einige dieser Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Werkzeug zu schützen. Auf der Oberseite des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel ist die Färbung des Pelzes, ein Gemisch von Grau und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz schwarz, andere an der Spitze weiß- grau sind. Die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher sich vom Nacken gegen die Vorderbeine zieht, sind entweder ebenso gefärbt, als die Oberseite, oder röthlichkastanienbraun. Das Gesicht ist vorn schwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbusch hinter demselben dunkelbraun. Auf der ganzen Unterseite hat der Pelz eine schmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes etwas heller wird. Die Flatterhaut ist oben schwarzbraun bis kastanienbraun, lichtaschgrau geran- det, die Unterseite ist grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine sind röthlichkastanienbraun oder röthlichschwarz. Der Schwanz ist gewöhnlich schwarz.
Das Festland von Ostindien, und zwar Malabar und Malacca, sowie Siam sind die aus- schließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainseln vorkommenden Flugeichhörner sind zwar ihm sehr verwandte, aber doch hinreichend von ihm unterschiedene Arten. Der Taguan lebt nur in den dichtesten Wäldern und beständig auf Bäumen, einzeln oder paarweise mit seinem Weibchen. Bei Tage schläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und springt mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher, oder in sehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er seine Füße wagrecht und spannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallschirm aus. Der Schwanz wird als Steuerruder benutzt, und das Thier ist, wie die Affen, fähig, durch plötzliches Wen- den die Richtung seines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man versichert, daß die Schnelligkeit seiner Sprünge, wie überhaupt seiner Bewegungen, außerordentlich groß sei, und daß ihm das Auge kaum folgen könne. Unter seinen Sinnen sind Gehör und Gesicht ziemlich ausgebildet, die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. Jn seinem geistigen Wesen unterscheidet er sich wesentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verstand und ist noch viel furcht- samer und scheuer, als seine den Tag liebenden Verwandten. Das geringste Geräusch erfüllt ihn mit Entsetzen und bewegt ihn zur eiligsten Flucht. Jn Folge dieser Vorsicht und Scheu sichert er sich so ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere aus unserer Klasse; den größeren Eulen aber mag er oft genug zum Opfer fallen, sie fangen ihn, trotz seines raschen Fluges, mitten im Sprunge, und ihnen gegenüber ist das überhaupt sehr harmlose und schwache Thier vollkommen wehrlos.
Bei der Seltenheit des Taguan fehlen noch genauere Beobachtungen über sein Leben. Die wenigsten Reisenden thun seiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wissen nur sehr kärglich über ihn zu erzählen. Jn der Gefangenschaft ist er langweilig. Er fordert eine sorgfältige Pflege, ist schüchtern, schläft bei Tage und lärmt bei Nacht um so ärger in seinem Käfig umher, zernagt alles Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, und geht nach wenigen Tagen oder Wochen regel- mäßig zu Grunde, selbst, wenn man ihm soviel als möglich die passendste Nahrung reicht. So ist es erklärlich, daß er noch niemals lebend nach Europa gekommen ist.
Jn den benachbarten Ländern wohnen dem Taguan ähnliche Arten, der Norden dagegen be- herbergt die eigentlichen Flattereichhörnchen (Sciuropterus) mit zweizeiligem, behaarten, langen, buschigen Schwanze. Von ihnen besitzen auch wir eine Art, das gemeine Flattereich- hörnchen oder die Ljutaga der Russen (Sciuropterus sibiricus). Es bewohnt noch gegenwärtig den nördlichen Theil von Osteuropa und fast ganz Sibirien, war aber früher auch in Polen, Li- thauen, Liefland, Finnland und Lappland zu finden. Das Thier ist bedeutend kleiner, als unser echtes Eichhörnchen. Sein Leib mißt blos sechs Zoll in die Länge, der Schwanz nur drei Zoll zehn Linien, oder mit den Haaren fünf Zoll. Die Höhe am Widerrist beträgt blos zwei Zoll, und das Gewicht eines erwachsenen Thieres übersteigt selten elf Loth.
Brehm, Thierleben. II. 5
Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.
einige dieſer Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Werkzeug zu ſchützen. Auf der Oberſeite des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel iſt die Färbung des Pelzes, ein Gemiſch von Grau und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz ſchwarz, andere an der Spitze weiß- grau ſind. Die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher ſich vom Nacken gegen die Vorderbeine zieht, ſind entweder ebenſo gefärbt, als die Oberſeite, oder röthlichkaſtanienbraun. Das Geſicht iſt vorn ſchwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbuſch hinter demſelben dunkelbraun. Auf der ganzen Unterſeite hat der Pelz eine ſchmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes etwas heller wird. Die Flatterhaut iſt oben ſchwarzbraun bis kaſtanienbraun, lichtaſchgrau geran- det, die Unterſeite iſt grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine ſind röthlichkaſtanienbraun oder röthlichſchwarz. Der Schwanz iſt gewöhnlich ſchwarz.
Das Feſtland von Oſtindien, und zwar Malabar und Malacca, ſowie Siam ſind die aus- ſchließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainſeln vorkommenden Flugeichhörner ſind zwar ihm ſehr verwandte, aber doch hinreichend von ihm unterſchiedene Arten. Der Taguan lebt nur in den dichteſten Wäldern und beſtändig auf Bäumen, einzeln oder paarweiſe mit ſeinem Weibchen. Bei Tage ſchläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und ſpringt mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher, oder in ſehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er ſeine Füße wagrecht und ſpannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallſchirm aus. Der Schwanz wird als Steuerruder benutzt, und das Thier iſt, wie die Affen, fähig, durch plötzliches Wen- den die Richtung ſeines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man verſichert, daß die Schnelligkeit ſeiner Sprünge, wie überhaupt ſeiner Bewegungen, außerordentlich groß ſei, und daß ihm das Auge kaum folgen könne. Unter ſeinen Sinnen ſind Gehör und Geſicht ziemlich ausgebildet, die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. Jn ſeinem geiſtigen Weſen unterſcheidet er ſich weſentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verſtand und iſt noch viel furcht- ſamer und ſcheuer, als ſeine den Tag liebenden Verwandten. Das geringſte Geräuſch erfüllt ihn mit Entſetzen und bewegt ihn zur eiligſten Flucht. Jn Folge dieſer Vorſicht und Scheu ſichert er ſich ſo ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere aus unſerer Klaſſe; den größeren Eulen aber mag er oft genug zum Opfer fallen, ſie fangen ihn, trotz ſeines raſchen Fluges, mitten im Sprunge, und ihnen gegenüber iſt das überhaupt ſehr harmloſe und ſchwache Thier vollkommen wehrlos.
Bei der Seltenheit des Taguan fehlen noch genauere Beobachtungen über ſein Leben. Die wenigſten Reiſenden thun ſeiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wiſſen nur ſehr kärglich über ihn zu erzählen. Jn der Gefangenſchaft iſt er langweilig. Er fordert eine ſorgfältige Pflege, iſt ſchüchtern, ſchläft bei Tage und lärmt bei Nacht um ſo ärger in ſeinem Käfig umher, zernagt alles Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, und geht nach wenigen Tagen oder Wochen regel- mäßig zu Grunde, ſelbſt, wenn man ihm ſoviel als möglich die paſſendſte Nahrung reicht. So iſt es erklärlich, daß er noch niemals lebend nach Europa gekommen iſt.
Jn den benachbarten Ländern wohnen dem Taguan ähnliche Arten, der Norden dagegen be- herbergt die eigentlichen Flattereichhörnchen (Sciuropterus) mit zweizeiligem, behaarten, langen, buſchigen Schwanze. Von ihnen beſitzen auch wir eine Art, das gemeine Flattereich- hörnchen oder die Ljutaga der Ruſſen (Sciuropterus sibiricus). Es bewohnt noch gegenwärtig den nördlichen Theil von Oſteuropa und faſt ganz Sibirien, war aber früher auch in Polen, Li- thauen, Liefland, Finnland und Lappland zu finden. Das Thier iſt bedeutend kleiner, als unſer echtes Eichhörnchen. Sein Leib mißt blos ſechs Zoll in die Länge, der Schwanz nur drei Zoll zehn Linien, oder mit den Haaren fünf Zoll. Die Höhe am Widerriſt beträgt blos zwei Zoll, und das Gewicht eines erwachſenen Thieres überſteigt ſelten elf Loth.
Brehm, Thierleben. II. 5
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[65/0079]
Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.
einige dieſer Fühlhörner über den Augen, um das wichtige Werkzeug zu ſchützen. Auf der Oberſeite
des Kopfes, dem Rücken und an der Schwanzwurzel iſt die Färbung des Pelzes, ein Gemiſch von Grau
und Schwarz, dadurch hervorgebracht, daß einzelne Haare ganz ſchwarz, andere an der Spitze weiß-
grau ſind. Die Seiten des Kopfes und der Streifen, welcher ſich vom Nacken gegen die Vorderbeine
zieht, ſind entweder ebenſo gefärbt, als die Oberſeite, oder röthlichkaſtanienbraun. Das Geſicht
iſt vorn ſchwarz, das Ohr hellbraun, und der Hauptbuſch hinter demſelben dunkelbraun. Auf der
ganzen Unterſeite hat der Pelz eine ſchmuzig weißgraue Färbung, welche in der Mitte des Leibes
etwas heller wird. Die Flatterhaut iſt oben ſchwarzbraun bis kaſtanienbraun, lichtaſchgrau geran-
det, die Unterſeite iſt grau, etwas ins Gelbliche fallend. Die Beine ſind röthlichkaſtanienbraun oder
röthlichſchwarz. Der Schwanz iſt gewöhnlich ſchwarz.
Das Feſtland von Oſtindien, und zwar Malabar und Malacca, ſowie Siam ſind die aus-
ſchließliche Heimat des Taguans; denn die auf den Sundainſeln vorkommenden Flugeichhörner ſind
zwar ihm ſehr verwandte, aber doch hinreichend von ihm unterſchiedene Arten. Der Taguan lebt
nur in den dichteſten Wäldern und beſtändig auf Bäumen, einzeln oder paarweiſe mit ſeinem
Weibchen. Bei Tage ſchläft er in hohlen Bäumen, nachts kommt er hervor und klettert und ſpringt
mit außerordentlicher Schnelligkeit, Gewandtheit und Sicherheit in den Baumkronen umher, oder in
ſehr weiten Sätzen nach benachbarten Bäumen, immer von oben nach unten. Dabei breitet er ſeine
Füße wagrecht und ſpannt hierdurch die Flatterhaut zu einem weiten Fallſchirm aus. Der Schwanz
wird als Steuerruder benutzt, und das Thier iſt, wie die Affen, fähig, durch plötzliches Wen-
den die Richtung ſeines Fluges mitten im Sprunge zu verändern. Man verſichert, daß die
Schnelligkeit ſeiner Sprünge, wie überhaupt ſeiner Bewegungen, außerordentlich groß ſei, und daß
ihm das Auge kaum folgen könne. Unter ſeinen Sinnen ſind Gehör und Geſicht ziemlich ausgebildet,
die übrigen aber weit unvollkommener entwickelt. Jn ſeinem geiſtigen Weſen unterſcheidet er ſich
weſentlich von den eigentlichen Eichhörnchen. Er hat weit weniger Verſtand und iſt noch viel furcht-
ſamer und ſcheuer, als ſeine den Tag liebenden Verwandten. Das geringſte Geräuſch erfüllt ihn
mit Entſetzen und bewegt ihn zur eiligſten Flucht. Jn Folge dieſer Vorſicht und Scheu ſichert er ſich
ſo ziemlich vor den Angriffen der kletternden Raubthiere aus unſerer Klaſſe; den größeren Eulen
aber mag er oft genug zum Opfer fallen, ſie fangen ihn, trotz ſeines raſchen Fluges, mitten im
Sprunge, und ihnen gegenüber iſt das überhaupt ſehr harmloſe und ſchwache Thier vollkommen
wehrlos.
Bei der Seltenheit des Taguan fehlen noch genauere Beobachtungen über ſein Leben. Die
wenigſten Reiſenden thun ſeiner Erwähnung, und auch die Eingeborenen wiſſen nur ſehr kärglich über
ihn zu erzählen. Jn der Gefangenſchaft iſt er langweilig. Er fordert eine ſorgfältige Pflege, iſt
ſchüchtern, ſchläft bei Tage und lärmt bei Nacht um ſo ärger in ſeinem Käfig umher, zernagt alles
Holzwerk, welches ihm den Ausgang hindert, und geht nach wenigen Tagen oder Wochen regel-
mäßig zu Grunde, ſelbſt, wenn man ihm ſoviel als möglich die paſſendſte Nahrung reicht. So iſt
es erklärlich, daß er noch niemals lebend nach Europa gekommen iſt.
Jn den benachbarten Ländern wohnen dem Taguan ähnliche Arten, der Norden dagegen be-
herbergt die eigentlichen Flattereichhörnchen (Sciuropterus) mit zweizeiligem, behaarten, langen,
buſchigen Schwanze. Von ihnen beſitzen auch wir eine Art, das gemeine Flattereich-
hörnchen oder die Ljutaga der Ruſſen (Sciuropterus sibiricus). Es bewohnt noch gegenwärtig
den nördlichen Theil von Oſteuropa und faſt ganz Sibirien, war aber früher auch in Polen, Li-
thauen, Liefland, Finnland und Lappland zu finden. Das Thier iſt bedeutend kleiner, als unſer
echtes Eichhörnchen. Sein Leib mißt blos ſechs Zoll in die Länge, der Schwanz nur drei Zoll zehn
Linien, oder mit den Haaren fünf Zoll. Die Höhe am Widerriſt beträgt blos zwei Zoll, und das
Gewicht eines erwachſenen Thieres überſteigt ſelten elf Loth.
Brehm, Thierleben. II. 5
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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