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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Rinder. -- Der Wisent.
von den Stürmen gelockert und herausgerissen werden, bis auch über ihren Sturz Freude unter dem
jungen Nachwuchs sein wird und dasselbe Spiel, derselbe Kampf beginnt."

"Außerhalb der gebahnten Wege, welche der Jagd halber in Ordnung gehalten werden, ist der
Wald kaum zu betreten, nicht einmal an Stellen, wo die Bäume lichter stehen, weil gerade dort ein
dichter Unterwuchs von allen möglichen Straucharten wuchert. An anderen Stellen hat der Sturm
hunderte von Bäumen umgebrochen, die so verworren über und unter einander liegen, daß selbst das
Wild Mühe hat, sich durchzuarbeiten. Ab und zu gewahrt man allerdings bedeutende Lichtungen
durch das Dickicht schimmern. Schon glaubt man an einer Waldgrenze zu sein oder doch eine Dorf-
schaft vor sich zu haben -- aber wenn man auf eine solche Lichtung zuschreitet, entdeckt man, daß sie
ihre Entstehung einem Waldbrande zu verdanken hat, welcher sich in kurzer Zeit dieses ungeheure
Loch fraß und dann genug hatte, denn menschliche Kräfte vermögen wenig oder Nichts über die Ge-
walt des Feuers in diesen Riesenwaldungen. Alle 8 bis 10 Jahre kommt durchschnittlich ein Brand
von größerer Ausdehnung vor, kleinere Brände aber sind ganz an der Tagesordnung."

Jedenfalls würde die forstwirthschaftliche Verwerthung des an Schätzen reichen Waldes der rus-
fischen Krone schöne Einnahmen verschaffen und für das ganze Land segensreich sein: der Stand der
Jäger aber würde eine solche Maßregel außerordentlich beklagen. Der Wald von Bialowicza nämlich
ist noch heutigen Tages der Zufluchtsort einer Menge Thiere, welche in anderen Gegenden bereits
ganz ausgerottet sind. Er beherbergt heute noch das größte Säugethier des europäischen Festlandes,
den Wisent. Nur hier noch lebt dieses gewaltige und furchtbare Thier; aus allen übrigen Ländern
Europas ist es verdrängt. Blos am Kaukasus gibt es noch andere seiner Art; von der übrigen Erde
ist das stolze Geschöpf ausgerottet bis auf den Bestand im Bialowiczaer Walde. Strenge Gesetze
schützen den Wisent dort; nur auf besonderen kaiserlichen Befehl darf ein Stück des Standes geschos-
sen werden; und hätten nicht schon seit mehreren Jahrhunderten die wechselnden Besitzer dieses wun-
derbaren Thiergartens solchen Schutz gewährt, der Wisent hätte sicherlich schon aufgehört, wenigstens
ein europäisches Thier zu sein. Alle Wildarten, welche außer dem Wisent im Bialowiczaer Walde
leben, dürfen von den dort angestellten Jägern erlegt werden: auf Tödtung eines Wildstieres steht
eine furchtbare Strafe.

Jn früheren Zeiten war Dies freilich anders. Da war das gewaltige Thier verbreitet fast über
ganz Europa und über einen großen Theil Westasiens. Zur Zeit der alten Griechen war er in Päo-
nien
oder dem heutigen Bulgarien häufig; in Mitteleuropa fand er sich fast überall, und selbst in
dem südlichen Schweden kam er vor. Nach dem Nibelungenlied erschlug ihn Siegfried im Wasgau.
Aristoteles nennt ihn Bonassus und beschreibt ihn deutlich. Plinius führt ihn unter dem Na-
men "Bison" auf und gibt Deutschland als seine Heimat an, Calpurnius beschreibt ihn um
das Jahr 282 n. Chr., die "Leges allemanorum" erwähnen seiner im sechsten und siebenten Jahr-
hundert. Zu Karls des Großen Zeiten fand er sich noch im Harz und im Sachsenlande, um das
Jahr 1000 nach Ekkehard noch als ein bei St. Gallen vorkommendes Wild. Um das Jahr 1373
lebte er noch in Pommern, im funfzehnten Jahrhundert in Preußen, im sechszehnten Jahrhundert
in Litthauen, im siebzehnten Jahrhundert in Ostpreußen zwischen Tilsit und Laubian und im achtzehn-
ten Jahrhundert noch in Siebenbürgen. Seit dieser Zeit ist der Wisent auf den Wald von Bia-
lowicza beschränkt.

Der letzte seiner Art wurde in Preußen im Jahr 1755 von einem Wilddieb erlegt, ungeachtet
des Schutzes, welchen er schon länger genossen hatte.

Die Könige und Großen des Reiches Polen und Litthauen ließen sich die Erhaltung des Thieres
mit Eifer angelegen sein. Man hielt den Wisent in besonderen Gärten und Parken, so z. B. bei
Ostrolenka, bei Warschau, bei Zamosk u. s. w. Die mehr und mehr sich ausbreitende Bevöl-
kerung, die Urbarmachung der Ländereien machte diesen Schutz mit der Zeit unmöglich; denn, sowie
die Wälder gelichtet wurden, mußte sich dieses Wild zurückziehen. Noch hielt es sich eine Zeitlang im
preußischen Litthauen und namentlich in der Gegend zwischen Laubian und Tilsit, wo die Forst-

Die Rinder. — Der Wiſent.
von den Stürmen gelockert und herausgeriſſen werden, bis auch über ihren Sturz Freude unter dem
jungen Nachwuchs ſein wird und daſſelbe Spiel, derſelbe Kampf beginnt.‟

„Außerhalb der gebahnten Wege, welche der Jagd halber in Ordnung gehalten werden, iſt der
Wald kaum zu betreten, nicht einmal an Stellen, wo die Bäume lichter ſtehen, weil gerade dort ein
dichter Unterwuchs von allen möglichen Straucharten wuchert. An anderen Stellen hat der Sturm
hunderte von Bäumen umgebrochen, die ſo verworren über und unter einander liegen, daß ſelbſt das
Wild Mühe hat, ſich durchzuarbeiten. Ab und zu gewahrt man allerdings bedeutende Lichtungen
durch das Dickicht ſchimmern. Schon glaubt man an einer Waldgrenze zu ſein oder doch eine Dorf-
ſchaft vor ſich zu haben — aber wenn man auf eine ſolche Lichtung zuſchreitet, entdeckt man, daß ſie
ihre Entſtehung einem Waldbrande zu verdanken hat, welcher ſich in kurzer Zeit dieſes ungeheure
Loch fraß und dann genug hatte, denn menſchliche Kräfte vermögen wenig oder Nichts über die Ge-
walt des Feuers in dieſen Rieſenwaldungen. Alle 8 bis 10 Jahre kommt durchſchnittlich ein Brand
von größerer Ausdehnung vor, kleinere Brände aber ſind ganz an der Tagesordnung.‟

Jedenfalls würde die forſtwirthſchaftliche Verwerthung des an Schätzen reichen Waldes der ruſ-
fiſchen Krone ſchöne Einnahmen verſchaffen und für das ganze Land ſegensreich ſein: der Stand der
Jäger aber würde eine ſolche Maßregel außerordentlich beklagen. Der Wald von Bialowicza nämlich
iſt noch heutigen Tages der Zufluchtsort einer Menge Thiere, welche in anderen Gegenden bereits
ganz ausgerottet ſind. Er beherbergt heute noch das größte Säugethier des europäiſchen Feſtlandes,
den Wiſent. Nur hier noch lebt dieſes gewaltige und furchtbare Thier; aus allen übrigen Ländern
Europas iſt es verdrängt. Blos am Kaukaſus gibt es noch andere ſeiner Art; von der übrigen Erde
iſt das ſtolze Geſchöpf ausgerottet bis auf den Beſtand im Bialowiczaer Walde. Strenge Geſetze
ſchützen den Wiſent dort; nur auf beſonderen kaiſerlichen Befehl darf ein Stück des Standes geſchoſ-
ſen werden; und hätten nicht ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten die wechſelnden Beſitzer dieſes wun-
derbaren Thiergartens ſolchen Schutz gewährt, der Wiſent hätte ſicherlich ſchon aufgehört, wenigſtens
ein europäiſches Thier zu ſein. Alle Wildarten, welche außer dem Wiſent im Bialowiczaer Walde
leben, dürfen von den dort angeſtellten Jägern erlegt werden: auf Tödtung eines Wildſtieres ſteht
eine furchtbare Strafe.

Jn früheren Zeiten war Dies freilich anders. Da war das gewaltige Thier verbreitet faſt über
ganz Europa und über einen großen Theil Weſtaſiens. Zur Zeit der alten Griechen war er in Päo-
nien
oder dem heutigen Bulgarien häufig; in Mitteleuropa fand er ſich faſt überall, und ſelbſt in
dem ſüdlichen Schweden kam er vor. Nach dem Nibelungenlied erſchlug ihn Siegfried im Wasgau.
Ariſtoteles nennt ihn Bonaſſus und beſchreibt ihn deutlich. Plinius führt ihn unter dem Na-
men „Biſon‟ auf und gibt Deutſchland als ſeine Heimat an, Calpurnius beſchreibt ihn um
das Jahr 282 n. Chr., die „Leges allemanorum‟ erwähnen ſeiner im ſechsten und ſiebenten Jahr-
hundert. Zu Karls des Großen Zeiten fand er ſich noch im Harz und im Sachſenlande, um das
Jahr 1000 nach Ekkehard noch als ein bei St. Gallen vorkommendes Wild. Um das Jahr 1373
lebte er noch in Pommern, im funfzehnten Jahrhundert in Preußen, im ſechszehnten Jahrhundert
in Litthauen, im ſiebzehnten Jahrhundert in Oſtpreußen zwiſchen Tilſit und Laubian und im achtzehn-
ten Jahrhundert noch in Siebenbürgen. Seit dieſer Zeit iſt der Wiſent auf den Wald von Bia-
lowicza beſchränkt.

Der letzte ſeiner Art wurde in Preußen im Jahr 1755 von einem Wilddieb erlegt, ungeachtet
des Schutzes, welchen er ſchon länger genoſſen hatte.

Die Könige und Großen des Reiches Polen und Litthauen ließen ſich die Erhaltung des Thieres
mit Eifer angelegen ſein. Man hielt den Wiſent in beſonderen Gärten und Parken, ſo z. B. bei
Oſtrolenka, bei Warſchau, bei Zamoſk u. ſ. w. Die mehr und mehr ſich ausbreitende Bevöl-
kerung, die Urbarmachung der Ländereien machte dieſen Schutz mit der Zeit unmöglich; denn, ſowie
die Wälder gelichtet wurden, mußte ſich dieſes Wild zurückziehen. Noch hielt es ſich eine Zeitlang im
preußiſchen Litthauen und namentlich in der Gegend zwiſchen Laubian und Tilſit, wo die Forſt-

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[636/0668] Die Rinder. — Der Wiſent. von den Stürmen gelockert und herausgeriſſen werden, bis auch über ihren Sturz Freude unter dem jungen Nachwuchs ſein wird und daſſelbe Spiel, derſelbe Kampf beginnt.‟ „Außerhalb der gebahnten Wege, welche der Jagd halber in Ordnung gehalten werden, iſt der Wald kaum zu betreten, nicht einmal an Stellen, wo die Bäume lichter ſtehen, weil gerade dort ein dichter Unterwuchs von allen möglichen Straucharten wuchert. An anderen Stellen hat der Sturm hunderte von Bäumen umgebrochen, die ſo verworren über und unter einander liegen, daß ſelbſt das Wild Mühe hat, ſich durchzuarbeiten. Ab und zu gewahrt man allerdings bedeutende Lichtungen durch das Dickicht ſchimmern. Schon glaubt man an einer Waldgrenze zu ſein oder doch eine Dorf- ſchaft vor ſich zu haben — aber wenn man auf eine ſolche Lichtung zuſchreitet, entdeckt man, daß ſie ihre Entſtehung einem Waldbrande zu verdanken hat, welcher ſich in kurzer Zeit dieſes ungeheure Loch fraß und dann genug hatte, denn menſchliche Kräfte vermögen wenig oder Nichts über die Ge- walt des Feuers in dieſen Rieſenwaldungen. Alle 8 bis 10 Jahre kommt durchſchnittlich ein Brand von größerer Ausdehnung vor, kleinere Brände aber ſind ganz an der Tagesordnung.‟ Jedenfalls würde die forſtwirthſchaftliche Verwerthung des an Schätzen reichen Waldes der ruſ- fiſchen Krone ſchöne Einnahmen verſchaffen und für das ganze Land ſegensreich ſein: der Stand der Jäger aber würde eine ſolche Maßregel außerordentlich beklagen. Der Wald von Bialowicza nämlich iſt noch heutigen Tages der Zufluchtsort einer Menge Thiere, welche in anderen Gegenden bereits ganz ausgerottet ſind. Er beherbergt heute noch das größte Säugethier des europäiſchen Feſtlandes, den Wiſent. Nur hier noch lebt dieſes gewaltige und furchtbare Thier; aus allen übrigen Ländern Europas iſt es verdrängt. Blos am Kaukaſus gibt es noch andere ſeiner Art; von der übrigen Erde iſt das ſtolze Geſchöpf ausgerottet bis auf den Beſtand im Bialowiczaer Walde. Strenge Geſetze ſchützen den Wiſent dort; nur auf beſonderen kaiſerlichen Befehl darf ein Stück des Standes geſchoſ- ſen werden; und hätten nicht ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten die wechſelnden Beſitzer dieſes wun- derbaren Thiergartens ſolchen Schutz gewährt, der Wiſent hätte ſicherlich ſchon aufgehört, wenigſtens ein europäiſches Thier zu ſein. Alle Wildarten, welche außer dem Wiſent im Bialowiczaer Walde leben, dürfen von den dort angeſtellten Jägern erlegt werden: auf Tödtung eines Wildſtieres ſteht eine furchtbare Strafe. Jn früheren Zeiten war Dies freilich anders. Da war das gewaltige Thier verbreitet faſt über ganz Europa und über einen großen Theil Weſtaſiens. Zur Zeit der alten Griechen war er in Päo- nien oder dem heutigen Bulgarien häufig; in Mitteleuropa fand er ſich faſt überall, und ſelbſt in dem ſüdlichen Schweden kam er vor. Nach dem Nibelungenlied erſchlug ihn Siegfried im Wasgau. Ariſtoteles nennt ihn Bonaſſus und beſchreibt ihn deutlich. Plinius führt ihn unter dem Na- men „Biſon‟ auf und gibt Deutſchland als ſeine Heimat an, Calpurnius beſchreibt ihn um das Jahr 282 n. Chr., die „Leges allemanorum‟ erwähnen ſeiner im ſechsten und ſiebenten Jahr- hundert. Zu Karls des Großen Zeiten fand er ſich noch im Harz und im Sachſenlande, um das Jahr 1000 nach Ekkehard noch als ein bei St. Gallen vorkommendes Wild. Um das Jahr 1373 lebte er noch in Pommern, im funfzehnten Jahrhundert in Preußen, im ſechszehnten Jahrhundert in Litthauen, im ſiebzehnten Jahrhundert in Oſtpreußen zwiſchen Tilſit und Laubian und im achtzehn- ten Jahrhundert noch in Siebenbürgen. Seit dieſer Zeit iſt der Wiſent auf den Wald von Bia- lowicza beſchränkt. Der letzte ſeiner Art wurde in Preußen im Jahr 1755 von einem Wilddieb erlegt, ungeachtet des Schutzes, welchen er ſchon länger genoſſen hatte. Die Könige und Großen des Reiches Polen und Litthauen ließen ſich die Erhaltung des Thieres mit Eifer angelegen ſein. Man hielt den Wiſent in beſonderen Gärten und Parken, ſo z. B. bei Oſtrolenka, bei Warſchau, bei Zamoſk u. ſ. w. Die mehr und mehr ſich ausbreitende Bevöl- kerung, die Urbarmachung der Ländereien machte dieſen Schutz mit der Zeit unmöglich; denn, ſowie die Wälder gelichtet wurden, mußte ſich dieſes Wild zurückziehen. Noch hielt es ſich eine Zeitlang im preußiſchen Litthauen und namentlich in der Gegend zwiſchen Laubian und Tilſit, wo die Forſt-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/668>, abgerufen am 23.11.2024.