ist kurz und schwächlich, der Flügel verhältnißmäßig groß und spitzig, der Schwanz ausgeschnitten, das Gefieder der Hauptfarbe nach gelblich oder grün. Die Weibchen sind matter gefärbt, als die Männchen, aber weit schöner gezeichnet, als die Jungen, welche jedoch im wesentlichen mit ihnen über- einstimmen. Das Männchen ist ein prächtiges, unserem Zeisig nicht unähnliches Vögelchen von 43/4 Zoll Länge, 8 Zoll Breite, dessen Schwanz fast 2 und dessen Fittig über 21/2 Zoll mißt. Das Weib- chen ist um einige Linien kürzer und um 2 bis 3 Linien schmäler. Bei ersterem ist der Vorderkopf, die Kehle, Gurgel und Brustmitte grünlich hochgelb, der Bauch lichtgelb, die Oberseite dagegen d. h. Hin- terkopf, Oberhals und Oberrücken olivengrün; der Untertheil ist einfärbig, nur seitlich mit ziemlich großen, dunkelschwarzen Längsflecken gezeichnet; die Oberseite ist mit vertuschten Flecken der Länge nach gestreift. Ueber die Flügel verlaufen zwei gelbliche Binden, die Schwingen und Steuerfedern sind einfach schwarzgrau, grünlich gesäumt. Jm Herbstkleide erscheinen Oberrücken und Flügel mehr ölbraun oder rothgrau. Das Weibchen ist blässer und stärker gefleckt, die Jungen sind oben schmuzig und blaßgrünlichgelb, hellbraun in die Länge gefleckt mit graugelbem Augenstreifen.
Jn Deutschland ist der Girlitz ein Wandervogel, welcher regelmäßig im Frühjahre und zwar in den letzten Tagen des März oder in den ersten Tagen des April erscheint und bis in den Spätherbst hin bei uns verweilt. Jn ganz Südeuropa streicht er während des Winters höchstens von einem Ort zum andern, ohne jedoch eine wirkliche Wanderung anzutreten. Hier ist er überall viel häufiger als bei uns zu Lande; in Spanien z. B. fehlt er nur an einzelnen Stellen der kalten kastilischen Hochebene. Längs der Küste ist er überall häufig und zwar in der Tiefe ebenso als in der Höhe. Jn Katalonien muß er gemein genannt werden; er übertrifft hier an Anzahl sicherlich die Sperlinge. Jeder Gar- ten, jeder Weinberg, aber auch jedes Wäldchen wird von ihm bevölkert und belebt, selbst die höchsten Gipfel des Montserrat bieten ihm noch einen erwünschten Aufenthalt. Jn Deutschland war er, wie schon bemerkt, vor wenig Jahren noch weit seltener als gegenwärtig; er eroberte sich unser Vater- land mehr und mehr. Früher traf man ihn blos im Südosten und Südwesten, jetzt ist er bereits bis Mitteldentschland vorgedrungen. Er hat sich bei Dresden fest angesiedelt, und ein Paar habe ich auch vor acht Jahren bereits in der Umgegend Jenas gesehen. Möglicherweise ist er dort jetzt schon häufig; denn aus allen Beobachtungen, welche gemacht wurden, geht hervor, daß er den einmal erober- ten Landstrich nicht wieder verläßt. Bemerkenswerth ist seine eigenthümliche Vorliebe für bestimmte Orte. Baumgärten, in deren Nähe Gemüsepflanzungen sind, sagen ihm am meisten zu; deshalb fin- det er sich in Deutschland an einzelnen Stellen sehr häufig, während er an andern, nahe liegenden gar nicht vorkommt. Nach Hoffmann's Beobachtungen siedelt er sich in der Umgegend Stuttgarts nie auf der Höhe, sondern nur im Thale und in der Ebene an. Jn Südeuropa ist Dies, wie bemerkt, nicht der Fall; aber auch in Baden macht er nach Homeyer's Erfahrungen keinen Unterschied zwi- schen hoch oder tief gelegenen Gegenden.
Der Girlitz ist ein sehr schmucker, lebendiger und anmuthiger Vogel, welcher auch recht leidlich singt. Jn seinem Betragen hat er manches Eigenthümliche; zumal während der Zeit der Liebe beträgt er sich auffallend genug. Die ersten Ankömmlinge bei uns sind immer Männchen; die Weibchen fol- gen später nach. Erstere machen sich sogleich durch ihren Gesang und ihr unruhiges Treiben sehr be- merkbar; sie setzen sich auf die höchsten Baumspitzen, lassen die Flügel hängen, erheben den Schwanz ein wenig, drehen sich beständig nach allen Seiten und singen dabei sehr eifrig. Nur wenn der Früh- ling kalt, windig oder regnerisch ist, verändert sich die Sache, "dann macht das Vögelchen", wie Ho- meyer sagt, "ein ganz anderes Gesicht. Es hält sich niedrig, um Schutz gegen die Witterung zu fin- den, und lockt nur hier und da leise und verstohlen aus einem Strauche heraus oder trippelt der Nahrung halber auf der Erde neben einem Meldenstrauch -- aber immer ruhig, ohne bei seiner schlechten Laune viel Wesens und Lärm zu machen. So kann es bei auhaltend ungünstiger Witterung kommen, daß schon viele Girlitze vorhanden sind, ohne daß man viel von ihnen sieht, während sie dann bei dem ersten Sonnenschein in Unzahl von allen hohen Bäumen herabsingen." Je näher die Begat- tungszeit kommt, um so eifriger trägt der Vogel sein Liedchen vor und um so sonderbarer geberdet er
Girlitz.
iſt kurz und ſchwächlich, der Flügel verhältnißmäßig groß und ſpitzig, der Schwanz ausgeſchnitten, das Gefieder der Hauptfarbe nach gelblich oder grün. Die Weibchen ſind matter gefärbt, als die Männchen, aber weit ſchöner gezeichnet, als die Jungen, welche jedoch im weſentlichen mit ihnen über- einſtimmen. Das Männchen iſt ein prächtiges, unſerem Zeiſig nicht unähnliches Vögelchen von 4¾ Zoll Länge, 8 Zoll Breite, deſſen Schwanz faſt 2 und deſſen Fittig über 2½ Zoll mißt. Das Weib- chen iſt um einige Linien kürzer und um 2 bis 3 Linien ſchmäler. Bei erſterem iſt der Vorderkopf, die Kehle, Gurgel und Bruſtmitte grünlich hochgelb, der Bauch lichtgelb, die Oberſeite dagegen d. h. Hin- terkopf, Oberhals und Oberrücken olivengrün; der Untertheil iſt einfärbig, nur ſeitlich mit ziemlich großen, dunkelſchwarzen Längsflecken gezeichnet; die Oberſeite iſt mit vertuſchten Flecken der Länge nach geſtreift. Ueber die Flügel verlaufen zwei gelbliche Binden, die Schwingen und Steuerfedern ſind einfach ſchwarzgrau, grünlich geſäumt. Jm Herbſtkleide erſcheinen Oberrücken und Flügel mehr ölbraun oder rothgrau. Das Weibchen iſt bläſſer und ſtärker gefleckt, die Jungen ſind oben ſchmuzig und blaßgrünlichgelb, hellbraun in die Länge gefleckt mit graugelbem Augenſtreifen.
Jn Deutſchland iſt der Girlitz ein Wandervogel, welcher regelmäßig im Frühjahre und zwar in den letzten Tagen des März oder in den erſten Tagen des April erſcheint und bis in den Spätherbſt hin bei uns verweilt. Jn ganz Südeuropa ſtreicht er während des Winters höchſtens von einem Ort zum andern, ohne jedoch eine wirkliche Wanderung anzutreten. Hier iſt er überall viel häufiger als bei uns zu Lande; in Spanien z. B. fehlt er nur an einzelnen Stellen der kalten kaſtiliſchen Hochebene. Längs der Küſte iſt er überall häufig und zwar in der Tiefe ebenſo als in der Höhe. Jn Katalonien muß er gemein genannt werden; er übertrifft hier an Anzahl ſicherlich die Sperlinge. Jeder Gar- ten, jeder Weinberg, aber auch jedes Wäldchen wird von ihm bevölkert und belebt, ſelbſt die höchſten Gipfel des Montſerrat bieten ihm noch einen erwünſchten Aufenthalt. Jn Deutſchland war er, wie ſchon bemerkt, vor wenig Jahren noch weit ſeltener als gegenwärtig; er eroberte ſich unſer Vater- land mehr und mehr. Früher traf man ihn blos im Südoſten und Südweſten, jetzt iſt er bereits bis Mitteldentſchland vorgedrungen. Er hat ſich bei Dresden feſt angeſiedelt, und ein Paar habe ich auch vor acht Jahren bereits in der Umgegend Jenas geſehen. Möglicherweiſe iſt er dort jetzt ſchon häufig; denn aus allen Beobachtungen, welche gemacht wurden, geht hervor, daß er den einmal erober- ten Landſtrich nicht wieder verläßt. Bemerkenswerth iſt ſeine eigenthümliche Vorliebe für beſtimmte Orte. Baumgärten, in deren Nähe Gemüſepflanzungen ſind, ſagen ihm am meiſten zu; deshalb fin- det er ſich in Deutſchland an einzelnen Stellen ſehr häufig, während er an andern, nahe liegenden gar nicht vorkommt. Nach Hoffmann’s Beobachtungen ſiedelt er ſich in der Umgegend Stuttgarts nie auf der Höhe, ſondern nur im Thale und in der Ebene an. Jn Südeuropa iſt Dies, wie bemerkt, nicht der Fall; aber auch in Baden macht er nach Homeyer’s Erfahrungen keinen Unterſchied zwi- ſchen hoch oder tief gelegenen Gegenden.
Der Girlitz iſt ein ſehr ſchmucker, lebendiger und anmuthiger Vogel, welcher auch recht leidlich ſingt. Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche; zumal während der Zeit der Liebe beträgt er ſich auffallend genug. Die erſten Ankömmlinge bei uns ſind immer Männchen; die Weibchen fol- gen ſpäter nach. Erſtere machen ſich ſogleich durch ihren Geſang und ihr unruhiges Treiben ſehr be- merkbar; ſie ſetzen ſich auf die höchſten Baumſpitzen, laſſen die Flügel hängen, erheben den Schwanz ein wenig, drehen ſich beſtändig nach allen Seiten und ſingen dabei ſehr eifrig. Nur wenn der Früh- ling kalt, windig oder regneriſch iſt, verändert ſich die Sache, „dann macht das Vögelchen‟, wie Ho- meyer ſagt, „ein ganz anderes Geſicht. Es hält ſich niedrig, um Schutz gegen die Witterung zu fin- den, und lockt nur hier und da leiſe und verſtohlen aus einem Strauche heraus oder trippelt der Nahrung halber auf der Erde neben einem Meldenſtrauch — aber immer ruhig, ohne bei ſeiner ſchlechten Laune viel Weſens und Lärm zu machen. So kann es bei auhaltend ungünſtiger Witterung kommen, daß ſchon viele Girlitze vorhanden ſind, ohne daß man viel von ihnen ſieht, während ſie dann bei dem erſten Sonnenſchein in Unzahl von allen hohen Bäumen herabſingen.‟ Je näher die Begat- tungszeit kommt, um ſo eifriger trägt der Vogel ſein Liedchen vor und um ſo ſonderbarer geberdet er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0135"n="117"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Girlitz.</hi></fw><lb/>
iſt kurz und ſchwächlich, der Flügel verhältnißmäßig groß und ſpitzig, der Schwanz ausgeſchnitten,<lb/>
das Gefieder der Hauptfarbe nach gelblich oder grün. Die Weibchen ſind matter gefärbt, als die<lb/>
Männchen, aber weit ſchöner gezeichnet, als die Jungen, welche jedoch im weſentlichen mit ihnen über-<lb/>
einſtimmen. Das Männchen iſt ein prächtiges, unſerem <hirendition="#g">Zeiſig</hi> nicht unähnliches Vögelchen von 4¾<lb/>
Zoll Länge, 8 Zoll Breite, deſſen Schwanz faſt 2 und deſſen Fittig über 2½ Zoll mißt. Das Weib-<lb/>
chen iſt um einige Linien kürzer und um 2 bis 3 Linien ſchmäler. Bei erſterem iſt der Vorderkopf, die<lb/>
Kehle, Gurgel und Bruſtmitte grünlich hochgelb, der Bauch lichtgelb, die Oberſeite dagegen d. h. Hin-<lb/>
terkopf, Oberhals und Oberrücken olivengrün; der Untertheil iſt einfärbig, nur ſeitlich mit ziemlich<lb/>
großen, dunkelſchwarzen Längsflecken gezeichnet; die Oberſeite iſt mit vertuſchten Flecken der Länge<lb/>
nach geſtreift. Ueber die Flügel verlaufen zwei gelbliche Binden, die Schwingen und Steuerfedern<lb/>ſind einfach ſchwarzgrau, grünlich geſäumt. Jm Herbſtkleide erſcheinen Oberrücken und Flügel mehr<lb/>
ölbraun oder rothgrau. Das Weibchen iſt bläſſer und ſtärker gefleckt, die Jungen ſind oben ſchmuzig<lb/>
und blaßgrünlichgelb, hellbraun in die Länge gefleckt mit graugelbem Augenſtreifen.</p><lb/><p>Jn Deutſchland iſt der Girlitz ein Wandervogel, welcher regelmäßig im Frühjahre und zwar in<lb/>
den letzten Tagen des März oder in den erſten Tagen des April erſcheint und bis in den Spätherbſt<lb/>
hin bei uns verweilt. Jn ganz Südeuropa ſtreicht er während des Winters höchſtens von einem Ort<lb/>
zum andern, ohne jedoch eine wirkliche Wanderung anzutreten. Hier iſt er überall viel häufiger als<lb/>
bei uns zu Lande; in Spanien z. B. fehlt er nur an einzelnen Stellen der kalten kaſtiliſchen Hochebene.<lb/>
Längs der Küſte iſt er überall häufig und zwar in der Tiefe ebenſo als in der Höhe. Jn Katalonien<lb/>
muß er gemein genannt werden; er übertrifft hier an Anzahl ſicherlich die <hirendition="#g">Sperlinge.</hi> Jeder Gar-<lb/>
ten, jeder Weinberg, aber auch jedes Wäldchen wird von ihm bevölkert und belebt, ſelbſt die höchſten<lb/>
Gipfel des <hirendition="#g">Montſerrat</hi> bieten ihm noch einen erwünſchten Aufenthalt. Jn Deutſchland war er,<lb/>
wie ſchon bemerkt, vor wenig Jahren noch weit ſeltener als gegenwärtig; er eroberte ſich unſer Vater-<lb/>
land mehr und mehr. Früher traf man ihn blos im Südoſten und Südweſten, jetzt iſt er bereits bis<lb/>
Mitteldentſchland vorgedrungen. Er hat ſich bei Dresden feſt angeſiedelt, und ein Paar habe ich<lb/>
auch vor acht Jahren bereits in der Umgegend Jenas geſehen. Möglicherweiſe iſt er dort jetzt ſchon<lb/>
häufig; denn aus allen Beobachtungen, welche gemacht wurden, geht hervor, daß er den einmal erober-<lb/>
ten Landſtrich nicht wieder verläßt. Bemerkenswerth iſt ſeine eigenthümliche Vorliebe für beſtimmte<lb/>
Orte. Baumgärten, in deren Nähe Gemüſepflanzungen ſind, ſagen ihm am meiſten zu; deshalb fin-<lb/>
det er ſich in Deutſchland an einzelnen Stellen ſehr häufig, während er an andern, nahe liegenden gar<lb/>
nicht vorkommt. Nach <hirendition="#g">Hoffmann’s</hi> Beobachtungen ſiedelt er ſich in der Umgegend Stuttgarts nie<lb/>
auf der Höhe, ſondern nur im Thale und in der Ebene an. Jn Südeuropa iſt Dies, wie bemerkt,<lb/>
nicht der Fall; aber auch in Baden macht er nach <hirendition="#g">Homeyer’s</hi> Erfahrungen keinen Unterſchied zwi-<lb/>ſchen hoch oder tief gelegenen Gegenden.</p><lb/><p>Der Girlitz iſt ein ſehr ſchmucker, lebendiger und anmuthiger Vogel, welcher auch recht leidlich<lb/>ſingt. Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche; zumal während der Zeit der Liebe beträgt<lb/>
er ſich auffallend genug. Die erſten Ankömmlinge bei uns ſind immer Männchen; die Weibchen fol-<lb/>
gen ſpäter nach. Erſtere machen ſich ſogleich durch ihren Geſang und ihr unruhiges Treiben ſehr be-<lb/>
merkbar; ſie ſetzen ſich auf die höchſten Baumſpitzen, laſſen die Flügel hängen, erheben den Schwanz<lb/>
ein wenig, drehen ſich beſtändig nach allen Seiten und ſingen dabei ſehr eifrig. Nur wenn der Früh-<lb/>
ling <hirendition="#g">kalt,</hi> windig oder regneriſch iſt, verändert ſich die Sache, „dann macht das Vögelchen‟, wie <hirendition="#g">Ho-<lb/>
meyer</hi>ſagt, „ein ganz anderes Geſicht. Es hält ſich niedrig, um Schutz gegen die Witterung zu fin-<lb/>
den, und lockt nur hier und da leiſe und verſtohlen aus einem Strauche heraus oder trippelt der<lb/>
Nahrung halber auf der Erde neben einem Meldenſtrauch — aber immer ruhig, ohne bei ſeiner<lb/>ſchlechten Laune viel Weſens und Lärm zu machen. So kann es bei auhaltend ungünſtiger Witterung<lb/>
kommen, daß ſchon viele Girlitze vorhanden ſind, ohne daß man viel von ihnen ſieht, während ſie dann<lb/>
bei dem erſten Sonnenſchein in Unzahl von allen hohen Bäumen herabſingen.‟ Je näher die Begat-<lb/>
tungszeit kommt, um ſo eifriger trägt der Vogel ſein Liedchen vor und um ſo ſonderbarer geberdet er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0135]
Girlitz.
iſt kurz und ſchwächlich, der Flügel verhältnißmäßig groß und ſpitzig, der Schwanz ausgeſchnitten,
das Gefieder der Hauptfarbe nach gelblich oder grün. Die Weibchen ſind matter gefärbt, als die
Männchen, aber weit ſchöner gezeichnet, als die Jungen, welche jedoch im weſentlichen mit ihnen über-
einſtimmen. Das Männchen iſt ein prächtiges, unſerem Zeiſig nicht unähnliches Vögelchen von 4¾
Zoll Länge, 8 Zoll Breite, deſſen Schwanz faſt 2 und deſſen Fittig über 2½ Zoll mißt. Das Weib-
chen iſt um einige Linien kürzer und um 2 bis 3 Linien ſchmäler. Bei erſterem iſt der Vorderkopf, die
Kehle, Gurgel und Bruſtmitte grünlich hochgelb, der Bauch lichtgelb, die Oberſeite dagegen d. h. Hin-
terkopf, Oberhals und Oberrücken olivengrün; der Untertheil iſt einfärbig, nur ſeitlich mit ziemlich
großen, dunkelſchwarzen Längsflecken gezeichnet; die Oberſeite iſt mit vertuſchten Flecken der Länge
nach geſtreift. Ueber die Flügel verlaufen zwei gelbliche Binden, die Schwingen und Steuerfedern
ſind einfach ſchwarzgrau, grünlich geſäumt. Jm Herbſtkleide erſcheinen Oberrücken und Flügel mehr
ölbraun oder rothgrau. Das Weibchen iſt bläſſer und ſtärker gefleckt, die Jungen ſind oben ſchmuzig
und blaßgrünlichgelb, hellbraun in die Länge gefleckt mit graugelbem Augenſtreifen.
Jn Deutſchland iſt der Girlitz ein Wandervogel, welcher regelmäßig im Frühjahre und zwar in
den letzten Tagen des März oder in den erſten Tagen des April erſcheint und bis in den Spätherbſt
hin bei uns verweilt. Jn ganz Südeuropa ſtreicht er während des Winters höchſtens von einem Ort
zum andern, ohne jedoch eine wirkliche Wanderung anzutreten. Hier iſt er überall viel häufiger als
bei uns zu Lande; in Spanien z. B. fehlt er nur an einzelnen Stellen der kalten kaſtiliſchen Hochebene.
Längs der Küſte iſt er überall häufig und zwar in der Tiefe ebenſo als in der Höhe. Jn Katalonien
muß er gemein genannt werden; er übertrifft hier an Anzahl ſicherlich die Sperlinge. Jeder Gar-
ten, jeder Weinberg, aber auch jedes Wäldchen wird von ihm bevölkert und belebt, ſelbſt die höchſten
Gipfel des Montſerrat bieten ihm noch einen erwünſchten Aufenthalt. Jn Deutſchland war er,
wie ſchon bemerkt, vor wenig Jahren noch weit ſeltener als gegenwärtig; er eroberte ſich unſer Vater-
land mehr und mehr. Früher traf man ihn blos im Südoſten und Südweſten, jetzt iſt er bereits bis
Mitteldentſchland vorgedrungen. Er hat ſich bei Dresden feſt angeſiedelt, und ein Paar habe ich
auch vor acht Jahren bereits in der Umgegend Jenas geſehen. Möglicherweiſe iſt er dort jetzt ſchon
häufig; denn aus allen Beobachtungen, welche gemacht wurden, geht hervor, daß er den einmal erober-
ten Landſtrich nicht wieder verläßt. Bemerkenswerth iſt ſeine eigenthümliche Vorliebe für beſtimmte
Orte. Baumgärten, in deren Nähe Gemüſepflanzungen ſind, ſagen ihm am meiſten zu; deshalb fin-
det er ſich in Deutſchland an einzelnen Stellen ſehr häufig, während er an andern, nahe liegenden gar
nicht vorkommt. Nach Hoffmann’s Beobachtungen ſiedelt er ſich in der Umgegend Stuttgarts nie
auf der Höhe, ſondern nur im Thale und in der Ebene an. Jn Südeuropa iſt Dies, wie bemerkt,
nicht der Fall; aber auch in Baden macht er nach Homeyer’s Erfahrungen keinen Unterſchied zwi-
ſchen hoch oder tief gelegenen Gegenden.
Der Girlitz iſt ein ſehr ſchmucker, lebendiger und anmuthiger Vogel, welcher auch recht leidlich
ſingt. Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche; zumal während der Zeit der Liebe beträgt
er ſich auffallend genug. Die erſten Ankömmlinge bei uns ſind immer Männchen; die Weibchen fol-
gen ſpäter nach. Erſtere machen ſich ſogleich durch ihren Geſang und ihr unruhiges Treiben ſehr be-
merkbar; ſie ſetzen ſich auf die höchſten Baumſpitzen, laſſen die Flügel hängen, erheben den Schwanz
ein wenig, drehen ſich beſtändig nach allen Seiten und ſingen dabei ſehr eifrig. Nur wenn der Früh-
ling kalt, windig oder regneriſch iſt, verändert ſich die Sache, „dann macht das Vögelchen‟, wie Ho-
meyer ſagt, „ein ganz anderes Geſicht. Es hält ſich niedrig, um Schutz gegen die Witterung zu fin-
den, und lockt nur hier und da leiſe und verſtohlen aus einem Strauche heraus oder trippelt der
Nahrung halber auf der Erde neben einem Meldenſtrauch — aber immer ruhig, ohne bei ſeiner
ſchlechten Laune viel Weſens und Lärm zu machen. So kann es bei auhaltend ungünſtiger Witterung
kommen, daß ſchon viele Girlitze vorhanden ſind, ohne daß man viel von ihnen ſieht, während ſie dann
bei dem erſten Sonnenſchein in Unzahl von allen hohen Bäumen herabſingen.‟ Je näher die Begat-
tungszeit kommt, um ſo eifriger trägt der Vogel ſein Liedchen vor und um ſo ſonderbarer geberdet er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/135>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.