Hinterläufe verläuft ein weißlichfahler, heller Längsstreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Fär- bung immer gleichmäßiger.
Das Gehörn, welches beide Geschlechter tragen, ist bei dem alten Bocke von sehr bedeutender Größe und Stärke. Es krümmt sich einfach bogen- oder halbmondförmig schief nach rückwärts. An der Wurzel, wo die Hörner am dicksten sind, stehen sie einander sehr nahe; von da entfernen sie sich von einander, allmählich sich verdünnend bis zur Spitze hin. Jhr Durchschnitt bildet ein längliches, hinten nur wenig eingezogenes Viereck, welches gegen die Spitze hin flacher wird. Die Wachsthums- ringe treten in starken, erhabenen, wulstartigen Knoten oder Höckern, besonders auf der Vorder- fläche, hervor und verlaufen auch auf den Seitenflächen des Hornes, wo sie sich jedoch nicht soweit erheben, als vorn. Gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen sie allmählich an Höhe ab; in der Mitte des Hornes sind sie am stärksten und dort stehen sie auch am engsten zusammen. Das Wachs- thum dieser Hörner ist eigentlich unbeschränkt, wenn es auch bei späterem Alter der Böcke weit lang- samer vor sich geht, als in der Jugend; sehr alte Böcke haben aber immer größere Hörner, als jüngere, in den besten Jahren stehende. Die Hörner können eine Länge von 23/4 bis 31/2 Fuß und ein Gewicht von 15 bis 30 Pfund erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer weiblichen Hausziege, als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner sind verhältnißmäßig klein, fast drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Jhre Länge beträgt selbst bei erwachsenen Thieren nicht mehr als 6 bis 7 Zoll. Schon im ersten Monat des Lebens sproßt bei dem jungen Steinbock das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke sind es noch kurze Stummel, welche hart über der Wurzel die erste querlaufende, knorrige Leiste zeigen; an den Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen sich bereits 2 bis 3 wulstige Erhöhungen; dreijährige Böcke haben schon Hörner von anderthalb Fuß Länge und eine ganze Anzahl Knoten, welche nun mehr und mehr steigt und bei alten Thieren bis auf 24 kommen kann.
Eine Zeitlang glaubte man wirklich, daß unser schönes Steinwild gänzlich ausgerottet wäre. Es waren Jahre vergangen, in welchen kein Steinbock erlegt wurde, und unter allen Wild- und Naturfreunden herrschte das lebhafteste Bedauern über den Verlust eines solchen Thieres. Glücklicher- weise war der Kummer ein unbegründeter. Noch bewohnt das stolze Wild unser herrliches Hoch- gebirge, obgleich freilich in sehr geringer Anzahl. Jn früheren Zeiten mag der Steinbock wohl über die ganze Alpenkette verbreitet gewesen sein; vor vielen Jahrhunderten hat er vielleicht auf den tief- sten Matten der Alpen geweidet: gegenwärtig findet er sich nur noch auf den Hochgebirgen rings um den Monte Rosa. Jn allen übrigen Theilen der Alpen ist er ausgerottet. Und Dies ist nicht etwa erst seit wenigen Jahren geschehen: -- bereits vor hunderten von Jahren waren die Steinböcke schon sehr zusammengeschmolzen, und wenn im vorigen Jahrhundert nicht besondere Anstalten getroffen worden wären, sie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohn- ten die Steinböcke in früheren Zeiten alle Alpen Deutschlands und der Schweiz; auf den Voralpen haben sie sich jedoch blos in vorgeschichtlicher Zeit aufgehalten. Während der Römerherrschaft müssen sie häufig gewesen sein; denn dieses prunkliebende Volk führte nicht selten ein-bis zweihundert leben- dig gefangene Steinböcke zu den Kampfspielen nach Rom. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Steinböcke in der Schweiz selten. Jm Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geschossen, in Graubünden konnte der Voigt von Kastel dem Erzherzog von Oesterreich im Jahre 1574 nur mit Mühe noch Böcke schaffen. Schon 1612 wurde in den Gebirgen des Oberengadin die Jagd bei 50 Kronen Strafe verboten, obgleich auch hier ohne Erfolg. Aus Salzburg und Tyrol verschwand un- ser Wild vor länger als hundert Jahren. Wie Schrank und Moll in ihren naturgeschichtlichen Briefen berichten, lebte das "Fahlwild", wie man die Steinböcke sonst nannte, zuletzt auf den Bergen des Zillerthals. Jn der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte die Steinbockjagd den Herren von Keutschbach; sie wurde aber, weil damals jedes Stückchen vom Steinbock als besonderes Heil- mittel galt, von einer Masse von Wilddieben so verheert, daß sich der Besitzer 1561 schutzbittend an seinen Fürsten, den Erzbischof von Salzburg, wendete, welcher endlich 1584 die Jagdgerechtigkeit
Der Alpenſteinbock.
Hinterläufe verläuft ein weißlichfahler, heller Längsſtreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Fär- bung immer gleichmäßiger.
Das Gehörn, welches beide Geſchlechter tragen, iſt bei dem alten Bocke von ſehr bedeutender Größe und Stärke. Es krümmt ſich einfach bogen- oder halbmondförmig ſchief nach rückwärts. An der Wurzel, wo die Hörner am dickſten ſind, ſtehen ſie einander ſehr nahe; von da entfernen ſie ſich von einander, allmählich ſich verdünnend bis zur Spitze hin. Jhr Durchſchnitt bildet ein längliches, hinten nur wenig eingezogenes Viereck, welches gegen die Spitze hin flacher wird. Die Wachsthums- ringe treten in ſtarken, erhabenen, wulſtartigen Knoten oder Höckern, beſonders auf der Vorder- fläche, hervor und verlaufen auch auf den Seitenflächen des Hornes, wo ſie ſich jedoch nicht ſoweit erheben, als vorn. Gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen ſie allmählich an Höhe ab; in der Mitte des Hornes ſind ſie am ſtärkſten und dort ſtehen ſie auch am engſten zuſammen. Das Wachs- thum dieſer Hörner iſt eigentlich unbeſchränkt, wenn es auch bei ſpäterem Alter der Böcke weit lang- ſamer vor ſich geht, als in der Jugend; ſehr alte Böcke haben aber immer größere Hörner, als jüngere, in den beſten Jahren ſtehende. Die Hörner können eine Länge von 2¾ bis 3½ Fuß und ein Gewicht von 15 bis 30 Pfund erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer weiblichen Hausziege, als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner ſind verhältnißmäßig klein, faſt drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Jhre Länge beträgt ſelbſt bei erwachſenen Thieren nicht mehr als 6 bis 7 Zoll. Schon im erſten Monat des Lebens ſproßt bei dem jungen Steinbock das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke ſind es noch kurze Stummel, welche hart über der Wurzel die erſte querlaufende, knorrige Leiſte zeigen; an den Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen ſich bereits 2 bis 3 wulſtige Erhöhungen; dreijährige Böcke haben ſchon Hörner von anderthalb Fuß Länge und eine ganze Anzahl Knoten, welche nun mehr und mehr ſteigt und bei alten Thieren bis auf 24 kommen kann.
Eine Zeitlang glaubte man wirklich, daß unſer ſchönes Steinwild gänzlich ausgerottet wäre. Es waren Jahre vergangen, in welchen kein Steinbock erlegt wurde, und unter allen Wild- und Naturfreunden herrſchte das lebhafteſte Bedauern über den Verluſt eines ſolchen Thieres. Glücklicher- weiſe war der Kummer ein unbegründeter. Noch bewohnt das ſtolze Wild unſer herrliches Hoch- gebirge, obgleich freilich in ſehr geringer Anzahl. Jn früheren Zeiten mag der Steinbock wohl über die ganze Alpenkette verbreitet geweſen ſein; vor vielen Jahrhunderten hat er vielleicht auf den tief- ſten Matten der Alpen geweidet: gegenwärtig findet er ſich nur noch auf den Hochgebirgen rings um den Monte Roſa. Jn allen übrigen Theilen der Alpen iſt er ausgerottet. Und Dies iſt nicht etwa erſt ſeit wenigen Jahren geſchehen: — bereits vor hunderten von Jahren waren die Steinböcke ſchon ſehr zuſammengeſchmolzen, und wenn im vorigen Jahrhundert nicht beſondere Anſtalten getroffen worden wären, ſie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohn- ten die Steinböcke in früheren Zeiten alle Alpen Deutſchlands und der Schweiz; auf den Voralpen haben ſie ſich jedoch blos in vorgeſchichtlicher Zeit aufgehalten. Während der Römerherrſchaft müſſen ſie häufig geweſen ſein; denn dieſes prunkliebende Volk führte nicht ſelten ein-bis zweihundert leben- dig gefangene Steinböcke zu den Kampfſpielen nach Rom. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Steinböcke in der Schweiz ſelten. Jm Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geſchoſſen, in Graubünden konnte der Voigt von Kaſtel dem Erzherzog von Oeſterreich im Jahre 1574 nur mit Mühe noch Böcke ſchaffen. Schon 1612 wurde in den Gebirgen des Oberengadin die Jagd bei 50 Kronen Strafe verboten, obgleich auch hier ohne Erfolg. Aus Salzburg und Tyrol verſchwand un- ſer Wild vor länger als hundert Jahren. Wie Schrank und Moll in ihren naturgeſchichtlichen Briefen berichten, lebte das „Fahlwild‟, wie man die Steinböcke ſonſt nannte, zuletzt auf den Bergen des Zillerthals. Jn der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte die Steinbockjagd den Herren von Keutſchbach; ſie wurde aber, weil damals jedes Stückchen vom Steinbock als beſonderes Heil- mittel galt, von einer Maſſe von Wilddieben ſo verheert, daß ſich der Beſitzer 1561 ſchutzbittend an ſeinen Fürſten, den Erzbiſchof von Salzburg, wendete, welcher endlich 1584 die Jagdgerechtigkeit
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[569/0599]
Der Alpenſteinbock.
Hinterläufe verläuft ein weißlichfahler, heller Längsſtreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Fär-
bung immer gleichmäßiger.
Das Gehörn, welches beide Geſchlechter tragen, iſt bei dem alten Bocke von ſehr bedeutender
Größe und Stärke. Es krümmt ſich einfach bogen- oder halbmondförmig ſchief nach rückwärts. An
der Wurzel, wo die Hörner am dickſten ſind, ſtehen ſie einander ſehr nahe; von da entfernen ſie ſich
von einander, allmählich ſich verdünnend bis zur Spitze hin. Jhr Durchſchnitt bildet ein längliches,
hinten nur wenig eingezogenes Viereck, welches gegen die Spitze hin flacher wird. Die Wachsthums-
ringe treten in ſtarken, erhabenen, wulſtartigen Knoten oder Höckern, beſonders auf der Vorder-
fläche, hervor und verlaufen auch auf den Seitenflächen des Hornes, wo ſie ſich jedoch nicht ſoweit
erheben, als vorn. Gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen ſie allmählich an Höhe ab; in der
Mitte des Hornes ſind ſie am ſtärkſten und dort ſtehen ſie auch am engſten zuſammen. Das Wachs-
thum dieſer Hörner iſt eigentlich unbeſchränkt, wenn es auch bei ſpäterem Alter der Böcke weit lang-
ſamer vor ſich geht, als in der Jugend; ſehr alte Böcke haben aber immer größere Hörner, als
jüngere, in den beſten Jahren ſtehende. Die Hörner können eine Länge von 2¾ bis 3½ Fuß und
ein Gewicht von 15 bis 30 Pfund erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer
weiblichen Hausziege, als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner ſind verhältnißmäßig klein,
faſt drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Jhre Länge beträgt
ſelbſt bei erwachſenen Thieren nicht mehr als 6 bis 7 Zoll. Schon im erſten Monat des Lebens
ſproßt bei dem jungen Steinbock das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke ſind es noch
kurze Stummel, welche hart über der Wurzel die erſte querlaufende, knorrige Leiſte zeigen; an den
Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen ſich bereits 2 bis 3 wulſtige Erhöhungen; dreijährige Böcke
haben ſchon Hörner von anderthalb Fuß Länge und eine ganze Anzahl Knoten, welche nun mehr und
mehr ſteigt und bei alten Thieren bis auf 24 kommen kann.
Eine Zeitlang glaubte man wirklich, daß unſer ſchönes Steinwild gänzlich ausgerottet wäre.
Es waren Jahre vergangen, in welchen kein Steinbock erlegt wurde, und unter allen Wild- und
Naturfreunden herrſchte das lebhafteſte Bedauern über den Verluſt eines ſolchen Thieres. Glücklicher-
weiſe war der Kummer ein unbegründeter. Noch bewohnt das ſtolze Wild unſer herrliches Hoch-
gebirge, obgleich freilich in ſehr geringer Anzahl. Jn früheren Zeiten mag der Steinbock wohl über
die ganze Alpenkette verbreitet geweſen ſein; vor vielen Jahrhunderten hat er vielleicht auf den tief-
ſten Matten der Alpen geweidet: gegenwärtig findet er ſich nur noch auf den Hochgebirgen rings um
den Monte Roſa. Jn allen übrigen Theilen der Alpen iſt er ausgerottet. Und Dies iſt nicht etwa
erſt ſeit wenigen Jahren geſchehen: — bereits vor hunderten von Jahren waren die Steinböcke ſchon
ſehr zuſammengeſchmolzen, und wenn im vorigen Jahrhundert nicht beſondere Anſtalten getroffen
worden wären, ſie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohn-
ten die Steinböcke in früheren Zeiten alle Alpen Deutſchlands und der Schweiz; auf den Voralpen
haben ſie ſich jedoch blos in vorgeſchichtlicher Zeit aufgehalten. Während der Römerherrſchaft müſſen
ſie häufig geweſen ſein; denn dieſes prunkliebende Volk führte nicht ſelten ein-bis zweihundert leben-
dig gefangene Steinböcke zu den Kampfſpielen nach Rom. Bereits im 15. Jahrhundert waren die
Steinböcke in der Schweiz ſelten. Jm Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geſchoſſen, in
Graubünden konnte der Voigt von Kaſtel dem Erzherzog von Oeſterreich im Jahre 1574 nur mit
Mühe noch Böcke ſchaffen. Schon 1612 wurde in den Gebirgen des Oberengadin die Jagd bei 50
Kronen Strafe verboten, obgleich auch hier ohne Erfolg. Aus Salzburg und Tyrol verſchwand un-
ſer Wild vor länger als hundert Jahren. Wie Schrank und Moll in ihren naturgeſchichtlichen
Briefen berichten, lebte das „Fahlwild‟, wie man die Steinböcke ſonſt nannte, zuletzt auf den Bergen
des Zillerthals. Jn der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts gehörte die Steinbockjagd den Herren
von Keutſchbach; ſie wurde aber, weil damals jedes Stückchen vom Steinbock als beſonderes Heil-
mittel galt, von einer Maſſe von Wilddieben ſo verheert, daß ſich der Beſitzer 1561 ſchutzbittend an
ſeinen Fürſten, den Erzbiſchof von Salzburg, wendete, welcher endlich 1584 die Jagdgerechtigkeit
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/599>, abgerufen am 23.11.2024.
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