Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Das Wildschwein.
artet zuweilen in ein grollendes Brummen aus. Dies vernahm ich namentlich, wenn Hauptschweine zum Fraße gingen und in der Nähe unserer Versteckplätze Gefahr witterten.
Gegen Ende Novembers beginnt die Brunstzeit der Wildschweine. Sie währt etwa vier bis fünf, vielleicht auch sechs Wochen. Wenn Bachen, wie es zuweilen vorkommt, zweimal in einem Jahre brunsten und frischen, sind es wahrscheinlich solche, die von zahmen Schweinen abstammen und in irgend einem Forste ausgesetzt wurden; eigentlich wilde brunsten nur ein Mal im Jahre. Der Frisch- ling ist mit einem Alter von 18 bis 19 Monaten zur Fortpflanzung geeignet, und der weibliche brun- stet auch in dieser Zeit zum ersten Male; der männliche aber kommt nicht dazu, weil die groben Schweine ihn abschlagen. Sobald die Brunstzeit herannaht, nähern sich die bisher einsiedlerisch lebenden Hauptschweine dem Rudel, vertreiben die Keuler und laufen nun mit den Bachen umher, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Unter Gleichstarken kommt es zu heftigen und langdauernden Kämpfen. Die Schläge, welche sich die wackeren Streiter beibringen, sind aber selten tödtlich, weil sie fast alle auf die Gewehre und undurchdringlichen Schilder fallen. Bei Kämpen von gleicher Stärke bleibt natürlich der Erfolg des Streites unentschieden, und sie dulden sich dann zuletzt neben einander, ob- gleich selbstverständlich mit dem größten Widerstreben. "Verlassen und traurig," sagt Dietrich aus dem Winckell, "müssen während der Brunstzeit die Vertriebenen, zu geringzähligen, nur aus ihres Gleichen bestehenden Rudeln vereinigt, mit einander umherschweifen und wohl oder übel ihre Liebesbegierde unterdrücken, bis jene Alleinherrscher gesättigt und entnervt, ihnen freiwillig das Feld räumen und in die Einsamkeit zurückziehen. Doch bleibt auch noch diesem oder jenem Rüstigen unter der männlichen Jugend ein Blümchen zu pflücken übrig, welches ihnen das vorher Entbehrte schadlos hält." Sonderbar sind die Liebkosungen, welche die brünstigen Keuler und Schweine der Bache zukommen lassen. Sie stoßen diese nämlich unaufhörlich an alle Theile des Leibes mit ihrem Ge- breche und oft in recht unzarter Weise. Allein die keineswegs spröden Schönen verstehen den Werth solcher Liebkosungen gehörig zu schätzen und nehmen sie sehr gut auf. Selbst während des Beschlags, welcher eben höchst schwerfällig vor sich geht, erhält, wie unser eben genannter Gewährsmann sagt, die Ge- liebte noch sonderbare Beweise der Zärtlichkeit; denn vor lauter Entzücken beißt sie der Liebhaber so kräftig in den Hals, daß entweder ein großer Theil von Gefühllosigkeit oder ein Uebermaß von wonnevollen Gefühlen auf ihrer Seite dazu gehört, so Etwas ohne irgend ein Zeichen des Unbehagens zu ertragen. Achtzehn bis zwanzig Wochen nach der Brunst setzt die schwächere Bache 4 bis 6, die stärkere 11 bis 12 Frischlinge. Sie hat sich vorher im einsamen Dickicht ein mit Mos, Nadeln oder Laub ausgefüttertes Lager bereitet und hält die von ihr zärtlich geliebten Kinderchen die ersten vierzehn Tage sorgsam versteckt in diesem Lager, verläßt sie auch nur selten und blos auf kurze Zeit, um sich Fraß zu suchen. Dann führt sie das kleine Rudel aus, bricht ihnen vor, und die netten, munteren Thierchen wissen schon recht hübsch ihr Gebreche anzuwenden. Oft finden sich mehrere Bachen mit ihren Frischlingen zusammen und führen dann die junge Gesellschaft gemeinsam an. Dann kommt es auch vor, daß, wenn eine Bache zufällig ihr Leben verliert, die anderen die Führung der Verwaisten annehmen.
Ein Rudel dieser jungen, schön gezeichneten Thiere bietet einen ungemein erfreulichen An- blick. Die noch kleinen Frischlinge sind allerliebste Geschöpfe. Jhr Kleid steht ihnen vortreff- lich, und die Munterkeit und Beweglichkeit der Jugend bilden einen vollendeten Gegensatz zu der Trägheit und Langweiligkeit des Alters. Ernsthaft gehen die Bachen ihren Frischlingen voran, und diese trollen und laufen, quieken und grunzen hinter jenen drein, ohne Unterlaß sich zerstreuend und wieder sammelnd, hier ein wenig verweilend und brechend, einen plumpen Scherz versuchend und dann sich wieder sammelnd und nach der Alten hindrängend, sie umlagernd und zum Stillstehen zwingend, das Gesäuge sich erbittend und dann wieder lustig weiter trollend: so geht es während der ganzen Nacht fort, und bei Tage kann es die unruhige Gesellschaft im Kessel auch kaum aushalten und dreht und bewegt sich dort ohne Ende. "Nichts übersteigt den Muth und die Unerschrocken- heit," sagt Winckell, "womit eine rechte oder eine Pflegemutter ihre Familie im Nothfalle ver-
Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein.
artet zuweilen in ein grollendes Brummen aus. Dies vernahm ich namentlich, wenn Hauptſchweine zum Fraße gingen und in der Nähe unſerer Verſteckplätze Gefahr witterten.
Gegen Ende Novembers beginnt die Brunſtzeit der Wildſchweine. Sie währt etwa vier bis fünf, vielleicht auch ſechs Wochen. Wenn Bachen, wie es zuweilen vorkommt, zweimal in einem Jahre brunſten und friſchen, ſind es wahrſcheinlich ſolche, die von zahmen Schweinen abſtammen und in irgend einem Forſte ausgeſetzt wurden; eigentlich wilde brunſten nur ein Mal im Jahre. Der Friſch- ling iſt mit einem Alter von 18 bis 19 Monaten zur Fortpflanzung geeignet, und der weibliche brun- ſtet auch in dieſer Zeit zum erſten Male; der männliche aber kommt nicht dazu, weil die groben Schweine ihn abſchlagen. Sobald die Brunſtzeit herannaht, nähern ſich die bisher einſiedleriſch lebenden Hauptſchweine dem Rudel, vertreiben die Keuler und laufen nun mit den Bachen umher, bis ſie ihr Ziel erreicht haben. Unter Gleichſtarken kommt es zu heftigen und langdauernden Kämpfen. Die Schläge, welche ſich die wackeren Streiter beibringen, ſind aber ſelten tödtlich, weil ſie faſt alle auf die Gewehre und undurchdringlichen Schilder fallen. Bei Kämpen von gleicher Stärke bleibt natürlich der Erfolg des Streites unentſchieden, und ſie dulden ſich dann zuletzt neben einander, ob- gleich ſelbſtverſtändlich mit dem größten Widerſtreben. „Verlaſſen und traurig,‟ ſagt Dietrich aus dem Winckell, „müſſen während der Brunſtzeit die Vertriebenen, zu geringzähligen, nur aus ihres Gleichen beſtehenden Rudeln vereinigt, mit einander umherſchweifen und wohl oder übel ihre Liebesbegierde unterdrücken, bis jene Alleinherrſcher geſättigt und entnervt, ihnen freiwillig das Feld räumen und in die Einſamkeit zurückziehen. Doch bleibt auch noch dieſem oder jenem Rüſtigen unter der männlichen Jugend ein Blümchen zu pflücken übrig, welches ihnen das vorher Entbehrte ſchadlos hält.‟ Sonderbar ſind die Liebkoſungen, welche die brünſtigen Keuler und Schweine der Bache zukommen laſſen. Sie ſtoßen dieſe nämlich unaufhörlich an alle Theile des Leibes mit ihrem Ge- breche und oft in recht unzarter Weiſe. Allein die keineswegs ſpröden Schönen verſtehen den Werth ſolcher Liebkoſungen gehörig zu ſchätzen und nehmen ſie ſehr gut auf. Selbſt während des Beſchlags, welcher eben höchſt ſchwerfällig vor ſich geht, erhält, wie unſer eben genannter Gewährsmann ſagt, die Ge- liebte noch ſonderbare Beweiſe der Zärtlichkeit; denn vor lauter Entzücken beißt ſie der Liebhaber ſo kräftig in den Hals, daß entweder ein großer Theil von Gefühlloſigkeit oder ein Uebermaß von wonnevollen Gefühlen auf ihrer Seite dazu gehört, ſo Etwas ohne irgend ein Zeichen des Unbehagens zu ertragen. Achtzehn bis zwanzig Wochen nach der Brunſt ſetzt die ſchwächere Bache 4 bis 6, die ſtärkere 11 bis 12 Friſchlinge. Sie hat ſich vorher im einſamen Dickicht ein mit Mos, Nadeln oder Laub ausgefüttertes Lager bereitet und hält die von ihr zärtlich geliebten Kinderchen die erſten vierzehn Tage ſorgſam verſteckt in dieſem Lager, verläßt ſie auch nur ſelten und blos auf kurze Zeit, um ſich Fraß zu ſuchen. Dann führt ſie das kleine Rudel aus, bricht ihnen vor, und die netten, munteren Thierchen wiſſen ſchon recht hübſch ihr Gebreche anzuwenden. Oft finden ſich mehrere Bachen mit ihren Friſchlingen zuſammen und führen dann die junge Geſellſchaft gemeinſam an. Dann kommt es auch vor, daß, wenn eine Bache zufällig ihr Leben verliert, die anderen die Führung der Verwaiſten annehmen.
Ein Rudel dieſer jungen, ſchön gezeichneten Thiere bietet einen ungemein erfreulichen An- blick. Die noch kleinen Friſchlinge ſind allerliebſte Geſchöpfe. Jhr Kleid ſteht ihnen vortreff- lich, und die Munterkeit und Beweglichkeit der Jugend bilden einen vollendeten Gegenſatz zu der Trägheit und Langweiligkeit des Alters. Ernſthaft gehen die Bachen ihren Friſchlingen voran, und dieſe trollen und laufen, quieken und grunzen hinter jenen drein, ohne Unterlaß ſich zerſtreuend und wieder ſammelnd, hier ein wenig verweilend und brechend, einen plumpen Scherz verſuchend und dann ſich wieder ſammelnd und nach der Alten hindrängend, ſie umlagernd und zum Stillſtehen zwingend, das Geſäuge ſich erbittend und dann wieder luſtig weiter trollend: ſo geht es während der ganzen Nacht fort, und bei Tage kann es die unruhige Geſellſchaft im Keſſel auch kaum aushalten und dreht und bewegt ſich dort ohne Ende. „Nichts überſteigt den Muth und die Unerſchrocken- heit,‟ ſagt Winckell, „womit eine rechte oder eine Pflegemutter ihre Familie im Nothfalle ver-
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Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Das Wildſchwein.
artet zuweilen in ein grollendes Brummen aus. Dies vernahm ich namentlich, wenn Hauptſchweine
zum Fraße gingen und in der Nähe unſerer Verſteckplätze Gefahr witterten.
Gegen Ende Novembers beginnt die Brunſtzeit der Wildſchweine. Sie währt etwa vier bis fünf,
vielleicht auch ſechs Wochen. Wenn Bachen, wie es zuweilen vorkommt, zweimal in einem Jahre
brunſten und friſchen, ſind es wahrſcheinlich ſolche, die von zahmen Schweinen abſtammen und in
irgend einem Forſte ausgeſetzt wurden; eigentlich wilde brunſten nur ein Mal im Jahre. Der Friſch-
ling iſt mit einem Alter von 18 bis 19 Monaten zur Fortpflanzung geeignet, und der weibliche brun-
ſtet auch in dieſer Zeit zum erſten Male; der männliche aber kommt nicht dazu, weil die groben
Schweine ihn abſchlagen. Sobald die Brunſtzeit herannaht, nähern ſich die bisher einſiedleriſch
lebenden Hauptſchweine dem Rudel, vertreiben die Keuler und laufen nun mit den Bachen umher,
bis ſie ihr Ziel erreicht haben. Unter Gleichſtarken kommt es zu heftigen und langdauernden Kämpfen.
Die Schläge, welche ſich die wackeren Streiter beibringen, ſind aber ſelten tödtlich, weil ſie faſt alle
auf die Gewehre und undurchdringlichen Schilder fallen. Bei Kämpen von gleicher Stärke bleibt
natürlich der Erfolg des Streites unentſchieden, und ſie dulden ſich dann zuletzt neben einander, ob-
gleich ſelbſtverſtändlich mit dem größten Widerſtreben. „Verlaſſen und traurig,‟ ſagt Dietrich
aus dem Winckell, „müſſen während der Brunſtzeit die Vertriebenen, zu geringzähligen, nur
aus ihres Gleichen beſtehenden Rudeln vereinigt, mit einander umherſchweifen und wohl oder übel
ihre Liebesbegierde unterdrücken, bis jene Alleinherrſcher geſättigt und entnervt, ihnen freiwillig das
Feld räumen und in die Einſamkeit zurückziehen. Doch bleibt auch noch dieſem oder jenem Rüſtigen
unter der männlichen Jugend ein Blümchen zu pflücken übrig, welches ihnen das vorher Entbehrte
ſchadlos hält.‟ Sonderbar ſind die Liebkoſungen, welche die brünſtigen Keuler und Schweine der
Bache zukommen laſſen. Sie ſtoßen dieſe nämlich unaufhörlich an alle Theile des Leibes mit ihrem Ge-
breche und oft in recht unzarter Weiſe. Allein die keineswegs ſpröden Schönen verſtehen den Werth ſolcher
Liebkoſungen gehörig zu ſchätzen und nehmen ſie ſehr gut auf. Selbſt während des Beſchlags, welcher
eben höchſt ſchwerfällig vor ſich geht, erhält, wie unſer eben genannter Gewährsmann ſagt, die Ge-
liebte noch ſonderbare Beweiſe der Zärtlichkeit; denn vor lauter Entzücken beißt ſie der Liebhaber
ſo kräftig in den Hals, daß entweder ein großer Theil von Gefühlloſigkeit oder ein Uebermaß
von wonnevollen Gefühlen auf ihrer Seite dazu gehört, ſo Etwas ohne irgend ein Zeichen des
Unbehagens zu ertragen. Achtzehn bis zwanzig Wochen nach der Brunſt ſetzt die ſchwächere Bache
4 bis 6, die ſtärkere 11 bis 12 Friſchlinge. Sie hat ſich vorher im einſamen Dickicht ein mit Mos,
Nadeln oder Laub ausgefüttertes Lager bereitet und hält die von ihr zärtlich geliebten Kinderchen die
erſten vierzehn Tage ſorgſam verſteckt in dieſem Lager, verläßt ſie auch nur ſelten und blos auf kurze
Zeit, um ſich Fraß zu ſuchen. Dann führt ſie das kleine Rudel aus, bricht ihnen vor, und die netten,
munteren Thierchen wiſſen ſchon recht hübſch ihr Gebreche anzuwenden. Oft finden ſich mehrere
Bachen mit ihren Friſchlingen zuſammen und führen dann die junge Geſellſchaft gemeinſam an.
Dann kommt es auch vor, daß, wenn eine Bache zufällig ihr Leben verliert, die anderen die
Führung der Verwaiſten annehmen.
Ein Rudel dieſer jungen, ſchön gezeichneten Thiere bietet einen ungemein erfreulichen An-
blick. Die noch kleinen Friſchlinge ſind allerliebſte Geſchöpfe. Jhr Kleid ſteht ihnen vortreff-
lich, und die Munterkeit und Beweglichkeit der Jugend bilden einen vollendeten Gegenſatz zu der
Trägheit und Langweiligkeit des Alters. Ernſthaft gehen die Bachen ihren Friſchlingen voran,
und dieſe trollen und laufen, quieken und grunzen hinter jenen drein, ohne Unterlaß ſich zerſtreuend
und wieder ſammelnd, hier ein wenig verweilend und brechend, einen plumpen Scherz verſuchend
und dann ſich wieder ſammelnd und nach der Alten hindrängend, ſie umlagernd und zum Stillſtehen
zwingend, das Geſäuge ſich erbittend und dann wieder luſtig weiter trollend: ſo geht es während der
ganzen Nacht fort, und bei Tage kann es die unruhige Geſellſchaft im Keſſel auch kaum aushalten
und dreht und bewegt ſich dort ohne Ende. „Nichts überſteigt den Muth und die Unerſchrocken-
heit,‟ ſagt Winckell, „womit eine rechte oder eine Pflegemutter ihre Familie im Nothfalle ver-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/774>, abgerufen am 23.11.2024.
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