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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Elenthiere.

Schon in der Vorzeit waren die Hirsche über einen großen Theil der Erdoberfläche verbreitet. Ge-
genwärtig bewohnen sie mit Ausnahme des größten Theiles von Afrika und von Australien alle Erdtheile
und so ziemlich auch alle Klimate, die Ebenen, wie die Gebirge, die Blößen, wie die Wälder. Manche
leben gemsenartig, andere so versteckt als möglich, in den dichten Waldungen; die einen in trocke-
nen Steppen, die anderen in Sümpfen und Morästen. Nach der Jahreszeit wechseln manche ihren
Aufenthalt. Sie ziehen der Nahrung nach, von der Höhe zur Tiefe herab und wieder zurück; einige
wandern auch in südlicher und nördlicher Richtung. Alle sind gesellige Thiere; manche rudeln sich
oft in bedeutenden Herden zusammen. Die alten Männchen trennen sich gewöhnlich während des
Sommers von den Rudeln und leben einsam für sich oder vereinigen sich mit anderen Geschlechts-
genossen; zur Brunstzeit aber gesellen sie sich zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Gesinnungs-
tüchtige zum Zweikampf heraus, streiten wacker mit einander und zeigen sich überhaupt dann außer-
ordentlich erregt und in ihrem ganzen Wesen wie umgestaltet. Die meisten sind Nachtthiere, obwohl
viele, namentlich die, welche die hohen Gebirge und die unbewohnten Orte bevölkern, auch während
des Tages auf Aeßung ausziehen. Alle Hirsche sind lebhafte, furchtsame und flüchtige Geschöpfe,
rasch und behend in ihren Bewegungen, feinsinnig und geistig ziemlich hoch begabt. Die Stimme
besteht in kurz ausgestoßenen, dumpfen Lauten bei den Männchen, und in blöckenden Tönen bei den
Weibchen.

Nur Pflanzenstoffe bilden die Nahrung der Hirsche; wenigstens ist es noch keineswegs erwiesen,
ob die Renthiere, wie man behauptet hat, Lemminge fressen oder nicht. Gräser, Kräuter,
Blüthen, Blätter und Nadeln, Knospen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obst, Beeren,
Rinde, Mose, Flechten und Pilze bilden die hauptsächlichsten Bestandtheile ihrer Aeßung. Das
Salz erscheint ihnen als Leckerei, und Wasser ist ihnen Bedürfniß.

Die Hirschkuh wirft ein oder zwei, in seltenen Fällen auch drei Junge, welche vollständig aus-
gebildet zur Welt kommen und schon nach wenigen Tagen der Mutter überall hinfolgen. Bei einigen
Arten nimmt sich auch der Vater seiner Nachkommenschaft freundlich an, und die Kälber lassen sich
Liebkosungen seitens ihrer Eltern mit großem Vergnügen gefallen; die Mütter pflegen ihre Jungen
aufs sorgfältigste und schützen sie bei Gefahr.

Jn Gegenden, wo Ackerbau und Forstwirthschaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrie-
ben werden, sind alle Arten der Hirsche nicht mehr zu dulden. Der Schaden, welchen die Thiere
anrichten, übertrifft den geringen Nutzen, den sie bringen, bei weitem. Sie vertragen sich nicht mit
der Land- und Forstwirthschaft; und, wäre die Jagd nicht, welche mit Recht als eines der edelsten
und schönsten Vergnügungen gilt, man würde sämmtliche Hirsche bei uns längst vollständig ausge-
rottet haben. Noch ist es nicht bis dahin gekommen; aber alle Mitglieder dieser so vielfach ausge-
zeichneten Familie, welche bei uns wohnen, gehen ihrem sichern Untergang entgegen und werden
wahrscheinlich schon in kurzer Zeit blos noch in einem Zustande der Halbwildheit, in Thierparks und
Thiergärten nämlich, zu sehen sein.

Die Zähmung der Hirsche ist nicht so leicht, als man gewöhnlich annimmt. Jn der Jugend
betragen sich freilich alle, welche frühzeitig in die Gewalt des Menschen kamen und an diesen gewöhnt
wurden, sehr liebenswürdig, zutraulich und anhänglich; mit dem Alter schwinden aber diese Eigen-
schaften mehr und mehr, und fast alle alten Hirsche werden zornige und boshafte Geschöpfe. Hiervon
macht auch die eine, schon seit längerer Zeit in Gefangenschaft lebende Art, das Renthier, keine
Ausnahme. Seine Zähmung ist keineswegs eine vollständige, wie wir sie bei anderen Wiederkäuern
bemerken, sondern nur eine halbgelungene.



Wir stellen die Riesen der Familie oben an, obgleich sie nicht die vollendetsten, sondern eher die
mindest entwickelten Hirsche sind. Die Elenthiere (Alces), welche gegenwärtig noch einen ein zigen

Die Elenthiere.

Schon in der Vorzeit waren die Hirſche über einen großen Theil der Erdoberfläche verbreitet. Ge-
genwärtig bewohnen ſie mit Ausnahme des größten Theiles von Afrika und von Auſtralien alle Erdtheile
und ſo ziemlich auch alle Klimate, die Ebenen, wie die Gebirge, die Blößen, wie die Wälder. Manche
leben gemſenartig, andere ſo verſteckt als möglich, in den dichten Waldungen; die einen in trocke-
nen Steppen, die anderen in Sümpfen und Moräſten. Nach der Jahreszeit wechſeln manche ihren
Aufenthalt. Sie ziehen der Nahrung nach, von der Höhe zur Tiefe herab und wieder zurück; einige
wandern auch in ſüdlicher und nördlicher Richtung. Alle ſind geſellige Thiere; manche rudeln ſich
oft in bedeutenden Herden zuſammen. Die alten Männchen trennen ſich gewöhnlich während des
Sommers von den Rudeln und leben einſam für ſich oder vereinigen ſich mit anderen Geſchlechts-
genoſſen; zur Brunſtzeit aber geſellen ſie ſich zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Geſinnungs-
tüchtige zum Zweikampf heraus, ſtreiten wacker mit einander und zeigen ſich überhaupt dann außer-
ordentlich erregt und in ihrem ganzen Weſen wie umgeſtaltet. Die meiſten ſind Nachtthiere, obwohl
viele, namentlich die, welche die hohen Gebirge und die unbewohnten Orte bevölkern, auch während
des Tages auf Aeßung ausziehen. Alle Hirſche ſind lebhafte, furchtſame und flüchtige Geſchöpfe,
raſch und behend in ihren Bewegungen, feinſinnig und geiſtig ziemlich hoch begabt. Die Stimme
beſteht in kurz ausgeſtoßenen, dumpfen Lauten bei den Männchen, und in blöckenden Tönen bei den
Weibchen.

Nur Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Hirſche; wenigſtens iſt es noch keineswegs erwieſen,
ob die Renthiere, wie man behauptet hat, Lemminge freſſen oder nicht. Gräſer, Kräuter,
Blüthen, Blätter und Nadeln, Knospen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obſt, Beeren,
Rinde, Moſe, Flechten und Pilze bilden die hauptſächlichſten Beſtandtheile ihrer Aeßung. Das
Salz erſcheint ihnen als Leckerei, und Waſſer iſt ihnen Bedürfniß.

Die Hirſchkuh wirft ein oder zwei, in ſeltenen Fällen auch drei Junge, welche vollſtändig aus-
gebildet zur Welt kommen und ſchon nach wenigen Tagen der Mutter überall hinfolgen. Bei einigen
Arten nimmt ſich auch der Vater ſeiner Nachkommenſchaft freundlich an, und die Kälber laſſen ſich
Liebkoſungen ſeitens ihrer Eltern mit großem Vergnügen gefallen; die Mütter pflegen ihre Jungen
aufs ſorgfältigſte und ſchützen ſie bei Gefahr.

Jn Gegenden, wo Ackerbau und Forſtwirthſchaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrie-
ben werden, ſind alle Arten der Hirſche nicht mehr zu dulden. Der Schaden, welchen die Thiere
anrichten, übertrifft den geringen Nutzen, den ſie bringen, bei weitem. Sie vertragen ſich nicht mit
der Land- und Forſtwirthſchaft; und, wäre die Jagd nicht, welche mit Recht als eines der edelſten
und ſchönſten Vergnügungen gilt, man würde ſämmtliche Hirſche bei uns längſt vollſtändig ausge-
rottet haben. Noch iſt es nicht bis dahin gekommen; aber alle Mitglieder dieſer ſo vielfach ausge-
zeichneten Familie, welche bei uns wohnen, gehen ihrem ſichern Untergang entgegen und werden
wahrſcheinlich ſchon in kurzer Zeit blos noch in einem Zuſtande der Halbwildheit, in Thierparks und
Thiergärten nämlich, zu ſehen ſein.

Die Zähmung der Hirſche iſt nicht ſo leicht, als man gewöhnlich annimmt. Jn der Jugend
betragen ſich freilich alle, welche frühzeitig in die Gewalt des Menſchen kamen und an dieſen gewöhnt
wurden, ſehr liebenswürdig, zutraulich und anhänglich; mit dem Alter ſchwinden aber dieſe Eigen-
ſchaften mehr und mehr, und faſt alle alten Hirſche werden zornige und boshafte Geſchöpfe. Hiervon
macht auch die eine, ſchon ſeit längerer Zeit in Gefangenſchaft lebende Art, das Renthier, keine
Ausnahme. Seine Zähmung iſt keineswegs eine vollſtändige, wie wir ſie bei anderen Wiederkäuern
bemerken, ſondern nur eine halbgelungene.



Wir ſtellen die Rieſen der Familie oben an, obgleich ſie nicht die vollendetſten, ſondern eher die
mindeſt entwickelten Hirſche ſind. Die Elenthiere (Alces), welche gegenwärtig noch einen ein zigen

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[423/0447] Die Elenthiere. Schon in der Vorzeit waren die Hirſche über einen großen Theil der Erdoberfläche verbreitet. Ge- genwärtig bewohnen ſie mit Ausnahme des größten Theiles von Afrika und von Auſtralien alle Erdtheile und ſo ziemlich auch alle Klimate, die Ebenen, wie die Gebirge, die Blößen, wie die Wälder. Manche leben gemſenartig, andere ſo verſteckt als möglich, in den dichten Waldungen; die einen in trocke- nen Steppen, die anderen in Sümpfen und Moräſten. Nach der Jahreszeit wechſeln manche ihren Aufenthalt. Sie ziehen der Nahrung nach, von der Höhe zur Tiefe herab und wieder zurück; einige wandern auch in ſüdlicher und nördlicher Richtung. Alle ſind geſellige Thiere; manche rudeln ſich oft in bedeutenden Herden zuſammen. Die alten Männchen trennen ſich gewöhnlich während des Sommers von den Rudeln und leben einſam für ſich oder vereinigen ſich mit anderen Geſchlechts- genoſſen; zur Brunſtzeit aber geſellen ſie ſich zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Geſinnungs- tüchtige zum Zweikampf heraus, ſtreiten wacker mit einander und zeigen ſich überhaupt dann außer- ordentlich erregt und in ihrem ganzen Weſen wie umgeſtaltet. Die meiſten ſind Nachtthiere, obwohl viele, namentlich die, welche die hohen Gebirge und die unbewohnten Orte bevölkern, auch während des Tages auf Aeßung ausziehen. Alle Hirſche ſind lebhafte, furchtſame und flüchtige Geſchöpfe, raſch und behend in ihren Bewegungen, feinſinnig und geiſtig ziemlich hoch begabt. Die Stimme beſteht in kurz ausgeſtoßenen, dumpfen Lauten bei den Männchen, und in blöckenden Tönen bei den Weibchen. Nur Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Hirſche; wenigſtens iſt es noch keineswegs erwieſen, ob die Renthiere, wie man behauptet hat, Lemminge freſſen oder nicht. Gräſer, Kräuter, Blüthen, Blätter und Nadeln, Knospen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obſt, Beeren, Rinde, Moſe, Flechten und Pilze bilden die hauptſächlichſten Beſtandtheile ihrer Aeßung. Das Salz erſcheint ihnen als Leckerei, und Waſſer iſt ihnen Bedürfniß. Die Hirſchkuh wirft ein oder zwei, in ſeltenen Fällen auch drei Junge, welche vollſtändig aus- gebildet zur Welt kommen und ſchon nach wenigen Tagen der Mutter überall hinfolgen. Bei einigen Arten nimmt ſich auch der Vater ſeiner Nachkommenſchaft freundlich an, und die Kälber laſſen ſich Liebkoſungen ſeitens ihrer Eltern mit großem Vergnügen gefallen; die Mütter pflegen ihre Jungen aufs ſorgfältigſte und ſchützen ſie bei Gefahr. Jn Gegenden, wo Ackerbau und Forſtwirthſchaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrie- ben werden, ſind alle Arten der Hirſche nicht mehr zu dulden. Der Schaden, welchen die Thiere anrichten, übertrifft den geringen Nutzen, den ſie bringen, bei weitem. Sie vertragen ſich nicht mit der Land- und Forſtwirthſchaft; und, wäre die Jagd nicht, welche mit Recht als eines der edelſten und ſchönſten Vergnügungen gilt, man würde ſämmtliche Hirſche bei uns längſt vollſtändig ausge- rottet haben. Noch iſt es nicht bis dahin gekommen; aber alle Mitglieder dieſer ſo vielfach ausge- zeichneten Familie, welche bei uns wohnen, gehen ihrem ſichern Untergang entgegen und werden wahrſcheinlich ſchon in kurzer Zeit blos noch in einem Zuſtande der Halbwildheit, in Thierparks und Thiergärten nämlich, zu ſehen ſein. Die Zähmung der Hirſche iſt nicht ſo leicht, als man gewöhnlich annimmt. Jn der Jugend betragen ſich freilich alle, welche frühzeitig in die Gewalt des Menſchen kamen und an dieſen gewöhnt wurden, ſehr liebenswürdig, zutraulich und anhänglich; mit dem Alter ſchwinden aber dieſe Eigen- ſchaften mehr und mehr, und faſt alle alten Hirſche werden zornige und boshafte Geſchöpfe. Hiervon macht auch die eine, ſchon ſeit längerer Zeit in Gefangenſchaft lebende Art, das Renthier, keine Ausnahme. Seine Zähmung iſt keineswegs eine vollſtändige, wie wir ſie bei anderen Wiederkäuern bemerken, ſondern nur eine halbgelungene. Wir ſtellen die Rieſen der Familie oben an, obgleich ſie nicht die vollendetſten, ſondern eher die mindeſt entwickelten Hirſche ſind. Die Elenthiere (Alces), welche gegenwärtig noch einen ein zigen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/447>, abgerufen am 23.11.2024.