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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Ziegen. -- Der Alpensteinbock.
selbst übernahm. Die Erzbischöfe thaten nun alles Mögliche, um die Ausrottung der edelen Thiere
zu verhindern. Sie vervierfachten die Zahl ihrer Jäger, setzten Wildhüter in kleine Hütten auf die
höchsten Felsen und ließen Junge einfangen, um dieselben in Thiergärten aufzuziehen. Achtzig bis
neunzig der geschicktesten und muthigsten Jäger waren vom April bis zum Juni beschäftigt, um die
Steinböcke, wenn sie bei der Schneeschmelze tiefer herab in die Nähe der Sennhütten kamen, mit
Garnen zu fangen. Gleichwohl konnten sie in drei Sommern nicht mehr als zwei Böcke, vier Geisen
und drei Kitzen erlangen. So ging es durch das ganze Jahrhundert fort, weil die Erzbischöfe die
Steinböcke zu Geschenken an auswärtige Höfe benutzten. Man zahlte damals für jeden "Herzknochen"
des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn zwei Reichsthaler, für eine Gemskugel
zwei Gulden. Deshalb waren 1666 im Zillerthale kaum noch Steinböcke und blos noch etwa 60
Gemsen übrig. Von nun an durfte Niemand mehr einen Steinbock schießen, der nicht einen vom Erz-
bischof eigenhändig unterzeichneten Befehl aufzuweisen hatte. Man gab den Alpenbesitzern jährlich 100
Thaler, damit sie kein Vieh mehr auf die obersten Weiden führten, wo sich die Steinböcke aufhielten.
Bis zum Jahre 1694 hatte sich das stolze Wild wieder auf 72 Böcke, 83 Geisen und 24 Junge
vermehrt. Die Gemsen auf 375 Stück. Als nun aber die Wilddiebereien wieder zunahmen, ließ
man die Thiere von neuem einfangen, um sie zu versetzen oder zu verschenken. Jm Jahre 1706
wurden 5 Böcke und 7 Geisen gefangen und seitdem sah man keine mehr. Zwar hatte man nachher
im Jahre 1784 wieder 15 Stück Steinwild zu Hellbrunn, aber die Thiere stammten aus Piemont.
Jn Wallis fiel 1809 der letzte Bock. Jn den Hochgebirgen von Savoyen waren sie 1821 so selten
geworden, daß Zummstein sich auf das wärmste für sie verwendete. Er brachte es auch bei der
Regierung dahin, daß die Jagd bei schwerer Strafe verboten wurde, und wahrscheinlich haben sich
nur dadurch die Thiere erhalten. Jn den dreißiger Jahren schoß man, wie man glaubte, die letzten
Steinböcke an den Aiguilles rouges und den Dents des Bouquetins, und als nun einige
Jahre später auf der Seite nach Arolla hin 7 Stück Steinwild durch eine Lauine verschüttet wur-
den, hielt man sie für gänzlich ausgerottet. Zwölf Jahre lang bemerkte man keine Spur mehr;
gegenwärtig sieht man nach Tschudi in Folge des in Piemont streng eingehaltenen Jagdverbotes am
südlichen Monte Rosa und in dessen Verzweigung wieder Rudel von 10 bis 18 Stück bei einander.
Man hat es nun schon seit lange her versucht, den Steinbock aus dem nahen Piemont wieder in die
Schweiz zu verpflanzen und auf den Alpen zu züchten; alle Versuche blieben aber fruchtlos und wer-
den es bleiben, weil gegenwärtig die Museen so hohe Preise für Steinböcke zahlen, daß jeder Jäger
dadurch angelockt wird, sie, aller Strafen ungeachtet, auf das eifrigste zu verfolgen.

Die Steinböcke halten sich in kleinen Rudeln zusammen; alte, murrköpfige Böcke werden von
denselben abgesondert. Die höchsten Weiden der Alpen in unmittelbarer Nähe der Schneefelder und
Gletscher bilden den Aufenthalt eines Trupps. Alte Böcke scheinen die Höhen und schroffen Grate
besonders zu lieben. Bei Tage liegen oder stehen sie still, nach Beobachtungen glaubwürdiger Jäger
manchmal tagelang auf der gleichen Stelle, am liebsten auf Felsenvorsprüngen, welche ihnen den
Rücken decken und eine freie Umschau gewähren. Die Ziegen mit den Jungen haben sich etwas tiefer
im Gebirge einen bequemeren Platz ausgesucht. Nachts zieht das Rudel in die höchst gelegenen
Bergwälder herab, um sich dort zu äßen, bei Sonnenaufgang steigt es wieder nach oben. Jm Som-
mer suchen die Steinböcke die Nordseite und die Nähe der Gletscher auf, im Winter die warmen
Stellen nach Süden hin. Stechende Sonnenhitze ist ihnen ebenso zuwider, als eine übermäßige
Kälte, obgleich sie gegen letztere sehr unempfindlich zu sein scheinen. Man hat alte Böcke auf Felsen-
spitzen stundenlang wie Bildsäulen stehen sehen, obgleich sie der Eissturm umtobte; man hat andere
geschossen und gefunden, daß deren Ohren förmlich erfroren waren. Junge Steinböcke sollen nicht
selten der Kälte zum Opfer fallen.

Nur äußerst wenige Wiederkäuer, wahrscheinlich blos die Gemse und vielleicht noch der
Goral und der Klippspringer sind so befähigt, die höchsten und gefährlichsten Gebirge zu be-
wohnen, wie die Steinböcke. Alle Bewegungen dieses Wildes sind rasch, kräftig und dabei doch

Die Ziegen. — Der Alpenſteinbock.
ſelbſt übernahm. Die Erzbiſchöfe thaten nun alles Mögliche, um die Ausrottung der edelen Thiere
zu verhindern. Sie vervierfachten die Zahl ihrer Jäger, ſetzten Wildhüter in kleine Hütten auf die
höchſten Felſen und ließen Junge einfangen, um dieſelben in Thiergärten aufzuziehen. Achtzig bis
neunzig der geſchickteſten und muthigſten Jäger waren vom April bis zum Juni beſchäftigt, um die
Steinböcke, wenn ſie bei der Schneeſchmelze tiefer herab in die Nähe der Sennhütten kamen, mit
Garnen zu fangen. Gleichwohl konnten ſie in drei Sommern nicht mehr als zwei Böcke, vier Geiſen
und drei Kitzen erlangen. So ging es durch das ganze Jahrhundert fort, weil die Erzbiſchöfe die
Steinböcke zu Geſchenken an auswärtige Höfe benutzten. Man zahlte damals für jeden „Herzknochen‟
des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn zwei Reichsthaler, für eine Gemskugel
zwei Gulden. Deshalb waren 1666 im Zillerthale kaum noch Steinböcke und blos noch etwa 60
Gemſen übrig. Von nun an durfte Niemand mehr einen Steinbock ſchießen, der nicht einen vom Erz-
biſchof eigenhändig unterzeichneten Befehl aufzuweiſen hatte. Man gab den Alpenbeſitzern jährlich 100
Thaler, damit ſie kein Vieh mehr auf die oberſten Weiden führten, wo ſich die Steinböcke aufhielten.
Bis zum Jahre 1694 hatte ſich das ſtolze Wild wieder auf 72 Böcke, 83 Geiſen und 24 Junge
vermehrt. Die Gemſen auf 375 Stück. Als nun aber die Wilddiebereien wieder zunahmen, ließ
man die Thiere von neuem einfangen, um ſie zu verſetzen oder zu verſchenken. Jm Jahre 1706
wurden 5 Böcke und 7 Geiſen gefangen und ſeitdem ſah man keine mehr. Zwar hatte man nachher
im Jahre 1784 wieder 15 Stück Steinwild zu Hellbrunn, aber die Thiere ſtammten aus Piemont.
Jn Wallis fiel 1809 der letzte Bock. Jn den Hochgebirgen von Savoyen waren ſie 1821 ſo ſelten
geworden, daß Zummſtein ſich auf das wärmſte für ſie verwendete. Er brachte es auch bei der
Regierung dahin, daß die Jagd bei ſchwerer Strafe verboten wurde, und wahrſcheinlich haben ſich
nur dadurch die Thiere erhalten. Jn den dreißiger Jahren ſchoß man, wie man glaubte, die letzten
Steinböcke an den Aiguilles rouges und den Dents des Bouquetins, und als nun einige
Jahre ſpäter auf der Seite nach Arolla hin 7 Stück Steinwild durch eine Lauine verſchüttet wur-
den, hielt man ſie für gänzlich ausgerottet. Zwölf Jahre lang bemerkte man keine Spur mehr;
gegenwärtig ſieht man nach Tſchudi in Folge des in Piemont ſtreng eingehaltenen Jagdverbotes am
ſüdlichen Monte Roſa und in deſſen Verzweigung wieder Rudel von 10 bis 18 Stück bei einander.
Man hat es nun ſchon ſeit lange her verſucht, den Steinbock aus dem nahen Piemont wieder in die
Schweiz zu verpflanzen und auf den Alpen zu züchten; alle Verſuche blieben aber fruchtlos und wer-
den es bleiben, weil gegenwärtig die Muſeen ſo hohe Preiſe für Steinböcke zahlen, daß jeder Jäger
dadurch angelockt wird, ſie, aller Strafen ungeachtet, auf das eifrigſte zu verfolgen.

Die Steinböcke halten ſich in kleinen Rudeln zuſammen; alte, murrköpfige Böcke werden von
denſelben abgeſondert. Die höchſten Weiden der Alpen in unmittelbarer Nähe der Schneefelder und
Gletſcher bilden den Aufenthalt eines Trupps. Alte Böcke ſcheinen die Höhen und ſchroffen Grate
beſonders zu lieben. Bei Tage liegen oder ſtehen ſie ſtill, nach Beobachtungen glaubwürdiger Jäger
manchmal tagelang auf der gleichen Stelle, am liebſten auf Felſenvorſprüngen, welche ihnen den
Rücken decken und eine freie Umſchau gewähren. Die Ziegen mit den Jungen haben ſich etwas tiefer
im Gebirge einen bequemeren Platz ausgeſucht. Nachts zieht das Rudel in die höchſt gelegenen
Bergwälder herab, um ſich dort zu äßen, bei Sonnenaufgang ſteigt es wieder nach oben. Jm Som-
mer ſuchen die Steinböcke die Nordſeite und die Nähe der Gletſcher auf, im Winter die warmen
Stellen nach Süden hin. Stechende Sonnenhitze iſt ihnen ebenſo zuwider, als eine übermäßige
Kälte, obgleich ſie gegen letztere ſehr unempfindlich zu ſein ſcheinen. Man hat alte Böcke auf Felſen-
ſpitzen ſtundenlang wie Bildſäulen ſtehen ſehen, obgleich ſie der Eisſturm umtobte; man hat andere
geſchoſſen und gefunden, daß deren Ohren förmlich erfroren waren. Junge Steinböcke ſollen nicht
ſelten der Kälte zum Opfer fallen.

Nur äußerſt wenige Wiederkäuer, wahrſcheinlich blos die Gemſe und vielleicht noch der
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wohnen, wie die Steinböcke. Alle Bewegungen dieſes Wildes ſind raſch, kräftig und dabei doch

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[570/0600] Die Ziegen. — Der Alpenſteinbock. ſelbſt übernahm. Die Erzbiſchöfe thaten nun alles Mögliche, um die Ausrottung der edelen Thiere zu verhindern. Sie vervierfachten die Zahl ihrer Jäger, ſetzten Wildhüter in kleine Hütten auf die höchſten Felſen und ließen Junge einfangen, um dieſelben in Thiergärten aufzuziehen. Achtzig bis neunzig der geſchickteſten und muthigſten Jäger waren vom April bis zum Juni beſchäftigt, um die Steinböcke, wenn ſie bei der Schneeſchmelze tiefer herab in die Nähe der Sennhütten kamen, mit Garnen zu fangen. Gleichwohl konnten ſie in drei Sommern nicht mehr als zwei Böcke, vier Geiſen und drei Kitzen erlangen. So ging es durch das ganze Jahrhundert fort, weil die Erzbiſchöfe die Steinböcke zu Geſchenken an auswärtige Höfe benutzten. Man zahlte damals für jeden „Herzknochen‟ des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn zwei Reichsthaler, für eine Gemskugel zwei Gulden. Deshalb waren 1666 im Zillerthale kaum noch Steinböcke und blos noch etwa 60 Gemſen übrig. Von nun an durfte Niemand mehr einen Steinbock ſchießen, der nicht einen vom Erz- biſchof eigenhändig unterzeichneten Befehl aufzuweiſen hatte. Man gab den Alpenbeſitzern jährlich 100 Thaler, damit ſie kein Vieh mehr auf die oberſten Weiden führten, wo ſich die Steinböcke aufhielten. Bis zum Jahre 1694 hatte ſich das ſtolze Wild wieder auf 72 Böcke, 83 Geiſen und 24 Junge vermehrt. Die Gemſen auf 375 Stück. Als nun aber die Wilddiebereien wieder zunahmen, ließ man die Thiere von neuem einfangen, um ſie zu verſetzen oder zu verſchenken. Jm Jahre 1706 wurden 5 Böcke und 7 Geiſen gefangen und ſeitdem ſah man keine mehr. Zwar hatte man nachher im Jahre 1784 wieder 15 Stück Steinwild zu Hellbrunn, aber die Thiere ſtammten aus Piemont. Jn Wallis fiel 1809 der letzte Bock. Jn den Hochgebirgen von Savoyen waren ſie 1821 ſo ſelten geworden, daß Zummſtein ſich auf das wärmſte für ſie verwendete. Er brachte es auch bei der Regierung dahin, daß die Jagd bei ſchwerer Strafe verboten wurde, und wahrſcheinlich haben ſich nur dadurch die Thiere erhalten. Jn den dreißiger Jahren ſchoß man, wie man glaubte, die letzten Steinböcke an den Aiguilles rouges und den Dents des Bouquetins, und als nun einige Jahre ſpäter auf der Seite nach Arolla hin 7 Stück Steinwild durch eine Lauine verſchüttet wur- den, hielt man ſie für gänzlich ausgerottet. Zwölf Jahre lang bemerkte man keine Spur mehr; gegenwärtig ſieht man nach Tſchudi in Folge des in Piemont ſtreng eingehaltenen Jagdverbotes am ſüdlichen Monte Roſa und in deſſen Verzweigung wieder Rudel von 10 bis 18 Stück bei einander. Man hat es nun ſchon ſeit lange her verſucht, den Steinbock aus dem nahen Piemont wieder in die Schweiz zu verpflanzen und auf den Alpen zu züchten; alle Verſuche blieben aber fruchtlos und wer- den es bleiben, weil gegenwärtig die Muſeen ſo hohe Preiſe für Steinböcke zahlen, daß jeder Jäger dadurch angelockt wird, ſie, aller Strafen ungeachtet, auf das eifrigſte zu verfolgen. Die Steinböcke halten ſich in kleinen Rudeln zuſammen; alte, murrköpfige Böcke werden von denſelben abgeſondert. Die höchſten Weiden der Alpen in unmittelbarer Nähe der Schneefelder und Gletſcher bilden den Aufenthalt eines Trupps. Alte Böcke ſcheinen die Höhen und ſchroffen Grate beſonders zu lieben. Bei Tage liegen oder ſtehen ſie ſtill, nach Beobachtungen glaubwürdiger Jäger manchmal tagelang auf der gleichen Stelle, am liebſten auf Felſenvorſprüngen, welche ihnen den Rücken decken und eine freie Umſchau gewähren. Die Ziegen mit den Jungen haben ſich etwas tiefer im Gebirge einen bequemeren Platz ausgeſucht. Nachts zieht das Rudel in die höchſt gelegenen Bergwälder herab, um ſich dort zu äßen, bei Sonnenaufgang ſteigt es wieder nach oben. Jm Som- mer ſuchen die Steinböcke die Nordſeite und die Nähe der Gletſcher auf, im Winter die warmen Stellen nach Süden hin. Stechende Sonnenhitze iſt ihnen ebenſo zuwider, als eine übermäßige Kälte, obgleich ſie gegen letztere ſehr unempfindlich zu ſein ſcheinen. Man hat alte Böcke auf Felſen- ſpitzen ſtundenlang wie Bildſäulen ſtehen ſehen, obgleich ſie der Eisſturm umtobte; man hat andere geſchoſſen und gefunden, daß deren Ohren förmlich erfroren waren. Junge Steinböcke ſollen nicht ſelten der Kälte zum Opfer fallen. Nur äußerſt wenige Wiederkäuer, wahrſcheinlich blos die Gemſe und vielleicht noch der Goral und der Klippſpringer ſind ſo befähigt, die höchſten und gefährlichſten Gebirge zu be- wohnen, wie die Steinböcke. Alle Bewegungen dieſes Wildes ſind raſch, kräftig und dabei doch

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/600>, abgerufen am 23.11.2024.