Huanacos und Pacos bunt durch einander auf den Hochebenen. Der Huanaco vertheidigt ſich gegen ſeines Gleichen mit Schlagen und Beißen, gegen andere Feinde aber durch ein allen dieſen Thieren gemeinſames Mittel. Die Lamas laſſen nämlich den Gegner dicht an ſich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen ſehr ärgerlichen Ausdruck an und ſpucken ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Munde befindlichen oder ausdrücklich zu dieſem Behufe heraufgewürgten Kräuter ins Geſicht, gewöhnlich mit ſehr großer Sicherheit. Jm allergrößten Nothfall bedienen ſie ſich auch ihres Gebiſſes und ihrer Hufe, ob- wohl ſie mit dieſen nicht eben viel ausrichten. Der Menſch iſt und bleibt der furchtbarſte Feind unſerer Thiere; gegen andere Angreifer ſchützt ſie ihre Schnelligkeit. Ob der Kondor ihnen wirklich ſoviel Schaden thut, als man angibt, ſteht noch ſehr dahin; wahrſcheinlich nimmt er nur Junge und ganz Wehrloſe weg. Die Südamerikaner betreiben die Jagd der Huanacos mit Leidenſchaft, weil dieſelbe, des ſchätzbaren Fleiſches und Felles wegen, einen hübſchen Gewinn abwirft. Man verſucht die weidenden Thiere mit Hilfe guter Hunde in eine Schlucht zu treiben, jagt ihnen dort nach und wirft ihnen den Laſſo mit Bolas oder Wurf- kugeln um den Hals. An den Berggehängen entgehen alle Lamas leicht ihrem Verfolger; hier iſt es ſchwer, ſich ihnen auch nur auf Schußweite zu nähern. Jn jenen Hochebenen, wo es keine andere Speiſe gibt, wird die Jagd der Huanacos und Vicuñas oft zu einer Nothwendigkeit, um dem Mangel zu begegnen. Jn Gebirgsgegenden fängt man, ihrer Niedlichkeit wegen, gern junge Huanacos ein und zähmt ſie. Solange ſie jung ſind, benehmen ſie ſich allerliebſt. Sie zeigen ſich zutraulich und an- hänglich, folgen ihrem Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nach und laſſen ſich wie Lämmchen behan- deln; je älter ſie aber werden, um ſo geringer wird ihre Liebe und Anhänglichkeit an den Menſchen. Nur ſelten kommt es vor, daß man die Zahmen dahin bringen kann, frei aus- und einzugehen und, nach Art der Lamas, ſich ihre Aeßung ſelbſt zu ſuchen. Die älteren geben ſich bald alle Mühe, der Zwingherrſchaft des Menſchen zu entrinnen und beweiſen ihm auch durch ihr Anſpucken, welche Ge-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/428>, abgerufen am 23.11.2024.