wächse. Jn der Gefangenschaft nähren sie sich von allen möglichen Pflanzenstoffen. Salz ist für alle ein Leckerbissen. Wasser ist ihnen ein Bedürfniß, und manche wälzen sich mit Lust in schlam- migen Lachen oder legen sich stundenlang in Flüsse und Teiche.
Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Männchen voraus. Neun bis zwölf Monate nach ihr wirft die Kuh ein einziges Junge, sehr selten zwei. Das Kalb ist immer vollkommen ausge- bildet und nach kürzester Zeit im Stande, der Mutter zu folgen. Diese behandelt es mit großer Zärt- lichkeit, säugt und reinigt, beleckt und liebkost es und vertheidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Muthe gegen jeden Angriff. Nach 3 bis 8 Jahren ist das Junge erwachsen und zur Fortpflanzung geeignet; 15 bis 50 Jahre beträgt seine Lebensdauer.
Sämmtliche Rinderarten lassen sich sehr leicht zähmen und geben sich dann willig dem Menschen hin. Sie lernen ihre Pfleger kennen und lieben; folgen deren Rufe und gehorchen selbst einem schwa- chen Kinde; doch ziehen sie ihren Herrn eigentlich anderen Menschen nicht vor, sondern behandeln, wenn sie einmal gezähmt worden sind, alle Leute mit der gleichen Freundlichkeit.
Die Jagd der wilden Rinder gehört zu den ernstesten, welche es gibt. Ein Löwe und ein Tiger können nicht gefährlicher sein, als ein gereizter Stier, dessen blinde Wuth keine Grenzen mehr kennt. Gerade deshalb aber betreibt man die Jagd auf wilde Stiere mit größter Leidenschaft, und manche Völker sehen sie als die rühmlichste von allen an.
Gegen den Nutzen, welchen die zahmen Rinder leisten, verschwindet der geringe Schaden, den die Wildlebenden anrichten, fast gänzlich. Diese werden höchstens durch das Benagen der Bäume und Sträucher in den Wäldern, durch das Zerstören des Graswuchses und durch Verheerungen, die sie in Pflanzungen ausüben, dem Menschen lästig; die gezähmten nützen ihm dagegen auf alle mögliche Weise mit ihren sämmtlichen Kräften, mit ihrem Fleisch und ihren Knochen, mit ihrer Haut und ihrem Gehörn, mit ihrer Milch, selbst durch das Haar und ihren Mist. Man verwendet sie zum Ziehen und zum Tragen, zum Reiten, zum Treiben von Maschinen u. s. w.
Soviel bis jetzt bekannt, darf man mit Sicherheit zehn Arten von Rindern unterscheiden. Ein Uebergangsglied zwischen Schaf und Rind mag die Reihe der von mir erwählten eröffnen. Jch meine hiermit den sehr sonderbar gestalteten, besonders aber durch seine Behaarung ausgezeichneten Bisam- oder Moschusochsen (Ovibos moschatus), welcher gegenwärtig mit Recht als Vertreter einer be- sonderen Sippe betrachtet wird. Er zeigt am allerwenigsten das allgemeine Gepräge der Familie Hinsichtlich seiner Größe gehört er zu den kleinsten Rindern überhaupt, und dabei sind seine Glied- maßen von auffallender Kürze. Der Schwanz verkümmert zu einem Stummel, welcher aber um so länger behaart ist; der Hals ist kurz, der Kopf groß und breit, die ganz behaarte Schnauze schaf- ähnlich, kurz und stumpf, das Maul schmal. Die Hörner, welche sich erst nach abwärts und außen, dann nach vorn und endlich wieder mit der Spitze nach oben und außen wenden, bedecken fast Scheitel und Stirn; nur bei der Kuh stoßen sie nicht ganz an einander. An der Wurzel sind sie zusammenge- drückt und rauh, nach der Spitze hin rund und glatt. Die dicken Beine enden in schmale Hufe. Das Grannenhaar ist außerordentlich lang, zumal an Hals, Schultern, Rücken und Lenden; kurz ist es überhaupt nur an den Beinen. Eine dichte Grundwolle von aschgrauer Farbe wird von den Grannen vollständig überdeckt. Sie bildet sich im Herbst, bleibt den ganzen Winter hindurch stehen, verliert sich in großen Flocken im Sommer und wird bald darauf durch die neue ersetzt. Das Haar ist dunkel- braun von Farbe, nach unten hin schwärzer; auf der Mitte des Rückens steht ein bräunlich weißer Fleck; das Nasenende, die Lippen und das Kinn sind weißlich, und die Beine bedeutend lichter, als der übrige Körper. Ungeachtet der verhältnißmäßig geringen Größe des Moschusochsen, erlegte Parry auf seiner Reise nach dem Nordpol Stiere, welche bei 101/2 Faust Höhe am Widerrist sieben Centner wo- gen. Der Kopf mit der Haut allein hatte ein Gewicht von 130 Pfund. Von dem einen Stier bekam man 361, von dem anderen 350 Pfund Fleisch. Die Gesammtlänge erwachsener Moschusstiere be- trägt 6 Fuß; die Hörner sind, der Krümmung nach gemessen, 2 Fuß lang.
Der Biſam- oder Moſchusochſe.
wächſe. Jn der Gefangenſchaft nähren ſie ſich von allen möglichen Pflanzenſtoffen. Salz iſt für alle ein Leckerbiſſen. Waſſer iſt ihnen ein Bedürfniß, und manche wälzen ſich mit Luſt in ſchlam- migen Lachen oder legen ſich ſtundenlang in Flüſſe und Teiche.
Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Männchen voraus. Neun bis zwölf Monate nach ihr wirft die Kuh ein einziges Junge, ſehr ſelten zwei. Das Kalb iſt immer vollkommen ausge- bildet und nach kürzeſter Zeit im Stande, der Mutter zu folgen. Dieſe behandelt es mit großer Zärt- lichkeit, ſäugt und reinigt, beleckt und liebkoſt es und vertheidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Muthe gegen jeden Angriff. Nach 3 bis 8 Jahren iſt das Junge erwachſen und zur Fortpflanzung geeignet; 15 bis 50 Jahre beträgt ſeine Lebensdauer.
Sämmtliche Rinderarten laſſen ſich ſehr leicht zähmen und geben ſich dann willig dem Menſchen hin. Sie lernen ihre Pfleger kennen und lieben; folgen deren Rufe und gehorchen ſelbſt einem ſchwa- chen Kinde; doch ziehen ſie ihren Herrn eigentlich anderen Menſchen nicht vor, ſondern behandeln, wenn ſie einmal gezähmt worden ſind, alle Leute mit der gleichen Freundlichkeit.
Die Jagd der wilden Rinder gehört zu den ernſteſten, welche es gibt. Ein Löwe und ein Tiger können nicht gefährlicher ſein, als ein gereizter Stier, deſſen blinde Wuth keine Grenzen mehr kennt. Gerade deshalb aber betreibt man die Jagd auf wilde Stiere mit größter Leidenſchaft, und manche Völker ſehen ſie als die rühmlichſte von allen an.
Gegen den Nutzen, welchen die zahmen Rinder leiſten, verſchwindet der geringe Schaden, den die Wildlebenden anrichten, faſt gänzlich. Dieſe werden höchſtens durch das Benagen der Bäume und Sträucher in den Wäldern, durch das Zerſtören des Graswuchſes und durch Verheerungen, die ſie in Pflanzungen ausüben, dem Menſchen läſtig; die gezähmten nützen ihm dagegen auf alle mögliche Weiſe mit ihren ſämmtlichen Kräften, mit ihrem Fleiſch und ihren Knochen, mit ihrer Haut und ihrem Gehörn, mit ihrer Milch, ſelbſt durch das Haar und ihren Miſt. Man verwendet ſie zum Ziehen und zum Tragen, zum Reiten, zum Treiben von Maſchinen u. ſ. w.
Soviel bis jetzt bekannt, darf man mit Sicherheit zehn Arten von Rindern unterſcheiden. Ein Uebergangsglied zwiſchen Schaf und Rind mag die Reihe der von mir erwählten eröffnen. Jch meine hiermit den ſehr ſonderbar geſtalteten, beſonders aber durch ſeine Behaarung ausgezeichneten Biſam- oder Moſchusochſen (Ovibos moschatus), welcher gegenwärtig mit Recht als Vertreter einer be- ſonderen Sippe betrachtet wird. Er zeigt am allerwenigſten das allgemeine Gepräge der Familie Hinſichtlich ſeiner Größe gehört er zu den kleinſten Rindern überhaupt, und dabei ſind ſeine Glied- maßen von auffallender Kürze. Der Schwanz verkümmert zu einem Stummel, welcher aber um ſo länger behaart iſt; der Hals iſt kurz, der Kopf groß und breit, die ganz behaarte Schnauze ſchaf- ähnlich, kurz und ſtumpf, das Maul ſchmal. Die Hörner, welche ſich erſt nach abwärts und außen, dann nach vorn und endlich wieder mit der Spitze nach oben und außen wenden, bedecken faſt Scheitel und Stirn; nur bei der Kuh ſtoßen ſie nicht ganz an einander. An der Wurzel ſind ſie zuſammenge- drückt und rauh, nach der Spitze hin rund und glatt. Die dicken Beine enden in ſchmale Hufe. Das Grannenhaar iſt außerordentlich lang, zumal an Hals, Schultern, Rücken und Lenden; kurz iſt es überhaupt nur an den Beinen. Eine dichte Grundwolle von aſchgrauer Farbe wird von den Grannen vollſtändig überdeckt. Sie bildet ſich im Herbſt, bleibt den ganzen Winter hindurch ſtehen, verliert ſich in großen Flocken im Sommer und wird bald darauf durch die neue erſetzt. Das Haar iſt dunkel- braun von Farbe, nach unten hin ſchwärzer; auf der Mitte des Rückens ſteht ein bräunlich weißer Fleck; das Naſenende, die Lippen und das Kinn ſind weißlich, und die Beine bedeutend lichter, als der übrige Körper. Ungeachtet der verhältnißmäßig geringen Größe des Moſchusochſen, erlegte Parry auf ſeiner Reiſe nach dem Nordpol Stiere, welche bei 10½ Fauſt Höhe am Widerriſt ſieben Centner wo- gen. Der Kopf mit der Haut allein hatte ein Gewicht von 130 Pfund. Von dem einen Stier bekam man 361, von dem anderen 350 Pfund Fleiſch. Die Geſammtlänge erwachſener Moſchusſtiere be- trägt 6 Fuß; die Hörner ſind, der Krümmung nach gemeſſen, 2 Fuß lang.
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Der Biſam- oder Moſchusochſe.
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alle ein Leckerbiſſen. Waſſer iſt ihnen ein Bedürfniß, und manche wälzen ſich mit Luſt in ſchlam-
migen Lachen oder legen ſich ſtundenlang in Flüſſe und Teiche.
Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Männchen voraus. Neun bis zwölf Monate
nach ihr wirft die Kuh ein einziges Junge, ſehr ſelten zwei. Das Kalb iſt immer vollkommen ausge-
bildet und nach kürzeſter Zeit im Stande, der Mutter zu folgen. Dieſe behandelt es mit großer Zärt-
lichkeit, ſäugt und reinigt, beleckt und liebkoſt es und vertheidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Muthe
gegen jeden Angriff. Nach 3 bis 8 Jahren iſt das Junge erwachſen und zur Fortpflanzung geeignet;
15 bis 50 Jahre beträgt ſeine Lebensdauer.
Sämmtliche Rinderarten laſſen ſich ſehr leicht zähmen und geben ſich dann willig dem Menſchen
hin. Sie lernen ihre Pfleger kennen und lieben; folgen deren Rufe und gehorchen ſelbſt einem ſchwa-
chen Kinde; doch ziehen ſie ihren Herrn eigentlich anderen Menſchen nicht vor, ſondern behandeln,
wenn ſie einmal gezähmt worden ſind, alle Leute mit der gleichen Freundlichkeit.
Die Jagd der wilden Rinder gehört zu den ernſteſten, welche es gibt. Ein Löwe und ein Tiger
können nicht gefährlicher ſein, als ein gereizter Stier, deſſen blinde Wuth keine Grenzen mehr
kennt. Gerade deshalb aber betreibt man die Jagd auf wilde Stiere mit größter Leidenſchaft, und
manche Völker ſehen ſie als die rühmlichſte von allen an.
Gegen den Nutzen, welchen die zahmen Rinder leiſten, verſchwindet der geringe Schaden, den die
Wildlebenden anrichten, faſt gänzlich. Dieſe werden höchſtens durch das Benagen der Bäume und
Sträucher in den Wäldern, durch das Zerſtören des Graswuchſes und durch Verheerungen, die ſie in
Pflanzungen ausüben, dem Menſchen läſtig; die gezähmten nützen ihm dagegen auf alle mögliche
Weiſe mit ihren ſämmtlichen Kräften, mit ihrem Fleiſch und ihren Knochen, mit ihrer Haut und ihrem
Gehörn, mit ihrer Milch, ſelbſt durch das Haar und ihren Miſt. Man verwendet ſie zum Ziehen und
zum Tragen, zum Reiten, zum Treiben von Maſchinen u. ſ. w.
Soviel bis jetzt bekannt, darf man mit Sicherheit zehn Arten von Rindern unterſcheiden. Ein
Uebergangsglied zwiſchen Schaf und Rind mag die Reihe der von mir erwählten eröffnen. Jch meine
hiermit den ſehr ſonderbar geſtalteten, beſonders aber durch ſeine Behaarung ausgezeichneten Biſam-
oder Moſchusochſen (Ovibos moschatus), welcher gegenwärtig mit Recht als Vertreter einer be-
ſonderen Sippe betrachtet wird. Er zeigt am allerwenigſten das allgemeine Gepräge der Familie
Hinſichtlich ſeiner Größe gehört er zu den kleinſten Rindern überhaupt, und dabei ſind ſeine Glied-
maßen von auffallender Kürze. Der Schwanz verkümmert zu einem Stummel, welcher aber um ſo
länger behaart iſt; der Hals iſt kurz, der Kopf groß und breit, die ganz behaarte Schnauze ſchaf-
ähnlich, kurz und ſtumpf, das Maul ſchmal. Die Hörner, welche ſich erſt nach abwärts und außen,
dann nach vorn und endlich wieder mit der Spitze nach oben und außen wenden, bedecken faſt Scheitel
und Stirn; nur bei der Kuh ſtoßen ſie nicht ganz an einander. An der Wurzel ſind ſie zuſammenge-
drückt und rauh, nach der Spitze hin rund und glatt. Die dicken Beine enden in ſchmale Hufe. Das
Grannenhaar iſt außerordentlich lang, zumal an Hals, Schultern, Rücken und Lenden; kurz iſt es
überhaupt nur an den Beinen. Eine dichte Grundwolle von aſchgrauer Farbe wird von den Grannen
vollſtändig überdeckt. Sie bildet ſich im Herbſt, bleibt den ganzen Winter hindurch ſtehen, verliert
ſich in großen Flocken im Sommer und wird bald darauf durch die neue erſetzt. Das Haar iſt dunkel-
braun von Farbe, nach unten hin ſchwärzer; auf der Mitte des Rückens ſteht ein bräunlich weißer Fleck;
das Naſenende, die Lippen und das Kinn ſind weißlich, und die Beine bedeutend lichter, als der übrige
Körper. Ungeachtet der verhältnißmäßig geringen Größe des Moſchusochſen, erlegte Parry auf
ſeiner Reiſe nach dem Nordpol Stiere, welche bei 10½ Fauſt Höhe am Widerriſt ſieben Centner wo-
gen. Der Kopf mit der Haut allein hatte ein Gewicht von 130 Pfund. Von dem einen Stier bekam
man 361, von dem anderen 350 Pfund Fleiſch. Die Geſammtlänge erwachſener Moſchusſtiere be-
trägt 6 Fuß; die Hörner ſind, der Krümmung nach gemeſſen, 2 Fuß lang.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/649>, abgerufen am 23.11.2024.
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