friedlich bewegen, denen sie die größte Anhänglichkeit zeigen, um derentwillen sie sich vielleicht dem Verderben preisgeben. Ein lebendiges Gefühl ist ihnen eigen; dasselbe geht gar nicht selten mit ihrem Verstande davon; es überwältigt einzelne vollständig, es raubt ihnen alle Besinnung und selbst das Leben: zahme Gimpel sind in Folge freudiger oder trauriger Erregung urplötzlich todt zusammen- gebrochen! Ein vortreffliches Gedächtniß, welches die meisten besitzen, trägt wesentlich dazu bei, ihren Geist auszubilden und zu vervollkommnen.
Eine anderweitige Begabung der Sperlingsvögel ist ihre Fähigkeit, zu singen. Hinsichtlich ein- zelner Papageien läßt uns ein besonderes Wohlwollen wohl auch von Gesang reden, wo es sich, streng genommen, um eine liebenswürdige Stümperei handelt: die Sperlingsvögel dagegen zählen unter sich mehrere wirkliche Sänger, wahre Meister in dieser edlen Kunst, welche die Kenner ebensogut zu begeistern wissen, wie die geschulten Menschensänger ihre Zuhörer. Meiner Ansicht nach erreicht allerdings kein einziger Sperlingsvogel die Krone der Meisterschaft, mit welcher wir die wahren Sänger dankbar bega- ben: demungeachtet darf ich keins meiner vorhin gesagten Worte zurücknehmen, schon weil ich als Thüringer denke und fühle. Der Edelfink trägt seinen Namen nicht umsonst: er hat sich ihn redlich ver- dient und zwar hauptsächlich durch seinen Gefang. Jhm reihen sich ebenbürtig fast noch manche Ge- nossen seiner Ordnung an: -- der Singmuskeln am Kropfe ungeachtet, leider nicht so viele, als man wünschen und vermuthen möchte.
Die Sperlingsvögel sind Weltbürger. Sie bewohnen alle Erdtheile, jedes Land, jeden Gau, die eisigen Felder des Hochgebirges oder Nordens, wie die glühende Niederung der Wendekreisländer, die Höhe, wie die Tiefe, den Wald, wie das Feld, das Nohrdickicht der Sümpfe, wie die pflanzenarme Wüste, die menschenwogende Weltstadt, wie die Einöde: sie leben und hausen überall. Nur eine Ordnung der Vögel noch, die der Raubvögel, beherrscht ein annähernd gleich großes und verschie- denes Gebiet: die Sperlingsvögel aber sind ungleich zahlreicher an Arten und Einzelwesen, als jene, und schon um deshalb verbreiteter. Wohin wir uns auch wenden, ihnen müssen wir begeg- nen: sie gehören überall zur Landschaft, wie die Erde und der Himmel über ihr dazu gehören. Doch nein -- ein ganzes Erdtheil hat sie nicht: das sechste, das Festland um den Südpol. Hier fehlen sie, weil jener Erdtheil ihnen, den Genügsamen, nicht das zum Leben Nöthige zu bieten ver- mag, weil das Meer sie zurückstößt. Sie sind, wie bereits angedeutet, Kinder des Festlandes. So weit der Pflanzenwuchs reicht, dehnt sich ihr Wohngebiet. Jn den Wäldern finden sie sich häufiger, als in waldlosen Gegenden, unter den Wendekreisen selbstverständlich zahlreicher, als nah den Po- len. Doch darf man sie als Gesammtheit nur bedingungsweise Baumvögel nennen; denn gar viele Arten leben fast oder ganz ausschließlich auf dem Boden, und fast alle treiben sich wenigstens viel auf ihm herum, weit mehr, als die Papageien. Offene Gegenden in der Nähe von Waldungen, von Gebüschen bestanden, sind ihre eigentlichen Wohnsitze. Von hier aus besuchen sie die Gärten, die Vorhölzer; im tieferen Walde, auf den buschlosen Ebenen und Gebirgen leben nur wenige.
Sämereien aller Art, Früchte, Beeren, Knospen und Kerbthiere bilden die Nahrung der Sper- lingsvögel. Die meisten beschränken sich nicht eben in der Auswahl ihrer Speise; nur einzelne erschei- nen uns wählerisch. Aeußerst wenige verschmähen Kerbthiere gänzlich; der weitaus größeren An- zahl sind solche ein sehr beliebtes Futter oder dienen wenigstens zur Azung der Jungen. Knospen und grüne Blätter werden gern gefressen, wie es scheint, oft nur als Leckerei. Die Gefangenen halten sich bei einfachem Körnerfutter jahrelang.
Fast alle Sperlingsvögel sind in hohem Grade gesellige Thiere. Einzelnen von ihnen begegnet man nur zufällig, Paaren blos während der Brutzeit. Während der übrigen Monate des Jahres sammeln sich die Paare zu Trupps, und diese wachsen oft zu erstaunlichen Mengen an. Nicht blos die Mitglieder einer Art gesellen sich, sehr regelmäßig vielmehr auch Artverwandte, welche unter Umständen monatelang zusammenbleiben, in einen engen Verband treten, und gemeinschaftlich han- deln. Die Klügeren pflegen dann für das Wohl der Gesammtheit Sorge zu tragen, und ihren An- ordnungen wird von der Menge Gehorsam oder richtiger ihrem Vorgehen Nachahmung. Solche Ver-
friedlich bewegen, denen ſie die größte Anhänglichkeit zeigen, um derentwillen ſie ſich vielleicht dem Verderben preisgeben. Ein lebendiges Gefühl iſt ihnen eigen; daſſelbe geht gar nicht ſelten mit ihrem Verſtande davon; es überwältigt einzelne vollſtändig, es raubt ihnen alle Beſinnung und ſelbſt das Leben: zahme Gimpel ſind in Folge freudiger oder trauriger Erregung urplötzlich todt zuſammen- gebrochen! Ein vortreffliches Gedächtniß, welches die meiſten beſitzen, trägt weſentlich dazu bei, ihren Geiſt auszubilden und zu vervollkommnen.
Eine anderweitige Begabung der Sperlingsvögel iſt ihre Fähigkeit, zu ſingen. Hinſichtlich ein- zelner Papageien läßt uns ein beſonderes Wohlwollen wohl auch von Geſang reden, wo es ſich, ſtreng genommen, um eine liebenswürdige Stümperei handelt: die Sperlingsvögel dagegen zählen unter ſich mehrere wirkliche Sänger, wahre Meiſter in dieſer edlen Kunſt, welche die Kenner ebenſogut zu begeiſtern wiſſen, wie die geſchulten Menſchenſänger ihre Zuhörer. Meiner Anſicht nach erreicht allerdings kein einziger Sperlingsvogel die Krone der Meiſterſchaft, mit welcher wir die wahren Sänger dankbar bega- ben: demungeachtet darf ich keins meiner vorhin geſagten Worte zurücknehmen, ſchon weil ich als Thüringer denke und fühle. Der Edelfink trägt ſeinen Namen nicht umſonſt: er hat ſich ihn redlich ver- dient und zwar hauptſächlich durch ſeinen Gefang. Jhm reihen ſich ebenbürtig faſt noch manche Ge- noſſen ſeiner Ordnung an: — der Singmuskeln am Kropfe ungeachtet, leider nicht ſo viele, als man wünſchen und vermuthen möchte.
Die Sperlingsvögel ſind Weltbürger. Sie bewohnen alle Erdtheile, jedes Land, jeden Gau, die eiſigen Felder des Hochgebirges oder Nordens, wie die glühende Niederung der Wendekreisländer, die Höhe, wie die Tiefe, den Wald, wie das Feld, das Nohrdickicht der Sümpfe, wie die pflanzenarme Wüſte, die menſchenwogende Weltſtadt, wie die Einöde: ſie leben und hauſen überall. Nur eine Ordnung der Vögel noch, die der Raubvögel, beherrſcht ein annähernd gleich großes und verſchie- denes Gebiet: die Sperlingsvögel aber ſind ungleich zahlreicher an Arten und Einzelweſen, als jene, und ſchon um deshalb verbreiteter. Wohin wir uns auch wenden, ihnen müſſen wir begeg- nen: ſie gehören überall zur Landſchaft, wie die Erde und der Himmel über ihr dazu gehören. Doch nein — ein ganzes Erdtheil hat ſie nicht: das ſechste, das Feſtland um den Südpol. Hier fehlen ſie, weil jener Erdtheil ihnen, den Genügſamen, nicht das zum Leben Nöthige zu bieten ver- mag, weil das Meer ſie zurückſtößt. Sie ſind, wie bereits angedeutet, Kinder des Feſtlandes. So weit der Pflanzenwuchs reicht, dehnt ſich ihr Wohngebiet. Jn den Wäldern finden ſie ſich häufiger, als in waldloſen Gegenden, unter den Wendekreiſen ſelbſtverſtändlich zahlreicher, als nah den Po- len. Doch darf man ſie als Geſammtheit nur bedingungsweiſe Baumvögel nennen; denn gar viele Arten leben faſt oder ganz ausſchließlich auf dem Boden, und faſt alle treiben ſich wenigſtens viel auf ihm herum, weit mehr, als die Papageien. Offene Gegenden in der Nähe von Waldungen, von Gebüſchen beſtanden, ſind ihre eigentlichen Wohnſitze. Von hier aus beſuchen ſie die Gärten, die Vorhölzer; im tieferen Walde, auf den buſchloſen Ebenen und Gebirgen leben nur wenige.
Sämereien aller Art, Früchte, Beeren, Knoſpen und Kerbthiere bilden die Nahrung der Sper- lingsvögel. Die meiſten beſchränken ſich nicht eben in der Auswahl ihrer Speiſe; nur einzelne erſchei- nen uns wähleriſch. Aeußerſt wenige verſchmähen Kerbthiere gänzlich; der weitaus größeren An- zahl ſind ſolche ein ſehr beliebtes Futter oder dienen wenigſtens zur Azung der Jungen. Knoſpen und grüne Blätter werden gern gefreſſen, wie es ſcheint, oft nur als Leckerei. Die Gefangenen halten ſich bei einfachem Körnerfutter jahrelang.
Faſt alle Sperlingsvögel ſind in hohem Grade geſellige Thiere. Einzelnen von ihnen begegnet man nur zufällig, Paaren blos während der Brutzeit. Während der übrigen Monate des Jahres ſammeln ſich die Paare zu Trupps, und dieſe wachſen oft zu erſtaunlichen Mengen an. Nicht blos die Mitglieder einer Art geſellen ſich, ſehr regelmäßig vielmehr auch Artverwandte, welche unter Umſtänden monatelang zuſammenbleiben, in einen engen Verband treten, und gemeinſchaftlich han- deln. Die Klügeren pflegen dann für das Wohl der Geſammtheit Sorge zu tragen, und ihren An- ordnungen wird von der Menge Gehorſam oder richtiger ihrem Vorgehen Nachahmung. Solche Ver-
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[85/0103]
Leibesbau. Begabungen. Verbreitung. Aufenthalt. Nahrung.
friedlich bewegen, denen ſie die größte Anhänglichkeit zeigen, um derentwillen ſie ſich vielleicht dem
Verderben preisgeben. Ein lebendiges Gefühl iſt ihnen eigen; daſſelbe geht gar nicht ſelten mit ihrem
Verſtande davon; es überwältigt einzelne vollſtändig, es raubt ihnen alle Beſinnung und ſelbſt das
Leben: zahme Gimpel ſind in Folge freudiger oder trauriger Erregung urplötzlich todt zuſammen-
gebrochen! Ein vortreffliches Gedächtniß, welches die meiſten beſitzen, trägt weſentlich dazu bei, ihren
Geiſt auszubilden und zu vervollkommnen.
Eine anderweitige Begabung der Sperlingsvögel iſt ihre Fähigkeit, zu ſingen. Hinſichtlich ein-
zelner Papageien läßt uns ein beſonderes Wohlwollen wohl auch von Geſang reden, wo es ſich, ſtreng
genommen, um eine liebenswürdige Stümperei handelt: die Sperlingsvögel dagegen zählen unter ſich
mehrere wirkliche Sänger, wahre Meiſter in dieſer edlen Kunſt, welche die Kenner ebenſogut zu begeiſtern
wiſſen, wie die geſchulten Menſchenſänger ihre Zuhörer. Meiner Anſicht nach erreicht allerdings kein
einziger Sperlingsvogel die Krone der Meiſterſchaft, mit welcher wir die wahren Sänger dankbar bega-
ben: demungeachtet darf ich keins meiner vorhin geſagten Worte zurücknehmen, ſchon weil ich als
Thüringer denke und fühle. Der Edelfink trägt ſeinen Namen nicht umſonſt: er hat ſich ihn redlich ver-
dient und zwar hauptſächlich durch ſeinen Gefang. Jhm reihen ſich ebenbürtig faſt noch manche Ge-
noſſen ſeiner Ordnung an: — der Singmuskeln am Kropfe ungeachtet, leider nicht ſo viele, als man
wünſchen und vermuthen möchte.
Die Sperlingsvögel ſind Weltbürger. Sie bewohnen alle Erdtheile, jedes Land, jeden Gau,
die eiſigen Felder des Hochgebirges oder Nordens, wie die glühende Niederung der Wendekreisländer,
die Höhe, wie die Tiefe, den Wald, wie das Feld, das Nohrdickicht der Sümpfe, wie die pflanzenarme
Wüſte, die menſchenwogende Weltſtadt, wie die Einöde: ſie leben und hauſen überall. Nur eine
Ordnung der Vögel noch, die der Raubvögel, beherrſcht ein annähernd gleich großes und verſchie-
denes Gebiet: die Sperlingsvögel aber ſind ungleich zahlreicher an Arten und Einzelweſen, als
jene, und ſchon um deshalb verbreiteter. Wohin wir uns auch wenden, ihnen müſſen wir begeg-
nen: ſie gehören überall zur Landſchaft, wie die Erde und der Himmel über ihr dazu gehören.
Doch nein — ein ganzes Erdtheil hat ſie nicht: das ſechste, das Feſtland um den Südpol. Hier
fehlen ſie, weil jener Erdtheil ihnen, den Genügſamen, nicht das zum Leben Nöthige zu bieten ver-
mag, weil das Meer ſie zurückſtößt. Sie ſind, wie bereits angedeutet, Kinder des Feſtlandes. So
weit der Pflanzenwuchs reicht, dehnt ſich ihr Wohngebiet. Jn den Wäldern finden ſie ſich häufiger,
als in waldloſen Gegenden, unter den Wendekreiſen ſelbſtverſtändlich zahlreicher, als nah den Po-
len. Doch darf man ſie als Geſammtheit nur bedingungsweiſe Baumvögel nennen; denn gar viele
Arten leben faſt oder ganz ausſchließlich auf dem Boden, und faſt alle treiben ſich wenigſtens viel
auf ihm herum, weit mehr, als die Papageien. Offene Gegenden in der Nähe von Waldungen,
von Gebüſchen beſtanden, ſind ihre eigentlichen Wohnſitze. Von hier aus beſuchen ſie die Gärten,
die Vorhölzer; im tieferen Walde, auf den buſchloſen Ebenen und Gebirgen leben nur wenige.
Sämereien aller Art, Früchte, Beeren, Knoſpen und Kerbthiere bilden die Nahrung der Sper-
lingsvögel. Die meiſten beſchränken ſich nicht eben in der Auswahl ihrer Speiſe; nur einzelne erſchei-
nen uns wähleriſch. Aeußerſt wenige verſchmähen Kerbthiere gänzlich; der weitaus größeren An-
zahl ſind ſolche ein ſehr beliebtes Futter oder dienen wenigſtens zur Azung der Jungen. Knoſpen
und grüne Blätter werden gern gefreſſen, wie es ſcheint, oft nur als Leckerei. Die Gefangenen
halten ſich bei einfachem Körnerfutter jahrelang.
Faſt alle Sperlingsvögel ſind in hohem Grade geſellige Thiere. Einzelnen von ihnen begegnet
man nur zufällig, Paaren blos während der Brutzeit. Während der übrigen Monate des Jahres
ſammeln ſich die Paare zu Trupps, und dieſe wachſen oft zu erſtaunlichen Mengen an. Nicht blos
die Mitglieder einer Art geſellen ſich, ſehr regelmäßig vielmehr auch Artverwandte, welche unter
Umſtänden monatelang zuſammenbleiben, in einen engen Verband treten, und gemeinſchaftlich han-
deln. Die Klügeren pflegen dann für das Wohl der Geſammtheit Sorge zu tragen, und ihren An-
ordnungen wird von der Menge Gehorſam oder richtiger ihrem Vorgehen Nachahmung. Solche Ver-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/103>, abgerufen am 16.02.2025.
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