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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Elch oder das Elen.
auf die Läufe. Beim Trollen vernimmt man ein hörbares Anschlagen der Afterklauen, oder Ober-
rippen, wie die Jäger sagen, an die Ballen; dieses Geräusch nennt der Weidmann "Schellen". Bei
eiligem Laufe legt der Elchhirsch das Geweih fast wagrecht zurück und hebt die Nase hoch in die Höhe;
deshalb strauchelt er öfters und fällt auch leicht nieder; dann zuckt er, um sich wieder aufzuhelfen, in
eigenthümlicher Weise mit den Läufen und greift namentlich mit den Hinterläufen weit nach vorwärts.
Hierauf gründet sich die Fabel, daß das Thier oft an der Fallsucht leide und von diesem Uebel sich
befreie, indem es sich an dem Gehör blutig kratze. -- Ein Elenthier, welches einmal im Laufe ist,
läßt sich durch Nichts beirren, weder durch das Dickicht des Waldes, noch durch Seen oder Flüsse,
noch durch Sümpfe, welche vor ihm liegen.

Der Elch vernimmt und äugt ausgezeichnet, wittert oder windet aber weniger gut. Hinsichtlich
seiner geistigen Fähigkeiten scheint er sein plumpes und dummes Aussehen nicht Lügen zu strafen. Er
ist weit weniger scheu als das Edelwild; wenn ihn der Jäger gefehlt hat, trollt er oft nur eine kurze
Strecke fort und bleibt dann stehen. Mit seines Gleichen lebt er friedfertig und gesellig; doch nur
zur Paarungszeit halten sich auch die alten Hirsche mit den Rudeln zusammen; gewöhnlich besteht die
Familie aus einem Altthier, zwei fertigen Thieren, welche im Herbst brunsten werden, zwei Schmal-
thieren und zwei Kälbern.

Jn den Ostseeländern tritt die Brunstzeit Ende Augusts, im asiatischen Rußland im September
oder Oktober ein. Um diese Zeit sind die Hirsche auf das höchste erregt und kämpfen nicht blos unter
sich mit großem Muthe und Jngrimm, sondern werden dann auch leicht dem Menschen gefährlich.
Ueberhaupt versteht das Thier sich zu vertheidigen, zumal wenn es sich seiner Haut erwehren muß:
verwundete Elche nehmen den Jäger ohne weiteres an. Der Schütz muß immer sehr vorsichtig zu
Werke gehen, und namentlich bei der Jagd zu Fuße ist die größte Behutsamkeit, zumal hinsichtlich
des Standortes, nöthig: es ist fast unerläßlich, daß sich der Jäger hinter einen Baum anstellt, wo
er sich im Nothfall verbergen kann, wenn der "grimme Schelch" auf ihn losgetrabt kommt. Das
Geweih ist eine sehr kräftige Wasse; außerdem aber braucht der Elch auch seine Schalen mit gehörigem
Nachdruck; sogar die alten Thiere wissen sich damit ihre Hauptfeinde, die Wölfe, vom Leibe zu hal-
ten: sie gehen z. B., wenn die frechen Räuber ihre Jungen befehden, dreist auf sie los und schlagen
sie windelweich oder todt.

Zur Brunstzeit orgelt der Elchhirsch, wie das Edelwild, aber in kurzen Absätzen, fast plärrend,
wie der Damhirsch, nur in viel tieferem Tone; einen Schreckens- oder Klagelaut dagegen hat
man bisher noch nicht vernommen. Die Hirsche suchen während der Brunstzeit die alten Thiere auf,
verfolgen sie, schwimmen ihnen selbst durch die breitesten Ströme nach. Junge Hirsche werden von
den älteren abgeschlagen und finden selten Gelegenheit, ihren Trieb zu befriedigen; dann trollen sie
wie unsinnig in gerader Richtung fort, besuchen selbst bebaute Gegenden, die sie sonst ängstlich meiden
und kommen endlich ebenso sehr vom Leibe, wie die Alten durch das wirkliche Brunsten. Der Be-
schlag selbst dauert nur kurze Zeit, wird aber oft wiederholt. Nach dessen Vollendung steigt der Hirsch
niemals ab, sondern das Thier rückt unter ihm weg. Sechsunddreißig bis vierzig Wochen geht das
Elchthier hoch beschlagen. Zuerst setzt es nur ein Kalb, bei jedem folgenden Satz aber deren zwei,
meist ein Pärchen, seltener zwei von gleichem Geschlecht. Drei Kälber bei einer Geburt sind ein selte-
nes Vorkommniß, und sie gehen auch als Schwächlinge meist zu Grunde. Gleich nach dem Ablecken
springen die Kälber auf, taumeln aber noch wie berauscht mit dem Kopfe hin und her und müssen
anfangs von der Mutter fortgeschoben werden, wenn sie sich bewegen sollen; doch schon am dritten
oder vierten Tage folgen sie dem Elchthier, welches sie fast bis zur nächsten Brunstzeit besaugen, selbst
dann noch, wenn sie bereits so groß geworden sind, daß sie sich unter die Mutter hinlegen müssen.
Das Schmalthier wird mit dem dritten Jahre fertig und in den folgenden Jahren als Altthier ange-
sprochen. Der Elch heißt im ersten Jahre Kalb, im zweiten und dritten Spießer oder Gabler,
im vierten geringer Hirsch, im fünften geringer Schaufler, im sechsten guter Schaufler
und in höheren Jahren Haupt- oder Kapitalschaufler.

Der Elch oder das Elen.
auf die Läufe. Beim Trollen vernimmt man ein hörbares Anſchlagen der Afterklauen, oder Ober-
rippen, wie die Jäger ſagen, an die Ballen; dieſes Geräuſch nennt der Weidmann „Schellen‟. Bei
eiligem Laufe legt der Elchhirſch das Geweih faſt wagrecht zurück und hebt die Naſe hoch in die Höhe;
deshalb ſtrauchelt er öfters und fällt auch leicht nieder; dann zuckt er, um ſich wieder aufzuhelfen, in
eigenthümlicher Weiſe mit den Läufen und greift namentlich mit den Hinterläufen weit nach vorwärts.
Hierauf gründet ſich die Fabel, daß das Thier oft an der Fallſucht leide und von dieſem Uebel ſich
befreie, indem es ſich an dem Gehör blutig kratze. — Ein Elenthier, welches einmal im Laufe iſt,
läßt ſich durch Nichts beirren, weder durch das Dickicht des Waldes, noch durch Seen oder Flüſſe,
noch durch Sümpfe, welche vor ihm liegen.

Der Elch vernimmt und äugt ausgezeichnet, wittert oder windet aber weniger gut. Hinſichtlich
ſeiner geiſtigen Fähigkeiten ſcheint er ſein plumpes und dummes Ausſehen nicht Lügen zu ſtrafen. Er
iſt weit weniger ſcheu als das Edelwild; wenn ihn der Jäger gefehlt hat, trollt er oft nur eine kurze
Strecke fort und bleibt dann ſtehen. Mit ſeines Gleichen lebt er friedfertig und geſellig; doch nur
zur Paarungszeit halten ſich auch die alten Hirſche mit den Rudeln zuſammen; gewöhnlich beſteht die
Familie aus einem Altthier, zwei fertigen Thieren, welche im Herbſt brunſten werden, zwei Schmal-
thieren und zwei Kälbern.

Jn den Oſtſeeländern tritt die Brunſtzeit Ende Auguſts, im aſiatiſchen Rußland im September
oder Oktober ein. Um dieſe Zeit ſind die Hirſche auf das höchſte erregt und kämpfen nicht blos unter
ſich mit großem Muthe und Jngrimm, ſondern werden dann auch leicht dem Menſchen gefährlich.
Ueberhaupt verſteht das Thier ſich zu vertheidigen, zumal wenn es ſich ſeiner Haut erwehren muß:
verwundete Elche nehmen den Jäger ohne weiteres an. Der Schütz muß immer ſehr vorſichtig zu
Werke gehen, und namentlich bei der Jagd zu Fuße iſt die größte Behutſamkeit, zumal hinſichtlich
des Standortes, nöthig: es iſt faſt unerläßlich, daß ſich der Jäger hinter einen Baum anſtellt, wo
er ſich im Nothfall verbergen kann, wenn der „grimme Schelch‟ auf ihn losgetrabt kommt. Das
Geweih iſt eine ſehr kräftige Waſſe; außerdem aber braucht der Elch auch ſeine Schalen mit gehörigem
Nachdruck; ſogar die alten Thiere wiſſen ſich damit ihre Hauptfeinde, die Wölfe, vom Leibe zu hal-
ten: ſie gehen z. B., wenn die frechen Räuber ihre Jungen befehden, dreiſt auf ſie los und ſchlagen
ſie windelweich oder todt.

Zur Brunſtzeit orgelt der Elchhirſch, wie das Edelwild, aber in kurzen Abſätzen, faſt plärrend,
wie der Damhirſch, nur in viel tieferem Tone; einen Schreckens- oder Klagelaut dagegen hat
man bisher noch nicht vernommen. Die Hirſche ſuchen während der Brunſtzeit die alten Thiere auf,
verfolgen ſie, ſchwimmen ihnen ſelbſt durch die breiteſten Ströme nach. Junge Hirſche werden von
den älteren abgeſchlagen und finden ſelten Gelegenheit, ihren Trieb zu befriedigen; dann trollen ſie
wie unſinnig in gerader Richtung fort, beſuchen ſelbſt bebaute Gegenden, die ſie ſonſt ängſtlich meiden
und kommen endlich ebenſo ſehr vom Leibe, wie die Alten durch das wirkliche Brunſten. Der Be-
ſchlag ſelbſt dauert nur kurze Zeit, wird aber oft wiederholt. Nach deſſen Vollendung ſteigt der Hirſch
niemals ab, ſondern das Thier rückt unter ihm weg. Sechsunddreißig bis vierzig Wochen geht das
Elchthier hoch beſchlagen. Zuerſt ſetzt es nur ein Kalb, bei jedem folgenden Satz aber deren zwei,
meiſt ein Pärchen, ſeltener zwei von gleichem Geſchlecht. Drei Kälber bei einer Geburt ſind ein ſelte-
nes Vorkommniß, und ſie gehen auch als Schwächlinge meiſt zu Grunde. Gleich nach dem Ablecken
ſpringen die Kälber auf, taumeln aber noch wie berauſcht mit dem Kopfe hin und her und müſſen
anfangs von der Mutter fortgeſchoben werden, wenn ſie ſich bewegen ſollen; doch ſchon am dritten
oder vierten Tage folgen ſie dem Elchthier, welches ſie faſt bis zur nächſten Brunſtzeit beſaugen, ſelbſt
dann noch, wenn ſie bereits ſo groß geworden ſind, daß ſie ſich unter die Mutter hinlegen müſſen.
Das Schmalthier wird mit dem dritten Jahre fertig und in den folgenden Jahren als Altthier ange-
ſprochen. Der Elch heißt im erſten Jahre Kalb, im zweiten und dritten Spießer oder Gabler,
im vierten geringer Hirſch, im fünften geringer Schaufler, im ſechsten guter Schaufler
und in höheren Jahren Haupt- oder Kapitalſchaufler.

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[427/0453] Der Elch oder das Elen. auf die Läufe. Beim Trollen vernimmt man ein hörbares Anſchlagen der Afterklauen, oder Ober- rippen, wie die Jäger ſagen, an die Ballen; dieſes Geräuſch nennt der Weidmann „Schellen‟. Bei eiligem Laufe legt der Elchhirſch das Geweih faſt wagrecht zurück und hebt die Naſe hoch in die Höhe; deshalb ſtrauchelt er öfters und fällt auch leicht nieder; dann zuckt er, um ſich wieder aufzuhelfen, in eigenthümlicher Weiſe mit den Läufen und greift namentlich mit den Hinterläufen weit nach vorwärts. Hierauf gründet ſich die Fabel, daß das Thier oft an der Fallſucht leide und von dieſem Uebel ſich befreie, indem es ſich an dem Gehör blutig kratze. — Ein Elenthier, welches einmal im Laufe iſt, läßt ſich durch Nichts beirren, weder durch das Dickicht des Waldes, noch durch Seen oder Flüſſe, noch durch Sümpfe, welche vor ihm liegen. Der Elch vernimmt und äugt ausgezeichnet, wittert oder windet aber weniger gut. Hinſichtlich ſeiner geiſtigen Fähigkeiten ſcheint er ſein plumpes und dummes Ausſehen nicht Lügen zu ſtrafen. Er iſt weit weniger ſcheu als das Edelwild; wenn ihn der Jäger gefehlt hat, trollt er oft nur eine kurze Strecke fort und bleibt dann ſtehen. Mit ſeines Gleichen lebt er friedfertig und geſellig; doch nur zur Paarungszeit halten ſich auch die alten Hirſche mit den Rudeln zuſammen; gewöhnlich beſteht die Familie aus einem Altthier, zwei fertigen Thieren, welche im Herbſt brunſten werden, zwei Schmal- thieren und zwei Kälbern. Jn den Oſtſeeländern tritt die Brunſtzeit Ende Auguſts, im aſiatiſchen Rußland im September oder Oktober ein. Um dieſe Zeit ſind die Hirſche auf das höchſte erregt und kämpfen nicht blos unter ſich mit großem Muthe und Jngrimm, ſondern werden dann auch leicht dem Menſchen gefährlich. Ueberhaupt verſteht das Thier ſich zu vertheidigen, zumal wenn es ſich ſeiner Haut erwehren muß: verwundete Elche nehmen den Jäger ohne weiteres an. Der Schütz muß immer ſehr vorſichtig zu Werke gehen, und namentlich bei der Jagd zu Fuße iſt die größte Behutſamkeit, zumal hinſichtlich des Standortes, nöthig: es iſt faſt unerläßlich, daß ſich der Jäger hinter einen Baum anſtellt, wo er ſich im Nothfall verbergen kann, wenn der „grimme Schelch‟ auf ihn losgetrabt kommt. Das Geweih iſt eine ſehr kräftige Waſſe; außerdem aber braucht der Elch auch ſeine Schalen mit gehörigem Nachdruck; ſogar die alten Thiere wiſſen ſich damit ihre Hauptfeinde, die Wölfe, vom Leibe zu hal- ten: ſie gehen z. B., wenn die frechen Räuber ihre Jungen befehden, dreiſt auf ſie los und ſchlagen ſie windelweich oder todt. Zur Brunſtzeit orgelt der Elchhirſch, wie das Edelwild, aber in kurzen Abſätzen, faſt plärrend, wie der Damhirſch, nur in viel tieferem Tone; einen Schreckens- oder Klagelaut dagegen hat man bisher noch nicht vernommen. Die Hirſche ſuchen während der Brunſtzeit die alten Thiere auf, verfolgen ſie, ſchwimmen ihnen ſelbſt durch die breiteſten Ströme nach. Junge Hirſche werden von den älteren abgeſchlagen und finden ſelten Gelegenheit, ihren Trieb zu befriedigen; dann trollen ſie wie unſinnig in gerader Richtung fort, beſuchen ſelbſt bebaute Gegenden, die ſie ſonſt ängſtlich meiden und kommen endlich ebenſo ſehr vom Leibe, wie die Alten durch das wirkliche Brunſten. Der Be- ſchlag ſelbſt dauert nur kurze Zeit, wird aber oft wiederholt. Nach deſſen Vollendung ſteigt der Hirſch niemals ab, ſondern das Thier rückt unter ihm weg. Sechsunddreißig bis vierzig Wochen geht das Elchthier hoch beſchlagen. Zuerſt ſetzt es nur ein Kalb, bei jedem folgenden Satz aber deren zwei, meiſt ein Pärchen, ſeltener zwei von gleichem Geſchlecht. Drei Kälber bei einer Geburt ſind ein ſelte- nes Vorkommniß, und ſie gehen auch als Schwächlinge meiſt zu Grunde. Gleich nach dem Ablecken ſpringen die Kälber auf, taumeln aber noch wie berauſcht mit dem Kopfe hin und her und müſſen anfangs von der Mutter fortgeſchoben werden, wenn ſie ſich bewegen ſollen; doch ſchon am dritten oder vierten Tage folgen ſie dem Elchthier, welches ſie faſt bis zur nächſten Brunſtzeit beſaugen, ſelbſt dann noch, wenn ſie bereits ſo groß geworden ſind, daß ſie ſich unter die Mutter hinlegen müſſen. Das Schmalthier wird mit dem dritten Jahre fertig und in den folgenden Jahren als Altthier ange- ſprochen. Der Elch heißt im erſten Jahre Kalb, im zweiten und dritten Spießer oder Gabler, im vierten geringer Hirſch, im fünften geringer Schaufler, im ſechsten guter Schaufler und in höheren Jahren Haupt- oder Kapitalſchaufler.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/453>, abgerufen am 23.11.2024.