Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hirsche. -- Unser Reh.
sind scharf abgegrenzt lichtfarbig; im Sommer gelblich, im Winter weiß. Bei den Kälbern treten auf der
röthlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecken in Reihen hervor. Verschieden-
artige Spielarten sind bekannt worden; manche von ihnen erhalten sich sogar durch mehrere Ge-
schlechter hindurch. Dietrich aus dem Winckell führt eine ganze Reihe solcher Abweichungen
an. Jn der Grafschaft Denneberg soll es tuschfarbenschwarze, in der Grafschaft Schaumburg
rabenschwarze Rehe geben, welche gleichgefärbte Kälber erzielen; in dem Erbachschen hat man blei-
farbige Böcke erlegt. Häufiger sind ganz weiße, seltener gefleckte, alte Rehe, höchst selten silberfarbene.

Mit Ausnahme der nördlichen Länder findet sich unser Reh in ganz Europa und in einem großen
Theile Asiens. Der 58. Grad der Breite scheint bei uns die nördliche Grenze seines Verbreitungs-
kreises zu bilden. Hier und da ist es bereits ausgerottet; im allgemeinen aber kann man sagen, daß
es sich noch in allen größeren Waldungen findet, gleichviel, ob solche in Gebirgen oder ebenen Gegen-
den liegen, ob sie aus Schwarz- oder Laubholz bestehen. Gerade das letztere scheint dem Reh beson-
ders zu behagen; während es andererseits wieder trockene Gegenden vorzieht. Waldungen mit viel
Unterholz, junge Baumschläge, Vor- und Feldhölzer, welche viel Dunkel und Schatten bieten,
sagen ihm zu. Jm Winter zieht es sich von den Höhen zur Tiefe herab, im Sommer steigt es mehr
empor, und in ebenen Gegenden tritt es dann oft auf die Felder heraus und thut sich im hohen Ge-
treide nieder. Je nachdem der Standort dieses Wildes ruhig oder unruhig ist, hält es sich in lichte-
ren, dünn bestandenen, oder in dunkelen, dichteren Wäldern auf, selbstverständlich hauptsächlich
während des Tages, wo es sich durch Wegschlagen der Laubdecken und eines Theils des verrasten
Bodens ein Bett bereitet.

Jn seiner Lebensweise erinnert das Reh vielfach an den Hirsch; sein Wesen ist aber doch sehr
von dem des Edelwilds verschieden. Die Bewegungen sind sehr behend und anmuthig. Das
Reh kann erstaunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und
Sträuche ohne irgend welche bemerkbare Anstrengungen fallen; es schwimmt sehr gut und klettert recht
leidlich. Dazu kommen seine höheren Fähigkeiten. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich; es
ist klug, listig, vorsichtig und sehr scheu. "Freundlichkeit, Zuthunlichkeit," sagt Dietrich aus dem
Winckell,
"spricht aus jedem seiner Blicke, und doch läßt es nur, von der zartesten Jugend von dem
Menschen künstlich erzogen, sich zähmen; im entgegengesetzten Falle behält es selbst bei der besten
Pflege die im wilden Zustande eigene Schüchternheit und Furcht vor Menschen und Thieren bei.
Diese geht soweit, daß es, wenn es überrascht wird, nicht nur zuweilen einen kurzen Laut des
Schreckens von sich gibt, sondern auch den Versuch, sich durch die Flucht zu retten, oft aufgeben muß,
indem es leicht völlig aus dem Sprunge kommt und dann auf einem engen Raume sich ängstlich
gleichsam herumtummelt, nicht selten ein Opfer gemeiner, gar nicht rascher Bauernhunde, vorzüglich
aber der Raubthiere werdend. Nur in Gehegen, wo die Rehe sehr wenig beschossen werden und im-
mer Ruhe haben, legen sie ihre Scheu vor dem Menschen insoweit ab, daß sie, wenn er in einer Ent-
fernung von 25 bis 30 Schritt an ihnen vorübergeht, sich im Aeßen nicht stören lassen. Jm Bette
wird keine andere Wildart häufiger überrascht, als das Reh; wahrscheinlich muß es schlafen oder
wenn es sich wachend niedergethan hat, um das Geschäft des Wiederkäuens zu verrichten, unter einem
dicken Strauche oder in hohem Grase vor den spähenden Blicken seiner Verfolger sich hinlänglich
gesichert glauben."

Die Stimme des Rehs ist verschieden. Der Bock wird mit einem kurzen, abgestoßenen, tiefen
Bö, Bö, Bö laut, zumal während der Brunstzeit, er "schmält", wie der Jäger sagt. Die Ricke
läßt etwas höhere, mehr schreiende Töne vernehmen; das Kalb piept in eigenthümlicher, nicht wohl
zu beschreibender Weise. Jn der Angst klagt das Reh ähnlich wie sein Junges; bei Gefahr blöckt es
rauh und kreischend auf.

Niemals bildet das Reh so starke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Theiles des
Jahres lebt es familienweise zusammen, ein Bock mit einem, seltener mit zwei bis drei Ricken und
deren Jungen, nur da, wo es an Böcken fehlt, gewahrt man Trupps von 12 bis 15 Stücken. Der

Die Hirſche. — Unſer Reh.
ſind ſcharf abgegrenzt lichtfarbig; im Sommer gelblich, im Winter weiß. Bei den Kälbern treten auf der
röthlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecken in Reihen hervor. Verſchieden-
artige Spielarten ſind bekannt worden; manche von ihnen erhalten ſich ſogar durch mehrere Ge-
ſchlechter hindurch. Dietrich aus dem Winckell führt eine ganze Reihe ſolcher Abweichungen
an. Jn der Grafſchaft Denneberg ſoll es tuſchfarbenſchwarze, in der Grafſchaft Schaumburg
rabenſchwarze Rehe geben, welche gleichgefärbte Kälber erzielen; in dem Erbachſchen hat man blei-
farbige Böcke erlegt. Häufiger ſind ganz weiße, ſeltener gefleckte, alte Rehe, höchſt ſelten ſilberfarbene.

Mit Ausnahme der nördlichen Länder findet ſich unſer Reh in ganz Europa und in einem großen
Theile Aſiens. Der 58. Grad der Breite ſcheint bei uns die nördliche Grenze ſeines Verbreitungs-
kreiſes zu bilden. Hier und da iſt es bereits ausgerottet; im allgemeinen aber kann man ſagen, daß
es ſich noch in allen größeren Waldungen findet, gleichviel, ob ſolche in Gebirgen oder ebenen Gegen-
den liegen, ob ſie aus Schwarz- oder Laubholz beſtehen. Gerade das letztere ſcheint dem Reh beſon-
ders zu behagen; während es andererſeits wieder trockene Gegenden vorzieht. Waldungen mit viel
Unterholz, junge Baumſchläge, Vor- und Feldhölzer, welche viel Dunkel und Schatten bieten,
ſagen ihm zu. Jm Winter zieht es ſich von den Höhen zur Tiefe herab, im Sommer ſteigt es mehr
empor, und in ebenen Gegenden tritt es dann oft auf die Felder heraus und thut ſich im hohen Ge-
treide nieder. Je nachdem der Standort dieſes Wildes ruhig oder unruhig iſt, hält es ſich in lichte-
ren, dünn beſtandenen, oder in dunkelen, dichteren Wäldern auf, ſelbſtverſtändlich hauptſächlich
während des Tages, wo es ſich durch Wegſchlagen der Laubdecken und eines Theils des verraſten
Bodens ein Bett bereitet.

Jn ſeiner Lebensweiſe erinnert das Reh vielfach an den Hirſch; ſein Weſen iſt aber doch ſehr
von dem des Edelwilds verſchieden. Die Bewegungen ſind ſehr behend und anmuthig. Das
Reh kann erſtaunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und
Sträuche ohne irgend welche bemerkbare Anſtrengungen fallen; es ſchwimmt ſehr gut und klettert recht
leidlich. Dazu kommen ſeine höheren Fähigkeiten. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich; es
iſt klug, liſtig, vorſichtig und ſehr ſcheu. „Freundlichkeit, Zuthunlichkeit,‟ ſagt Dietrich aus dem
Winckell,
„ſpricht aus jedem ſeiner Blicke, und doch läßt es nur, von der zarteſten Jugend von dem
Menſchen künſtlich erzogen, ſich zähmen; im entgegengeſetzten Falle behält es ſelbſt bei der beſten
Pflege die im wilden Zuſtande eigene Schüchternheit und Furcht vor Menſchen und Thieren bei.
Dieſe geht ſoweit, daß es, wenn es überraſcht wird, nicht nur zuweilen einen kurzen Laut des
Schreckens von ſich gibt, ſondern auch den Verſuch, ſich durch die Flucht zu retten, oft aufgeben muß,
indem es leicht völlig aus dem Sprunge kommt und dann auf einem engen Raume ſich ängſtlich
gleichſam herumtummelt, nicht ſelten ein Opfer gemeiner, gar nicht raſcher Bauernhunde, vorzüglich
aber der Raubthiere werdend. Nur in Gehegen, wo die Rehe ſehr wenig beſchoſſen werden und im-
mer Ruhe haben, legen ſie ihre Scheu vor dem Menſchen inſoweit ab, daß ſie, wenn er in einer Ent-
fernung von 25 bis 30 Schritt an ihnen vorübergeht, ſich im Aeßen nicht ſtören laſſen. Jm Bette
wird keine andere Wildart häufiger überraſcht, als das Reh; wahrſcheinlich muß es ſchlafen oder
wenn es ſich wachend niedergethan hat, um das Geſchäft des Wiederkäuens zu verrichten, unter einem
dicken Strauche oder in hohem Graſe vor den ſpähenden Blicken ſeiner Verfolger ſich hinlänglich
geſichert glauben.‟

Die Stimme des Rehs iſt verſchieden. Der Bock wird mit einem kurzen, abgeſtoßenen, tiefen
Bö, Bö, Bö laut, zumal während der Brunſtzeit, er „ſchmält‟, wie der Jäger ſagt. Die Ricke
läßt etwas höhere, mehr ſchreiende Töne vernehmen; das Kalb piept in eigenthümlicher, nicht wohl
zu beſchreibender Weiſe. Jn der Angſt klagt das Reh ähnlich wie ſein Junges; bei Gefahr blöckt es
rauh und kreiſchend auf.

Niemals bildet das Reh ſo ſtarke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Theiles des
Jahres lebt es familienweiſe zuſammen, ein Bock mit einem, ſeltener mit zwei bis drei Ricken und
deren Jungen, nur da, wo es an Böcken fehlt, gewahrt man Trupps von 12 bis 15 Stücken. Der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0506" n="480"/><fw place="top" type="header">Die Hir&#x017F;che. &#x2014; Un&#x017F;er Reh.</fw><lb/>
&#x017F;ind &#x017F;charf abgegrenzt lichtfarbig; im Sommer gelblich, im Winter weiß. Bei den Kälbern treten auf der<lb/>
röthlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecken in Reihen hervor. Ver&#x017F;chieden-<lb/>
artige Spielarten &#x017F;ind bekannt worden; manche von ihnen erhalten &#x017F;ich &#x017F;ogar durch mehrere Ge-<lb/>
&#x017F;chlechter hindurch. <hi rendition="#g">Dietrich aus dem Winckell</hi> führt eine ganze Reihe &#x017F;olcher Abweichungen<lb/>
an. Jn der Graf&#x017F;chaft Denneberg &#x017F;oll es <hi rendition="#g">tu&#x017F;chfarben&#x017F;chwarze,</hi> in der Graf&#x017F;chaft Schaumburg<lb/><hi rendition="#g">raben&#x017F;chwarze</hi> Rehe geben, welche gleichgefärbte Kälber erzielen; in dem Erbach&#x017F;chen hat man blei-<lb/>
farbige Böcke erlegt. Häufiger &#x017F;ind ganz weiße, &#x017F;eltener gefleckte, alte Rehe, höch&#x017F;t &#x017F;elten &#x017F;ilberfarbene.</p><lb/>
              <p>Mit Ausnahme der nördlichen Länder findet &#x017F;ich un&#x017F;er Reh in ganz Europa und in einem großen<lb/>
Theile A&#x017F;iens. Der 58. Grad der Breite &#x017F;cheint bei uns die nördliche Grenze &#x017F;eines Verbreitungs-<lb/>
krei&#x017F;es zu bilden. Hier und da i&#x017F;t es bereits ausgerottet; im allgemeinen aber kann man &#x017F;agen, daß<lb/>
es &#x017F;ich noch in allen größeren Waldungen findet, gleichviel, ob &#x017F;olche in Gebirgen oder ebenen Gegen-<lb/>
den liegen, ob &#x017F;ie aus Schwarz- oder Laubholz be&#x017F;tehen. Gerade das letztere &#x017F;cheint dem Reh be&#x017F;on-<lb/>
ders zu behagen; während es anderer&#x017F;eits wieder trockene Gegenden vorzieht. Waldungen mit viel<lb/>
Unterholz, junge Baum&#x017F;chläge, Vor- und Feldhölzer, welche viel Dunkel und Schatten bieten,<lb/>
&#x017F;agen ihm zu. Jm Winter zieht es &#x017F;ich von den Höhen zur Tiefe herab, im Sommer &#x017F;teigt es mehr<lb/>
empor, und in ebenen Gegenden tritt es dann oft auf die Felder heraus und thut &#x017F;ich im hohen Ge-<lb/>
treide nieder. Je nachdem der Standort die&#x017F;es Wildes ruhig oder unruhig i&#x017F;t, hält es &#x017F;ich in lichte-<lb/>
ren, dünn be&#x017F;tandenen, oder in dunkelen, dichteren Wäldern auf, &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich haupt&#x017F;ächlich<lb/>
während des Tages, wo es &#x017F;ich durch Weg&#x017F;chlagen der Laubdecken und eines Theils des verra&#x017F;ten<lb/>
Bodens ein Bett bereitet.</p><lb/>
              <p>Jn &#x017F;einer Lebenswei&#x017F;e erinnert das Reh vielfach an den Hir&#x017F;ch; &#x017F;ein We&#x017F;en i&#x017F;t aber doch &#x017F;ehr<lb/>
von dem des Edelwilds ver&#x017F;chieden. Die Bewegungen &#x017F;ind &#x017F;ehr behend und anmuthig. Das<lb/>
Reh kann er&#x017F;taunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und<lb/>
Sträuche ohne irgend welche bemerkbare An&#x017F;trengungen fallen; es &#x017F;chwimmt &#x017F;ehr gut und klettert recht<lb/>
leidlich. Dazu kommen &#x017F;eine höheren Fähigkeiten. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich; es<lb/>
i&#x017F;t klug, li&#x017F;tig, vor&#x017F;ichtig und &#x017F;ehr &#x017F;cheu. &#x201E;Freundlichkeit, Zuthunlichkeit,&#x201F; &#x017F;agt <hi rendition="#g">Dietrich aus dem<lb/>
Winckell,</hi> &#x201E;&#x017F;pricht aus jedem &#x017F;einer Blicke, und doch läßt es nur, von der zarte&#x017F;ten Jugend von dem<lb/>
Men&#x017F;chen kün&#x017F;tlich erzogen, &#x017F;ich zähmen; im entgegenge&#x017F;etzten Falle behält es &#x017F;elb&#x017F;t bei der be&#x017F;ten<lb/>
Pflege die im wilden Zu&#x017F;tande eigene Schüchternheit und Furcht vor Men&#x017F;chen und Thieren bei.<lb/>
Die&#x017F;e geht &#x017F;oweit, daß es, wenn es überra&#x017F;cht wird, nicht nur zuweilen einen kurzen Laut des<lb/>
Schreckens von &#x017F;ich gibt, &#x017F;ondern auch den Ver&#x017F;uch, &#x017F;ich durch die Flucht zu retten, oft aufgeben muß,<lb/>
indem es leicht völlig aus dem Sprunge kommt und dann auf einem engen Raume &#x017F;ich äng&#x017F;tlich<lb/>
gleich&#x017F;am herumtummelt, nicht &#x017F;elten ein Opfer gemeiner, gar nicht ra&#x017F;cher Bauernhunde, vorzüglich<lb/>
aber der Raubthiere werdend. Nur in Gehegen, wo die Rehe &#x017F;ehr wenig be&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en werden und im-<lb/>
mer Ruhe haben, legen &#x017F;ie ihre Scheu vor dem Men&#x017F;chen in&#x017F;oweit ab, daß &#x017F;ie, wenn er in einer Ent-<lb/>
fernung von 25 bis 30 Schritt an ihnen vorübergeht, &#x017F;ich im Aeßen nicht &#x017F;tören la&#x017F;&#x017F;en. Jm Bette<lb/>
wird keine andere Wildart häufiger überra&#x017F;cht, als das Reh; wahr&#x017F;cheinlich muß es &#x017F;chlafen oder<lb/>
wenn es &#x017F;ich wachend niedergethan hat, um das Ge&#x017F;chäft des Wiederkäuens zu verrichten, unter einem<lb/>
dicken Strauche oder in hohem Gra&#x017F;e vor den &#x017F;pähenden Blicken &#x017F;einer Verfolger &#x017F;ich hinlänglich<lb/>
ge&#x017F;ichert glauben.&#x201F;</p><lb/>
              <p>Die Stimme des Rehs i&#x017F;t ver&#x017F;chieden. Der Bock wird mit einem kurzen, abge&#x017F;toßenen, tiefen<lb/>
Bö, Bö, Bö laut, zumal während der Brun&#x017F;tzeit, er <hi rendition="#g">&#x201E;&#x017F;chmält&#x201F;,</hi> wie der Jäger &#x017F;agt. Die Ricke<lb/>
läßt etwas höhere, mehr &#x017F;chreiende Töne vernehmen; das Kalb piept in eigenthümlicher, nicht wohl<lb/>
zu be&#x017F;chreibender Wei&#x017F;e. Jn der Ang&#x017F;t klagt das Reh ähnlich wie &#x017F;ein Junges; bei Gefahr blöckt es<lb/>
rauh und krei&#x017F;chend auf.</p><lb/>
              <p>Niemals bildet das Reh &#x017F;o &#x017F;tarke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Theiles des<lb/>
Jahres lebt es familienwei&#x017F;e zu&#x017F;ammen, ein Bock mit einem, &#x017F;eltener mit zwei bis drei Ricken und<lb/>
deren Jungen, nur da, wo es an Böcken fehlt, gewahrt man Trupps von 12 bis 15 Stücken. Der<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[480/0506] Die Hirſche. — Unſer Reh. ſind ſcharf abgegrenzt lichtfarbig; im Sommer gelblich, im Winter weiß. Bei den Kälbern treten auf der röthlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecken in Reihen hervor. Verſchieden- artige Spielarten ſind bekannt worden; manche von ihnen erhalten ſich ſogar durch mehrere Ge- ſchlechter hindurch. Dietrich aus dem Winckell führt eine ganze Reihe ſolcher Abweichungen an. Jn der Grafſchaft Denneberg ſoll es tuſchfarbenſchwarze, in der Grafſchaft Schaumburg rabenſchwarze Rehe geben, welche gleichgefärbte Kälber erzielen; in dem Erbachſchen hat man blei- farbige Böcke erlegt. Häufiger ſind ganz weiße, ſeltener gefleckte, alte Rehe, höchſt ſelten ſilberfarbene. Mit Ausnahme der nördlichen Länder findet ſich unſer Reh in ganz Europa und in einem großen Theile Aſiens. Der 58. Grad der Breite ſcheint bei uns die nördliche Grenze ſeines Verbreitungs- kreiſes zu bilden. Hier und da iſt es bereits ausgerottet; im allgemeinen aber kann man ſagen, daß es ſich noch in allen größeren Waldungen findet, gleichviel, ob ſolche in Gebirgen oder ebenen Gegen- den liegen, ob ſie aus Schwarz- oder Laubholz beſtehen. Gerade das letztere ſcheint dem Reh beſon- ders zu behagen; während es andererſeits wieder trockene Gegenden vorzieht. Waldungen mit viel Unterholz, junge Baumſchläge, Vor- und Feldhölzer, welche viel Dunkel und Schatten bieten, ſagen ihm zu. Jm Winter zieht es ſich von den Höhen zur Tiefe herab, im Sommer ſteigt es mehr empor, und in ebenen Gegenden tritt es dann oft auf die Felder heraus und thut ſich im hohen Ge- treide nieder. Je nachdem der Standort dieſes Wildes ruhig oder unruhig iſt, hält es ſich in lichte- ren, dünn beſtandenen, oder in dunkelen, dichteren Wäldern auf, ſelbſtverſtändlich hauptſächlich während des Tages, wo es ſich durch Wegſchlagen der Laubdecken und eines Theils des verraſten Bodens ein Bett bereitet. Jn ſeiner Lebensweiſe erinnert das Reh vielfach an den Hirſch; ſein Weſen iſt aber doch ſehr von dem des Edelwilds verſchieden. Die Bewegungen ſind ſehr behend und anmuthig. Das Reh kann erſtaunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und Sträuche ohne irgend welche bemerkbare Anſtrengungen fallen; es ſchwimmt ſehr gut und klettert recht leidlich. Dazu kommen ſeine höheren Fähigkeiten. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich; es iſt klug, liſtig, vorſichtig und ſehr ſcheu. „Freundlichkeit, Zuthunlichkeit,‟ ſagt Dietrich aus dem Winckell, „ſpricht aus jedem ſeiner Blicke, und doch läßt es nur, von der zarteſten Jugend von dem Menſchen künſtlich erzogen, ſich zähmen; im entgegengeſetzten Falle behält es ſelbſt bei der beſten Pflege die im wilden Zuſtande eigene Schüchternheit und Furcht vor Menſchen und Thieren bei. Dieſe geht ſoweit, daß es, wenn es überraſcht wird, nicht nur zuweilen einen kurzen Laut des Schreckens von ſich gibt, ſondern auch den Verſuch, ſich durch die Flucht zu retten, oft aufgeben muß, indem es leicht völlig aus dem Sprunge kommt und dann auf einem engen Raume ſich ängſtlich gleichſam herumtummelt, nicht ſelten ein Opfer gemeiner, gar nicht raſcher Bauernhunde, vorzüglich aber der Raubthiere werdend. Nur in Gehegen, wo die Rehe ſehr wenig beſchoſſen werden und im- mer Ruhe haben, legen ſie ihre Scheu vor dem Menſchen inſoweit ab, daß ſie, wenn er in einer Ent- fernung von 25 bis 30 Schritt an ihnen vorübergeht, ſich im Aeßen nicht ſtören laſſen. Jm Bette wird keine andere Wildart häufiger überraſcht, als das Reh; wahrſcheinlich muß es ſchlafen oder wenn es ſich wachend niedergethan hat, um das Geſchäft des Wiederkäuens zu verrichten, unter einem dicken Strauche oder in hohem Graſe vor den ſpähenden Blicken ſeiner Verfolger ſich hinlänglich geſichert glauben.‟ Die Stimme des Rehs iſt verſchieden. Der Bock wird mit einem kurzen, abgeſtoßenen, tiefen Bö, Bö, Bö laut, zumal während der Brunſtzeit, er „ſchmält‟, wie der Jäger ſagt. Die Ricke läßt etwas höhere, mehr ſchreiende Töne vernehmen; das Kalb piept in eigenthümlicher, nicht wohl zu beſchreibender Weiſe. Jn der Angſt klagt das Reh ähnlich wie ſein Junges; bei Gefahr blöckt es rauh und kreiſchend auf. Niemals bildet das Reh ſo ſtarke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Theiles des Jahres lebt es familienweiſe zuſammen, ein Bock mit einem, ſeltener mit zwei bis drei Ricken und deren Jungen, nur da, wo es an Böcken fehlt, gewahrt man Trupps von 12 bis 15 Stücken. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/506
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/506>, abgerufen am 23.11.2024.