die Seite, senkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindesten Stolz, nicht die Spur von Freude; auch sie fängt sogleich wieder zu grasen an. Die Heerkuh fühlt sich frei- lich größer, als jede andere. Man erkennt Dies aus ihrem feierlichen Schritt; auch gestattet sie nicht, daß irgend eine andere Kuh ihr vorausgehe."
"Der Stier ist viel vorzüglicher, als die geistigste Kuh. Er hat weit mehr Körperkräfte, schärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Muth, Gewandtheit, Naschheit. Er schaut viel frischer in die Welt und sieht mit Verstand um sich, er fühlt sich als gewaltiger Beschützer seiner Herde, geht auf den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen leidet er nicht bei seiner Herde, er streitet mit ihm auf Leben und Tod."
Das Rind ist im zweiten Jahre seines Lebens zeugungsfähig. Paarungstrieb verräth die Kuh durch Unlust am Fressen und Saufen, durch Unruhe und vieles Brüllen. Die Brunst hält nur einen halben Tag an, kehrt aber, wenn die Lust nicht befriedigt wurde, oft wieder. Die Tragzeit währt gewöhnlich 285 Tage. Das Kalb erhebt sich bald nach seiner Geburt auf die Füße und saugt schon am ersten Tage seines Lebens. Die Kuh bemuttert es, bis sie wieder brünstig wird. Bei der Geburt bringt das junge Rind acht Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des ersten Jahres wechselt es die beiden mittelsten, ein Jahr später die beiden diesen zunächststehenden, nach Verlauf des zweiten Jahres das dritte Paar und ein Jahr später endlich die beiden letzten. Mit dem fünften Lebensjahre gilben sich die anfänglich milchweißen Zähne, zwischen dem sechszehnten und achtzehnten beginnen sie auszufallen oder abzubrechen. Von dieser Zeit an gibt die Kuh keine Milch mehr, und der Stier ist zur Paarung kaum noch geeignet. Die Lebensdauer scheint fünfundzwanzig, höchstens dreißig Jahre nicht zu übersteigen.
Verschiedene Pflanzen im frischen und getrockneten Zustande, Wicken, Erbsen, junges Getreide und saftiges Gras sind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Flachs, Eibe, Wasser- schierling, Läusekraut, Binsen, Froschlauch, Zeitlose, Wolfsmilch, Eisenhut, junges Eichenlaub und Wallnußblätter, nasser Klee u. dgl. Petersilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der Milcherzeugung entgegen. Thimian, Saalbreit, Hahnfuß, Wegerich werden im Nothfall gefressen, Früchte aller Art, Kartoffeln, Obst und Möhren dagegen leidenschaftlich gern. Salz ist Bedürfniß. Eine erwachsene Kuh bedarf etwa täglich 20 bis 25, ein Ochs 30 bis 35 Pfund Futter. Erstere verursacht Dem, welcher alles Futter kauft, einen Kostenaufwand von etwa 60 Thalern, bringt aber dafür etwa 80 Thaler ein. Noch besser verwerthet der Landwirth das Rind, wenn er es mästet, und zumal in der Neuzeit erzielt man durch geeignete Fütterung außerordentliche Erfolge. Das Rind gilt mit Recht als das einträglichste aller Hausthiere.
Dreizehnte Ordnung. Vielhufer (Multungula).
Ein verfallendes Geschlecht, die letzten Stammhalter einer vormals sehr zahlreichen Abtheilung der Säugethiere, tritt vor uns in den Vielhufern oder Dickhäutern. Sie erscheinen uns so recht eigentlich als lebende Zeichen früherer Schöpfungsabschnitte, als auf uns Ueberkommene von längst vergangenen Erdentagen. Die Riesen aus anderen Ordnungen, welche neben ihnen in der Vorzeit lebten, sind längst gestrichen aus dem Buche der Lebendigen; nur sie noch gleichen den gewal-
Die Vielhufer oder Dickhäuter.
die Seite, ſenkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindeſten Stolz, nicht die Spur von Freude; auch ſie fängt ſogleich wieder zu graſen an. Die Heerkuh fühlt ſich frei- lich größer, als jede andere. Man erkennt Dies aus ihrem feierlichen Schritt; auch geſtattet ſie nicht, daß irgend eine andere Kuh ihr vorausgehe.‟
„Der Stier iſt viel vorzüglicher, als die geiſtigſte Kuh. Er hat weit mehr Körperkräfte, ſchärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Muth, Gewandtheit, Naſchheit. Er ſchaut viel friſcher in die Welt und ſieht mit Verſtand um ſich, er fühlt ſich als gewaltiger Beſchützer ſeiner Herde, geht auf den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen leidet er nicht bei ſeiner Herde, er ſtreitet mit ihm auf Leben und Tod.‟
Das Rind iſt im zweiten Jahre ſeines Lebens zeugungsfähig. Paarungstrieb verräth die Kuh durch Unluſt am Freſſen und Saufen, durch Unruhe und vieles Brüllen. Die Brunſt hält nur einen halben Tag an, kehrt aber, wenn die Luſt nicht befriedigt wurde, oft wieder. Die Tragzeit währt gewöhnlich 285 Tage. Das Kalb erhebt ſich bald nach ſeiner Geburt auf die Füße und ſaugt ſchon am erſten Tage ſeines Lebens. Die Kuh bemuttert es, bis ſie wieder brünſtig wird. Bei der Geburt bringt das junge Rind acht Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des erſten Jahres wechſelt es die beiden mittelſten, ein Jahr ſpäter die beiden dieſen zunächſtſtehenden, nach Verlauf des zweiten Jahres das dritte Paar und ein Jahr ſpäter endlich die beiden letzten. Mit dem fünften Lebensjahre gilben ſich die anfänglich milchweißen Zähne, zwiſchen dem ſechszehnten und achtzehnten beginnen ſie auszufallen oder abzubrechen. Von dieſer Zeit an gibt die Kuh keine Milch mehr, und der Stier iſt zur Paarung kaum noch geeignet. Die Lebensdauer ſcheint fünfundzwanzig, höchſtens dreißig Jahre nicht zu überſteigen.
Verſchiedene Pflanzen im friſchen und getrockneten Zuſtande, Wicken, Erbſen, junges Getreide und ſaftiges Gras ſind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Flachs, Eibe, Waſſer- ſchierling, Läuſekraut, Binſen, Froſchlauch, Zeitloſe, Wolfsmilch, Eiſenhut, junges Eichenlaub und Wallnußblätter, naſſer Klee u. dgl. Peterſilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der Milcherzeugung entgegen. Thimian, Saalbreit, Hahnfuß, Wegerich werden im Nothfall gefreſſen, Früchte aller Art, Kartoffeln, Obſt und Möhren dagegen leidenſchaftlich gern. Salz iſt Bedürfniß. Eine erwachſene Kuh bedarf etwa täglich 20 bis 25, ein Ochs 30 bis 35 Pfund Futter. Erſtere verurſacht Dem, welcher alles Futter kauft, einen Koſtenaufwand von etwa 60 Thalern, bringt aber dafür etwa 80 Thaler ein. Noch beſſer verwerthet der Landwirth das Rind, wenn er es mäſtet, und zumal in der Neuzeit erzielt man durch geeignete Fütterung außerordentliche Erfolge. Das Rind gilt mit Recht als das einträglichſte aller Hausthiere.
Dreizehnte Ordnung. Vielhufer (Multungula).
Ein verfallendes Geſchlecht, die letzten Stammhalter einer vormals ſehr zahlreichen Abtheilung der Säugethiere, tritt vor uns in den Vielhufern oder Dickhäutern. Sie erſcheinen uns ſo recht eigentlich als lebende Zeichen früherer Schöpfungsabſchnitte, als auf uns Ueberkommene von längſt vergangenen Erdentagen. Die Rieſen aus anderen Ordnungen, welche neben ihnen in der Vorzeit lebten, ſind längſt geſtrichen aus dem Buche der Lebendigen; nur ſie noch gleichen den gewal-
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Die Vielhufer oder Dickhäuter.
die Seite, ſenkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindeſten Stolz, nicht
die Spur von Freude; auch ſie fängt ſogleich wieder zu graſen an. Die Heerkuh fühlt ſich frei-
lich größer, als jede andere. Man erkennt Dies aus ihrem feierlichen Schritt; auch geſtattet ſie
nicht, daß irgend eine andere Kuh ihr vorausgehe.‟
„Der Stier iſt viel vorzüglicher, als die geiſtigſte Kuh. Er hat weit mehr Körperkräfte,
ſchärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Muth, Gewandtheit, Naſchheit. Er ſchaut viel friſcher in die
Welt und ſieht mit Verſtand um ſich, er fühlt ſich als gewaltiger Beſchützer ſeiner Herde, geht auf
den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen leidet er nicht bei ſeiner Herde, er
ſtreitet mit ihm auf Leben und Tod.‟
Das Rind iſt im zweiten Jahre ſeines Lebens zeugungsfähig. Paarungstrieb verräth die Kuh
durch Unluſt am Freſſen und Saufen, durch Unruhe und vieles Brüllen. Die Brunſt hält nur
einen halben Tag an, kehrt aber, wenn die Luſt nicht befriedigt wurde, oft wieder. Die Tragzeit
währt gewöhnlich 285 Tage. Das Kalb erhebt ſich bald nach ſeiner Geburt auf die Füße und ſaugt
ſchon am erſten Tage ſeines Lebens. Die Kuh bemuttert es, bis ſie wieder brünſtig wird. Bei der
Geburt bringt das junge Rind acht Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des erſten
Jahres wechſelt es die beiden mittelſten, ein Jahr ſpäter die beiden dieſen zunächſtſtehenden, nach
Verlauf des zweiten Jahres das dritte Paar und ein Jahr ſpäter endlich die beiden letzten. Mit
dem fünften Lebensjahre gilben ſich die anfänglich milchweißen Zähne, zwiſchen dem ſechszehnten und
achtzehnten beginnen ſie auszufallen oder abzubrechen. Von dieſer Zeit an gibt die Kuh keine Milch
mehr, und der Stier iſt zur Paarung kaum noch geeignet. Die Lebensdauer ſcheint fünfundzwanzig,
höchſtens dreißig Jahre nicht zu überſteigen.
Verſchiedene Pflanzen im friſchen und getrockneten Zuſtande, Wicken, Erbſen, junges Getreide
und ſaftiges Gras ſind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Flachs, Eibe, Waſſer-
ſchierling, Läuſekraut, Binſen, Froſchlauch, Zeitloſe, Wolfsmilch, Eiſenhut, junges Eichenlaub
und Wallnußblätter, naſſer Klee u. dgl. Peterſilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der
Milcherzeugung entgegen. Thimian, Saalbreit, Hahnfuß, Wegerich werden im Nothfall gefreſſen,
Früchte aller Art, Kartoffeln, Obſt und Möhren dagegen leidenſchaftlich gern. Salz iſt Bedürfniß.
Eine erwachſene Kuh bedarf etwa täglich 20 bis 25, ein Ochs 30 bis 35 Pfund Futter. Erſtere
verurſacht Dem, welcher alles Futter kauft, einen Koſtenaufwand von etwa 60 Thalern, bringt
aber dafür etwa 80 Thaler ein. Noch beſſer verwerthet der Landwirth das Rind, wenn er es
mäſtet, und zumal in der Neuzeit erzielt man durch geeignete Fütterung außerordentliche Erfolge.
Das Rind gilt mit Recht als das einträglichſte aller Hausthiere.
Dreizehnte Ordnung.
Vielhufer (Multungula).
Ein verfallendes Geſchlecht, die letzten Stammhalter einer vormals ſehr zahlreichen Abtheilung
der Säugethiere, tritt vor uns in den Vielhufern oder Dickhäutern. Sie erſcheinen uns ſo
recht eigentlich als lebende Zeichen früherer Schöpfungsabſchnitte, als auf uns Ueberkommene von
längſt vergangenen Erdentagen. Die Rieſen aus anderen Ordnungen, welche neben ihnen in der
Vorzeit lebten, ſind längſt geſtrichen aus dem Buche der Lebendigen; nur ſie noch gleichen den gewal-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/718>, abgerufen am 23.11.2024.
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