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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Wisent.
z. B. sieht man überall, wo menschliche Wohnungen sind, ganze Herden solcher Büffel in den Flüs-
sen und Seen bis zum Kopfe im Wasser stehend und nur mit der Schnauze und den Hörnern aus
denselben hervorragend. Jn einer Umzäunung von Bambusrohrstäben werden sie gefüttert. Bemer-
kenswerth ist die Thatsache, daß solche Büffel niemals von den Krokodilen angegriffen werden,
welche doch sonst jedes andere Thier, auch die Zebustiere und die Pferde ohne weiteres anfallen.

Während der Regenzeit sind die Büffel für die Bewohner geradezu unentbehrlich, weil durch sie
die einzige Möglichkeit geboten wird, auf den unergründlichen Wegen fortzukommen. Man legt
dann Lasten auf eine Art von Schlitten, welcher auf dem feuchten Boden leicht dahingleitet, und
spannt den Büffel diesem vor; der Fuhrmann sitzt auf dem Nacken des Thieres und lenkt es nach
Belieben.

Jn der Neuzeit sind lebende Kerabaus öfters nach Europa gelangt. Gegenwärtig besitzen sie
die Thiergärten von Hamburg, Köln, Berlin, Amsterdam. Jn Köln haben sie sich fortgepflanzt,
auch mit gemeinen Büffeln gekreuzt.



Die russische Provinz Grodno in Litthauen beherbergt auf 630 Geviertmeilen nur etwa eine
halbe Million Menschen. Zum größten Theil ist sie eine waldlose Ebene; in der Mitte aber enthält
sie ein Kleinod eigenthümlicher Art. Dies ist der allen Thierfreunden und Forschern wohlbekannte
Wald von Bialowicza oder Bialowies, ein echt nordischer Urwald von 7 Meilen Länge und
6 Meilen Breite, welcher einen Flächenraum von etwa dreißig Geviertmeilen bedeckt. Er liegt ganz
abgesondert für sich, einer Jnsel vergleichbar, umgeben von Feldmarken, Dorfschaften und baum-
losen Haiden. Jm Jnneren des Waldes finden sich nur einige wenige Ansiedelungen der Menschen,
in denen aber keine Landbauern, sondern blos Forstleute und Jagdbauern wohnen. Mitten im Walde
liegt das Dorf Bialowicza, welches dem ganzen Walde seinen Namen verlieh. Es besteht blos aus
mehreren Blockhäusern und einem hölzernen Jagdschlosse, welches August III., König von Polen und
Kurfürst von Sachsen, erbauen ließ, und wird ebenfalls nur von Leuten bewohnt, welche ausschließ-
lich, weniger zur Hegung und Pflegung des Waldes, als zum Schutz der hier noch hausenden Wild-
arten berufen sind.

Der ganze Wald ist in zwölf Abtheilungen geschieden, welche durch breite, geradeaus gehauene
Schneusen oder Gestelle von einander getrennt sind. Jeder dieser Haupttheile hat wieder seine Un-
terabtheilungen. Ueber jenem steht ein Oberförster, diese werden von Unterförstern und anderen
Waldbeamten beaufsichtigt. Ein Oberforstmeister wohnt in Bialowicza.

Jm Walde von Bialowicza hat sich noch heutigen Tages der Mensch mit seinem Treiben nicht
geltend machen können. Etwa vier Fünftheile des Bestandes werden von der Kiefer gebildet, welche
auf große Strecken hin die Alleinherrschaft behauptet; in den feuchteren Gegenden treten Fichten,
Eichen, Linden, Hornbäume, Birken, Ellern, Pappeln und Weiden zwischen die Kiefern herein.
Alle Bäume erreichen hier ein unerhörtes Alter, eine wunderbare Höhe und gewaltige Stärke. Die
Natur ist noch ganz sich selbst überlassen; der Wald zeigt heute noch dasselbe Gepräge, wie vor Jahr-
hunderten, vielleicht vor Jahrtausenden. "Hier," sagt ein Berichterstatter, "hat ein Sturmwind
mehrere alte Riesenstämme entwurzelt und zu Boden geschleudert: wo sie hinstürzen, da sterben und
verwesen sie auch. Ueber jene aber erheben sich Tausende von jungen Stämmchen, die im Schatten
der alten Bäume nicht gedeihen konnten, und nun im regen Wetteifer nach oben streben, nach Luft,
nach Licht, nach Freiheit. Ein jedes sucht sich zur Geltung zu bringen, aber doch können nicht alle
das Gleiche erreichen. Bald zeichnen sich einige vor den anderen aus, und einmal erst mit dem
Kopfe oben, fangen sie an sich breit zu machen, wölben eine prächtige Krone und unterdrücken
erbarmungslos die schwächeren Pflanzen, die nun traurig zurückbleiben und verkümmern. Aber auch
diese übermüthig Emporstrebenden werden einst in das Greisenalter treten; auch ihre Wurzeln werden

Der Wiſent.
z. B. ſieht man überall, wo menſchliche Wohnungen ſind, ganze Herden ſolcher Büffel in den Flüſ-
ſen und Seen bis zum Kopfe im Waſſer ſtehend und nur mit der Schnauze und den Hörnern aus
denſelben hervorragend. Jn einer Umzäunung von Bambusrohrſtäben werden ſie gefüttert. Bemer-
kenswerth iſt die Thatſache, daß ſolche Büffel niemals von den Krokodilen angegriffen werden,
welche doch ſonſt jedes andere Thier, auch die Zebuſtiere und die Pferde ohne weiteres anfallen.

Während der Regenzeit ſind die Büffel für die Bewohner geradezu unentbehrlich, weil durch ſie
die einzige Möglichkeit geboten wird, auf den unergründlichen Wegen fortzukommen. Man legt
dann Laſten auf eine Art von Schlitten, welcher auf dem feuchten Boden leicht dahingleitet, und
ſpannt den Büffel dieſem vor; der Fuhrmann ſitzt auf dem Nacken des Thieres und lenkt es nach
Belieben.

Jn der Neuzeit ſind lebende Kerabaus öfters nach Europa gelangt. Gegenwärtig beſitzen ſie
die Thiergärten von Hamburg, Köln, Berlin, Amſterdam. Jn Köln haben ſie ſich fortgepflanzt,
auch mit gemeinen Büffeln gekreuzt.



Die ruſſiſche Provinz Grodno in Litthauen beherbergt auf 630 Geviertmeilen nur etwa eine
halbe Million Menſchen. Zum größten Theil iſt ſie eine waldloſe Ebene; in der Mitte aber enthält
ſie ein Kleinod eigenthümlicher Art. Dies iſt der allen Thierfreunden und Forſchern wohlbekannte
Wald von Bialowicza oder Bialowies, ein echt nordiſcher Urwald von 7 Meilen Länge und
6 Meilen Breite, welcher einen Flächenraum von etwa dreißig Geviertmeilen bedeckt. Er liegt ganz
abgeſondert für ſich, einer Jnſel vergleichbar, umgeben von Feldmarken, Dorfſchaften und baum-
loſen Haiden. Jm Jnneren des Waldes finden ſich nur einige wenige Anſiedelungen der Menſchen,
in denen aber keine Landbauern, ſondern blos Forſtleute und Jagdbauern wohnen. Mitten im Walde
liegt das Dorf Bialowicza, welches dem ganzen Walde ſeinen Namen verlieh. Es beſteht blos aus
mehreren Blockhäuſern und einem hölzernen Jagdſchloſſe, welches Auguſt III., König von Polen und
Kurfürſt von Sachſen, erbauen ließ, und wird ebenfalls nur von Leuten bewohnt, welche ausſchließ-
lich, weniger zur Hegung und Pflegung des Waldes, als zum Schutz der hier noch hauſenden Wild-
arten berufen ſind.

Der ganze Wald iſt in zwölf Abtheilungen geſchieden, welche durch breite, geradeaus gehauene
Schneuſen oder Geſtelle von einander getrennt ſind. Jeder dieſer Haupttheile hat wieder ſeine Un-
terabtheilungen. Ueber jenem ſteht ein Oberförſter, dieſe werden von Unterförſtern und anderen
Waldbeamten beaufſichtigt. Ein Oberforſtmeiſter wohnt in Bialowicza.

Jm Walde von Bialowicza hat ſich noch heutigen Tages der Menſch mit ſeinem Treiben nicht
geltend machen können. Etwa vier Fünftheile des Beſtandes werden von der Kiefer gebildet, welche
auf große Strecken hin die Alleinherrſchaft behauptet; in den feuchteren Gegenden treten Fichten,
Eichen, Linden, Hornbäume, Birken, Ellern, Pappeln und Weiden zwiſchen die Kiefern herein.
Alle Bäume erreichen hier ein unerhörtes Alter, eine wunderbare Höhe und gewaltige Stärke. Die
Natur iſt noch ganz ſich ſelbſt überlaſſen; der Wald zeigt heute noch daſſelbe Gepräge, wie vor Jahr-
hunderten, vielleicht vor Jahrtauſenden. „Hier,‟ ſagt ein Berichterſtatter, „hat ein Sturmwind
mehrere alte Rieſenſtämme entwurzelt und zu Boden geſchleudert: wo ſie hinſtürzen, da ſterben und
verweſen ſie auch. Ueber jene aber erheben ſich Tauſende von jungen Stämmchen, die im Schatten
der alten Bäume nicht gedeihen konnten, und nun im regen Wetteifer nach oben ſtreben, nach Luft,
nach Licht, nach Freiheit. Ein jedes ſucht ſich zur Geltung zu bringen, aber doch können nicht alle
das Gleiche erreichen. Bald zeichnen ſich einige vor den anderen aus, und einmal erſt mit dem
Kopfe oben, fangen ſie an ſich breit zu machen, wölben eine prächtige Krone und unterdrücken
erbarmungslos die ſchwächeren Pflanzen, die nun traurig zurückbleiben und verkümmern. Aber auch
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[635/0667] Der Wiſent. z. B. ſieht man überall, wo menſchliche Wohnungen ſind, ganze Herden ſolcher Büffel in den Flüſ- ſen und Seen bis zum Kopfe im Waſſer ſtehend und nur mit der Schnauze und den Hörnern aus denſelben hervorragend. Jn einer Umzäunung von Bambusrohrſtäben werden ſie gefüttert. Bemer- kenswerth iſt die Thatſache, daß ſolche Büffel niemals von den Krokodilen angegriffen werden, welche doch ſonſt jedes andere Thier, auch die Zebuſtiere und die Pferde ohne weiteres anfallen. Während der Regenzeit ſind die Büffel für die Bewohner geradezu unentbehrlich, weil durch ſie die einzige Möglichkeit geboten wird, auf den unergründlichen Wegen fortzukommen. Man legt dann Laſten auf eine Art von Schlitten, welcher auf dem feuchten Boden leicht dahingleitet, und ſpannt den Büffel dieſem vor; der Fuhrmann ſitzt auf dem Nacken des Thieres und lenkt es nach Belieben. Jn der Neuzeit ſind lebende Kerabaus öfters nach Europa gelangt. Gegenwärtig beſitzen ſie die Thiergärten von Hamburg, Köln, Berlin, Amſterdam. Jn Köln haben ſie ſich fortgepflanzt, auch mit gemeinen Büffeln gekreuzt. Die ruſſiſche Provinz Grodno in Litthauen beherbergt auf 630 Geviertmeilen nur etwa eine halbe Million Menſchen. Zum größten Theil iſt ſie eine waldloſe Ebene; in der Mitte aber enthält ſie ein Kleinod eigenthümlicher Art. Dies iſt der allen Thierfreunden und Forſchern wohlbekannte Wald von Bialowicza oder Bialowies, ein echt nordiſcher Urwald von 7 Meilen Länge und 6 Meilen Breite, welcher einen Flächenraum von etwa dreißig Geviertmeilen bedeckt. Er liegt ganz abgeſondert für ſich, einer Jnſel vergleichbar, umgeben von Feldmarken, Dorfſchaften und baum- loſen Haiden. Jm Jnneren des Waldes finden ſich nur einige wenige Anſiedelungen der Menſchen, in denen aber keine Landbauern, ſondern blos Forſtleute und Jagdbauern wohnen. Mitten im Walde liegt das Dorf Bialowicza, welches dem ganzen Walde ſeinen Namen verlieh. Es beſteht blos aus mehreren Blockhäuſern und einem hölzernen Jagdſchloſſe, welches Auguſt III., König von Polen und Kurfürſt von Sachſen, erbauen ließ, und wird ebenfalls nur von Leuten bewohnt, welche ausſchließ- lich, weniger zur Hegung und Pflegung des Waldes, als zum Schutz der hier noch hauſenden Wild- arten berufen ſind. Der ganze Wald iſt in zwölf Abtheilungen geſchieden, welche durch breite, geradeaus gehauene Schneuſen oder Geſtelle von einander getrennt ſind. Jeder dieſer Haupttheile hat wieder ſeine Un- terabtheilungen. Ueber jenem ſteht ein Oberförſter, dieſe werden von Unterförſtern und anderen Waldbeamten beaufſichtigt. Ein Oberforſtmeiſter wohnt in Bialowicza. Jm Walde von Bialowicza hat ſich noch heutigen Tages der Menſch mit ſeinem Treiben nicht geltend machen können. Etwa vier Fünftheile des Beſtandes werden von der Kiefer gebildet, welche auf große Strecken hin die Alleinherrſchaft behauptet; in den feuchteren Gegenden treten Fichten, Eichen, Linden, Hornbäume, Birken, Ellern, Pappeln und Weiden zwiſchen die Kiefern herein. Alle Bäume erreichen hier ein unerhörtes Alter, eine wunderbare Höhe und gewaltige Stärke. Die Natur iſt noch ganz ſich ſelbſt überlaſſen; der Wald zeigt heute noch daſſelbe Gepräge, wie vor Jahr- hunderten, vielleicht vor Jahrtauſenden. „Hier,‟ ſagt ein Berichterſtatter, „hat ein Sturmwind mehrere alte Rieſenſtämme entwurzelt und zu Boden geſchleudert: wo ſie hinſtürzen, da ſterben und verweſen ſie auch. Ueber jene aber erheben ſich Tauſende von jungen Stämmchen, die im Schatten der alten Bäume nicht gedeihen konnten, und nun im regen Wetteifer nach oben ſtreben, nach Luft, nach Licht, nach Freiheit. Ein jedes ſucht ſich zur Geltung zu bringen, aber doch können nicht alle das Gleiche erreichen. Bald zeichnen ſich einige vor den anderen aus, und einmal erſt mit dem Kopfe oben, fangen ſie an ſich breit zu machen, wölben eine prächtige Krone und unterdrücken erbarmungslos die ſchwächeren Pflanzen, die nun traurig zurückbleiben und verkümmern. Aber auch dieſe übermüthig Emporſtrebenden werden einſt in das Greiſenalter treten; auch ihre Wurzeln werden

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/667>, abgerufen am 23.11.2024.