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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Sperlingsvögel. Kreuzschnäbel.
angestellt und immer denselben Erfolg gefunden; ich habe einen vor mir liegen, welcher im vorigen
Sommer in der größten Hitze geschossen wurde und doch alle Federn behalten hat; ich habe auch
eine zwanzig Jahr alte Mumie gesehen." Daß nur das in den Leib aufgenommene Harz die Ursache
dieses eigenthümlichen Befundes ist, geht aus anderen Beobachtungen hervor; denn wenn der Kreuz-
schnabel sich einige Zeit von Kerbthieren genährt hat, verfällt sein Leib ebenso schnell der Verwesung,
wie die Leiche anderer kleiner Vögel.

Eine Kreuzschnabelgesellschaft bildet zu jeder Zeit eine große Zierde der Waldbäume; am präch-
tigsten aber nimmt sie sich aus, wenn der Winter die Herrschaft führt und dicker Schnee auf den
Zweigen liegt. Dann heben sich die rothen Vögelchen lebendig ab von dem düstern Astgrün und
dem weißen Schnee und wandeln den ganzen Wipfel zu einem Christbaum um, wie er sich schöner
nicht gedacht werden kann. Zu der ansprechenden Farbe der Vögel gesellt sich ihr frisches, fröhliches
Leben, welches Jedermann erfreut, ihre stille aber beständige Regsamkeit, ihr hübsches Auf- und
Niederklettern, ihr Schwatzen und Singen. Noch anziehender wird diese Gesellschaft, wenn die Brut-
zeit gerade in die Wintermonate fällt.

Es ist bekannt, daß die Kreuzschnäbel in allen Monaten des Jahres nisten, im Hochsommer eben-
sowohl, als im eisigen Winter, wenn der Schnee dick auf den Zweigen liegt und alles übrige Leben
im Walde fast vollständig verstummt ist. Der Kreuzschnabel, welcher um diese Zeit brüten will,
kümmert sich nicht um die Unbill des Wetters; er trägt den goldenen Frühling mit all seiner Lust
und Freude in sich selber. Die zahlreiche Gesellschaft trennt sich jetzt in einzelne Paare, und diese
wählen sich möglichst nahe neben einander die schönsten Bäume im Walde aus, um diesen die Wiege
ihrer Kinder anzuvertrauen. Das Männchen setzt sich auf die höchste Spitze des höchsten Baumes,
singt eifrig, lockt anhaltend und dreht sich dabei unaufhörlich um sich selbst herum, wahrscheinlich in
der Absicht, dem Weibchen sich in seiner ganzen Schönheit zu zeigen. Kommt dieses nicht herbei, so
fliegt es auf einen andern Baum und singt und lockt von neuem; nähert sich die spröde Gattin aber,
so fliegt das Männchen sofort hinter ihr her und jagt sie spielend unter piependem Geschrei von Ast zu
Ast. Der Kiefernkreuzschnabel pflegt bei solcher Liebesbewerbung noch besondere Flugspiele auszu-
führen, erhebt sich mit zitternden Flügelschlägen, flattert und singt dabei, kehrt aber ebenso wie der
Fichtenkreuzschnabel immer wieder auf denselben Baum zurück. Das Liebesspiel währt bis gegen elf
Uhr Mittags; dann beginnt der Bau des Nestes. Dieses steht bald auf einem weit vorstehenden
Aste, auf einer Gabel oder auf einem dicken Ast am Stamm, bald nahe am Wipfel, bald weit von
ihm, immer jedoch so, daß Zweige von oder über dem Neste hinlaufen, durch welche es gegen den
daran und darauf fallenden Schnee geschützt und zugleich möglichst versteckt ist. Es ist ein Kunstbau,
welcher äußerlich aus dürren Fichtenreisern, Haidekraut, dürren Grasstengelchen, der Hauptsache nach
aber aus Fichtenflechten, Baum- und Erdmos gebaut und innen mit einzelnen Federn, Grashälmchen
und Kiefernnadeln ausgelegt wird. Die Wände sind ungefähr einen guten Zoll dick und vortrefflich
zusammengewebt; der Napf ist verhältnißmäßig tief. Jn beschriebener Weise sind wenigstens alle
Kreuzschnabelnester in Dentschland gebaut, und deshalb ist es um so auffallender, von einem der
besten Thierkenner Schwedens, Propst Eckström, zu vernehmen, daß der Kiefernkreuzschnabel in
den schwedischen Waldungen ein Nest bauen soll "rund aus feinen trockenen Fichtenzweigen und Bart-
flechten zusammengestoppelt, aber so groß, daß sein Durchmesser eine Elle und darüber beträgt. Der
Eingang ist kreisrund und so eng, daß der Vogel sich nur mit Noth hindurchdrängen kann, aber die
Höhlung oder der Breitraum ist so groß, daß er die geballte Faust aufnimmt. Jn dieser Weise wird
übrigens nur das Winternest ausgeführt; die Sommernester sind kleiner und dünnwandiger." Jch
habe diese Angabe hier aufgenommen, obwohl ich noch keineswegs überzeugt bin, daß sie sich wirklich auf
unsere Kreuzschnäbel bezieht. Gewiß ist, daß der Vogel große Mühe auf den Bau seines Nestes ver-
wendet. "Jch hatte Gelegenheit", sagt mein Vater, "ein Weibchen während des Nestbaues zu beob-
achten. Zuerst brach es die dürren Reiser ab und trug sie an Ort und Stelle, dann lief es auf den
Aesten der benachbarten Bäume herum, um die Bartflechten zu suchen; es nahm davon jedes Mal

Die Knacker. Sperlingsvögel. Kreuzſchnäbel.
angeſtellt und immer denſelben Erfolg gefunden; ich habe einen vor mir liegen, welcher im vorigen
Sommer in der größten Hitze geſchoſſen wurde und doch alle Federn behalten hat; ich habe auch
eine zwanzig Jahr alte Mumie geſehen.‟ Daß nur das in den Leib aufgenommene Harz die Urſache
dieſes eigenthümlichen Befundes iſt, geht aus anderen Beobachtungen hervor; denn wenn der Kreuz-
ſchnabel ſich einige Zeit von Kerbthieren genährt hat, verfällt ſein Leib ebenſo ſchnell der Verweſung,
wie die Leiche anderer kleiner Vögel.

Eine Kreuzſchnabelgeſellſchaft bildet zu jeder Zeit eine große Zierde der Waldbäume; am präch-
tigſten aber nimmt ſie ſich aus, wenn der Winter die Herrſchaft führt und dicker Schnee auf den
Zweigen liegt. Dann heben ſich die rothen Vögelchen lebendig ab von dem düſtern Aſtgrün und
dem weißen Schnee und wandeln den ganzen Wipfel zu einem Chriſtbaum um, wie er ſich ſchöner
nicht gedacht werden kann. Zu der anſprechenden Farbe der Vögel geſellt ſich ihr friſches, fröhliches
Leben, welches Jedermann erfreut, ihre ſtille aber beſtändige Regſamkeit, ihr hübſches Auf- und
Niederklettern, ihr Schwatzen und Singen. Noch anziehender wird dieſe Geſellſchaft, wenn die Brut-
zeit gerade in die Wintermonate fällt.

Es iſt bekannt, daß die Kreuzſchnäbel in allen Monaten des Jahres niſten, im Hochſommer eben-
ſowohl, als im eiſigen Winter, wenn der Schnee dick auf den Zweigen liegt und alles übrige Leben
im Walde faſt vollſtändig verſtummt iſt. Der Kreuzſchnabel, welcher um dieſe Zeit brüten will,
kümmert ſich nicht um die Unbill des Wetters; er trägt den goldenen Frühling mit all ſeiner Luſt
und Freude in ſich ſelber. Die zahlreiche Geſellſchaft trennt ſich jetzt in einzelne Paare, und dieſe
wählen ſich möglichſt nahe neben einander die ſchönſten Bäume im Walde aus, um dieſen die Wiege
ihrer Kinder anzuvertrauen. Das Männchen ſetzt ſich auf die höchſte Spitze des höchſten Baumes,
ſingt eifrig, lockt anhaltend und dreht ſich dabei unaufhörlich um ſich ſelbſt herum, wahrſcheinlich in
der Abſicht, dem Weibchen ſich in ſeiner ganzen Schönheit zu zeigen. Kommt dieſes nicht herbei, ſo
fliegt es auf einen andern Baum und ſingt und lockt von neuem; nähert ſich die ſpröde Gattin aber,
ſo fliegt das Männchen ſofort hinter ihr her und jagt ſie ſpielend unter piependem Geſchrei von Aſt zu
Aſt. Der Kiefernkreuzſchnabel pflegt bei ſolcher Liebesbewerbung noch beſondere Flugſpiele auszu-
führen, erhebt ſich mit zitternden Flügelſchlägen, flattert und ſingt dabei, kehrt aber ebenſo wie der
Fichtenkreuzſchnabel immer wieder auf denſelben Baum zurück. Das Liebesſpiel währt bis gegen elf
Uhr Mittags; dann beginnt der Bau des Neſtes. Dieſes ſteht bald auf einem weit vorſtehenden
Aſte, auf einer Gabel oder auf einem dicken Aſt am Stamm, bald nahe am Wipfel, bald weit von
ihm, immer jedoch ſo, daß Zweige von oder über dem Neſte hinlaufen, durch welche es gegen den
daran und darauf fallenden Schnee geſchützt und zugleich möglichſt verſteckt iſt. Es iſt ein Kunſtbau,
welcher äußerlich aus dürren Fichtenreiſern, Haidekraut, dürren Grasſtengelchen, der Hauptſache nach
aber aus Fichtenflechten, Baum- und Erdmos gebaut und innen mit einzelnen Federn, Grashälmchen
und Kiefernnadeln ausgelegt wird. Die Wände ſind ungefähr einen guten Zoll dick und vortrefflich
zuſammengewebt; der Napf iſt verhältnißmäßig tief. Jn beſchriebener Weiſe ſind wenigſtens alle
Kreuzſchnabelneſter in Dentſchland gebaut, und deshalb iſt es um ſo auffallender, von einem der
beſten Thierkenner Schwedens, Propſt Eckſtröm, zu vernehmen, daß der Kiefernkreuzſchnabel in
den ſchwediſchen Waldungen ein Neſt bauen ſoll „rund aus feinen trockenen Fichtenzweigen und Bart-
flechten zuſammengeſtoppelt, aber ſo groß, daß ſein Durchmeſſer eine Elle und darüber beträgt. Der
Eingang iſt kreisrund und ſo eng, daß der Vogel ſich nur mit Noth hindurchdrängen kann, aber die
Höhlung oder der Breitraum iſt ſo groß, daß er die geballte Fauſt aufnimmt. Jn dieſer Weiſe wird
übrigens nur das Winterneſt ausgeführt; die Sommerneſter ſind kleiner und dünnwandiger.‟ Jch
habe dieſe Angabe hier aufgenommen, obwohl ich noch keineswegs überzeugt bin, daß ſie ſich wirklich auf
unſere Kreuzſchnäbel bezieht. Gewiß iſt, daß der Vogel große Mühe auf den Bau ſeines Neſtes ver-
wendet. „Jch hatte Gelegenheit‟, ſagt mein Vater, „ein Weibchen während des Neſtbaues zu beob-
achten. Zuerſt brach es die dürren Reiſer ab und trug ſie an Ort und Stelle, dann lief es auf den
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[96/0114] Die Knacker. Sperlingsvögel. Kreuzſchnäbel. angeſtellt und immer denſelben Erfolg gefunden; ich habe einen vor mir liegen, welcher im vorigen Sommer in der größten Hitze geſchoſſen wurde und doch alle Federn behalten hat; ich habe auch eine zwanzig Jahr alte Mumie geſehen.‟ Daß nur das in den Leib aufgenommene Harz die Urſache dieſes eigenthümlichen Befundes iſt, geht aus anderen Beobachtungen hervor; denn wenn der Kreuz- ſchnabel ſich einige Zeit von Kerbthieren genährt hat, verfällt ſein Leib ebenſo ſchnell der Verweſung, wie die Leiche anderer kleiner Vögel. Eine Kreuzſchnabelgeſellſchaft bildet zu jeder Zeit eine große Zierde der Waldbäume; am präch- tigſten aber nimmt ſie ſich aus, wenn der Winter die Herrſchaft führt und dicker Schnee auf den Zweigen liegt. Dann heben ſich die rothen Vögelchen lebendig ab von dem düſtern Aſtgrün und dem weißen Schnee und wandeln den ganzen Wipfel zu einem Chriſtbaum um, wie er ſich ſchöner nicht gedacht werden kann. Zu der anſprechenden Farbe der Vögel geſellt ſich ihr friſches, fröhliches Leben, welches Jedermann erfreut, ihre ſtille aber beſtändige Regſamkeit, ihr hübſches Auf- und Niederklettern, ihr Schwatzen und Singen. Noch anziehender wird dieſe Geſellſchaft, wenn die Brut- zeit gerade in die Wintermonate fällt. Es iſt bekannt, daß die Kreuzſchnäbel in allen Monaten des Jahres niſten, im Hochſommer eben- ſowohl, als im eiſigen Winter, wenn der Schnee dick auf den Zweigen liegt und alles übrige Leben im Walde faſt vollſtändig verſtummt iſt. Der Kreuzſchnabel, welcher um dieſe Zeit brüten will, kümmert ſich nicht um die Unbill des Wetters; er trägt den goldenen Frühling mit all ſeiner Luſt und Freude in ſich ſelber. Die zahlreiche Geſellſchaft trennt ſich jetzt in einzelne Paare, und dieſe wählen ſich möglichſt nahe neben einander die ſchönſten Bäume im Walde aus, um dieſen die Wiege ihrer Kinder anzuvertrauen. Das Männchen ſetzt ſich auf die höchſte Spitze des höchſten Baumes, ſingt eifrig, lockt anhaltend und dreht ſich dabei unaufhörlich um ſich ſelbſt herum, wahrſcheinlich in der Abſicht, dem Weibchen ſich in ſeiner ganzen Schönheit zu zeigen. Kommt dieſes nicht herbei, ſo fliegt es auf einen andern Baum und ſingt und lockt von neuem; nähert ſich die ſpröde Gattin aber, ſo fliegt das Männchen ſofort hinter ihr her und jagt ſie ſpielend unter piependem Geſchrei von Aſt zu Aſt. Der Kiefernkreuzſchnabel pflegt bei ſolcher Liebesbewerbung noch beſondere Flugſpiele auszu- führen, erhebt ſich mit zitternden Flügelſchlägen, flattert und ſingt dabei, kehrt aber ebenſo wie der Fichtenkreuzſchnabel immer wieder auf denſelben Baum zurück. Das Liebesſpiel währt bis gegen elf Uhr Mittags; dann beginnt der Bau des Neſtes. Dieſes ſteht bald auf einem weit vorſtehenden Aſte, auf einer Gabel oder auf einem dicken Aſt am Stamm, bald nahe am Wipfel, bald weit von ihm, immer jedoch ſo, daß Zweige von oder über dem Neſte hinlaufen, durch welche es gegen den daran und darauf fallenden Schnee geſchützt und zugleich möglichſt verſteckt iſt. Es iſt ein Kunſtbau, welcher äußerlich aus dürren Fichtenreiſern, Haidekraut, dürren Grasſtengelchen, der Hauptſache nach aber aus Fichtenflechten, Baum- und Erdmos gebaut und innen mit einzelnen Federn, Grashälmchen und Kiefernnadeln ausgelegt wird. Die Wände ſind ungefähr einen guten Zoll dick und vortrefflich zuſammengewebt; der Napf iſt verhältnißmäßig tief. Jn beſchriebener Weiſe ſind wenigſtens alle Kreuzſchnabelneſter in Dentſchland gebaut, und deshalb iſt es um ſo auffallender, von einem der beſten Thierkenner Schwedens, Propſt Eckſtröm, zu vernehmen, daß der Kiefernkreuzſchnabel in den ſchwediſchen Waldungen ein Neſt bauen ſoll „rund aus feinen trockenen Fichtenzweigen und Bart- flechten zuſammengeſtoppelt, aber ſo groß, daß ſein Durchmeſſer eine Elle und darüber beträgt. Der Eingang iſt kreisrund und ſo eng, daß der Vogel ſich nur mit Noth hindurchdrängen kann, aber die Höhlung oder der Breitraum iſt ſo groß, daß er die geballte Fauſt aufnimmt. Jn dieſer Weiſe wird übrigens nur das Winterneſt ausgeführt; die Sommerneſter ſind kleiner und dünnwandiger.‟ Jch habe dieſe Angabe hier aufgenommen, obwohl ich noch keineswegs überzeugt bin, daß ſie ſich wirklich auf unſere Kreuzſchnäbel bezieht. Gewiß iſt, daß der Vogel große Mühe auf den Bau ſeines Neſtes ver- wendet. „Jch hatte Gelegenheit‟, ſagt mein Vater, „ein Weibchen während des Neſtbaues zu beob- achten. Zuerſt brach es die dürren Reiſer ab und trug ſie an Ort und Stelle, dann lief es auf den Aeſten der benachbarten Bäume herum, um die Bartflechten zu ſuchen; es nahm davon jedes Mal

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/114>, abgerufen am 21.11.2024.