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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Zwergböckchen. Der Beni Jsrael oder Atro.
schaut dem herankommenden Feind entgegen. Das Thier folgt in kurzer Entfernung seinem Gatten,
überläßt aber diesem so lange als möglich die Sorge um Sicherheit. Aufrecht steht der Bock da, den
Kopf hoch erhoben; kein Glied bewegt sich, außer dem Gehör. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe
wird so gesträubt, daß die zarten und kurzen Hörner vollkommen durch ihn gedeckt werden. So
lauscht und äugt er scharf nach dem gefahrdrohenden Gegenstande hin. Eine neue Bewegung des
Gefürchteten macht ihn erstarren; der Fuß, welcher erhoben ist, bleibt so, das Gehör rührt sich
nicht; die Lichter richten sich auf den einen Punkt; kurz, nicht ein einziges Zeichen verräth das Leben
des schlauen Geschöpfes. Sowie es ihm dünkt, daß Gefahr im Verzug sei, duckt er sich nieder und
schleicht, jeden Lauf so leise und gleichmäßig hebend, als ginge er in menschlicher Weise auf den
Zehen, ganz unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengesetzten Seite, eilt in den
dünner bestandenen Buschwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beschreibend,
wieder nach seinem grünen Versteck zurück. Am liebsten wendet er sich rückwärts, wenn er einmal
Nachstellungen erfahren hat; getrieben aber, geht er in Bogen nach vorn hin, immer wieder
den grünen Waldsaum berührend und von neuem in ihm sich verbergend. Das Thier folgt ihm in
geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. Solange nicht ein Schuß fiel oder ein
Hund sich zeigte, trollt auch das ausgescheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Unmittelbar
vor dem Flüchtigwerden stößt der Bock einen scharfen Schneuzer aus, welcher sechs, ja acht Mal wie-
derholt wird, wenn man auf ihn schoß, ohne ihn zu treffen oder sogleich zu tödten. Selten flüchtet
das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, sichert,
geht weiter, sichert wieder und unterbricht seinen Lauf schließlich alle zehn bis zwanzig Schritt weit.
Wurde aber auf den Atro geschossen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, so flüchtet er während der
ersten vier- bis sechshundert Ellen, welche er zurücklegt, überaus eilfertig dahin. Dann erst zeigt
sich seine ganze Beweglichkeit. Jn weiten Bogensätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge
dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgestreckt. Eine so in voller Flucht dahin-
eilende Zwergantilope ist sehr schwer zu erkennen. Die Bewegung erfolgt so rasch, und die gewohnte
Gestalt des Thieres hat sich so gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geschöpf
zu erblicken vermeint. Nicht selten ist man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Hasen
zu halten, nach einiger Uebung aber lernt man ihn auch während seines vollsten Laufes richtig
erlennen.

An dem einmal gewählten Standorte scheint jedes Paar der Zwergantilope treulich festzuhalten,
solange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch besserer Versteckplatz geboten wird.
An einigen Regenstrombetten in der Samhara Abissiniens, welche ich während meines kurzen Aufent-
haltes vier Mal berührte, fand ich den Beni Jsrael immer genau auf denselben Stellen, wo ich ihn
früher gesehen oder bezüglich erlegt hatte. Die meinem Gewehr entgangenen Paare waren bis auf
ihren Busch hin wieder auf den alten Stand gerückt; der Ueberlebende eines durch mich zersprengten
hatte den Stand wahrscheinlich verlassen, und dieser war dann durch ein anderes Pärchen ersetzt wor-
den. An jenen Regenstrombetten kann der Jäger schon von weitem den Busch oder den Theil der
Dickung bestimmen, in welchem er Beni Jsrael finden wird: der dickste verschlungenste Busch und wenn
er nicht mehr Raum bedeckt, als ein paar hundert Geviertfuß, ist sicherlich ihr eigentliches Haus.
Fern ab von solchen besonders begünstigten Stellen trifft man das Zwergböckchen nur in Gebirgs-
thälern an, in deren Grunde Dickichte in ähnlicher Weise sich ausbreiten. Wohl nur gezwungen
besteigt das Thier die Gehänge und Kämme der Berge. Jm Gebirge begegnet man ihm allerdings
noch in ziemlich bedeutender Höhe über dem Meere, nie aber auf Bergwänden und Bergrücken

Alle Zwergantilopen äßen sich vorzugsweise von dem Blätterwerk der Gebüsche, in welchen sie hau-
sen. Dem Beni Jsrael gibt wahrscheinlich die Mimose den größten Theil seines Geäßes. Außer den zart
gefiederten Blättern, denen man es gleich anzusehen meint, daß sie solch' kleinen Leckermäulern wohl
genügen müssen, werden aber grüne Triebe und Knospen auch nicht verschmäht, und oft sieht man,
wie südafrikanische Jäger versichern, die gewandten Geschöpfe sogar an schiefen Stämmen der

Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro.
ſchaut dem herankommenden Feind entgegen. Das Thier folgt in kurzer Entfernung ſeinem Gatten,
überläßt aber dieſem ſo lange als möglich die Sorge um Sicherheit. Aufrecht ſteht der Bock da, den
Kopf hoch erhoben; kein Glied bewegt ſich, außer dem Gehör. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe
wird ſo geſträubt, daß die zarten und kurzen Hörner vollkommen durch ihn gedeckt werden. So
lauſcht und äugt er ſcharf nach dem gefahrdrohenden Gegenſtande hin. Eine neue Bewegung des
Gefürchteten macht ihn erſtarren; der Fuß, welcher erhoben iſt, bleibt ſo, das Gehör rührt ſich
nicht; die Lichter richten ſich auf den einen Punkt; kurz, nicht ein einziges Zeichen verräth das Leben
des ſchlauen Geſchöpfes. Sowie es ihm dünkt, daß Gefahr im Verzug ſei, duckt er ſich nieder und
ſchleicht, jeden Lauf ſo leiſe und gleichmäßig hebend, als ginge er in menſchlicher Weiſe auf den
Zehen, ganz unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengeſetzten Seite, eilt in den
dünner beſtandenen Buſchwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beſchreibend,
wieder nach ſeinem grünen Verſteck zurück. Am liebſten wendet er ſich rückwärts, wenn er einmal
Nachſtellungen erfahren hat; getrieben aber, geht er in Bogen nach vorn hin, immer wieder
den grünen Waldſaum berührend und von neuem in ihm ſich verbergend. Das Thier folgt ihm in
geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. Solange nicht ein Schuß fiel oder ein
Hund ſich zeigte, trollt auch das auſgeſcheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Unmittelbar
vor dem Flüchtigwerden ſtößt der Bock einen ſcharfen Schneuzer aus, welcher ſechs, ja acht Mal wie-
derholt wird, wenn man auf ihn ſchoß, ohne ihn zu treffen oder ſogleich zu tödten. Selten flüchtet
das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, ſichert,
geht weiter, ſichert wieder und unterbricht ſeinen Lauf ſchließlich alle zehn bis zwanzig Schritt weit.
Wurde aber auf den Atro geſchoſſen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, ſo flüchtet er während der
erſten vier- bis ſechshundert Ellen, welche er zurücklegt, überaus eilfertig dahin. Dann erſt zeigt
ſich ſeine ganze Beweglichkeit. Jn weiten Bogenſätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge
dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgeſtreckt. Eine ſo in voller Flucht dahin-
eilende Zwergantilope iſt ſehr ſchwer zu erkennen. Die Bewegung erfolgt ſo raſch, und die gewohnte
Geſtalt des Thieres hat ſich ſo gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geſchöpf
zu erblicken vermeint. Nicht ſelten iſt man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Haſen
zu halten, nach einiger Uebung aber lernt man ihn auch während ſeines vollſten Laufes richtig
erlennen.

An dem einmal gewählten Standorte ſcheint jedes Paar der Zwergantilope treulich feſtzuhalten,
ſolange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch beſſerer Verſteckplatz geboten wird.
An einigen Regenſtrombetten in der Samhara Abiſſiniens, welche ich während meines kurzen Aufent-
haltes vier Mal berührte, fand ich den Beni Jſrael immer genau auf denſelben Stellen, wo ich ihn
früher geſehen oder bezüglich erlegt hatte. Die meinem Gewehr entgangenen Paare waren bis auf
ihren Buſch hin wieder auf den alten Stand gerückt; der Ueberlebende eines durch mich zerſprengten
hatte den Stand wahrſcheinlich verlaſſen, und dieſer war dann durch ein anderes Pärchen erſetzt wor-
den. An jenen Regenſtrombetten kann der Jäger ſchon von weitem den Buſch oder den Theil der
Dickung beſtimmen, in welchem er Beni Jſrael finden wird: der dickſte verſchlungenſte Buſch und wenn
er nicht mehr Raum bedeckt, als ein paar hundert Geviertfuß, iſt ſicherlich ihr eigentliches Haus.
Fern ab von ſolchen beſonders begünſtigten Stellen trifft man das Zwergböckchen nur in Gebirgs-
thälern an, in deren Grunde Dickichte in ähnlicher Weiſe ſich ausbreiten. Wohl nur gezwungen
beſteigt das Thier die Gehänge und Kämme der Berge. Jm Gebirge begegnet man ihm allerdings
noch in ziemlich bedeutender Höhe über dem Meere, nie aber auf Bergwänden und Bergrücken

Alle Zwergantilopen äßen ſich vorzugsweiſe von dem Blätterwerk der Gebüſche, in welchen ſie hau-
ſen. Dem Beni Jſrael gibt wahrſcheinlich die Mimoſe den größten Theil ſeines Geäßes. Außer den zart
gefiederten Blättern, denen man es gleich anzuſehen meint, daß ſie ſolch’ kleinen Leckermäulern wohl
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wie ſüdafrikaniſche Jäger verſichern, die gewandten Geſchöpfe ſogar an ſchiefen Stämmen der

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[517/0547] Zwergböckchen. Der Beni Jſrael oder Atro. ſchaut dem herankommenden Feind entgegen. Das Thier folgt in kurzer Entfernung ſeinem Gatten, überläßt aber dieſem ſo lange als möglich die Sorge um Sicherheit. Aufrecht ſteht der Bock da, den Kopf hoch erhoben; kein Glied bewegt ſich, außer dem Gehör. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe wird ſo geſträubt, daß die zarten und kurzen Hörner vollkommen durch ihn gedeckt werden. So lauſcht und äugt er ſcharf nach dem gefahrdrohenden Gegenſtande hin. Eine neue Bewegung des Gefürchteten macht ihn erſtarren; der Fuß, welcher erhoben iſt, bleibt ſo, das Gehör rührt ſich nicht; die Lichter richten ſich auf den einen Punkt; kurz, nicht ein einziges Zeichen verräth das Leben des ſchlauen Geſchöpfes. Sowie es ihm dünkt, daß Gefahr im Verzug ſei, duckt er ſich nieder und ſchleicht, jeden Lauf ſo leiſe und gleichmäßig hebend, als ginge er in menſchlicher Weiſe auf den Zehen, ganz unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengeſetzten Seite, eilt in den dünner beſtandenen Buſchwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beſchreibend, wieder nach ſeinem grünen Verſteck zurück. Am liebſten wendet er ſich rückwärts, wenn er einmal Nachſtellungen erfahren hat; getrieben aber, geht er in Bogen nach vorn hin, immer wieder den grünen Waldſaum berührend und von neuem in ihm ſich verbergend. Das Thier folgt ihm in geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. Solange nicht ein Schuß fiel oder ein Hund ſich zeigte, trollt auch das auſgeſcheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Unmittelbar vor dem Flüchtigwerden ſtößt der Bock einen ſcharfen Schneuzer aus, welcher ſechs, ja acht Mal wie- derholt wird, wenn man auf ihn ſchoß, ohne ihn zu treffen oder ſogleich zu tödten. Selten flüchtet das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, ſichert, geht weiter, ſichert wieder und unterbricht ſeinen Lauf ſchließlich alle zehn bis zwanzig Schritt weit. Wurde aber auf den Atro geſchoſſen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, ſo flüchtet er während der erſten vier- bis ſechshundert Ellen, welche er zurücklegt, überaus eilfertig dahin. Dann erſt zeigt ſich ſeine ganze Beweglichkeit. Jn weiten Bogenſätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgeſtreckt. Eine ſo in voller Flucht dahin- eilende Zwergantilope iſt ſehr ſchwer zu erkennen. Die Bewegung erfolgt ſo raſch, und die gewohnte Geſtalt des Thieres hat ſich ſo gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geſchöpf zu erblicken vermeint. Nicht ſelten iſt man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Haſen zu halten, nach einiger Uebung aber lernt man ihn auch während ſeines vollſten Laufes richtig erlennen. An dem einmal gewählten Standorte ſcheint jedes Paar der Zwergantilope treulich feſtzuhalten, ſolange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch beſſerer Verſteckplatz geboten wird. An einigen Regenſtrombetten in der Samhara Abiſſiniens, welche ich während meines kurzen Aufent- haltes vier Mal berührte, fand ich den Beni Jſrael immer genau auf denſelben Stellen, wo ich ihn früher geſehen oder bezüglich erlegt hatte. Die meinem Gewehr entgangenen Paare waren bis auf ihren Buſch hin wieder auf den alten Stand gerückt; der Ueberlebende eines durch mich zerſprengten hatte den Stand wahrſcheinlich verlaſſen, und dieſer war dann durch ein anderes Pärchen erſetzt wor- den. An jenen Regenſtrombetten kann der Jäger ſchon von weitem den Buſch oder den Theil der Dickung beſtimmen, in welchem er Beni Jſrael finden wird: der dickſte verſchlungenſte Buſch und wenn er nicht mehr Raum bedeckt, als ein paar hundert Geviertfuß, iſt ſicherlich ihr eigentliches Haus. Fern ab von ſolchen beſonders begünſtigten Stellen trifft man das Zwergböckchen nur in Gebirgs- thälern an, in deren Grunde Dickichte in ähnlicher Weiſe ſich ausbreiten. Wohl nur gezwungen beſteigt das Thier die Gehänge und Kämme der Berge. Jm Gebirge begegnet man ihm allerdings noch in ziemlich bedeutender Höhe über dem Meere, nie aber auf Bergwänden und Bergrücken Alle Zwergantilopen äßen ſich vorzugsweiſe von dem Blätterwerk der Gebüſche, in welchen ſie hau- ſen. Dem Beni Jſrael gibt wahrſcheinlich die Mimoſe den größten Theil ſeines Geäßes. Außer den zart gefiederten Blättern, denen man es gleich anzuſehen meint, daß ſie ſolch’ kleinen Leckermäulern wohl genügen müſſen, werden aber grüne Triebe und Knospen auch nicht verſchmäht, und oft ſieht man, wie ſüdafrikaniſche Jäger verſichern, die gewandten Geſchöpfe ſogar an ſchiefen Stämmen der

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/547>, abgerufen am 23.11.2024.