bei Verstande waren, und aus diesem allgemeinen Jrrenhaufe keinen Ausweg: Das muß selbst einen Ochsen zum Nachdenken bringen!
Aber das tiefe Nachdenken sollte gestört werden. Spaniens edles Volk wollte sich mit dem Ochsen unterhalten, wollte sich mit ihm verbrüdern. Man griff deshalb zu anderen Mitteln, um den Erstaunten zu stören. Langsam öffnete sich eine Thüre; ein langes, am vorderen Ende mit spitzen Stacheln bewehrtes Rohr wurde sichtbar, weit schob es sich heraus, endlich erschien auch der Mann, welcher es am andern Ende festhielt. Bedächtig richtete und lenkte er besagtes Nohr: -- ein furchtbarer Stoß nach dem Hintertheile des Ochsen wurde vorbereitet und ausgeführt, -- er gelang, doch ohne die gehoffte Wirkung. "Toro" hatte den Stoß für einen Mückenstich gehalten. Er schlug zwar wüthend nach hinten aus, das stechlustige Kerbthier zu vertreiben, blieb aber stehen. Neue Mittel ersann man; sogar das Parallelogramm der Kräfte wurde in Anwendung gebracht. Von zwei Seiten zielte und stieß man zu gleicher Zeit nach dem Hintertheile des Stieres. Das trieb ihn endlich einige Schritte vorwärts. Jetzt brachten Stachelbolzen, welche man mit dem Blasrohre nach seinem Felle sandte, ihm zugeworfene Hüte, vorgehaltene Tücher und das bis zum Aeußersten gestei- gerte Brüllen, die gewünschte Wirkung hervor. Todesmuthig, zitternd vor Wuth, stürmte das Thier an einer Seite des Marktplatzes hinauf, und fegte diese gründlich rein, -- aber nur für einen Augen- blick; denn kaum war der Stier vorüber, so war auch die Menge wieder von ihren schwebenden Sitzen herunter und rannte ihrem Lieblinge nach.
Man war wirklich frech. Wenn der Stier längs der Häuser dahinfegte, faßten ihn einige der verwegensten Kerle auf Augenblicke mit den Händen an den Hörnern, Andere traten ihn von oben herab mit Füßen, Andere stellten sich auf kaum mehr als zehn Schritte vor ihm hin und reizten ihn auf alle mögliche Weise, waren aber, wenn der Stier auf sie losstürzte, immer noch geschwind genug, eines der Gerüste zu erklettern. Die Meisten bewiesen einen unglaublichen Muth; Einige aber waren doch recht feig. Sie stachen durch kleine Löcher in den Hausthüren hindurch oder machten nur Lärm, wie ein Mann, welcher unsere Verachtung im reichsten Maße auf sich zog, weil er blos die Thür öffnete, mit der Hand oder dem Stocke dreinschlug, sie aber, sowie der Stier die geringste Be- wegung machte, schleunigst wieder verschloß. Während der Hatzen lernte ich einsehen, wie genau die Spanier ihren guten Freund kannten. So waren die untersten Planken, auf denen die Leute standen, kaum höher, als vier Fuß, der Ochse konnte sie also ganz bequem mit seinen Hörnern leer machen: er kam aber nie dazu; denn kurz vor seiner Ankunft faßten die auf solchen Planken Stehenden mit ihren Händen höhere Theile des Gerüstes, zogen die Beine an und erhielten sich so lange in der Schwebe, bis das Thier vorüber war.
Um zum Schluß zu kommen: Sechs Stiere wurden durch Menschen und Hunde so lange auf dem Markte herumgehetzt, bis sie wüthend und später müde wurden. Dann war es für sie stets eine Er- lösung aus allem Uebel, wenn der zahme Leitochse erschien, dem die Pflicht oblag, sie in ihre Ställe zurückzubringen. Dies Mal ging die Geschichte ohne Unfall vorüber, obgleich man wiederholt sol- chen fürchten mußte, namentlich als das erwähnte Gerüst zusammenbrach. Jm ungünstigen Augen- blick darf nur ein einziges Bret an den Gerüsten brechen, und ein Unglück ist vollendet. Bei einer der letzten Hatzen hatten zwei Menschen das Leben verloren. So Etwas stört aber die Spanier kei- neswegs; selbst die Polizei thut Nichts, um ein so trauriges Zwischenspiel -- denn die Stierhatze wird nicht unterbrochen, wenn ein Paar Menschen dabei umkommen -- zu verhüten. Hier begnügte sie sich, die auf wirklich unverantwortlich tollkühne Weise aufgestellten Leute weniger gefahrvollen Plätzen zuzutreiben; im übrigen wirkte sie bei der Hatze selbst sehr thätig mit.
Solche Hatzen sind einfache Sonntagsvergnügungen der Spanier, die Stiergefechte dagegen außerordentliche Feste, ja man kann wohl sagen, die größten des Jahres. Jn Madrid und in Sevilla wer- den während der heißen Sommermonate bei gutem Wetter jeden Sonntag Stiergefechte aufgeführt, in den übrigen Städten des Landes nur ein Mal im Jahre, gewöhnlich aber dann drei Tage lang nach
Die ſpaniſchen Stiergefechte.
bei Verſtande waren, und aus dieſem allgemeinen Jrrenhaufe keinen Ausweg: Das muß ſelbſt einen Ochſen zum Nachdenken bringen!
Aber das tiefe Nachdenken ſollte geſtört werden. Spaniens edles Volk wollte ſich mit dem Ochſen unterhalten, wollte ſich mit ihm verbrüdern. Man griff deshalb zu anderen Mitteln, um den Erſtaunten zu ſtören. Langſam öffnete ſich eine Thüre; ein langes, am vorderen Ende mit ſpitzen Stacheln bewehrtes Rohr wurde ſichtbar, weit ſchob es ſich heraus, endlich erſchien auch der Mann, welcher es am andern Ende feſthielt. Bedächtig richtete und lenkte er beſagtes Nohr: — ein furchtbarer Stoß nach dem Hintertheile des Ochſen wurde vorbereitet und ausgeführt, — er gelang, doch ohne die gehoffte Wirkung. „Toro‟ hatte den Stoß für einen Mückenſtich gehalten. Er ſchlug zwar wüthend nach hinten aus, das ſtechluſtige Kerbthier zu vertreiben, blieb aber ſtehen. Neue Mittel erſann man; ſogar das Parallelogramm der Kräfte wurde in Anwendung gebracht. Von zwei Seiten zielte und ſtieß man zu gleicher Zeit nach dem Hintertheile des Stieres. Das trieb ihn endlich einige Schritte vorwärts. Jetzt brachten Stachelbolzen, welche man mit dem Blasrohre nach ſeinem Felle ſandte, ihm zugeworfene Hüte, vorgehaltene Tücher und das bis zum Aeußerſten geſtei- gerte Brüllen, die gewünſchte Wirkung hervor. Todesmuthig, zitternd vor Wuth, ſtürmte das Thier an einer Seite des Marktplatzes hinauf, und fegte dieſe gründlich rein, — aber nur für einen Augen- blick; denn kaum war der Stier vorüber, ſo war auch die Menge wieder von ihren ſchwebenden Sitzen herunter und rannte ihrem Lieblinge nach.
Man war wirklich frech. Wenn der Stier längs der Häuſer dahinfegte, faßten ihn einige der verwegenſten Kerle auf Augenblicke mit den Händen an den Hörnern, Andere traten ihn von oben herab mit Füßen, Andere ſtellten ſich auf kaum mehr als zehn Schritte vor ihm hin und reizten ihn auf alle mögliche Weiſe, waren aber, wenn der Stier auf ſie losſtürzte, immer noch geſchwind genug, eines der Gerüſte zu erklettern. Die Meiſten bewieſen einen unglaublichen Muth; Einige aber waren doch recht feig. Sie ſtachen durch kleine Löcher in den Hausthüren hindurch oder machten nur Lärm, wie ein Mann, welcher unſere Verachtung im reichſten Maße auf ſich zog, weil er blos die Thür öffnete, mit der Hand oder dem Stocke dreinſchlug, ſie aber, ſowie der Stier die geringſte Be- wegung machte, ſchleunigſt wieder verſchloß. Während der Hatzen lernte ich einſehen, wie genau die Spanier ihren guten Freund kannten. So waren die unterſten Planken, auf denen die Leute ſtanden, kaum höher, als vier Fuß, der Ochſe konnte ſie alſo ganz bequem mit ſeinen Hörnern leer machen: er kam aber nie dazu; denn kurz vor ſeiner Ankunft faßten die auf ſolchen Planken Stehenden mit ihren Händen höhere Theile des Gerüſtes, zogen die Beine an und erhielten ſich ſo lange in der Schwebe, bis das Thier vorüber war.
Um zum Schluß zu kommen: Sechs Stiere wurden durch Menſchen und Hunde ſo lange auf dem Markte herumgehetzt, bis ſie wüthend und ſpäter müde wurden. Dann war es für ſie ſtets eine Er- löſung aus allem Uebel, wenn der zahme Leitochſe erſchien, dem die Pflicht oblag, ſie in ihre Ställe zurückzubringen. Dies Mal ging die Geſchichte ohne Unfall vorüber, obgleich man wiederholt ſol- chen fürchten mußte, namentlich als das erwähnte Gerüſt zuſammenbrach. Jm ungünſtigen Augen- blick darf nur ein einziges Bret an den Gerüſten brechen, und ein Unglück iſt vollendet. Bei einer der letzten Hatzen hatten zwei Menſchen das Leben verloren. So Etwas ſtört aber die Spanier kei- neswegs; ſelbſt die Polizei thut Nichts, um ein ſo trauriges Zwiſchenſpiel — denn die Stierhatze wird nicht unterbrochen, wenn ein Paar Menſchen dabei umkommen — zu verhüten. Hier begnügte ſie ſich, die auf wirklich unverantwortlich tollkühne Weiſe aufgeſtellten Leute weniger gefahrvollen Plätzen zuzutreiben; im übrigen wirkte ſie bei der Hatze ſelbſt ſehr thätig mit.
Solche Hatzen ſind einfache Sonntagsvergnügungen der Spanier, die Stiergefechte dagegen außerordentliche Feſte, ja man kann wohl ſagen, die größten des Jahres. Jn Madrid und in Sevilla wer- den während der heißen Sommermonate bei gutem Wetter jeden Sonntag Stiergefechte aufgeführt, in den übrigen Städten des Landes nur ein Mal im Jahre, gewöhnlich aber dann drei Tage lang nach
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[678/0712]
Die ſpaniſchen Stiergefechte.
bei Verſtande waren, und aus dieſem allgemeinen Jrrenhaufe keinen Ausweg: Das muß ſelbſt einen
Ochſen zum Nachdenken bringen!
Aber das tiefe Nachdenken ſollte geſtört werden. Spaniens edles Volk wollte ſich mit dem
Ochſen unterhalten, wollte ſich mit ihm verbrüdern. Man griff deshalb zu anderen Mitteln, um den
Erſtaunten zu ſtören. Langſam öffnete ſich eine Thüre; ein langes, am vorderen Ende mit ſpitzen
Stacheln bewehrtes Rohr wurde ſichtbar, weit ſchob es ſich heraus, endlich erſchien auch der
Mann, welcher es am andern Ende feſthielt. Bedächtig richtete und lenkte er beſagtes Nohr: — ein
furchtbarer Stoß nach dem Hintertheile des Ochſen wurde vorbereitet und ausgeführt, — er gelang,
doch ohne die gehoffte Wirkung. „Toro‟ hatte den Stoß für einen Mückenſtich gehalten. Er
ſchlug zwar wüthend nach hinten aus, das ſtechluſtige Kerbthier zu vertreiben, blieb aber ſtehen. Neue
Mittel erſann man; ſogar das Parallelogramm der Kräfte wurde in Anwendung gebracht. Von
zwei Seiten zielte und ſtieß man zu gleicher Zeit nach dem Hintertheile des Stieres. Das trieb ihn
endlich einige Schritte vorwärts. Jetzt brachten Stachelbolzen, welche man mit dem Blasrohre nach
ſeinem Felle ſandte, ihm zugeworfene Hüte, vorgehaltene Tücher und das bis zum Aeußerſten geſtei-
gerte Brüllen, die gewünſchte Wirkung hervor. Todesmuthig, zitternd vor Wuth, ſtürmte das Thier
an einer Seite des Marktplatzes hinauf, und fegte dieſe gründlich rein, — aber nur für einen Augen-
blick; denn kaum war der Stier vorüber, ſo war auch die Menge wieder von ihren ſchwebenden Sitzen
herunter und rannte ihrem Lieblinge nach.
Man war wirklich frech. Wenn der Stier längs der Häuſer dahinfegte, faßten ihn einige der
verwegenſten Kerle auf Augenblicke mit den Händen an den Hörnern, Andere traten ihn von oben
herab mit Füßen, Andere ſtellten ſich auf kaum mehr als zehn Schritte vor ihm hin und reizten ihn
auf alle mögliche Weiſe, waren aber, wenn der Stier auf ſie losſtürzte, immer noch geſchwind genug,
eines der Gerüſte zu erklettern. Die Meiſten bewieſen einen unglaublichen Muth; Einige aber
waren doch recht feig. Sie ſtachen durch kleine Löcher in den Hausthüren hindurch oder machten nur
Lärm, wie ein Mann, welcher unſere Verachtung im reichſten Maße auf ſich zog, weil er blos die
Thür öffnete, mit der Hand oder dem Stocke dreinſchlug, ſie aber, ſowie der Stier die geringſte Be-
wegung machte, ſchleunigſt wieder verſchloß. Während der Hatzen lernte ich einſehen, wie genau die
Spanier ihren guten Freund kannten. So waren die unterſten Planken, auf denen die Leute ſtanden,
kaum höher, als vier Fuß, der Ochſe konnte ſie alſo ganz bequem mit ſeinen Hörnern leer machen:
er kam aber nie dazu; denn kurz vor ſeiner Ankunft faßten die auf ſolchen Planken Stehenden mit ihren
Händen höhere Theile des Gerüſtes, zogen die Beine an und erhielten ſich ſo lange in der Schwebe,
bis das Thier vorüber war.
Um zum Schluß zu kommen: Sechs Stiere wurden durch Menſchen und Hunde ſo lange auf dem
Markte herumgehetzt, bis ſie wüthend und ſpäter müde wurden. Dann war es für ſie ſtets eine Er-
löſung aus allem Uebel, wenn der zahme Leitochſe erſchien, dem die Pflicht oblag, ſie in ihre Ställe
zurückzubringen. Dies Mal ging die Geſchichte ohne Unfall vorüber, obgleich man wiederholt ſol-
chen fürchten mußte, namentlich als das erwähnte Gerüſt zuſammenbrach. Jm ungünſtigen Augen-
blick darf nur ein einziges Bret an den Gerüſten brechen, und ein Unglück iſt vollendet. Bei einer
der letzten Hatzen hatten zwei Menſchen das Leben verloren. So Etwas ſtört aber die Spanier kei-
neswegs; ſelbſt die Polizei thut Nichts, um ein ſo trauriges Zwiſchenſpiel — denn die Stierhatze wird
nicht unterbrochen, wenn ein Paar Menſchen dabei umkommen — zu verhüten. Hier begnügte ſie
ſich, die auf wirklich unverantwortlich tollkühne Weiſe aufgeſtellten Leute weniger gefahrvollen Plätzen
zuzutreiben; im übrigen wirkte ſie bei der Hatze ſelbſt ſehr thätig mit.
Solche Hatzen ſind einfache Sonntagsvergnügungen der Spanier, die Stiergefechte dagegen
außerordentliche Feſte, ja man kann wohl ſagen, die größten des Jahres. Jn Madrid und in Sevilla wer-
den während der heißen Sommermonate bei gutem Wetter jeden Sonntag Stiergefechte aufgeführt,
in den übrigen Städten des Landes nur ein Mal im Jahre, gewöhnlich aber dann drei Tage lang nach
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/712>, abgerufen am 23.11.2024.
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