theidigt. Beim ersten Ausbruch des klagenden Lautes eines Frischlings eilt die Bache pfeilschnell heran. Keine Gefahr scheuend, geht sie blind auf jeden Feind los, und wäre es auch ein Mensch, der ihr ein Kind rauben wollte. Ein Mann, welcher einst beim Spazierenreiten ganz junge Frischlinge fand, wollte einen davon mit nach Hause nehmen. Kaum begann dieser, den er aufheben und aufs Pferd bringen wollte, zu klagen, als die Bache heranstürzte, ihn, so sehr er sich auch zu entfernen eilte, unaufhörlich verfolgte, wüthend am Pferde in die Höhe sprang und mit offenem Gebrech ihm nach den Füßen fuhr. Endlich warf er den Frischling herunter. Behutsam nahm die zärtliche Alte ihr gerettetes Kind ins Gebreche und trug es zur übrigen Familie zurück."
Das Lebensalter, welches die Wildschweine erreichen, schätzt man auf 20 bis 30 Jahre. Ein zahmes Schwein wird niemals so alt; denn der Mangel an Freiheit und an zusagendem Fraße ver- kürzen ihm sein Leben auffallend. Die Wildschweine sind auch nur wenigen Krankheiten ausgesetzt. Blos außerordentlich strenge Kälte mit tiefem Schnee, welcher ihnen das Brechen und das Auffin- den der Nahrung unmöglich macht oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen verletzt, werden Ursache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Der Wolf und der Luchs, auch wohl der schlaue Fuchs, welcher wenigstens einen kleinen Frischling weg- zufangen wagt, sind bei uns zu Lande die Hauptseinde des Wildschweins. Jn den südlicheren Ge- genden stellen auch die größeren Katzen mit Eifer dem fetten Wildpret nach. Der größte Feind des Thieres ist aber wiederum der Mensch; denn die Jagd des Wildschweins hat seit allen Zeiten als ein ritterliches, hoch geachtetes Vergnügen gegolten, und jeder echte Jäger setzt noch heutzutage gern sein Leben ein, wenn es gilt, einem Wildschweine in der uralten Jagdweise gegenüberzutreten. Ge- genwärtig ist die Jagd bei uns freilich mehr zu einer Spielerei geworden, als zu einem Kampfe mit den wüthenden und gefährlichen Keulern oder Ebern; denn die hohen Herren, welche jetzt die Jagd betreiben, dürfen das ihren Unterthanen so theure Leben selbstverständlich nicht leichtsinnig auf das Spiel setzen. Sie sichern sich deshalb soviel als möglich, schießen von der Kanzel herab auf die ihnen zugetriebenen Keuler und überlassen etwaige Gefahren allergnädigst den Jägern und Treibern. Von ritterlichen Kämpfen zwischen den Jägern und ihrem Wild ist bei der jetzigen Jagdweise keine Rede mehr. Höchstens einer oder der andere von den Hunden, welcher verwundet wird, oder ein unbedeu- tender Bauer und Jagdgehilfe büßt noch sein Leben dabei ein. Zu alten Zeiten war es freilich anders, zumal damals, wo noch die Armbrust und die "Schweinsfeder" oder das Fangeisen die gebräuchlichen Jagdwaffen waren. Die Schweinsfedern, ein Spieß mit breiter, zweischneidiger Stahlspitze und drei Zoll langen Haken am Ende des zwölf- bis vierzehnzölligen Eisens, wurden be- nutzt, um das zornige Wildschwein beim Anrennen auf den Jäger abzufangen. Man stellte sich dem Schweine entgegen, indem man mit der rechten Hand das Ende des hölzernen Stiels fest an den Leib andrückte, mit der linken aber dem Eisen die Richtung zu geben versuchte. Sobald nun das blind- wüthende Thier heranschoß, richtete man das Eisen so, daß die Spitze ihm auf den Unterhals oberhalb des Brustbeins zu stehen kam, und der Stoß des anrennenden Schweins war dann auch regelmäßig so heftig, daß die ganze Spitze bis zu den Haken, welche das weitere Eindringen ver- hüteten, dem Wildschweine in die Brust fuhr, bei richtigem Gebrauch der Waffe ihm das Herz durchbohrend. Schwächere Sauen ließ man nur auf den Hirschfänger anlaufen. Man setzte diesen, das Heft mit der rechten Hand gefaßt, über dem rechten, etwas gebogenen Knie an, wobei man den Körper auf den linken, hinterwärts angesetzten Fuß stützte. Um die Sauen zu reizen, rief man ihnen die Worte "Huß Sau!" zu, und augenblicklich rannten sie dann blind auf den mörderischen Stahl ein.
Es versteht sich von selbst, daß diese Jagdart ebensoviel Muth als Geschick erforderte, wenn es dem Jäger nicht schlimm ergehen sollte; und eben aus diesem Grunde ist sie jetzt bei uns abgekom- men. Jn allen südlicheren Ländern aber wird sie noch vielfach angewandt, wenn auch mit einigen Abänderungen. Die Beduinen der Sahara und die indischen Jäger betreiben ihre Jagd zu Pferde und stoßen dem anrennenden Schweine von oben herab scharfe Lanzen durch den Leib.
Das Wildſchwein.
theidigt. Beim erſten Ausbruch des klagenden Lautes eines Friſchlings eilt die Bache pfeilſchnell heran. Keine Gefahr ſcheuend, geht ſie blind auf jeden Feind los, und wäre es auch ein Menſch, der ihr ein Kind rauben wollte. Ein Mann, welcher einſt beim Spazierenreiten ganz junge Friſchlinge fand, wollte einen davon mit nach Hauſe nehmen. Kaum begann dieſer, den er aufheben und aufs Pferd bringen wollte, zu klagen, als die Bache heranſtürzte, ihn, ſo ſehr er ſich auch zu entfernen eilte, unaufhörlich verfolgte, wüthend am Pferde in die Höhe ſprang und mit offenem Gebrech ihm nach den Füßen fuhr. Endlich warf er den Friſchling herunter. Behutſam nahm die zärtliche Alte ihr gerettetes Kind ins Gebreche und trug es zur übrigen Familie zurück.‟
Das Lebensalter, welches die Wildſchweine erreichen, ſchätzt man auf 20 bis 30 Jahre. Ein zahmes Schwein wird niemals ſo alt; denn der Mangel an Freiheit und an zuſagendem Fraße ver- kürzen ihm ſein Leben auffallend. Die Wildſchweine ſind auch nur wenigen Krankheiten ausgeſetzt. Blos außerordentlich ſtrenge Kälte mit tiefem Schnee, welcher ihnen das Brechen und das Auffin- den der Nahrung unmöglich macht oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen verletzt, werden Urſache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Der Wolf und der Luchs, auch wohl der ſchlaue Fuchs, welcher wenigſtens einen kleinen Friſchling weg- zufangen wagt, ſind bei uns zu Lande die Hauptſeinde des Wildſchweins. Jn den ſüdlicheren Ge- genden ſtellen auch die größeren Katzen mit Eifer dem fetten Wildpret nach. Der größte Feind des Thieres iſt aber wiederum der Menſch; denn die Jagd des Wildſchweins hat ſeit allen Zeiten als ein ritterliches, hoch geachtetes Vergnügen gegolten, und jeder echte Jäger ſetzt noch heutzutage gern ſein Leben ein, wenn es gilt, einem Wildſchweine in der uralten Jagdweiſe gegenüberzutreten. Ge- genwärtig iſt die Jagd bei uns freilich mehr zu einer Spielerei geworden, als zu einem Kampfe mit den wüthenden und gefährlichen Keulern oder Ebern; denn die hohen Herren, welche jetzt die Jagd betreiben, dürfen das ihren Unterthanen ſo theure Leben ſelbſtverſtändlich nicht leichtſinnig auf das Spiel ſetzen. Sie ſichern ſich deshalb ſoviel als möglich, ſchießen von der Kanzel herab auf die ihnen zugetriebenen Keuler und überlaſſen etwaige Gefahren allergnädigſt den Jägern und Treibern. Von ritterlichen Kämpfen zwiſchen den Jägern und ihrem Wild iſt bei der jetzigen Jagdweiſe keine Rede mehr. Höchſtens einer oder der andere von den Hunden, welcher verwundet wird, oder ein unbedeu- tender Bauer und Jagdgehilfe büßt noch ſein Leben dabei ein. Zu alten Zeiten war es freilich anders, zumal damals, wo noch die Armbruſt und die „Schweinsfeder‟ oder das Fangeiſen die gebräuchlichen Jagdwaffen waren. Die Schweinsfedern, ein Spieß mit breiter, zweiſchneidiger Stahlſpitze und drei Zoll langen Haken am Ende des zwölf- bis vierzehnzölligen Eiſens, wurden be- nutzt, um das zornige Wildſchwein beim Anrennen auf den Jäger abzufangen. Man ſtellte ſich dem Schweine entgegen, indem man mit der rechten Hand das Ende des hölzernen Stiels feſt an den Leib andrückte, mit der linken aber dem Eiſen die Richtung zu geben verſuchte. Sobald nun das blind- wüthende Thier heranſchoß, richtete man das Eiſen ſo, daß die Spitze ihm auf den Unterhals oberhalb des Bruſtbeins zu ſtehen kam, und der Stoß des anrennenden Schweins war dann auch regelmäßig ſo heftig, daß die ganze Spitze bis zu den Haken, welche das weitere Eindringen ver- hüteten, dem Wildſchweine in die Bruſt fuhr, bei richtigem Gebrauch der Waffe ihm das Herz durchbohrend. Schwächere Sauen ließ man nur auf den Hirſchfänger anlaufen. Man ſetzte dieſen, das Heft mit der rechten Hand gefaßt, über dem rechten, etwas gebogenen Knie an, wobei man den Körper auf den linken, hinterwärts angeſetzten Fuß ſtützte. Um die Sauen zu reizen, rief man ihnen die Worte „Huß Sau!‟ zu, und augenblicklich rannten ſie dann blind auf den mörderiſchen Stahl ein.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Jagdart ebenſoviel Muth als Geſchick erforderte, wenn es dem Jäger nicht ſchlimm ergehen ſollte; und eben aus dieſem Grunde iſt ſie jetzt bei uns abgekom- men. Jn allen ſüdlicheren Ländern aber wird ſie noch vielfach angewandt, wenn auch mit einigen Abänderungen. Die Beduinen der Sahara und die indiſchen Jäger betreiben ihre Jagd zu Pferde und ſtoßen dem anrennenden Schweine von oben herab ſcharfe Lanzen durch den Leib.
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Das Wildſchwein.
theidigt. Beim erſten Ausbruch des klagenden Lautes eines Friſchlings eilt die Bache pfeilſchnell
heran. Keine Gefahr ſcheuend, geht ſie blind auf jeden Feind los, und wäre es auch ein Menſch, der
ihr ein Kind rauben wollte. Ein Mann, welcher einſt beim Spazierenreiten ganz junge Friſchlinge
fand, wollte einen davon mit nach Hauſe nehmen. Kaum begann dieſer, den er aufheben und aufs
Pferd bringen wollte, zu klagen, als die Bache heranſtürzte, ihn, ſo ſehr er ſich auch zu entfernen
eilte, unaufhörlich verfolgte, wüthend am Pferde in die Höhe ſprang und mit offenem Gebrech ihm
nach den Füßen fuhr. Endlich warf er den Friſchling herunter. Behutſam nahm die zärtliche Alte
ihr gerettetes Kind ins Gebreche und trug es zur übrigen Familie zurück.‟
Das Lebensalter, welches die Wildſchweine erreichen, ſchätzt man auf 20 bis 30 Jahre. Ein
zahmes Schwein wird niemals ſo alt; denn der Mangel an Freiheit und an zuſagendem Fraße ver-
kürzen ihm ſein Leben auffallend. Die Wildſchweine ſind auch nur wenigen Krankheiten ausgeſetzt.
Blos außerordentlich ſtrenge Kälte mit tiefem Schnee, welcher ihnen das Brechen und das Auffin-
den der Nahrung unmöglich macht oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen
verletzt, werden Urſache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Der
Wolf und der Luchs, auch wohl der ſchlaue Fuchs, welcher wenigſtens einen kleinen Friſchling weg-
zufangen wagt, ſind bei uns zu Lande die Hauptſeinde des Wildſchweins. Jn den ſüdlicheren Ge-
genden ſtellen auch die größeren Katzen mit Eifer dem fetten Wildpret nach. Der größte Feind
des Thieres iſt aber wiederum der Menſch; denn die Jagd des Wildſchweins hat ſeit allen Zeiten als
ein ritterliches, hoch geachtetes Vergnügen gegolten, und jeder echte Jäger ſetzt noch heutzutage gern
ſein Leben ein, wenn es gilt, einem Wildſchweine in der uralten Jagdweiſe gegenüberzutreten. Ge-
genwärtig iſt die Jagd bei uns freilich mehr zu einer Spielerei geworden, als zu einem Kampfe mit
den wüthenden und gefährlichen Keulern oder Ebern; denn die hohen Herren, welche jetzt die Jagd
betreiben, dürfen das ihren Unterthanen ſo theure Leben ſelbſtverſtändlich nicht leichtſinnig auf das
Spiel ſetzen. Sie ſichern ſich deshalb ſoviel als möglich, ſchießen von der Kanzel herab auf die ihnen
zugetriebenen Keuler und überlaſſen etwaige Gefahren allergnädigſt den Jägern und Treibern. Von
ritterlichen Kämpfen zwiſchen den Jägern und ihrem Wild iſt bei der jetzigen Jagdweiſe keine Rede
mehr. Höchſtens einer oder der andere von den Hunden, welcher verwundet wird, oder ein unbedeu-
tender Bauer und Jagdgehilfe büßt noch ſein Leben dabei ein. Zu alten Zeiten war es freilich anders,
zumal damals, wo noch die Armbruſt und die „Schweinsfeder‟ oder das Fangeiſen die
gebräuchlichen Jagdwaffen waren. Die Schweinsfedern, ein Spieß mit breiter, zweiſchneidiger
Stahlſpitze und drei Zoll langen Haken am Ende des zwölf- bis vierzehnzölligen Eiſens, wurden be-
nutzt, um das zornige Wildſchwein beim Anrennen auf den Jäger abzufangen. Man ſtellte ſich dem
Schweine entgegen, indem man mit der rechten Hand das Ende des hölzernen Stiels feſt an den Leib
andrückte, mit der linken aber dem Eiſen die Richtung zu geben verſuchte. Sobald nun das blind-
wüthende Thier heranſchoß, richtete man das Eiſen ſo, daß die Spitze ihm auf den Unterhals
oberhalb des Bruſtbeins zu ſtehen kam, und der Stoß des anrennenden Schweins war dann auch
regelmäßig ſo heftig, daß die ganze Spitze bis zu den Haken, welche das weitere Eindringen ver-
hüteten, dem Wildſchweine in die Bruſt fuhr, bei richtigem Gebrauch der Waffe ihm das Herz
durchbohrend. Schwächere Sauen ließ man nur auf den Hirſchfänger anlaufen. Man ſetzte dieſen,
das Heft mit der rechten Hand gefaßt, über dem rechten, etwas gebogenen Knie an, wobei man den
Körper auf den linken, hinterwärts angeſetzten Fuß ſtützte. Um die Sauen zu reizen, rief man
ihnen die Worte „Huß Sau!‟ zu, und augenblicklich rannten ſie dann blind auf den mörderiſchen
Stahl ein.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe Jagdart ebenſoviel Muth als Geſchick erforderte, wenn es
dem Jäger nicht ſchlimm ergehen ſollte; und eben aus dieſem Grunde iſt ſie jetzt bei uns abgekom-
men. Jn allen ſüdlicheren Ländern aber wird ſie noch vielfach angewandt, wenn auch mit einigen
Abänderungen. Die Beduinen der Sahara und die indiſchen Jäger betreiben ihre Jagd zu
Pferde und ſtoßen dem anrennenden Schweine von oben herab ſcharfe Lanzen durch den Leib.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/775>, abgerufen am 23.11.2024.
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