Sehr groß ist die Anhänglichkeit und Liebe der Mutter zu ihren Kälbern. Sie vertheidigt selbst die getödteten Jungen.
Außer dem Menschen werden dem Elch, trotz seiner Vorsicht, mehrere andere böse Feinde ge- fährlich: vor Allen der Wolf, der Luchs, der Bär und der Vielfraß. Der Wolf reißt die Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meistens nur einzelne Thiere zu beschleichen und steht vom Angriff eines Rudels ab; der Luchs dagegen und unter Umständen der Vielfraß springen ohne weiteres auf ein unter ihnen weggehendes Elen, krallen sich am Halse fest und beißen ihm die Schlagadern durch. Sie sind als die fürchterlichsten Feinde des wehrhaften Wildes anzusehen; die Wölfe und die Bären dagegen haben sich sehr vorzusehen: denn ein einziger Schlag, welchen der Elch mit den Vorderläufen gibt, genügt, einen Wolf für immer niederzustrecken. Raubthiere, welche ein Elenthier an der Kehle erfaßt haben, soll er im raschen Laufe in die Dickichte schleppen und im Gehölz an den Bäumen abzustreifen versuchen.
Gegenwärtig wird unser Wild überall, wo es vorkommt, nach Kräften geschont. Jn Norwe- gen steht eine Strafe von 60 Thlr. unseres Geldes auf der Erlegung eines Elenthiers; in Preußen sorgen die Forstbeamten nach Kräften für seine Sicherheit, und auch in Rußland sucht man es jetzt zu erhalten. Früher war Dies freilich anders. So hatte der Kaiser PaulI. den sonderbaren Gedanken, Elchhaut als besonders passend für seine Reiter zu finden und ließ deshalb einen förmlichen Vernich- tungskrieg gegen die Elenthiere führen.
Man erlegt den Elch entweder auf dem Anstande oder auf großen Treibjagden und in Lappen und Netzen. Jm hohen Norden versuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schneeschuhen zu jagen und bemühen sich, es auf das Eis zu treiben, wo sie ihm dann bald den Garaus machen.
Jung eingefangene Elenthiere werden zahm und können selbst zum Aus- und Eingehen ge- bracht werden; bei uns halten sie jedoch die Gefangenschaft niemals lange aus. Jn Schweden sollen früher solche Gefangene soweit abgerichtet worden sein, daß man sie zum Ziehen der Schlitten verwen- den konnte; ein Gesetz verbot aber derartige Zugthiere, weil die Schnelligkeit und Ausdaner des Elch Verfolgungen von Verbrechern geradezu unmöglich gemacht haben würde. Spätere Versuche, die Elche zu Hausthieren zu machen, sind gescheitert. Die Jungen schienen zwar anfangs zu gedeihen, magerten aber später mehr und mehr und starben regelmäßig bald dahin. Wangenheim erzählt, daß auf den königlichen Gestüten sechs Jahre lang derartige Versuche angestellt wurden. Die jung eingefangenen Kälber ließ man von Kühen, welche sich willfährig zeigten, säugen und bemuttern; sie gingen mit auf die Weide und wuchsen heran. Wenn die Sonne zu heiß schien und wenn die Brem- sen flogen, eilten sie immer nach ihren Ställen zurück, um Schutz vor beiden Plagen zu suchen. Jn den Ställen band man sie mit Halftern fest, wie Kühe; im Sommer ließ man sie ihre Aeßung sich selbst suchen, im Winter fütterte man sie mit Heu und Hafer. Aller Sorgfalt ungeachtet, starben die meisten Kälber bereits im zweiten, die überlebenden sicher im dritten Jahre an "einem zu dünnen Leibe", d. h. allgemeiner Abmagerung und Entkräftung, welche sie im Hochsommer befiel.
Zur Zeit, als ich den vorliegenden Theil unseres Buches ausarbeitete, hatte ich nur zwei Mal lebende Elenthiere gesehen, die einen in Schönbrunn, das andere in Berlin. Beide Male fehlte min Zeit und Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten. Jch bat deshalb meinen Freund, Herrn Dr. Bolle in Berlin, zu Gunsten unseres Buches dem dortigen Elch seine Aufmerksamkeit zu schenken und mir das Ergebniß seiner Beobachtungen mitzutheilen. Leider kam ich damals zu spät; denn der ostpreußische Waldbewohner hatte bereits das Zeitliche gesegnet, als Bolle sich anschickte, ihn zum Ge- genstand einer Schilderung seiner ausgezeichneten Feder zu machen. Demungeachtet erscheint mir sein Bericht zu wichtig, als daß ich ihn hier unterdrücken könnte. "Das Elen", so schreibt er, "welches Sie mir zu beobachten aufgetragen, ist nicht mehr. Es ist bereits zu Anfang des Sommers selig ent- schlafen. Jch habe es früher öfters gesehen und mir das allgemeine Wesen des Thieres gut einge- prägt, ohne indeß Etwas darüber aufzumerken. Es war dies das zweite Stück, welches der hiesige Thiergarten im Laufe der letzten Jahre besessen hat. Beides waren junge gehörnlose Thiere, an
Die Hirſche. — Der Elch oder das Elen.
Sehr groß iſt die Anhänglichkeit und Liebe der Mutter zu ihren Kälbern. Sie vertheidigt ſelbſt die getödteten Jungen.
Außer dem Menſchen werden dem Elch, trotz ſeiner Vorſicht, mehrere andere böſe Feinde ge- fährlich: vor Allen der Wolf, der Luchs, der Bär und der Vielfraß. Der Wolf reißt die Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meiſtens nur einzelne Thiere zu beſchleichen und ſteht vom Angriff eines Rudels ab; der Luchs dagegen und unter Umſtänden der Vielfraß ſpringen ohne weiteres auf ein unter ihnen weggehendes Elen, krallen ſich am Halſe feſt und beißen ihm die Schlagadern durch. Sie ſind als die fürchterlichſten Feinde des wehrhaften Wildes anzuſehen; die Wölfe und die Bären dagegen haben ſich ſehr vorzuſehen: denn ein einziger Schlag, welchen der Elch mit den Vorderläufen gibt, genügt, einen Wolf für immer niederzuſtrecken. Raubthiere, welche ein Elenthier an der Kehle erfaßt haben, ſoll er im raſchen Laufe in die Dickichte ſchleppen und im Gehölz an den Bäumen abzuſtreifen verſuchen.
Gegenwärtig wird unſer Wild überall, wo es vorkommt, nach Kräften geſchont. Jn Norwe- gen ſteht eine Strafe von 60 Thlr. unſeres Geldes auf der Erlegung eines Elenthiers; in Preußen ſorgen die Forſtbeamten nach Kräften für ſeine Sicherheit, und auch in Rußland ſucht man es jetzt zu erhalten. Früher war Dies freilich anders. So hatte der Kaiſer PaulI. den ſonderbaren Gedanken, Elchhaut als beſonders paſſend für ſeine Reiter zu finden und ließ deshalb einen förmlichen Vernich- tungskrieg gegen die Elenthiere führen.
Man erlegt den Elch entweder auf dem Anſtande oder auf großen Treibjagden und in Lappen und Netzen. Jm hohen Norden verſuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schneeſchuhen zu jagen und bemühen ſich, es auf das Eis zu treiben, wo ſie ihm dann bald den Garaus machen.
Jung eingefangene Elenthiere werden zahm und können ſelbſt zum Aus- und Eingehen ge- bracht werden; bei uns halten ſie jedoch die Gefangenſchaft niemals lange aus. Jn Schweden ſollen früher ſolche Gefangene ſoweit abgerichtet worden ſein, daß man ſie zum Ziehen der Schlitten verwen- den konnte; ein Geſetz verbot aber derartige Zugthiere, weil die Schnelligkeit und Ausdaner des Elch Verfolgungen von Verbrechern geradezu unmöglich gemacht haben würde. Spätere Verſuche, die Elche zu Hausthieren zu machen, ſind geſcheitert. Die Jungen ſchienen zwar anfangs zu gedeihen, magerten aber ſpäter mehr und mehr und ſtarben regelmäßig bald dahin. Wangenheim erzählt, daß auf den königlichen Geſtüten ſechs Jahre lang derartige Verſuche angeſtellt wurden. Die jung eingefangenen Kälber ließ man von Kühen, welche ſich willfährig zeigten, ſäugen und bemuttern; ſie gingen mit auf die Weide und wuchſen heran. Wenn die Sonne zu heiß ſchien und wenn die Brem- ſen flogen, eilten ſie immer nach ihren Ställen zurück, um Schutz vor beiden Plagen zu ſuchen. Jn den Ställen band man ſie mit Halftern feſt, wie Kühe; im Sommer ließ man ſie ihre Aeßung ſich ſelbſt ſuchen, im Winter fütterte man ſie mit Heu und Hafer. Aller Sorgfalt ungeachtet, ſtarben die meiſten Kälber bereits im zweiten, die überlebenden ſicher im dritten Jahre an „einem zu dünnen Leibe‟, d. h. allgemeiner Abmagerung und Entkräftung, welche ſie im Hochſommer befiel.
Zur Zeit, als ich den vorliegenden Theil unſeres Buches ausarbeitete, hatte ich nur zwei Mal lebende Elenthiere geſehen, die einen in Schönbrunn, das andere in Berlin. Beide Male fehlte min Zeit und Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten. Jch bat deshalb meinen Freund, Herrn Dr. Bolle in Berlin, zu Gunſten unſeres Buches dem dortigen Elch ſeine Aufmerkſamkeit zu ſchenken und mir das Ergebniß ſeiner Beobachtungen mitzutheilen. Leider kam ich damals zu ſpät; denn der oſtpreußiſche Waldbewohner hatte bereits das Zeitliche geſegnet, als Bolle ſich anſchickte, ihn zum Ge- genſtand einer Schilderung ſeiner ausgezeichneten Feder zu machen. Demungeachtet erſcheint mir ſein Bericht zu wichtig, als daß ich ihn hier unterdrücken könnte. „Das Elen‟, ſo ſchreibt er, „welches Sie mir zu beobachten aufgetragen, iſt nicht mehr. Es iſt bereits zu Anfang des Sommers ſelig ent- ſchlafen. Jch habe es früher öfters geſehen und mir das allgemeine Weſen des Thieres gut einge- prägt, ohne indeß Etwas darüber aufzumerken. Es war dies das zweite Stück, welches der hieſige Thiergarten im Laufe der letzten Jahre beſeſſen hat. Beides waren junge gehörnloſe Thiere, an
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0454"n="428"/><fwplace="top"type="header">Die Hirſche. — Der Elch oder das Elen.</fw><lb/><p>Sehr groß iſt die Anhänglichkeit und Liebe der Mutter zu ihren Kälbern. Sie vertheidigt ſelbſt<lb/>
die getödteten Jungen.</p><lb/><p>Außer dem Menſchen werden dem Elch, trotz ſeiner Vorſicht, mehrere andere böſe Feinde ge-<lb/>
fährlich: vor Allen der <hirendition="#g">Wolf,</hi> der <hirendition="#g">Luchs,</hi> der <hirendition="#g">Bär</hi> und der <hirendition="#g">Vielfraß.</hi> Der Wolf reißt die<lb/>
Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meiſtens nur einzelne Thiere zu<lb/>
beſchleichen und ſteht vom Angriff eines Rudels ab; der Luchs dagegen und unter Umſtänden der<lb/>
Vielfraß ſpringen ohne weiteres auf ein unter ihnen weggehendes Elen, krallen ſich am Halſe<lb/>
feſt und beißen ihm die Schlagadern durch. Sie ſind als die fürchterlichſten Feinde des wehrhaften<lb/>
Wildes anzuſehen; die Wölfe und die Bären dagegen haben ſich ſehr vorzuſehen: denn ein einziger<lb/>
Schlag, welchen der Elch mit den Vorderläufen gibt, genügt, einen Wolf für immer niederzuſtrecken.<lb/>
Raubthiere, welche ein Elenthier an der Kehle erfaßt haben, ſoll er im raſchen Laufe in die Dickichte<lb/>ſchleppen und im Gehölz an den Bäumen abzuſtreifen verſuchen.</p><lb/><p>Gegenwärtig wird unſer Wild überall, wo es vorkommt, nach Kräften geſchont. Jn Norwe-<lb/>
gen ſteht eine Strafe von 60 Thlr. unſeres Geldes auf der Erlegung eines Elenthiers; in Preußen<lb/>ſorgen die Forſtbeamten nach Kräften für ſeine Sicherheit, und auch in Rußland ſucht man es jetzt zu<lb/>
erhalten. Früher war Dies freilich anders. So hatte der Kaiſer <hirendition="#g">Paul</hi><hirendition="#aq">I.</hi> den ſonderbaren Gedanken,<lb/>
Elchhaut als beſonders paſſend für ſeine Reiter zu finden und ließ deshalb einen förmlichen Vernich-<lb/>
tungskrieg gegen die Elenthiere führen.</p><lb/><p>Man erlegt den Elch entweder auf dem Anſtande oder auf großen Treibjagden und in Lappen<lb/>
und Netzen. Jm hohen Norden verſuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schneeſchuhen zu jagen<lb/>
und bemühen ſich, es auf das Eis zu treiben, wo ſie ihm dann bald den Garaus machen.</p><lb/><p>Jung eingefangene Elenthiere werden zahm und können ſelbſt zum Aus- und Eingehen ge-<lb/>
bracht werden; bei uns halten ſie jedoch die Gefangenſchaft niemals lange aus. Jn Schweden ſollen<lb/>
früher ſolche Gefangene ſoweit abgerichtet worden ſein, daß man ſie zum Ziehen der Schlitten verwen-<lb/>
den konnte; ein Geſetz verbot aber derartige Zugthiere, weil die Schnelligkeit und Ausdaner des Elch<lb/>
Verfolgungen von Verbrechern geradezu unmöglich gemacht haben würde. Spätere Verſuche, die<lb/>
Elche zu Hausthieren zu machen, ſind geſcheitert. Die Jungen ſchienen zwar anfangs zu gedeihen,<lb/>
magerten aber ſpäter mehr und mehr und ſtarben regelmäßig bald dahin. <hirendition="#g">Wangenheim</hi> erzählt,<lb/>
daß auf den königlichen Geſtüten ſechs Jahre lang derartige Verſuche angeſtellt wurden. Die jung<lb/>
eingefangenen Kälber ließ man von Kühen, welche ſich willfährig zeigten, ſäugen und bemuttern; ſie<lb/>
gingen mit auf die Weide und wuchſen heran. Wenn die Sonne zu heiß ſchien und wenn die Brem-<lb/>ſen flogen, eilten ſie immer nach ihren Ställen zurück, um Schutz vor beiden Plagen zu ſuchen. Jn<lb/>
den Ställen band man ſie mit Halftern feſt, wie Kühe; im Sommer ließ man ſie ihre Aeßung ſich<lb/>ſelbſt ſuchen, im Winter fütterte man ſie mit Heu und Hafer. Aller Sorgfalt ungeachtet, ſtarben<lb/>
die meiſten Kälber bereits im zweiten, die überlebenden ſicher im dritten Jahre an „einem zu dünnen<lb/>
Leibe‟, d. h. allgemeiner Abmagerung und Entkräftung, welche ſie im Hochſommer befiel.</p><lb/><p>Zur Zeit, als ich den vorliegenden Theil unſeres Buches ausarbeitete, hatte ich nur zwei Mal<lb/>
lebende Elenthiere geſehen, die einen in Schönbrunn, das andere in Berlin. Beide Male fehlte min<lb/>
Zeit und Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten. Jch bat deshalb meinen Freund, Herrn <hirendition="#aq">Dr.</hi><lb/><hirendition="#g">Bolle</hi> in Berlin, zu Gunſten unſeres Buches dem dortigen Elch ſeine Aufmerkſamkeit zu ſchenken<lb/>
und mir das Ergebniß ſeiner Beobachtungen mitzutheilen. Leider kam ich damals zu ſpät; denn der<lb/>
oſtpreußiſche Waldbewohner hatte bereits das Zeitliche geſegnet, als <hirendition="#g">Bolle</hi>ſich anſchickte, ihn zum Ge-<lb/>
genſtand einer Schilderung ſeiner ausgezeichneten Feder zu machen. Demungeachtet erſcheint mir ſein<lb/>
Bericht zu wichtig, als daß ich ihn hier unterdrücken könnte. „Das Elen‟, ſo ſchreibt er, „welches<lb/>
Sie mir zu beobachten aufgetragen, iſt nicht mehr. Es iſt bereits zu Anfang des Sommers ſelig ent-<lb/>ſchlafen. Jch habe es früher öfters geſehen und mir das allgemeine Weſen des Thieres gut einge-<lb/>
prägt, ohne indeß Etwas darüber aufzumerken. Es war dies das zweite Stück, welches der hieſige<lb/>
Thiergarten im Laufe der letzten Jahre beſeſſen hat. Beides waren junge gehörnloſe Thiere, an<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[428/0454]
Die Hirſche. — Der Elch oder das Elen.
Sehr groß iſt die Anhänglichkeit und Liebe der Mutter zu ihren Kälbern. Sie vertheidigt ſelbſt
die getödteten Jungen.
Außer dem Menſchen werden dem Elch, trotz ſeiner Vorſicht, mehrere andere böſe Feinde ge-
fährlich: vor Allen der Wolf, der Luchs, der Bär und der Vielfraß. Der Wolf reißt die
Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meiſtens nur einzelne Thiere zu
beſchleichen und ſteht vom Angriff eines Rudels ab; der Luchs dagegen und unter Umſtänden der
Vielfraß ſpringen ohne weiteres auf ein unter ihnen weggehendes Elen, krallen ſich am Halſe
feſt und beißen ihm die Schlagadern durch. Sie ſind als die fürchterlichſten Feinde des wehrhaften
Wildes anzuſehen; die Wölfe und die Bären dagegen haben ſich ſehr vorzuſehen: denn ein einziger
Schlag, welchen der Elch mit den Vorderläufen gibt, genügt, einen Wolf für immer niederzuſtrecken.
Raubthiere, welche ein Elenthier an der Kehle erfaßt haben, ſoll er im raſchen Laufe in die Dickichte
ſchleppen und im Gehölz an den Bäumen abzuſtreifen verſuchen.
Gegenwärtig wird unſer Wild überall, wo es vorkommt, nach Kräften geſchont. Jn Norwe-
gen ſteht eine Strafe von 60 Thlr. unſeres Geldes auf der Erlegung eines Elenthiers; in Preußen
ſorgen die Forſtbeamten nach Kräften für ſeine Sicherheit, und auch in Rußland ſucht man es jetzt zu
erhalten. Früher war Dies freilich anders. So hatte der Kaiſer Paul I. den ſonderbaren Gedanken,
Elchhaut als beſonders paſſend für ſeine Reiter zu finden und ließ deshalb einen förmlichen Vernich-
tungskrieg gegen die Elenthiere führen.
Man erlegt den Elch entweder auf dem Anſtande oder auf großen Treibjagden und in Lappen
und Netzen. Jm hohen Norden verſuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schneeſchuhen zu jagen
und bemühen ſich, es auf das Eis zu treiben, wo ſie ihm dann bald den Garaus machen.
Jung eingefangene Elenthiere werden zahm und können ſelbſt zum Aus- und Eingehen ge-
bracht werden; bei uns halten ſie jedoch die Gefangenſchaft niemals lange aus. Jn Schweden ſollen
früher ſolche Gefangene ſoweit abgerichtet worden ſein, daß man ſie zum Ziehen der Schlitten verwen-
den konnte; ein Geſetz verbot aber derartige Zugthiere, weil die Schnelligkeit und Ausdaner des Elch
Verfolgungen von Verbrechern geradezu unmöglich gemacht haben würde. Spätere Verſuche, die
Elche zu Hausthieren zu machen, ſind geſcheitert. Die Jungen ſchienen zwar anfangs zu gedeihen,
magerten aber ſpäter mehr und mehr und ſtarben regelmäßig bald dahin. Wangenheim erzählt,
daß auf den königlichen Geſtüten ſechs Jahre lang derartige Verſuche angeſtellt wurden. Die jung
eingefangenen Kälber ließ man von Kühen, welche ſich willfährig zeigten, ſäugen und bemuttern; ſie
gingen mit auf die Weide und wuchſen heran. Wenn die Sonne zu heiß ſchien und wenn die Brem-
ſen flogen, eilten ſie immer nach ihren Ställen zurück, um Schutz vor beiden Plagen zu ſuchen. Jn
den Ställen band man ſie mit Halftern feſt, wie Kühe; im Sommer ließ man ſie ihre Aeßung ſich
ſelbſt ſuchen, im Winter fütterte man ſie mit Heu und Hafer. Aller Sorgfalt ungeachtet, ſtarben
die meiſten Kälber bereits im zweiten, die überlebenden ſicher im dritten Jahre an „einem zu dünnen
Leibe‟, d. h. allgemeiner Abmagerung und Entkräftung, welche ſie im Hochſommer befiel.
Zur Zeit, als ich den vorliegenden Theil unſeres Buches ausarbeitete, hatte ich nur zwei Mal
lebende Elenthiere geſehen, die einen in Schönbrunn, das andere in Berlin. Beide Male fehlte min
Zeit und Gelegenheit, die Gefangenen zu beobachten. Jch bat deshalb meinen Freund, Herrn Dr.
Bolle in Berlin, zu Gunſten unſeres Buches dem dortigen Elch ſeine Aufmerkſamkeit zu ſchenken
und mir das Ergebniß ſeiner Beobachtungen mitzutheilen. Leider kam ich damals zu ſpät; denn der
oſtpreußiſche Waldbewohner hatte bereits das Zeitliche geſegnet, als Bolle ſich anſchickte, ihn zum Ge-
genſtand einer Schilderung ſeiner ausgezeichneten Feder zu machen. Demungeachtet erſcheint mir ſein
Bericht zu wichtig, als daß ich ihn hier unterdrücken könnte. „Das Elen‟, ſo ſchreibt er, „welches
Sie mir zu beobachten aufgetragen, iſt nicht mehr. Es iſt bereits zu Anfang des Sommers ſelig ent-
ſchlafen. Jch habe es früher öfters geſehen und mir das allgemeine Weſen des Thieres gut einge-
prägt, ohne indeß Etwas darüber aufzumerken. Es war dies das zweite Stück, welches der hieſige
Thiergarten im Laufe der letzten Jahre beſeſſen hat. Beides waren junge gehörnloſe Thiere, an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/454>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.