Er hing ganz tief, so daß man nahe zu ihm treten und sich mit ihm unterhalten konnte. Er scheute sich auch vor fremden Menschen nicht. Wenn er das gelernte Lied, welches er wunderschön vortrug, pfeifen sollte, ging sein Herr zu ihm, rief ihn beim Namen und verbeugte sich drei Mal, was der Vogel jedes Mal mit großer Freude und Anmuth erwiederte. Nach der dritten Verbeugung fing er die herrliche Weise zu pfeifen an und vollendete sie in einem Zuge ohne die geringsten Fehler. Er erwartete nun von seinem Herrn die Bezeugung der Zufriedenheit und war außer sich vor Freude, wenn er recht gelobt wurde. Sonderbar war es, daß er bei jedem Manne, welcher sich ihm näherte und ihn gehörig mit Verbeugungen begrüßte, ein Gleiches that, aber nie einem Frauenzimmer Ge- horsam leistete. Eine Verwandte des Besitzers setzte dessen Mütze auf und näherte sich mit ihr dem unhöflichen Vogel, aber er blieb unfolgsam, wie bisher.
"So weit wird aber selten ein Gimpel gebracht, und soll er dahin kommen, dann muß er früh- zeitig aus dem Neste genommen werden und darf außer der Weise, die er lernen soll, keine andern Töne hören; er ahmt sonst auch diese nach. Jch habe einen gesehen, welcher die Hälfte des gelernten Liedchens, seinen Waldgesang, das Geschrei der Sperlinge, das Krähen des Haushahns u. dgl. unter einander vortrug."
Es ist erklärlich, daß gut gelernte und gezähmte Gimpel viel Freude verursachen; sie werben aber auch selbst förmlich um die Gunst der Menschen, von denen sie Freundliches erfahren haben. Viel- leicht gibt es keinen andern Stubenvogel, welcher in demselben Grade zahm wird, wie der Gimpel. Das Vorherrschen seines Gemüthes über den Verstand macht sich bei genauer Beobachtung bald bemerklich. Der Gimpel tritt nicht blos in ein Abhängigkeitsverhältniß zu dem Menschen, sondern schließt warme Freundschaft mit ihm. Er verlangt, daß dieser sich mit ihm beschäftige; er äußert seine Freude über das ihm gespendete Lob oder seine Trauer über den ihm gewordenen Tadel. "Wir haben hier öfters welche gehabt", sagt Lenz, "welche jedesmal eine lebhafte Freude äußerten, sobald ein gemei- ner Mann aus dem nächsten Städtchen, wo sie aufgezogen worden, in die Stube trat, ja, die oft schon ganz unruhig wurden, wenn sie Jemand von dort vor der Thür sprechen hörten." Ja, wir kennen bereits mehrere Beispiele, daß Gimpel in Folge allzu heftiger Gefühlserregung starben. Eine meiner Familie befreundete Frau besaß einen Gimpel, welcher so zahm war, daß er von seinem Bauer aus das ganze Zimmer durchstreifen durfte. Eines Nachmittags konnte sich die Herrin nicht mit dem Vogel abgeben, so sehr er auch wiederholt um Liebkosungen bat. Sie mußte ihn endlich, gestört durch sein Umherfliegen, in den Käfig sperren und diesen, weil der Gimpel sehr unglücklich schien, mit dem Tuche verhängen. Der Gimpel stieß noch einige traurige Töne aus, als ob er um Freiheit und Liebe bitte, wurde dann ganz still, zog seinen Kopf ein, sträubte das Gefieder und fiel todt von seiner Sitzstange herab. Das gerade Gegentheil hat ein alter Herr meinem Vater berichtet. Er mußte ver- reisen, und sein Gimpel war sehr traurig und still während seiner Abwesenheit. Die Freude unseres Vogels kannte aber keine Grenzen mehr, als sein Freund und Gebieter zu ihm zurückkehrte; er schlug mit den Flügeln, nickte freundliche Grüße zu, wie es ihm gelehrt worden war, sang die Lieblingslieder, flatterte auf und nieder, wurde plötzlich ruhig und fiel todt zu Boden. Jhn hatte die Freude getödtet.
Jung ausgeflogene Gimpel können zum Aus- und Einfliegen gewöhnt werden. Davon erzählt Lenz ein hübsches Beispiel, welches ihm durch den Lehrer Becker mitgetheilt wurde. "Jm Frühjahre 1856 ließ der Pfarrer Riegl zu Fischbach im Nassauer Amte Königstein bei Frankfurt ein im Jahre 1855 aufgezogenes Gimpelweibchen in seinem Garten frei. Das Thierchen konnte mehrere Tage hindurch nicht dahin gebracht werden, daß es ins Weite flog, verschwand jedoch endlich, kam aber im Herbst zurück, flog ins Zimmer und zeigte sich daselbst so zahm, wie früherhin. Jm Frühling 1857 wurde es wieder frei gelassen, erschien im Juni mit vier seiner Jungen im Pfarrgarten, nahte sich ganz vertraulich, suchte auch seine Jungen zu seinen Verpflegern hinzulocken, verließ aber den Ort, da diese seine Bemühung vergeblich war, kam im September desselben Jahres mit drei Jungen der Nachbrut zurück, verweilte mit diesen einige Zeit, verschwand dann mit ihnen, kam im Spätherbst allein und nahm seine Herberge wieder für den Winter im Pfarrhaus. Jm Frühjahr 1858 flog es
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Gimpel oder Dompfaff.
Er hing ganz tief, ſo daß man nahe zu ihm treten und ſich mit ihm unterhalten konnte. Er ſcheute ſich auch vor fremden Menſchen nicht. Wenn er das gelernte Lied, welches er wunderſchön vortrug, pfeifen ſollte, ging ſein Herr zu ihm, rief ihn beim Namen und verbeugte ſich drei Mal, was der Vogel jedes Mal mit großer Freude und Anmuth erwiederte. Nach der dritten Verbeugung fing er die herrliche Weiſe zu pfeifen an und vollendete ſie in einem Zuge ohne die geringſten Fehler. Er erwartete nun von ſeinem Herrn die Bezeugung der Zufriedenheit und war außer ſich vor Freude, wenn er recht gelobt wurde. Sonderbar war es, daß er bei jedem Manne, welcher ſich ihm näherte und ihn gehörig mit Verbeugungen begrüßte, ein Gleiches that, aber nie einem Frauenzimmer Ge- horſam leiſtete. Eine Verwandte des Beſitzers ſetzte deſſen Mütze auf und näherte ſich mit ihr dem unhöflichen Vogel, aber er blieb unfolgſam, wie bisher.
„So weit wird aber ſelten ein Gimpel gebracht, und ſoll er dahin kommen, dann muß er früh- zeitig aus dem Neſte genommen werden und darf außer der Weiſe, die er lernen ſoll, keine andern Töne hören; er ahmt ſonſt auch dieſe nach. Jch habe einen geſehen, welcher die Hälfte des gelernten Liedchens, ſeinen Waldgeſang, das Geſchrei der Sperlinge, das Krähen des Haushahns u. dgl. unter einander vortrug.‟
Es iſt erklärlich, daß gut gelernte und gezähmte Gimpel viel Freude verurſachen; ſie werben aber auch ſelbſt förmlich um die Gunſt der Menſchen, von denen ſie Freundliches erfahren haben. Viel- leicht gibt es keinen andern Stubenvogel, welcher in demſelben Grade zahm wird, wie der Gimpel. Das Vorherrſchen ſeines Gemüthes über den Verſtand macht ſich bei genauer Beobachtung bald bemerklich. Der Gimpel tritt nicht blos in ein Abhängigkeitsverhältniß zu dem Menſchen, ſondern ſchließt warme Freundſchaft mit ihm. Er verlangt, daß dieſer ſich mit ihm beſchäftige; er äußert ſeine Freude über das ihm geſpendete Lob oder ſeine Trauer über den ihm gewordenen Tadel. „Wir haben hier öfters welche gehabt‟, ſagt Lenz, „welche jedesmal eine lebhafte Freude äußerten, ſobald ein gemei- ner Mann aus dem nächſten Städtchen, wo ſie aufgezogen worden, in die Stube trat, ja, die oft ſchon ganz unruhig wurden, wenn ſie Jemand von dort vor der Thür ſprechen hörten.‟ Ja, wir kennen bereits mehrere Beiſpiele, daß Gimpel in Folge allzu heftiger Gefühlserregung ſtarben. Eine meiner Familie befreundete Frau beſaß einen Gimpel, welcher ſo zahm war, daß er von ſeinem Bauer aus das ganze Zimmer durchſtreifen durfte. Eines Nachmittags konnte ſich die Herrin nicht mit dem Vogel abgeben, ſo ſehr er auch wiederholt um Liebkoſungen bat. Sie mußte ihn endlich, geſtört durch ſein Umherfliegen, in den Käfig ſperren und dieſen, weil der Gimpel ſehr unglücklich ſchien, mit dem Tuche verhängen. Der Gimpel ſtieß noch einige traurige Töne aus, als ob er um Freiheit und Liebe bitte, wurde dann ganz ſtill, zog ſeinen Kopf ein, ſträubte das Gefieder und fiel todt von ſeiner Sitzſtange herab. Das gerade Gegentheil hat ein alter Herr meinem Vater berichtet. Er mußte ver- reiſen, und ſein Gimpel war ſehr traurig und ſtill während ſeiner Abweſenheit. Die Freude unſeres Vogels kannte aber keine Grenzen mehr, als ſein Freund und Gebieter zu ihm zurückkehrte; er ſchlug mit den Flügeln, nickte freundliche Grüße zu, wie es ihm gelehrt worden war, ſang die Lieblingslieder, flatterte auf und nieder, wurde plötzlich ruhig und fiel todt zu Boden. Jhn hatte die Freude getödtet.
Jung ausgeflogene Gimpel können zum Aus- und Einfliegen gewöhnt werden. Davon erzählt Lenz ein hübſches Beiſpiel, welches ihm durch den Lehrer Becker mitgetheilt wurde. „Jm Frühjahre 1856 ließ der Pfarrer Riegl zu Fiſchbach im Naſſauer Amte Königſtein bei Frankfurt ein im Jahre 1855 aufgezogenes Gimpelweibchen in ſeinem Garten frei. Das Thierchen konnte mehrere Tage hindurch nicht dahin gebracht werden, daß es ins Weite flog, verſchwand jedoch endlich, kam aber im Herbſt zurück, flog ins Zimmer und zeigte ſich daſelbſt ſo zahm, wie früherhin. Jm Frühling 1857 wurde es wieder frei gelaſſen, erſchien im Juni mit vier ſeiner Jungen im Pfarrgarten, nahte ſich ganz vertraulich, ſuchte auch ſeine Jungen zu ſeinen Verpflegern hinzulocken, verließ aber den Ort, da dieſe ſeine Bemühung vergeblich war, kam im September deſſelben Jahres mit drei Jungen der Nachbrut zurück, verweilte mit dieſen einige Zeit, verſchwand dann mit ihnen, kam im Spätherbſt allein und nahm ſeine Herberge wieder für den Winter im Pfarrhaus. Jm Frühjahr 1858 flog es
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[115/0133]
Gimpel oder Dompfaff.
Er hing ganz tief, ſo daß man nahe zu ihm treten und ſich mit ihm unterhalten konnte. Er ſcheute
ſich auch vor fremden Menſchen nicht. Wenn er das gelernte Lied, welches er wunderſchön vortrug,
pfeifen ſollte, ging ſein Herr zu ihm, rief ihn beim Namen und verbeugte ſich drei Mal, was der
Vogel jedes Mal mit großer Freude und Anmuth erwiederte. Nach der dritten Verbeugung fing er
die herrliche Weiſe zu pfeifen an und vollendete ſie in einem Zuge ohne die geringſten Fehler. Er
erwartete nun von ſeinem Herrn die Bezeugung der Zufriedenheit und war außer ſich vor Freude,
wenn er recht gelobt wurde. Sonderbar war es, daß er bei jedem Manne, welcher ſich ihm näherte
und ihn gehörig mit Verbeugungen begrüßte, ein Gleiches that, aber nie einem Frauenzimmer Ge-
horſam leiſtete. Eine Verwandte des Beſitzers ſetzte deſſen Mütze auf und näherte ſich mit ihr dem
unhöflichen Vogel, aber er blieb unfolgſam, wie bisher.
„So weit wird aber ſelten ein Gimpel gebracht, und ſoll er dahin kommen, dann muß er früh-
zeitig aus dem Neſte genommen werden und darf außer der Weiſe, die er lernen ſoll, keine andern
Töne hören; er ahmt ſonſt auch dieſe nach. Jch habe einen geſehen, welcher die Hälfte des gelernten
Liedchens, ſeinen Waldgeſang, das Geſchrei der Sperlinge, das Krähen des Haushahns u. dgl.
unter einander vortrug.‟
Es iſt erklärlich, daß gut gelernte und gezähmte Gimpel viel Freude verurſachen; ſie werben aber
auch ſelbſt förmlich um die Gunſt der Menſchen, von denen ſie Freundliches erfahren haben. Viel-
leicht gibt es keinen andern Stubenvogel, welcher in demſelben Grade zahm wird, wie der Gimpel.
Das Vorherrſchen ſeines Gemüthes über den Verſtand macht ſich bei genauer Beobachtung bald
bemerklich. Der Gimpel tritt nicht blos in ein Abhängigkeitsverhältniß zu dem Menſchen, ſondern
ſchließt warme Freundſchaft mit ihm. Er verlangt, daß dieſer ſich mit ihm beſchäftige; er äußert ſeine
Freude über das ihm geſpendete Lob oder ſeine Trauer über den ihm gewordenen Tadel. „Wir haben
hier öfters welche gehabt‟, ſagt Lenz, „welche jedesmal eine lebhafte Freude äußerten, ſobald ein gemei-
ner Mann aus dem nächſten Städtchen, wo ſie aufgezogen worden, in die Stube trat, ja, die oft ſchon
ganz unruhig wurden, wenn ſie Jemand von dort vor der Thür ſprechen hörten.‟ Ja, wir kennen
bereits mehrere Beiſpiele, daß Gimpel in Folge allzu heftiger Gefühlserregung ſtarben. Eine meiner
Familie befreundete Frau beſaß einen Gimpel, welcher ſo zahm war, daß er von ſeinem Bauer aus
das ganze Zimmer durchſtreifen durfte. Eines Nachmittags konnte ſich die Herrin nicht mit dem
Vogel abgeben, ſo ſehr er auch wiederholt um Liebkoſungen bat. Sie mußte ihn endlich, geſtört
durch ſein Umherfliegen, in den Käfig ſperren und dieſen, weil der Gimpel ſehr unglücklich ſchien, mit
dem Tuche verhängen. Der Gimpel ſtieß noch einige traurige Töne aus, als ob er um Freiheit und
Liebe bitte, wurde dann ganz ſtill, zog ſeinen Kopf ein, ſträubte das Gefieder und fiel todt von ſeiner
Sitzſtange herab. Das gerade Gegentheil hat ein alter Herr meinem Vater berichtet. Er mußte ver-
reiſen, und ſein Gimpel war ſehr traurig und ſtill während ſeiner Abweſenheit. Die Freude unſeres
Vogels kannte aber keine Grenzen mehr, als ſein Freund und Gebieter zu ihm zurückkehrte; er ſchlug
mit den Flügeln, nickte freundliche Grüße zu, wie es ihm gelehrt worden war, ſang die Lieblingslieder,
flatterte auf und nieder, wurde plötzlich ruhig und fiel todt zu Boden. Jhn hatte die Freude getödtet.
Jung ausgeflogene Gimpel können zum Aus- und Einfliegen gewöhnt werden. Davon erzählt
Lenz ein hübſches Beiſpiel, welches ihm durch den Lehrer Becker mitgetheilt wurde. „Jm Frühjahre
1856 ließ der Pfarrer Riegl zu Fiſchbach im Naſſauer Amte Königſtein bei Frankfurt ein im Jahre
1855 aufgezogenes Gimpelweibchen in ſeinem Garten frei. Das Thierchen konnte mehrere Tage
hindurch nicht dahin gebracht werden, daß es ins Weite flog, verſchwand jedoch endlich, kam aber im
Herbſt zurück, flog ins Zimmer und zeigte ſich daſelbſt ſo zahm, wie früherhin. Jm Frühling 1857
wurde es wieder frei gelaſſen, erſchien im Juni mit vier ſeiner Jungen im Pfarrgarten, nahte ſich
ganz vertraulich, ſuchte auch ſeine Jungen zu ſeinen Verpflegern hinzulocken, verließ aber den Ort,
da dieſe ſeine Bemühung vergeblich war, kam im September deſſelben Jahres mit drei Jungen der
Nachbrut zurück, verweilte mit dieſen einige Zeit, verſchwand dann mit ihnen, kam im Spätherbſt
allein und nahm ſeine Herberge wieder für den Winter im Pfarrhaus. Jm Frühjahr 1858 flog es
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/133>, abgerufen am 21.11.2024.
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