Jn der Gestalt kommt das Flattereichhorn ganz mit seinen großen indischen Verwandten überein, und, wie schon oben bemerkt, unterscheidet es wesentlich nur die Behaarung seines Schwanzes und die Bildung der Backenzähne. Der Pelz ist dicht und weichhaarig, im Sommer auf der Oberseite fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenseite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am Schwanze oben fahlgrau, unten lichtrostfarbig. Alle Haare der Oberseite sind im Grunde schwarz- grau und an der Spitze fahlgelblich, die der Unterseite dagegen sind einfarbig weiß. Jm Winter ver- längert und verdichtet sich der Pelz, und die Oberseite wird dann lichter.
Die Ljutaga bewohnt die größeren Birkenwälder oder gemischte Waldungen, in denen Fichten, Föhren und Birken mit einander abwechseln. Letztere Bäume scheinen dem Thierchen jedoch Lebensbedürfniß zu sein, und hierauf deutet auch die Färbung seines Pelzes, welche im ganzen eben- sosehr der Birkenrinde gleicht, wie die Färbung unseres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten. Es wird immer seltener und ist schon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, fast ganz oder gänzlich verdrängt. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweise und zwar beständig
[Abbildung]
Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga (Sciuropterus sibiricus).
auf Bäumen. Jn hohlen Stämmen, wie eine Haselmaus zusammengerollt und den Schwanz um sich geschlagen, verschläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun ein reges Leben. Es ist in seinen Bewegungen ebenso gewandt, als die Taghörnchen, klettert vor- trefflich, springt behend von Ast zu Ast und setzt mit Hilfe seiner ausgespannten Flatterhaut über Entfernungen von sechszig bis achtzig Fuß. Es steigt, um solche Entfernungen zu durchmessen, bis zur höchsten Spitze des Wipfels empor und springt von dort aus auf niedere Aeste der Bäume, die es sich auserwählt hat. Man hat diese Sprünge mit allem Rechte mit dem Fluge verglichen. Auf dem Boden ist es eben so unbehilflich und unsicher, als auf den Bäumen gewandt und schnell. Sein Gang ist schwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herab- hängt, macht ihm im Laufen viel zu schaffen.
Die Nahrung der Ljutaga besteht aus den Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im Nothfalle begnügt sie sich aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim Fressen sitzt sie, wie unser Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Ueberhaupt ähnelt das Flatterhörnchen in allen seinen Eigenschaften unserm Eich-
Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.
Jn der Geſtalt kommt das Flattereichhorn ganz mit ſeinen großen indiſchen Verwandten überein, und, wie ſchon oben bemerkt, unterſcheidet es weſentlich nur die Behaarung ſeines Schwanzes und die Bildung der Backenzähne. Der Pelz iſt dicht und weichhaarig, im Sommer auf der Oberſeite fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenſeite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am Schwanze oben fahlgrau, unten lichtroſtfarbig. Alle Haare der Oberſeite ſind im Grunde ſchwarz- grau und an der Spitze fahlgelblich, die der Unterſeite dagegen ſind einfarbig weiß. Jm Winter ver- längert und verdichtet ſich der Pelz, und die Oberſeite wird dann lichter.
Die Ljutaga bewohnt die größeren Birkenwälder oder gemiſchte Waldungen, in denen Fichten, Föhren und Birken mit einander abwechſeln. Letztere Bäume ſcheinen dem Thierchen jedoch Lebensbedürfniß zu ſein, und hierauf deutet auch die Färbung ſeines Pelzes, welche im ganzen eben- ſoſehr der Birkenrinde gleicht, wie die Färbung unſeres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten. Es wird immer ſeltener und iſt ſchon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, faſt ganz oder gänzlich verdrängt. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweiſe und zwar beſtändig
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Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga (Sciuropterus sibiricus).
auf Bäumen. Jn hohlen Stämmen, wie eine Haſelmaus zuſammengerollt und den Schwanz um ſich geſchlagen, verſchläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun ein reges Leben. Es iſt in ſeinen Bewegungen ebenſo gewandt, als die Taghörnchen, klettert vor- trefflich, ſpringt behend von Aſt zu Aſt und ſetzt mit Hilfe ſeiner ausgeſpannten Flatterhaut über Entfernungen von ſechszig bis achtzig Fuß. Es ſteigt, um ſolche Entfernungen zu durchmeſſen, bis zur höchſten Spitze des Wipfels empor und ſpringt von dort aus auf niedere Aeſte der Bäume, die es ſich auserwählt hat. Man hat dieſe Sprünge mit allem Rechte mit dem Fluge verglichen. Auf dem Boden iſt es eben ſo unbehilflich und unſicher, als auf den Bäumen gewandt und ſchnell. Sein Gang iſt ſchwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herab- hängt, macht ihm im Laufen viel zu ſchaffen.
Die Nahrung der Ljutaga beſteht aus den Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im Nothfalle begnügt ſie ſich aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim Freſſen ſitzt ſie, wie unſer Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten zum Munde. Ueberhaupt ähnelt das Flatterhörnchen in allen ſeinen Eigenſchaften unſerm Eich-
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Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga.
Jn der Geſtalt kommt das Flattereichhorn ganz mit ſeinen großen indiſchen Verwandten überein,
und, wie ſchon oben bemerkt, unterſcheidet es weſentlich nur die Behaarung ſeines Schwanzes und
die Bildung der Backenzähne. Der Pelz iſt dicht und weichhaarig, im Sommer auf der Oberſeite
fahlbraun, auf der Flughaut und der Außenſeite der Beine dunkler graubraun, unten weiß und am
Schwanze oben fahlgrau, unten lichtroſtfarbig. Alle Haare der Oberſeite ſind im Grunde ſchwarz-
grau und an der Spitze fahlgelblich, die der Unterſeite dagegen ſind einfarbig weiß. Jm Winter ver-
längert und verdichtet ſich der Pelz, und die Oberſeite wird dann lichter.
Die Ljutaga bewohnt die größeren Birkenwälder oder gemiſchte Waldungen, in denen
Fichten, Föhren und Birken mit einander abwechſeln. Letztere Bäume ſcheinen dem Thierchen jedoch
Lebensbedürfniß zu ſein, und hierauf deutet auch die Färbung ſeines Pelzes, welche im ganzen eben-
ſoſehr der Birkenrinde gleicht, wie die Färbung unſeres Hörnchens der Rinde der Föhren und Fichten.
Es wird immer ſeltener und iſt ſchon aus vielen Gegenden, in denen es früher recht häufig war, faſt
ganz oder gänzlich verdrängt. Wie der Taguan lebt es einzeln oder paarweiſe und zwar beſtändig
[Abbildung Das gemeine Flattereichhörnchen oder die Ljutaga (Sciuropterus sibiricus).]
auf Bäumen. Jn hohlen Stämmen, wie eine Haſelmaus zuſammengerollt und den Schwanz um ſich
geſchlagen, verſchläft es den Tag. Mit Eintritt der Dämmerung kommt es hervor und beginnt nun
ein reges Leben. Es iſt in ſeinen Bewegungen ebenſo gewandt, als die Taghörnchen, klettert vor-
trefflich, ſpringt behend von Aſt zu Aſt und ſetzt mit Hilfe ſeiner ausgeſpannten Flatterhaut über
Entfernungen von ſechszig bis achtzig Fuß. Es ſteigt, um ſolche Entfernungen zu durchmeſſen, bis
zur höchſten Spitze des Wipfels empor und ſpringt von dort aus auf niedere Aeſte der Bäume, die
es ſich auserwählt hat. Man hat dieſe Sprünge mit allem Rechte mit dem Fluge verglichen.
Auf dem Boden iſt es eben ſo unbehilflich und unſicher, als auf den Bäumen gewandt und ſchnell.
Sein Gang iſt ſchwankend, und die weite Flughaut, welche faltig zu beiden Seiten des Leibes herab-
hängt, macht ihm im Laufen viel zu ſchaffen.
Die Nahrung der Ljutaga beſteht aus den Knospen, Sprößlingen und Kätzchen der Birken; im
Nothfalle begnügt ſie ſich aber auch mit den jungen Trieben und Knospen der Fichten. Beim
Freſſen ſitzt ſie, wie unſer Eichhörnchen, aufrecht und bringt das Futter mit den Vorderpfoten
zum Munde. Ueberhaupt ähnelt das Flatterhörnchen in allen ſeinen Eigenſchaften unſerm Eich-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/80>, abgerufen am 27.11.2024.
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