er, "hat selbst der Jäger Ursache, auf seiner Hut zu sein. Unglaublich schnell kommt das Schwein gefahren, wenn es einen Menschen oder ein Thier annimmt. Mit seinem Gewehre versetzt es kräf- tige, gefährliche Schläge; aber selten hält es sich auf, und noch weniger kehrt es sich wieder um. Ver- liert man in solchen Fällen die Besinnung nicht, läßt man das Schwein ganz nahe heran und springt dann hinter einen Baum oder, wenn Dies nicht möglich ist, nur auf die Seite: so fährt es, weil es nicht gewandt ist, vorbei. Wer aber zu diesen Rettungsmitteln weder Zeit und Gelegenheit hat, Dem bleibt noch das auf die Erdewerfen übrig; denn der kämpfende Keuler kann immer nur nach oben, nie nach unten schlagen."
Die Bache wird nie so leicht zornig, als das Schwein, gibt diesem aber an Muth wenig nach. Zwar kann sie mit ihren Haken durch Schläge keine argen Verwundungen beibringen, sie wird aber, wenn sie einen Menschen annimmt, deshalb gefährlicher noch, als das Schwein, weil sie bei dem Gegenstand ihrer Wuth stehen bleibt, mit den Läufen auf ihm herum tritt und beißend ganze Stücken Fleisch losreißt. Hier ist dann das Niederwerfen ein sehr falsches Rettungsmittel, und dem Jäger bleibt, wenn er kein Schießgewehr hat, nur noch sein Hirschfänger übrig, auf welchen er, insofern er Kraft und Geschicklichkeit genug besitzt, die Bache auflaufen lassen muß. Selbst schwächere Sauen, ja sogar jährliche Frischlinge nehmen, wenn sie sehr in die Enge getrieben werden, zuweilen den Menschen an, ohne ihm jedoch Schaden zufügen zu können.
Wenn man die Gewehre eines hauenden oder groben Schweins betrachtet, begreift man, daß diese Waffen furchterregend sein können. Bei allen Schweinen zeichnen sich die Keuler durch ihre Ge- wehre vor den Bachen aus. Schon im zweiten Jahre erheben sich die Hauer aus dem Ober- und Unterkiefer, immer nach oben strebend. Beim dreijährigen Keuler verlängert sich das Untergewehr um Vieles mehr als das obere; es wächst schräg aufwärts und krümmt sich nach oben. Das obere krümmt sich gleich von dem Kiefer ab nach aufwärts, ist aber kaum halb so lang als jenes. Beide Hauzähne sind ganz weiß und glänzend, auch äußerst scharf und spitzig, und mit zunehmendem Alter werden sie durch beständiges Gegeneinanderreiben immer schärfer und spitzer. Je älter das Schwein wird, desto stärker krümmen sich bei immer zunehmender Länge und Stärke beide Gewehre. Beim Hauptschwein biegt sich das untere fast über dem Gebreche zusammen; dann bleibt ihm nur das weiter nach außen und aufwärtsstehende Obergewehr zum Streiten übrig. Die Schläge, welche das Thier mit diesen scharfen Zähnen ausführt, sind im höchsten Grade gefährlich und können tödtlich werden, wenn sie einen edleren Theil des Körpers treffen. Das anrennende Schwein setzt mit viel Geschick sein Gewehr unten in die Beine oder den Leib seines Feindes ein und reißt mit einem raschen Auf- und Zurückwerfen des Kopfes lange Wunden, welche tief genug sind, um an den Schenkeln eines Mannes durch alle Muskellagen bis auf den Knochen zu reichen oder alle Bauch- decken zu durchschneiden und die Eingeweide zu zerreißen. Letzteres geschieht gewöhnlich den an- greifenden Hunden. Starke Keuler springen auch an größeren Thieren in die Höhe und versetzen diesen furchtbare Schläge. So reißen sie den Pferden die Brust und den Bauch auf. Alte Haupt- schweine sind wegen ihrer stark nach innen gekrümmten unteren Gewehre weniger gefährlich, als sechs- und siebenjährige Hauptschweine.
Bei Gefahr leisten sich die Wildschweine gegenseitig Hilfe, und namentlich junge werden mit sehr viel Muth von den älteren vertheidigt. Bachen, welche noch kleine Frischlinge haben, gehören zu den gefährlichsten aller Thiere und lassen in der Verfolgung eines Kindesräubers nicht ab, bis dieser überwunden ist oder ihnen wenigstens ihre Jungen zurückgegeben hat.
Die Stimme des Wildschweins ähnelt der unseres zahmen Schweines in jeder Hinsicht. Bei ruhigem Gange vernimmt man das bekannte Grunzen, welches einen gewissen Grad von Gemüthlichkeit aus- drückt; im Schmerz hört man von Frischlingen und jährigen Keulern oder von den Bachen ein lautes Kreischen oder "Klagen", wie der Jäger sagt. Das Schwein dagegen gibt selbst bei den schmerzlich- sten Verwundungen nicht einen Laut von sich. Seine Stimme ist viel tiefer, als die der Bachen und
Das Wildſchwein.
er, „hat ſelbſt der Jäger Urſache, auf ſeiner Hut zu ſein. Unglaublich ſchnell kommt das Schwein gefahren, wenn es einen Menſchen oder ein Thier annimmt. Mit ſeinem Gewehre verſetzt es kräf- tige, gefährliche Schläge; aber ſelten hält es ſich auf, und noch weniger kehrt es ſich wieder um. Ver- liert man in ſolchen Fällen die Beſinnung nicht, läßt man das Schwein ganz nahe heran und ſpringt dann hinter einen Baum oder, wenn Dies nicht möglich iſt, nur auf die Seite: ſo fährt es, weil es nicht gewandt iſt, vorbei. Wer aber zu dieſen Rettungsmitteln weder Zeit und Gelegenheit hat, Dem bleibt noch das auf die Erdewerfen übrig; denn der kämpfende Keuler kann immer nur nach oben, nie nach unten ſchlagen.‟
Die Bache wird nie ſo leicht zornig, als das Schwein, gibt dieſem aber an Muth wenig nach. Zwar kann ſie mit ihren Haken durch Schläge keine argen Verwundungen beibringen, ſie wird aber, wenn ſie einen Menſchen annimmt, deshalb gefährlicher noch, als das Schwein, weil ſie bei dem Gegenſtand ihrer Wuth ſtehen bleibt, mit den Läufen auf ihm herum tritt und beißend ganze Stücken Fleiſch losreißt. Hier iſt dann das Niederwerfen ein ſehr falſches Rettungsmittel, und dem Jäger bleibt, wenn er kein Schießgewehr hat, nur noch ſein Hirſchfänger übrig, auf welchen er, inſofern er Kraft und Geſchicklichkeit genug beſitzt, die Bache auflaufen laſſen muß. Selbſt ſchwächere Sauen, ja ſogar jährliche Friſchlinge nehmen, wenn ſie ſehr in die Enge getrieben werden, zuweilen den Menſchen an, ohne ihm jedoch Schaden zufügen zu können.
Wenn man die Gewehre eines hauenden oder groben Schweins betrachtet, begreift man, daß dieſe Waffen furchterregend ſein können. Bei allen Schweinen zeichnen ſich die Keuler durch ihre Ge- wehre vor den Bachen aus. Schon im zweiten Jahre erheben ſich die Hauer aus dem Ober- und Unterkiefer, immer nach oben ſtrebend. Beim dreijährigen Keuler verlängert ſich das Untergewehr um Vieles mehr als das obere; es wächſt ſchräg aufwärts und krümmt ſich nach oben. Das obere krümmt ſich gleich von dem Kiefer ab nach aufwärts, iſt aber kaum halb ſo lang als jenes. Beide Hauzähne ſind ganz weiß und glänzend, auch äußerſt ſcharf und ſpitzig, und mit zunehmendem Alter werden ſie durch beſtändiges Gegeneinanderreiben immer ſchärfer und ſpitzer. Je älter das Schwein wird, deſto ſtärker krümmen ſich bei immer zunehmender Länge und Stärke beide Gewehre. Beim Hauptſchwein biegt ſich das untere faſt über dem Gebreche zuſammen; dann bleibt ihm nur das weiter nach außen und aufwärtsſtehende Obergewehr zum Streiten übrig. Die Schläge, welche das Thier mit dieſen ſcharfen Zähnen ausführt, ſind im höchſten Grade gefährlich und können tödtlich werden, wenn ſie einen edleren Theil des Körpers treffen. Das anrennende Schwein ſetzt mit viel Geſchick ſein Gewehr unten in die Beine oder den Leib ſeines Feindes ein und reißt mit einem raſchen Auf- und Zurückwerfen des Kopfes lange Wunden, welche tief genug ſind, um an den Schenkeln eines Mannes durch alle Muskellagen bis auf den Knochen zu reichen oder alle Bauch- decken zu durchſchneiden und die Eingeweide zu zerreißen. Letzteres geſchieht gewöhnlich den an- greifenden Hunden. Starke Keuler ſpringen auch an größeren Thieren in die Höhe und verſetzen dieſen furchtbare Schläge. So reißen ſie den Pferden die Bruſt und den Bauch auf. Alte Haupt- ſchweine ſind wegen ihrer ſtark nach innen gekrümmten unteren Gewehre weniger gefährlich, als ſechs- und ſiebenjährige Hauptſchweine.
Bei Gefahr leiſten ſich die Wildſchweine gegenſeitig Hilfe, und namentlich junge werden mit ſehr viel Muth von den älteren vertheidigt. Bachen, welche noch kleine Friſchlinge haben, gehören zu den gefährlichſten aller Thiere und laſſen in der Verfolgung eines Kindesräubers nicht ab, bis dieſer überwunden iſt oder ihnen wenigſtens ihre Jungen zurückgegeben hat.
Die Stimme des Wildſchweins ähnelt der unſeres zahmen Schweines in jeder Hinſicht. Bei ruhigem Gange vernimmt man das bekannte Grunzen, welches einen gewiſſen Grad von Gemüthlichkeit aus- drückt; im Schmerz hört man von Friſchlingen und jährigen Keulern oder von den Bachen ein lautes Kreiſchen oder „Klagen‟, wie der Jäger ſagt. Das Schwein dagegen gibt ſelbſt bei den ſchmerzlich- ſten Verwundungen nicht einen Laut von ſich. Seine Stimme iſt viel tiefer, als die der Bachen und
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Das Wildſchwein.
er, „hat ſelbſt der Jäger Urſache, auf ſeiner Hut zu ſein. Unglaublich ſchnell kommt das Schwein
gefahren, wenn es einen Menſchen oder ein Thier annimmt. Mit ſeinem Gewehre verſetzt es kräf-
tige, gefährliche Schläge; aber ſelten hält es ſich auf, und noch weniger kehrt es ſich wieder um. Ver-
liert man in ſolchen Fällen die Beſinnung nicht, läßt man das Schwein ganz nahe heran und ſpringt
dann hinter einen Baum oder, wenn Dies nicht möglich iſt, nur auf die Seite: ſo fährt es, weil es
nicht gewandt iſt, vorbei. Wer aber zu dieſen Rettungsmitteln weder Zeit und Gelegenheit hat,
Dem bleibt noch das auf die Erdewerfen übrig; denn der kämpfende Keuler kann immer nur nach
oben, nie nach unten ſchlagen.‟
Die Bache wird nie ſo leicht zornig, als das Schwein, gibt dieſem aber an Muth wenig nach.
Zwar kann ſie mit ihren Haken durch Schläge keine argen Verwundungen beibringen, ſie wird aber,
wenn ſie einen Menſchen annimmt, deshalb gefährlicher noch, als das Schwein, weil ſie bei dem
Gegenſtand ihrer Wuth ſtehen bleibt, mit den Läufen auf ihm herum tritt und beißend ganze Stücken
Fleiſch losreißt. Hier iſt dann das Niederwerfen ein ſehr falſches Rettungsmittel, und dem Jäger
bleibt, wenn er kein Schießgewehr hat, nur noch ſein Hirſchfänger übrig, auf welchen er, inſofern er
Kraft und Geſchicklichkeit genug beſitzt, die Bache auflaufen laſſen muß. Selbſt ſchwächere Sauen,
ja ſogar jährliche Friſchlinge nehmen, wenn ſie ſehr in die Enge getrieben werden, zuweilen den
Menſchen an, ohne ihm jedoch Schaden zufügen zu können.
Wenn man die Gewehre eines hauenden oder groben Schweins betrachtet, begreift man, daß
dieſe Waffen furchterregend ſein können. Bei allen Schweinen zeichnen ſich die Keuler durch ihre Ge-
wehre vor den Bachen aus. Schon im zweiten Jahre erheben ſich die Hauer aus dem Ober- und
Unterkiefer, immer nach oben ſtrebend. Beim dreijährigen Keuler verlängert ſich das Untergewehr
um Vieles mehr als das obere; es wächſt ſchräg aufwärts und krümmt ſich nach oben. Das obere
krümmt ſich gleich von dem Kiefer ab nach aufwärts, iſt aber kaum halb ſo lang als jenes. Beide
Hauzähne ſind ganz weiß und glänzend, auch äußerſt ſcharf und ſpitzig, und mit zunehmendem Alter
werden ſie durch beſtändiges Gegeneinanderreiben immer ſchärfer und ſpitzer. Je älter das Schwein
wird, deſto ſtärker krümmen ſich bei immer zunehmender Länge und Stärke beide Gewehre. Beim
Hauptſchwein biegt ſich das untere faſt über dem Gebreche zuſammen; dann bleibt ihm nur das
weiter nach außen und aufwärtsſtehende Obergewehr zum Streiten übrig. Die Schläge, welche
das Thier mit dieſen ſcharfen Zähnen ausführt, ſind im höchſten Grade gefährlich und können tödtlich
werden, wenn ſie einen edleren Theil des Körpers treffen. Das anrennende Schwein ſetzt mit
viel Geſchick ſein Gewehr unten in die Beine oder den Leib ſeines Feindes ein und reißt mit einem
raſchen Auf- und Zurückwerfen des Kopfes lange Wunden, welche tief genug ſind, um an den
Schenkeln eines Mannes durch alle Muskellagen bis auf den Knochen zu reichen oder alle Bauch-
decken zu durchſchneiden und die Eingeweide zu zerreißen. Letzteres geſchieht gewöhnlich den an-
greifenden Hunden. Starke Keuler ſpringen auch an größeren Thieren in die Höhe und verſetzen
dieſen furchtbare Schläge. So reißen ſie den Pferden die Bruſt und den Bauch auf. Alte Haupt-
ſchweine ſind wegen ihrer ſtark nach innen gekrümmten unteren Gewehre weniger gefährlich, als
ſechs- und ſiebenjährige Hauptſchweine.
Bei Gefahr leiſten ſich die Wildſchweine gegenſeitig Hilfe, und namentlich junge werden mit ſehr
viel Muth von den älteren vertheidigt. Bachen, welche noch kleine Friſchlinge haben, gehören zu
den gefährlichſten aller Thiere und laſſen in der Verfolgung eines Kindesräubers nicht ab, bis dieſer
überwunden iſt oder ihnen wenigſtens ihre Jungen zurückgegeben hat.
Die Stimme des Wildſchweins ähnelt der unſeres zahmen Schweines in jeder Hinſicht. Bei ruhigem
Gange vernimmt man das bekannte Grunzen, welches einen gewiſſen Grad von Gemüthlichkeit aus-
drückt; im Schmerz hört man von Friſchlingen und jährigen Keulern oder von den Bachen ein lautes
Kreiſchen oder „Klagen‟, wie der Jäger ſagt. Das Schwein dagegen gibt ſelbſt bei den ſchmerzlich-
ſten Verwundungen nicht einen Laut von ſich. Seine Stimme iſt viel tiefer, als die der Bachen und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 731. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/773>, abgerufen am 23.11.2024.
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