Euter des Weibchens hat vier Zitzen. Ein ziemlich langer, reichlicher, aber lockerer Pelz bedeckt den Körper. Er besteht aus kürzerem, feineren Wollenhaar und dünnerem, längeren Grannenhaar; im Gesicht und auf der Stirn ist der Pelz kurz, auf der Stirn schon etwas länger, vom Hinterkopfe an aber verlängert er sich auf den Körpertheilen, mit Ausnahme der Beine, zu einem wollenartigen Vließ, welches jedoch niemals die Weichheit des Lamavließes erreicht. Am Bauche und an der Jnnen- seite der Schenkel ist das Haar sehr kurz, an den Beinen kurz und straff. Die allgemeine Färbung ist ein schmuziges Rothbraun; die Mitte der Brust, der Unterleib und der After, sowie die Jnnen- seite der Gliedmaßen sind weißlich; die Stirn, der Rücken und die Augen schwärzlich, die Backen- und die Ohrengegend dunkelgrau, die Jnnenseite der Ohren schwarzbraun und die Außenseite der- selben schwarzgrau. An den Hinterbeinen zeigt sich ein länglich runder Fleck von schwarzer Farbe. Die Jris ist dunkelbraun, die Wimpern sind schwarz, die Hufe gräulichschwarz.
Der Guanaco verbreitet sich über die Cordilleren, von der Magalhaensstraße bis nach dem nörd- lichen Peru. Namentlich im südlichen Theil der Andeskette ist das Thier häufig; in den bewohnteren Gegenden haben es die vielfachen Nachstellungen sehr vermindert; doch traf Göring noch einzelne ganz nahe bei der Stadt Mendoza an. Je nach der Jahreszeit ist der Aufenthalt verschieden. Wenn es oben in der Höhe Pflanzen gibt, steigt der Huanaco bis an die Schneegrenze empor; bei Beginn der Trockenheit in jenen Höhen zieht er sich in die fruchtbaren Thäler der Tiefe zurück. Die Schneefelder selbst meidet er sorgfältig, wahrscheinlich, weil seine Sohlen durchaus nicht ge- eignet sind, festen Fuß auf dem schlüpfrigen Boden zu fassen. Jn der Tiefe sucht er die saftigsten Weideplätze auf.
Unser Thier lebt gesellig in kleinen Rudeln. Meyen sah solche von sieben bis zehn, selbst von hundert Stück an kleinen Bächen weiden. Das Rudel besteht aus vielen Weibchen und nur einem alten Männchen; denn blos die jungen, fortpflanzungsunfähigen Thiere werden von den Leit- hengsten geduldet. Sobald die Jungen ein gewisses Alter erreichen, entstehen Kämpfe; die Schwachen werden selbstverständlich gezwungen, den Stärkeren zu weichen, und schlagen sich dann mit anderen ihres Gleichen und jungen Weibchen zusammen. Während des Tages ziehen die Thiere von einem Thal zum anderen, fast beständig sich äßend; in der Nacht fressen sie niemals. Zur Tränke gehen sie am Morgen und Abend. Saftige Gräser und im Nothfalle Mos bilden die Nahrung.
Alle Bewegungen des Huanaco sind rasch und lebhaft, wenn auch nicht so schnell, als man vermuthen sollte. Jn der Ebene holt ein gutes Pferd das flüchtende Rudel bald ein; gewöhnliche Hunde aber haben Mühe, ihm nachzukommen. Der Lauf besteht aus einem kurzen, schleppenden Galopp und ist, wie bei den echten Kamelen, ein Paßgang. Der lange Hals wird bei beeiligter Flucht wagerecht ausgestreckt und auf und nieder bewegt. Das Klettern versteht der Huanaco aus- gezeichnet; er läuft gemsenartig an den steilsten Gehängen und Abstürzen dahin, selbst da, wo der geübteste Bergsteiger nicht Fuß fassen kann, und schaut mit Gleichgiltigkeit in die größten Tiefen hinab. Jn der Ruhe liegt das Thier, wie das Kamel, auf der Brust und den Beinen, und wie dieses läßt es sich nieder und steht es auf. Während der Ruhe käut es träumerisch wieder. Bei der Flucht gehen, wie Meyen berichtet, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts gestoßen. Der leitende Hengst steht fast immer einige Schritte von dem Rudel entfernt, und hält mit größter Vorsicht Wache, während seine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringsten Gefahr stößt er ein lautes, schafartiges Blöcken aus; alle Thiere des Rudels erheben im Augenblick ihre Köpfe, äugen scharf nach allen Seiten hin und wen- den sich dann rasch zur Flucht, welche anfangs zögernd, später aber mit immer mehr sich steigernder Eile ausgeführt wird. Nur selten kommt es vor, daß ein weiblicher Huanacorudel den Menschen sich nähern läßt. Meyen begegnete zuweilen unseren Thieren, ohne daß sie Miene gemacht hätten, zu flüchten; sie gingen dicht vor den Pferden vorbei, standen still und sahen sie an; dann erst trabten sie weiter. Görtug bemerkte, daß die Huanacos sehr neugierig sind. Wenn er so ruhig
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Der Guanaco.
Euter des Weibchens hat vier Zitzen. Ein ziemlich langer, reichlicher, aber lockerer Pelz bedeckt den Körper. Er beſteht aus kürzerem, feineren Wollenhaar und dünnerem, längeren Grannenhaar; im Geſicht und auf der Stirn iſt der Pelz kurz, auf der Stirn ſchon etwas länger, vom Hinterkopfe an aber verlängert er ſich auf den Körpertheilen, mit Ausnahme der Beine, zu einem wollenartigen Vließ, welches jedoch niemals die Weichheit des Lamavließes erreicht. Am Bauche und an der Jnnen- ſeite der Schenkel iſt das Haar ſehr kurz, an den Beinen kurz und ſtraff. Die allgemeine Färbung iſt ein ſchmuziges Rothbraun; die Mitte der Bruſt, der Unterleib und der After, ſowie die Jnnen- ſeite der Gliedmaßen ſind weißlich; die Stirn, der Rücken und die Augen ſchwärzlich, die Backen- und die Ohrengegend dunkelgrau, die Jnnenſeite der Ohren ſchwarzbraun und die Außenſeite der- ſelben ſchwarzgrau. An den Hinterbeinen zeigt ſich ein länglich runder Fleck von ſchwarzer Farbe. Die Jris iſt dunkelbraun, die Wimpern ſind ſchwarz, die Hufe gräulichſchwarz.
Der Guanaco verbreitet ſich über die Cordilleren, von der Magalhaensſtraße bis nach dem nörd- lichen Peru. Namentlich im ſüdlichen Theil der Andeskette iſt das Thier häufig; in den bewohnteren Gegenden haben es die vielfachen Nachſtellungen ſehr vermindert; doch traf Göring noch einzelne ganz nahe bei der Stadt Mendoza an. Je nach der Jahreszeit iſt der Aufenthalt verſchieden. Wenn es oben in der Höhe Pflanzen gibt, ſteigt der Huanaco bis an die Schneegrenze empor; bei Beginn der Trockenheit in jenen Höhen zieht er ſich in die fruchtbaren Thäler der Tiefe zurück. Die Schneefelder ſelbſt meidet er ſorgfältig, wahrſcheinlich, weil ſeine Sohlen durchaus nicht ge- eignet ſind, feſten Fuß auf dem ſchlüpfrigen Boden zu faſſen. Jn der Tiefe ſucht er die ſaftigſten Weideplätze auf.
Unſer Thier lebt geſellig in kleinen Rudeln. Meyen ſah ſolche von ſieben bis zehn, ſelbſt von hundert Stück an kleinen Bächen weiden. Das Rudel beſteht aus vielen Weibchen und nur einem alten Männchen; denn blos die jungen, fortpflanzungsunfähigen Thiere werden von den Leit- hengſten geduldet. Sobald die Jungen ein gewiſſes Alter erreichen, entſtehen Kämpfe; die Schwachen werden ſelbſtverſtändlich gezwungen, den Stärkeren zu weichen, und ſchlagen ſich dann mit anderen ihres Gleichen und jungen Weibchen zuſammen. Während des Tages ziehen die Thiere von einem Thal zum anderen, faſt beſtändig ſich äßend; in der Nacht freſſen ſie niemals. Zur Tränke gehen ſie am Morgen und Abend. Saftige Gräſer und im Nothfalle Mos bilden die Nahrung.
Alle Bewegungen des Huanaco ſind raſch und lebhaft, wenn auch nicht ſo ſchnell, als man vermuthen ſollte. Jn der Ebene holt ein gutes Pferd das flüchtende Rudel bald ein; gewöhnliche Hunde aber haben Mühe, ihm nachzukommen. Der Lauf beſteht aus einem kurzen, ſchleppenden Galopp und iſt, wie bei den echten Kamelen, ein Paßgang. Der lange Hals wird bei beeiligter Flucht wagerecht ausgeſtreckt und auf und nieder bewegt. Das Klettern verſteht der Huanaco aus- gezeichnet; er läuft gemſenartig an den ſteilſten Gehängen und Abſtürzen dahin, ſelbſt da, wo der geübteſte Bergſteiger nicht Fuß faſſen kann, und ſchaut mit Gleichgiltigkeit in die größten Tiefen hinab. Jn der Ruhe liegt das Thier, wie das Kamel, auf der Bruſt und den Beinen, und wie dieſes läßt es ſich nieder und ſteht es auf. Während der Ruhe käut es träumeriſch wieder. Bei der Flucht gehen, wie Meyen berichtet, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts geſtoßen. Der leitende Hengſt ſteht faſt immer einige Schritte von dem Rudel entfernt, und hält mit größter Vorſicht Wache, während ſeine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringſten Gefahr ſtößt er ein lautes, ſchafartiges Blöcken aus; alle Thiere des Rudels erheben im Augenblick ihre Köpfe, äugen ſcharf nach allen Seiten hin und wen- den ſich dann raſch zur Flucht, welche anfangs zögernd, ſpäter aber mit immer mehr ſich ſteigernder Eile ausgeführt wird. Nur ſelten kommt es vor, daß ein weiblicher Huanacorudel den Menſchen ſich nähern läßt. Meyen begegnete zuweilen unſeren Thieren, ohne daß ſie Miene gemacht hätten, zu flüchten; ſie gingen dicht vor den Pferden vorbei, ſtanden ſtill und ſahen ſie an; dann erſt trabten ſie weiter. Görtug bemerkte, daß die Huanacos ſehr neugierig ſind. Wenn er ſo ruhig
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[403/0427]
Der Guanaco.
Euter des Weibchens hat vier Zitzen. Ein ziemlich langer, reichlicher, aber lockerer Pelz bedeckt den
Körper. Er beſteht aus kürzerem, feineren Wollenhaar und dünnerem, längeren Grannenhaar;
im Geſicht und auf der Stirn iſt der Pelz kurz, auf der Stirn ſchon etwas länger, vom Hinterkopfe
an aber verlängert er ſich auf den Körpertheilen, mit Ausnahme der Beine, zu einem wollenartigen
Vließ, welches jedoch niemals die Weichheit des Lamavließes erreicht. Am Bauche und an der Jnnen-
ſeite der Schenkel iſt das Haar ſehr kurz, an den Beinen kurz und ſtraff. Die allgemeine Färbung
iſt ein ſchmuziges Rothbraun; die Mitte der Bruſt, der Unterleib und der After, ſowie die Jnnen-
ſeite der Gliedmaßen ſind weißlich; die Stirn, der Rücken und die Augen ſchwärzlich, die Backen-
und die Ohrengegend dunkelgrau, die Jnnenſeite der Ohren ſchwarzbraun und die Außenſeite der-
ſelben ſchwarzgrau. An den Hinterbeinen zeigt ſich ein länglich runder Fleck von ſchwarzer Farbe.
Die Jris iſt dunkelbraun, die Wimpern ſind ſchwarz, die Hufe gräulichſchwarz.
Der Guanaco verbreitet ſich über die Cordilleren, von der Magalhaensſtraße bis nach dem nörd-
lichen Peru. Namentlich im ſüdlichen Theil der Andeskette iſt das Thier häufig; in den bewohnteren
Gegenden haben es die vielfachen Nachſtellungen ſehr vermindert; doch traf Göring noch einzelne
ganz nahe bei der Stadt Mendoza an. Je nach der Jahreszeit iſt der Aufenthalt verſchieden.
Wenn es oben in der Höhe Pflanzen gibt, ſteigt der Huanaco bis an die Schneegrenze empor;
bei Beginn der Trockenheit in jenen Höhen zieht er ſich in die fruchtbaren Thäler der Tiefe zurück.
Die Schneefelder ſelbſt meidet er ſorgfältig, wahrſcheinlich, weil ſeine Sohlen durchaus nicht ge-
eignet ſind, feſten Fuß auf dem ſchlüpfrigen Boden zu faſſen. Jn der Tiefe ſucht er die ſaftigſten
Weideplätze auf.
Unſer Thier lebt geſellig in kleinen Rudeln. Meyen ſah ſolche von ſieben bis zehn, ſelbſt von
hundert Stück an kleinen Bächen weiden. Das Rudel beſteht aus vielen Weibchen und nur einem
alten Männchen; denn blos die jungen, fortpflanzungsunfähigen Thiere werden von den Leit-
hengſten geduldet. Sobald die Jungen ein gewiſſes Alter erreichen, entſtehen Kämpfe; die
Schwachen werden ſelbſtverſtändlich gezwungen, den Stärkeren zu weichen, und ſchlagen ſich dann
mit anderen ihres Gleichen und jungen Weibchen zuſammen. Während des Tages ziehen die Thiere
von einem Thal zum anderen, faſt beſtändig ſich äßend; in der Nacht freſſen ſie niemals. Zur
Tränke gehen ſie am Morgen und Abend. Saftige Gräſer und im Nothfalle Mos bilden die
Nahrung.
Alle Bewegungen des Huanaco ſind raſch und lebhaft, wenn auch nicht ſo ſchnell, als man
vermuthen ſollte. Jn der Ebene holt ein gutes Pferd das flüchtende Rudel bald ein; gewöhnliche
Hunde aber haben Mühe, ihm nachzukommen. Der Lauf beſteht aus einem kurzen, ſchleppenden
Galopp und iſt, wie bei den echten Kamelen, ein Paßgang. Der lange Hals wird bei beeiligter
Flucht wagerecht ausgeſtreckt und auf und nieder bewegt. Das Klettern verſteht der Huanaco aus-
gezeichnet; er läuft gemſenartig an den ſteilſten Gehängen und Abſtürzen dahin, ſelbſt da, wo der
geübteſte Bergſteiger nicht Fuß faſſen kann, und ſchaut mit Gleichgiltigkeit in die größten Tiefen
hinab. Jn der Ruhe liegt das Thier, wie das Kamel, auf der Bruſt und den Beinen, und wie
dieſes läßt es ſich nieder und ſteht es auf. Während der Ruhe käut es träumeriſch wieder. Bei
der Flucht gehen, wie Meyen berichtet, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den
folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts geſtoßen. Der leitende Hengſt ſteht faſt immer
einige Schritte von dem Rudel entfernt, und hält mit größter Vorſicht Wache, während ſeine Herde
unbekümmert weidet. Bei der geringſten Gefahr ſtößt er ein lautes, ſchafartiges Blöcken aus; alle
Thiere des Rudels erheben im Augenblick ihre Köpfe, äugen ſcharf nach allen Seiten hin und wen-
den ſich dann raſch zur Flucht, welche anfangs zögernd, ſpäter aber mit immer mehr ſich ſteigernder
Eile ausgeführt wird. Nur ſelten kommt es vor, daß ein weiblicher Huanacorudel den Menſchen
ſich nähern läßt. Meyen begegnete zuweilen unſeren Thieren, ohne daß ſie Miene gemacht hätten,
zu flüchten; ſie gingen dicht vor den Pferden vorbei, ſtanden ſtill und ſahen ſie an; dann erſt
trabten ſie weiter. Görtug bemerkte, daß die Huanacos ſehr neugierig ſind. Wenn er ſo ruhig
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/427>, abgerufen am 23.11.2024.
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