sammlungen sind es, welche wir im Spätherbst nach vollendeter Brut und Mauser auf unseren Feldern sehen; solche Genossenschaften lassen sich von einem Lockvogel, welcher in ihrer Mitte durch andere derselben Art vielleicht gar nicht vertreten ist, bethören; solche Gesellschaften stellen sich wäh- rend des Winters im Bauerngehöft oder in den Straßen der Städte als Bettler ein. Jn Nord- und Südamerika, in Asien, Afrika und Australien walten dieselben Umstände ob. Doch nicht alle Arten mischen sich unter Fremde; viele scharen sich im Gegentheil nur mit Jhresgleichen zusammen und be- haupten selbst im fremden Kreise noch ihre Abgeschlossenheit.
Einige Sperlingsvögel verlassen alljährlich ihre Heimat und ziehen mit Beginn des Winters dem Süden zu; viele wandern nur oder unternehmen unregelmäßige Reisen; fast ebensoviele sind Standvögel. Unserem Vaterlande sendet der rauhe Norden allwinterlich Gäste zu, welche die bei uns einheimischen Artgenossen, welche ihrerseits weiter nach Mittag hin zogen, gewissermaßen ablösen. Jn sehr strengen Wintern kommen auch die Kinder des höchsten Nordens zu uns, welche vielleicht Jahre lang vermißt worden waren: sie trieb der durch irgendwelche Zufälle eingetretene Nahrungsmangel aus ihrer Heimat, welche ihnen unter regelmäßigen Verhältnissen alles zum Leben Nöthige in reicherer Fülle bot, als das von dem Menschen zum Nachtheil der Thierwelt bean- spruchte Land Mitteleuropas. Jn südlicheren Ländern begeben sich die Sperlingsvögel ebenfalls zeitweilig auf die Reise; hier hat aber selbst das Wandern geendet: die südlichen Mitglieder unserer Ordnung streichen nur und hauptsächlich während der Mauserzeit.
Der Frühling der betreffenden Heimatsländer, möge er nun Lenz oder Regenzeit heißen, ist die Zeit der Liebe für die Mehrzahl der Sperlingsvögel. Es gibt jedoch gerade unter ihnen einige Arten, welche sich im Ganzen wenig um das neu erwachende Leben der Natur kümmern und sich hinsichtlich ihres Brutgeschäftes an keine bestimmte Zeit des Jahres binden: sie trotzen unter Umständen selbst dem eisigen Winter des Nordens oder brüten während der ertödtenden Sommerhitze der Wendekreis- länder. Die Mehrzahl aber hält treulich fest an dem Wechsel des Jahres und erkennt, wie der dich- terisch fühlende Mensch, im Mai den schönsten der Monate. Um diese Zeit haben sich die großen Gesellschaften, welche der Herbst vereinigte, längst gelöst, und alle geselligen Tugenden sind einer Lei- denschaftlichkeit gewichen, welche bei wenig anderen Vögeln stärker auftritt. Der Schnabel der Männchen ist jetzt nicht blos dem Jubelliede der Liebe geöffnet, sondern auch zum Kampfe der Eifer- sucht gewetzt. Ein Männchen verfolgt das andere, sobald es seiner ansichtig wird, in hellem Zorn und kämpft mit dem Nebenbuhler, welchen es in jedem sieht, anhaltend und wacker. Es theilt sein Tagwerk in Singen und Kämpfen ein, frißt mit Hast und bekundet überhaupt die größte Erregung. Dem Weibchen gegenüber versucht es sich nicht blos durch seine Lieder, sondern auch durch Flugspiele, wie es solche sonst niemals übte, liebenswürdig zu machen. Nach längerem Vorspiel gibt es sich mit Lust den ehelichen Zärtlichkeiten hin, -- viele Male des Tages. Währenddem hat sich das Paar ein bestimmtes Gebiet erworben und aus ihm jedes andere Paar vertrieben. Ristansiedelungen, wie wir sie bei geselligen Vögeln so oft beobachten, gehören unter den Mitgliedern unserer Ordnung zu den Ausnahmen.
Das Nest selbst ist sehr verschieden gestaltet, in der Regel aber ein mehr oder weniger künstlicher Bau. Es steht oder hängt auf und an schwankenden Zweigen, auf dickeren Aesten, zwischen dichtem Gelaube, in Baumhöhlungen, Felsspalten, Löchern, im und unter Gebüsch, im Röhricht, Getreide, Grase, auf der Erde. Seine äußere Wandung pflegt aus sorgfältig gewählten, hinsichtlich der Fär- bung mit der Umgebung übereinstimmenden Baustoffen zusammengeflochten, gewebt, gefilzt zu sein; seine innere Mulde wird gewöhnlich sehr zierlich ausgelegt. Gras- und Heuhalmen, Flechten, Mos, Samenwolle verschiedener Pflanzen und ähnliche Stoffe bilden die Wandung, feinere Hälmchen, Wür- zelchen, Mosstengel, Flechtenzöpfchen, Wollentheile, Faden, Haare und Federn die Auslage der Mulde. Kunstlose, einem wirren Heubüschel vielleicht ähnliche Nester sind selten, sehr künstliche, napf- oder flaschenförmige viel häufiger. Eigenthümlich ist eine gewisse Schmarotzerei, welche sich bei einzelnen Sperlingsvögeln bekundet; sie nehmen nicht nur anderer Vögel Nester gern in Beschlag,
Die Knacker. Sperlingsvögel.
ſammlungen ſind es, welche wir im Spätherbſt nach vollendeter Brut und Mauſer auf unſeren Feldern ſehen; ſolche Genoſſenſchaften laſſen ſich von einem Lockvogel, welcher in ihrer Mitte durch andere derſelben Art vielleicht gar nicht vertreten iſt, bethören; ſolche Geſellſchaften ſtellen ſich wäh- rend des Winters im Bauerngehöft oder in den Straßen der Städte als Bettler ein. Jn Nord- und Südamerika, in Aſien, Afrika und Auſtralien walten dieſelben Umſtände ob. Doch nicht alle Arten miſchen ſich unter Fremde; viele ſcharen ſich im Gegentheil nur mit Jhresgleichen zuſammen und be- haupten ſelbſt im fremden Kreiſe noch ihre Abgeſchloſſenheit.
Einige Sperlingsvögel verlaſſen alljährlich ihre Heimat und ziehen mit Beginn des Winters dem Süden zu; viele wandern nur oder unternehmen unregelmäßige Reiſen; faſt ebenſoviele ſind Standvögel. Unſerem Vaterlande ſendet der rauhe Norden allwinterlich Gäſte zu, welche die bei uns einheimiſchen Artgenoſſen, welche ihrerſeits weiter nach Mittag hin zogen, gewiſſermaßen ablöſen. Jn ſehr ſtrengen Wintern kommen auch die Kinder des höchſten Nordens zu uns, welche vielleicht Jahre lang vermißt worden waren: ſie trieb der durch irgendwelche Zufälle eingetretene Nahrungsmangel aus ihrer Heimat, welche ihnen unter regelmäßigen Verhältniſſen alles zum Leben Nöthige in reicherer Fülle bot, als das von dem Menſchen zum Nachtheil der Thierwelt bean- ſpruchte Land Mitteleuropas. Jn ſüdlicheren Ländern begeben ſich die Sperlingsvögel ebenfalls zeitweilig auf die Reiſe; hier hat aber ſelbſt das Wandern geendet: die ſüdlichen Mitglieder unſerer Ordnung ſtreichen nur und hauptſächlich während der Mauſerzeit.
Der Frühling der betreffenden Heimatsländer, möge er nun Lenz oder Regenzeit heißen, iſt die Zeit der Liebe für die Mehrzahl der Sperlingsvögel. Es gibt jedoch gerade unter ihnen einige Arten, welche ſich im Ganzen wenig um das neu erwachende Leben der Natur kümmern und ſich hinſichtlich ihres Brutgeſchäftes an keine beſtimmte Zeit des Jahres binden: ſie trotzen unter Umſtänden ſelbſt dem eiſigen Winter des Nordens oder brüten während der ertödtenden Sommerhitze der Wendekreis- länder. Die Mehrzahl aber hält treulich feſt an dem Wechſel des Jahres und erkennt, wie der dich- teriſch fühlende Menſch, im Mai den ſchönſten der Monate. Um dieſe Zeit haben ſich die großen Geſellſchaften, welche der Herbſt vereinigte, längſt gelöſt, und alle geſelligen Tugenden ſind einer Lei- denſchaftlichkeit gewichen, welche bei wenig anderen Vögeln ſtärker auftritt. Der Schnabel der Männchen iſt jetzt nicht blos dem Jubelliede der Liebe geöffnet, ſondern auch zum Kampfe der Eifer- ſucht gewetzt. Ein Männchen verfolgt das andere, ſobald es ſeiner anſichtig wird, in hellem Zorn und kämpft mit dem Nebenbuhler, welchen es in jedem ſieht, anhaltend und wacker. Es theilt ſein Tagwerk in Singen und Kämpfen ein, frißt mit Haſt und bekundet überhaupt die größte Erregung. Dem Weibchen gegenüber verſucht es ſich nicht blos durch ſeine Lieder, ſondern auch durch Flugſpiele, wie es ſolche ſonſt niemals übte, liebenswürdig zu machen. Nach längerem Vorſpiel gibt es ſich mit Luſt den ehelichen Zärtlichkeiten hin, — viele Male des Tages. Währenddem hat ſich das Paar ein beſtimmtes Gebiet erworben und aus ihm jedes andere Paar vertrieben. Riſtanſiedelungen, wie wir ſie bei geſelligen Vögeln ſo oft beobachten, gehören unter den Mitgliedern unſerer Ordnung zu den Ausnahmen.
Das Neſt ſelbſt iſt ſehr verſchieden geſtaltet, in der Regel aber ein mehr oder weniger künſtlicher Bau. Es ſteht oder hängt auf und an ſchwankenden Zweigen, auf dickeren Aeſten, zwiſchen dichtem Gelaube, in Baumhöhlungen, Felsſpalten, Löchern, im und unter Gebüſch, im Röhricht, Getreide, Graſe, auf der Erde. Seine äußere Wandung pflegt aus ſorgfältig gewählten, hinſichtlich der Fär- bung mit der Umgebung übereinſtimmenden Bauſtoffen zuſammengeflochten, gewebt, gefilzt zu ſein; ſeine innere Mulde wird gewöhnlich ſehr zierlich ausgelegt. Gras- und Heuhalmen, Flechten, Mos, Samenwolle verſchiedener Pflanzen und ähnliche Stoffe bilden die Wandung, feinere Hälmchen, Wür- zelchen, Mosſtengel, Flechtenzöpfchen, Wollentheile, Faden, Haare und Federn die Auslage der Mulde. Kunſtloſe, einem wirren Heubüſchel vielleicht ähnliche Neſter ſind ſelten, ſehr künſtliche, napf- oder flaſchenförmige viel häufiger. Eigenthümlich iſt eine gewiſſe Schmarotzerei, welche ſich bei einzelnen Sperlingsvögeln bekundet; ſie nehmen nicht nur anderer Vögel Neſter gern in Beſchlag,
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Die Knacker. Sperlingsvögel.
ſammlungen ſind es, welche wir im Spätherbſt nach vollendeter Brut und Mauſer auf unſeren
Feldern ſehen; ſolche Genoſſenſchaften laſſen ſich von einem Lockvogel, welcher in ihrer Mitte durch
andere derſelben Art vielleicht gar nicht vertreten iſt, bethören; ſolche Geſellſchaften ſtellen ſich wäh-
rend des Winters im Bauerngehöft oder in den Straßen der Städte als Bettler ein. Jn Nord- und
Südamerika, in Aſien, Afrika und Auſtralien walten dieſelben Umſtände ob. Doch nicht alle Arten
miſchen ſich unter Fremde; viele ſcharen ſich im Gegentheil nur mit Jhresgleichen zuſammen und be-
haupten ſelbſt im fremden Kreiſe noch ihre Abgeſchloſſenheit.
Einige Sperlingsvögel verlaſſen alljährlich ihre Heimat und ziehen mit Beginn des Winters
dem Süden zu; viele wandern nur oder unternehmen unregelmäßige Reiſen; faſt ebenſoviele ſind
Standvögel. Unſerem Vaterlande ſendet der rauhe Norden allwinterlich Gäſte zu, welche die
bei uns einheimiſchen Artgenoſſen, welche ihrerſeits weiter nach Mittag hin zogen, gewiſſermaßen
ablöſen. Jn ſehr ſtrengen Wintern kommen auch die Kinder des höchſten Nordens zu uns, welche
vielleicht Jahre lang vermißt worden waren: ſie trieb der durch irgendwelche Zufälle eingetretene
Nahrungsmangel aus ihrer Heimat, welche ihnen unter regelmäßigen Verhältniſſen alles zum Leben
Nöthige in reicherer Fülle bot, als das von dem Menſchen zum Nachtheil der Thierwelt bean-
ſpruchte Land Mitteleuropas. Jn ſüdlicheren Ländern begeben ſich die Sperlingsvögel ebenfalls
zeitweilig auf die Reiſe; hier hat aber ſelbſt das Wandern geendet: die ſüdlichen Mitglieder unſerer
Ordnung ſtreichen nur und hauptſächlich während der Mauſerzeit.
Der Frühling der betreffenden Heimatsländer, möge er nun Lenz oder Regenzeit heißen, iſt die
Zeit der Liebe für die Mehrzahl der Sperlingsvögel. Es gibt jedoch gerade unter ihnen einige Arten,
welche ſich im Ganzen wenig um das neu erwachende Leben der Natur kümmern und ſich hinſichtlich
ihres Brutgeſchäftes an keine beſtimmte Zeit des Jahres binden: ſie trotzen unter Umſtänden ſelbſt
dem eiſigen Winter des Nordens oder brüten während der ertödtenden Sommerhitze der Wendekreis-
länder. Die Mehrzahl aber hält treulich feſt an dem Wechſel des Jahres und erkennt, wie der dich-
teriſch fühlende Menſch, im Mai den ſchönſten der Monate. Um dieſe Zeit haben ſich die großen
Geſellſchaften, welche der Herbſt vereinigte, längſt gelöſt, und alle geſelligen Tugenden ſind einer Lei-
denſchaftlichkeit gewichen, welche bei wenig anderen Vögeln ſtärker auftritt. Der Schnabel der
Männchen iſt jetzt nicht blos dem Jubelliede der Liebe geöffnet, ſondern auch zum Kampfe der Eifer-
ſucht gewetzt. Ein Männchen verfolgt das andere, ſobald es ſeiner anſichtig wird, in hellem Zorn
und kämpft mit dem Nebenbuhler, welchen es in jedem ſieht, anhaltend und wacker. Es theilt ſein
Tagwerk in Singen und Kämpfen ein, frißt mit Haſt und bekundet überhaupt die größte Erregung.
Dem Weibchen gegenüber verſucht es ſich nicht blos durch ſeine Lieder, ſondern auch durch Flugſpiele,
wie es ſolche ſonſt niemals übte, liebenswürdig zu machen. Nach längerem Vorſpiel gibt es ſich mit
Luſt den ehelichen Zärtlichkeiten hin, — viele Male des Tages. Währenddem hat ſich das Paar ein
beſtimmtes Gebiet erworben und aus ihm jedes andere Paar vertrieben. Riſtanſiedelungen, wie wir
ſie bei geſelligen Vögeln ſo oft beobachten, gehören unter den Mitgliedern unſerer Ordnung zu den
Ausnahmen.
Das Neſt ſelbſt iſt ſehr verſchieden geſtaltet, in der Regel aber ein mehr oder weniger künſtlicher
Bau. Es ſteht oder hängt auf und an ſchwankenden Zweigen, auf dickeren Aeſten, zwiſchen dichtem
Gelaube, in Baumhöhlungen, Felsſpalten, Löchern, im und unter Gebüſch, im Röhricht, Getreide,
Graſe, auf der Erde. Seine äußere Wandung pflegt aus ſorgfältig gewählten, hinſichtlich der Fär-
bung mit der Umgebung übereinſtimmenden Bauſtoffen zuſammengeflochten, gewebt, gefilzt zu ſein;
ſeine innere Mulde wird gewöhnlich ſehr zierlich ausgelegt. Gras- und Heuhalmen, Flechten, Mos,
Samenwolle verſchiedener Pflanzen und ähnliche Stoffe bilden die Wandung, feinere Hälmchen, Wür-
zelchen, Mosſtengel, Flechtenzöpfchen, Wollentheile, Faden, Haare und Federn die Auslage der
Mulde. Kunſtloſe, einem wirren Heubüſchel vielleicht ähnliche Neſter ſind ſelten, ſehr künſtliche,
napf- oder flaſchenförmige viel häufiger. Eigenthümlich iſt eine gewiſſe Schmarotzerei, welche ſich bei
einzelnen Sperlingsvögeln bekundet; ſie nehmen nicht nur anderer Vögel Neſter gern in Beſchlag,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/104>, abgerufen am 21.11.2024.
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