ist nicht besonders auffallend. Gewöhnlich sind die inneren Schneidezähne jeder Seite die größten und die äußersten die kleinsten. Jhre Ränder sind breit und schaufelförmig, nutzen sich aber leicht ab. Von den vier Backenzähnen in jedem Kiefer sind die vordersten klein, die hintersten aber sehr entwickelt. Die Kauflächen sind nach den Arten manchfach verschieden.
Besonders zeichnen unsere Thiere die Hörner aus. Sie sind glatt, rundlich und höchstens am Grunde quer gerunzelt; nur bei wenigen schwellen sie nahe der Wurzel so an, daß sie die Stirn be- decken; gewöhnlich lassen sie diese ganz frei. Sie krümmen sich in sehr verschiedener Weise nach außen oder innen, nach hinten oder nach vorn, nach aufwärts und nach abwärts oder sind auch leierförmig. Das Haarkleid ist gewöhnlich kurz und glatt anliegend; bei einzelnen Arten verlängert es sich aber mähnenartig, wenigstens an gewissen Stellen des Leibes.
Ganz Europa und Afrika, Mittel- und Südasien, sowie der höhere Norden Amerikas dürfen als die ursprüngliche Heimat der Stiere betrachtet werden; gegenwärtig aber sind sie über alle Theile des Erdballs verbreitet, obgleich nur die in die Knechtschaft des Menschen übergegangenen Arten. Die wildlebenden bewohnen die verschiedensten Oertlichkeiten, diese dichtere Waldungen, jene freie Blößen oder Steppen, die einen die Ebene, die anderen das Gebirg, wo sie sogar bis zu einer Höhe von fast 17,000 Fuß über die Meeresfläche emporsteigen. Einige ziehen sumpfige Gegenden und Moräste, andere mehr trockene Oertlichkeiten vor. Die wenigsten sind Standthiere; sie führen viel- mehr ein herumschweifendes Leben. Die, welche das Gebirge bewohnen, steigen im Winter in die Thäler herab, jene, welche im Norden leben, ziehen sich südlicher, und der Mangel an Nahrung an einer gewissen Oertlichkeit bestimmt wieder andere zum Wandern in nahrungsreichere Gegenden. Alle Arten ohne Ausnahme sind gesellig und schlagen sich herdenweise zusammen; einzelne bilden Heere von Tausenden. Starke, alte Thiere führen die Truppen an; doch kommt es auch bei ihnen vor, daß bös- artige Zugführer zuweilen von der Herde vertrieben werden.
Die Stiere sind während des Tages thätig und ruhen bei Nacht. Sie erscheinen zwar plump und langsam, sind aber doch im Stande, sich sehr rasch zu bewegen, und zeigen viel mehr Fertigkeiten, als man ihnen zutrauen möchte. Jhre Bewegung besteht für gewöhnlich in einem langsamen Schritt; allein sie traben auch schnell dahin und fallen zuweilen in einen höchst unbeholfenen Galopp, welcher sie sehr rasch fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meisterhaft, sind auch im Stande, weite Sprünge auszuführen. Das Schwimmen verstehen alle Arten und einzelne sogar ganz vortrefflich; sie setzen mit Leichtigkeit über die breitesten Ströme. Jhre Kraft ist außerordentlich, ihre Ausdauer bewunderungswerth. Unter den Sinnen steht der Geruch obenan; das Gehör ist auch gut, das Gesicht aber, wie schon das ziemlich blöde Auge beweist, nicht besonders entwickelt. Jhre geistigen Fähigkeiten sind gering, doch zeigen die wilden weit mehr Verstand, als die zahmen, welche ihre Geisteskräfte nicht anzustrengen brauchen. Jhr Wesen ist sehr verschiedenartig. Jm allge- meinen sind sie sanft und zutraulich gegen Geschöpfe, welche ihnen nicht gefährlich oder beschwerlich werden; allein sie zeigen sich auch überaus wild, trotzig und im hohen Grade muthig; sie greifen, gereizt, unter Todesverachtung alle Raubthiere, auch die stärksten, an und wissen ihre furchtbaren Waffen dann mit so viel Geschick zu gebrauchen, daß sie gewöhnlich Sieger bleiben. Unter sich im ganzen verträglich, kämpfen sie doch zu gewissen Zeiten mit großer Rauflust, und namentlich die Männchen führen während der Brunstzeit prachtvolle und dabei höchst gefährliche Kämpfe.
Die wilden Arten zeichnen sich durch einen eigenthümlichen Moschusgeruch aus, welcher bei den Männchen so heftig wird, daß er das ganze Fleisch durchdringt und es ungenießbar macht. Bei den zahmen Arten ist dieser Geruch ebenfalls bemerklich, aber schwach.
Die Stimme unserer Thiere besteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen und Brummen, welches hauptsächlich dann gehört wird, wenn sie erregt sind.
Sehr verschiedene Pflanzenstoffe bilden die Nahrung der Rinder. Sie verzehren Laub und zarte Knospen, Triebe und Zweige der allerverschiedensten Bäume, Gräser und Kräuter, Baumrinde, Mos und Flechten, Sumpf- und Wasserpflanzen, selbst scharfschneidiges Riedgras und rohrähnliche Ge-
Die Stiere oder Rinder.
iſt nicht beſonders auffallend. Gewöhnlich ſind die inneren Schneidezähne jeder Seite die größten und die äußerſten die kleinſten. Jhre Ränder ſind breit und ſchaufelförmig, nutzen ſich aber leicht ab. Von den vier Backenzähnen in jedem Kiefer ſind die vorderſten klein, die hinterſten aber ſehr entwickelt. Die Kauflächen ſind nach den Arten manchfach verſchieden.
Beſonders zeichnen unſere Thiere die Hörner aus. Sie ſind glatt, rundlich und höchſtens am Grunde quer gerunzelt; nur bei wenigen ſchwellen ſie nahe der Wurzel ſo an, daß ſie die Stirn be- decken; gewöhnlich laſſen ſie dieſe ganz frei. Sie krümmen ſich in ſehr verſchiedener Weiſe nach außen oder innen, nach hinten oder nach vorn, nach aufwärts und nach abwärts oder ſind auch leierförmig. Das Haarkleid iſt gewöhnlich kurz und glatt anliegend; bei einzelnen Arten verlängert es ſich aber mähnenartig, wenigſtens an gewiſſen Stellen des Leibes.
Ganz Europa und Afrika, Mittel- und Südaſien, ſowie der höhere Norden Amerikas dürfen als die urſprüngliche Heimat der Stiere betrachtet werden; gegenwärtig aber ſind ſie über alle Theile des Erdballs verbreitet, obgleich nur die in die Knechtſchaft des Menſchen übergegangenen Arten. Die wildlebenden bewohnen die verſchiedenſten Oertlichkeiten, dieſe dichtere Waldungen, jene freie Blößen oder Steppen, die einen die Ebene, die anderen das Gebirg, wo ſie ſogar bis zu einer Höhe von faſt 17,000 Fuß über die Meeresfläche emporſteigen. Einige ziehen ſumpfige Gegenden und Moräſte, andere mehr trockene Oertlichkeiten vor. Die wenigſten ſind Standthiere; ſie führen viel- mehr ein herumſchweifendes Leben. Die, welche das Gebirge bewohnen, ſteigen im Winter in die Thäler herab, jene, welche im Norden leben, ziehen ſich ſüdlicher, und der Mangel an Nahrung an einer gewiſſen Oertlichkeit beſtimmt wieder andere zum Wandern in nahrungsreichere Gegenden. Alle Arten ohne Ausnahme ſind geſellig und ſchlagen ſich herdenweiſe zuſammen; einzelne bilden Heere von Tauſenden. Starke, alte Thiere führen die Truppen an; doch kommt es auch bei ihnen vor, daß bös- artige Zugführer zuweilen von der Herde vertrieben werden.
Die Stiere ſind während des Tages thätig und ruhen bei Nacht. Sie erſcheinen zwar plump und langſam, ſind aber doch im Stande, ſich ſehr raſch zu bewegen, und zeigen viel mehr Fertigkeiten, als man ihnen zutrauen möchte. Jhre Bewegung beſteht für gewöhnlich in einem langſamen Schritt; allein ſie traben auch ſchnell dahin und fallen zuweilen in einen höchſt unbeholfenen Galopp, welcher ſie ſehr raſch fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meiſterhaft, ſind auch im Stande, weite Sprünge auszuführen. Das Schwimmen verſtehen alle Arten und einzelne ſogar ganz vortrefflich; ſie ſetzen mit Leichtigkeit über die breiteſten Ströme. Jhre Kraft iſt außerordentlich, ihre Ausdauer bewunderungswerth. Unter den Sinnen ſteht der Geruch obenan; das Gehör iſt auch gut, das Geſicht aber, wie ſchon das ziemlich blöde Auge beweiſt, nicht beſonders entwickelt. Jhre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering, doch zeigen die wilden weit mehr Verſtand, als die zahmen, welche ihre Geiſteskräfte nicht anzuſtrengen brauchen. Jhr Weſen iſt ſehr verſchiedenartig. Jm allge- meinen ſind ſie ſanft und zutraulich gegen Geſchöpfe, welche ihnen nicht gefährlich oder beſchwerlich werden; allein ſie zeigen ſich auch überaus wild, trotzig und im hohen Grade muthig; ſie greifen, gereizt, unter Todesverachtung alle Raubthiere, auch die ſtärkſten, an und wiſſen ihre furchtbaren Waffen dann mit ſo viel Geſchick zu gebrauchen, daß ſie gewöhnlich Sieger bleiben. Unter ſich im ganzen verträglich, kämpfen ſie doch zu gewiſſen Zeiten mit großer Raufluſt, und namentlich die Männchen führen während der Brunſtzeit prachtvolle und dabei höchſt gefährliche Kämpfe.
Die wilden Arten zeichnen ſich durch einen eigenthümlichen Moſchusgeruch aus, welcher bei den Männchen ſo heftig wird, daß er das ganze Fleiſch durchdringt und es ungenießbar macht. Bei den zahmen Arten iſt dieſer Geruch ebenfalls bemerklich, aber ſchwach.
Die Stimme unſerer Thiere beſteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen und Brummen, welches hauptſächlich dann gehört wird, wenn ſie erregt ſind.
Sehr verſchiedene Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Rinder. Sie verzehren Laub und zarte Knospen, Triebe und Zweige der allerverſchiedenſten Bäume, Gräſer und Kräuter, Baumrinde, Mos und Flechten, Sumpf- und Waſſerpflanzen, ſelbſt ſcharfſchneidiges Riedgras und rohrähnliche Ge-
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[616/0648]
Die Stiere oder Rinder.
iſt nicht beſonders auffallend. Gewöhnlich ſind die inneren Schneidezähne jeder Seite die größten
und die äußerſten die kleinſten. Jhre Ränder ſind breit und ſchaufelförmig, nutzen ſich aber leicht
ab. Von den vier Backenzähnen in jedem Kiefer ſind die vorderſten klein, die hinterſten aber ſehr
entwickelt. Die Kauflächen ſind nach den Arten manchfach verſchieden.
Beſonders zeichnen unſere Thiere die Hörner aus. Sie ſind glatt, rundlich und höchſtens am
Grunde quer gerunzelt; nur bei wenigen ſchwellen ſie nahe der Wurzel ſo an, daß ſie die Stirn be-
decken; gewöhnlich laſſen ſie dieſe ganz frei. Sie krümmen ſich in ſehr verſchiedener Weiſe nach außen
oder innen, nach hinten oder nach vorn, nach aufwärts und nach abwärts oder ſind auch leierförmig.
Das Haarkleid iſt gewöhnlich kurz und glatt anliegend; bei einzelnen Arten verlängert es ſich aber
mähnenartig, wenigſtens an gewiſſen Stellen des Leibes.
Ganz Europa und Afrika, Mittel- und Südaſien, ſowie der höhere Norden Amerikas dürfen
als die urſprüngliche Heimat der Stiere betrachtet werden; gegenwärtig aber ſind ſie über alle Theile
des Erdballs verbreitet, obgleich nur die in die Knechtſchaft des Menſchen übergegangenen Arten.
Die wildlebenden bewohnen die verſchiedenſten Oertlichkeiten, dieſe dichtere Waldungen, jene freie
Blößen oder Steppen, die einen die Ebene, die anderen das Gebirg, wo ſie ſogar bis zu einer Höhe
von faſt 17,000 Fuß über die Meeresfläche emporſteigen. Einige ziehen ſumpfige Gegenden und
Moräſte, andere mehr trockene Oertlichkeiten vor. Die wenigſten ſind Standthiere; ſie führen viel-
mehr ein herumſchweifendes Leben. Die, welche das Gebirge bewohnen, ſteigen im Winter in die
Thäler herab, jene, welche im Norden leben, ziehen ſich ſüdlicher, und der Mangel an Nahrung an einer
gewiſſen Oertlichkeit beſtimmt wieder andere zum Wandern in nahrungsreichere Gegenden. Alle
Arten ohne Ausnahme ſind geſellig und ſchlagen ſich herdenweiſe zuſammen; einzelne bilden Heere von
Tauſenden. Starke, alte Thiere führen die Truppen an; doch kommt es auch bei ihnen vor, daß bös-
artige Zugführer zuweilen von der Herde vertrieben werden.
Die Stiere ſind während des Tages thätig und ruhen bei Nacht. Sie erſcheinen zwar plump
und langſam, ſind aber doch im Stande, ſich ſehr raſch zu bewegen, und zeigen viel mehr Fertigkeiten,
als man ihnen zutrauen möchte. Jhre Bewegung beſteht für gewöhnlich in einem langſamen Schritt;
allein ſie traben auch ſchnell dahin und fallen zuweilen in einen höchſt unbeholfenen Galopp, welcher
ſie ſehr raſch fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meiſterhaft, ſind auch im
Stande, weite Sprünge auszuführen. Das Schwimmen verſtehen alle Arten und einzelne ſogar ganz
vortrefflich; ſie ſetzen mit Leichtigkeit über die breiteſten Ströme. Jhre Kraft iſt außerordentlich, ihre
Ausdauer bewunderungswerth. Unter den Sinnen ſteht der Geruch obenan; das Gehör iſt auch
gut, das Geſicht aber, wie ſchon das ziemlich blöde Auge beweiſt, nicht beſonders entwickelt. Jhre
geiſtigen Fähigkeiten ſind gering, doch zeigen die wilden weit mehr Verſtand, als die zahmen, welche
ihre Geiſteskräfte nicht anzuſtrengen brauchen. Jhr Weſen iſt ſehr verſchiedenartig. Jm allge-
meinen ſind ſie ſanft und zutraulich gegen Geſchöpfe, welche ihnen nicht gefährlich oder beſchwerlich
werden; allein ſie zeigen ſich auch überaus wild, trotzig und im hohen Grade muthig; ſie greifen,
gereizt, unter Todesverachtung alle Raubthiere, auch die ſtärkſten, an und wiſſen ihre furchtbaren
Waffen dann mit ſo viel Geſchick zu gebrauchen, daß ſie gewöhnlich Sieger bleiben. Unter ſich im
ganzen verträglich, kämpfen ſie doch zu gewiſſen Zeiten mit großer Raufluſt, und namentlich die
Männchen führen während der Brunſtzeit prachtvolle und dabei höchſt gefährliche Kämpfe.
Die wilden Arten zeichnen ſich durch einen eigenthümlichen Moſchusgeruch aus, welcher bei den
Männchen ſo heftig wird, daß er das ganze Fleiſch durchdringt und es ungenießbar macht. Bei
den zahmen Arten iſt dieſer Geruch ebenfalls bemerklich, aber ſchwach.
Die Stimme unſerer Thiere beſteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen
und Brummen, welches hauptſächlich dann gehört wird, wenn ſie erregt ſind.
Sehr verſchiedene Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Rinder. Sie verzehren Laub und zarte
Knospen, Triebe und Zweige der allerverſchiedenſten Bäume, Gräſer und Kräuter, Baumrinde, Mos
und Flechten, Sumpf- und Waſſerpflanzen, ſelbſt ſcharfſchneidiges Riedgras und rohrähnliche Ge-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/648>, abgerufen am 23.11.2024.
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