Die eben geschilderten Umstände machen es erklärlich, daß wir über das Sommerleben noch äußerst dürftig unterrichtet sind. Es ist wiederholt behauptet worden, daß der Birkenzeisig auch in Deutschland brüte, bis jetzt aber ist noch kein Nest des Vogels in unserm Vaterlande gefunden worden. Lübbert sah den Vogel pärchenweise während des ganzen Sommers im Glatzer- und Riesengebirge und erhielt zwei Eier, von denen er glaubt, daß sie von ihm herrühren, ist aber nicht im Stande, Dies zu beweisen.
Es hält auch im Norden schwer, ein Nest zu entdecken. Die erste Beschreibung desselben rührt von Boje her, Schrader hat dessen Angaben lediglich bestätigt, ohne ihnen eigentlich etwas Neues hinzuzufügen. "Du weißt", schreibt Ersterer seinem Bruder, "wie viel Mühe wir uns bisher gegeben hatten, das Nest des Flachsfinken zu finden. Jch dachte nicht mehr an die Möglichkeit, es zu erhalten, und doch hat es mir ein Zufall in die Hände gespielt; denn als ich bei Norwick einen steilen und fast kahlen Abhang herunterstieg, that ich einen Fehltritt, fiel jämmerlich in das Gebüsch herab, und eben dieser mein Fall jagte ein brütendes Weibchen jener Vögel vom Neste auf. Es stand auf dem starken Seitenast einer Birke; in der Bauart kommt es ganz mit dem unseres Hänflings überein, innen ist es mit Schneehuhnfedern ausgefüttert. Die vier Eier sind nicht größer als die vom Girlitz und auf grünlichweißem Grunde mit braunröthlichen Tüpfeln besetzt."
Zu uns kommt der Birkenzeisig Anfangs November als Wintergast, manchmal in sehr großer Menge und nicht immer in solchen Jahren, welche auch bei uns mit einem strengen Winter beginnen. Höchst wahrscheinlich wird das Mißrathen des Birkensamens in seiner Heimat die Ursache zu seiner Wanderung. Er wählt sich bei uns Gegenden aus, in denen Erlen und Birken wachsen, vereinigt sich gewöhnlich mit dem Zeisig und streift mit diesem dann, den Gebirgen nachgehend, im Lande hin und her, nachts sich hohe, dichte Dornhecken zur Herberge erwählend. Eine höchst merkwürdige Beobach- tung Wagner's theilt Lenz mit. Ersterer sah nämlich, daß sich eine Menge Birkenzeisige gegen Abend nach und nach, mit dem Kopfe zuerst und mit eingezogenen Flügeln in den Schnee stürzten, um daselbst zu übernachten. Wagner zog bei solcher Gelegenheit mehrere von ihnen aus dem Schnee hervor.
Während seines Aufenthalts in der Fremde ernährt sich der Birkenzeisig zwar vorzugsweise von Birken- und Erlengesämen, sonst aber von fast allen übrigen kleinen ölhaltigen Sämereien, welche er auch in den Stoppelfeldern zusammenliest. Zumal in den ersten Wochen seines Aufenthaltes bei uns zeigt er sich als ein Geschöpf, welches die Tücke des Menschen noch nicht kennen gelernt hat. Er erscheint ohne Scheu in den Dörfern und sucht sich in unmittelbarer Nähe des Menschen sein Futter, läßt sich auch durch das Getreibe dieses seines Erzfeindes nicht im Geringsten stören. Erst wiederholte Verfolgung macht ihn vorsichtig, eigentlich scheu aber wird er nie.
Man darf wohl behaupten, daß der Erlenzeisig jedem Naturfreund Vergnügen gewährt. Er ist ein unruhiger, gewandter, munterer Gesell, dessen Beweglichkeit und Rastlosigkeit erfreut und dessen Harmlosigkeit sehr für ihn einnimmt. Jm Klettern ist er geschickter als seine sämmtlichen Verwand- ten; er wetteifert nicht blos mit dem Kreuzschnabel, sondern auch mit dem beweglichen Volk der Meisen. Birken, deren fadenähnliche Zweige von einer Schar der niedlichen Vögel bedeckt sind, gewähren einen prächtigen Anblick. Hier hängt und klettert die ganze Gesellschaft in den verschie- densten Stellungen auf und nieder und klaubt sich aus den Samenzäpfchen gar eifrig Nahrung aus. Aber auch auf dem Boden ist der Birkenzeisig nicht fremd; er geht öfter als sein Verwandter und Genosse, der gewöhnliche Zeisig, zum Boden herab und hüpft hier sehr geschickt umher. Sein Flug ist schnell, wellenförmig, vor dem Aufsitzen schwebend. Bei dem Ueberfliegen baumloser Strecken streicht der Schwarm gern in ziemlich bedeutender Höhe dahin, während er sich in baumreichen Gegenden selten mehr als nöthig erhebt. Die Lockstimme ist wiederholt ausgestoßenes "Tschettschek", welches namentlich beim Auffliegen aus aller Kehlen ertönt; ihr wird häufig ein zärtliches "Main" ange- hängt. Der Gesang besteht wesentlich aus diesen beiden Lauten, welche durch ein ungeordnetes Ge- zwitscher verbunden werden.
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
Die eben geſchilderten Umſtände machen es erklärlich, daß wir über das Sommerleben noch äußerſt dürftig unterrichtet ſind. Es iſt wiederholt behauptet worden, daß der Birkenzeiſig auch in Deutſchland brüte, bis jetzt aber iſt noch kein Neſt des Vogels in unſerm Vaterlande gefunden worden. Lübbert ſah den Vogel pärchenweiſe während des ganzen Sommers im Glatzer- und Rieſengebirge und erhielt zwei Eier, von denen er glaubt, daß ſie von ihm herrühren, iſt aber nicht im Stande, Dies zu beweiſen.
Es hält auch im Norden ſchwer, ein Neſt zu entdecken. Die erſte Beſchreibung deſſelben rührt von Boje her, Schrader hat deſſen Angaben lediglich beſtätigt, ohne ihnen eigentlich etwas Neues hinzuzufügen. „Du weißt‟, ſchreibt Erſterer ſeinem Bruder, „wie viel Mühe wir uns bisher gegeben hatten, das Neſt des Flachsfinken zu finden. Jch dachte nicht mehr an die Möglichkeit, es zu erhalten, und doch hat es mir ein Zufall in die Hände geſpielt; denn als ich bei Norwick einen ſteilen und faſt kahlen Abhang herunterſtieg, that ich einen Fehltritt, fiel jämmerlich in das Gebüſch herab, und eben dieſer mein Fall jagte ein brütendes Weibchen jener Vögel vom Neſte auf. Es ſtand auf dem ſtarken Seitenaſt einer Birke; in der Bauart kommt es ganz mit dem unſeres Hänflings überein, innen iſt es mit Schneehuhnfedern ausgefüttert. Die vier Eier ſind nicht größer als die vom Girlitz und auf grünlichweißem Grunde mit braunröthlichen Tüpfeln beſetzt.‟
Zu uns kommt der Birkenzeiſig Anfangs November als Wintergaſt, manchmal in ſehr großer Menge und nicht immer in ſolchen Jahren, welche auch bei uns mit einem ſtrengen Winter beginnen. Höchſt wahrſcheinlich wird das Mißrathen des Birkenſamens in ſeiner Heimat die Urſache zu ſeiner Wanderung. Er wählt ſich bei uns Gegenden aus, in denen Erlen und Birken wachſen, vereinigt ſich gewöhnlich mit dem Zeiſig und ſtreift mit dieſem dann, den Gebirgen nachgehend, im Lande hin und her, nachts ſich hohe, dichte Dornhecken zur Herberge erwählend. Eine höchſt merkwürdige Beobach- tung Wagner’s theilt Lenz mit. Erſterer ſah nämlich, daß ſich eine Menge Birkenzeiſige gegen Abend nach und nach, mit dem Kopfe zuerſt und mit eingezogenen Flügeln in den Schnee ſtürzten, um daſelbſt zu übernachten. Wagner zog bei ſolcher Gelegenheit mehrere von ihnen aus dem Schnee hervor.
Während ſeines Aufenthalts in der Fremde ernährt ſich der Birkenzeiſig zwar vorzugsweiſe von Birken- und Erlengeſämen, ſonſt aber von faſt allen übrigen kleinen ölhaltigen Sämereien, welche er auch in den Stoppelfeldern zuſammenlieſt. Zumal in den erſten Wochen ſeines Aufenthaltes bei uns zeigt er ſich als ein Geſchöpf, welches die Tücke des Menſchen noch nicht kennen gelernt hat. Er erſcheint ohne Scheu in den Dörfern und ſucht ſich in unmittelbarer Nähe des Menſchen ſein Futter, läßt ſich auch durch das Getreibe dieſes ſeines Erzfeindes nicht im Geringſten ſtören. Erſt wiederholte Verfolgung macht ihn vorſichtig, eigentlich ſcheu aber wird er nie.
Man darf wohl behaupten, daß der Erlenzeiſig jedem Naturfreund Vergnügen gewährt. Er iſt ein unruhiger, gewandter, munterer Geſell, deſſen Beweglichkeit und Raſtloſigkeit erfreut und deſſen Harmloſigkeit ſehr für ihn einnimmt. Jm Klettern iſt er geſchickter als ſeine ſämmtlichen Verwand- ten; er wetteifert nicht blos mit dem Kreuzſchnabel, ſondern auch mit dem beweglichen Volk der Meiſen. Birken, deren fadenähnliche Zweige von einer Schar der niedlichen Vögel bedeckt ſind, gewähren einen prächtigen Anblick. Hier hängt und klettert die ganze Geſellſchaft in den verſchie- denſten Stellungen auf und nieder und klaubt ſich aus den Samenzäpfchen gar eifrig Nahrung aus. Aber auch auf dem Boden iſt der Birkenzeiſig nicht fremd; er geht öfter als ſein Verwandter und Genoſſe, der gewöhnliche Zeiſig, zum Boden herab und hüpft hier ſehr geſchickt umher. Sein Flug iſt ſchnell, wellenförmig, vor dem Aufſitzen ſchwebend. Bei dem Ueberfliegen baumloſer Strecken ſtreicht der Schwarm gern in ziemlich bedeutender Höhe dahin, während er ſich in baumreichen Gegenden ſelten mehr als nöthig erhebt. Die Lockſtimme iſt wiederholt ausgeſtoßenes „Tſchettſchek‟, welches namentlich beim Auffliegen aus aller Kehlen ertönt; ihr wird häufig ein zärtliches „Main‟ ange- hängt. Der Geſang beſteht weſentlich aus dieſen beiden Lauten, welche durch ein ungeordnetes Ge- zwitſcher verbunden werden.
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Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
Die eben geſchilderten Umſtände machen es erklärlich, daß wir über das Sommerleben noch
äußerſt dürftig unterrichtet ſind. Es iſt wiederholt behauptet worden, daß der Birkenzeiſig auch in
Deutſchland brüte, bis jetzt aber iſt noch kein Neſt des Vogels in unſerm Vaterlande gefunden worden.
Lübbert ſah den Vogel pärchenweiſe während des ganzen Sommers im Glatzer- und Rieſengebirge
und erhielt zwei Eier, von denen er glaubt, daß ſie von ihm herrühren, iſt aber nicht im Stande, Dies
zu beweiſen.
Es hält auch im Norden ſchwer, ein Neſt zu entdecken. Die erſte Beſchreibung deſſelben rührt
von Boje her, Schrader hat deſſen Angaben lediglich beſtätigt, ohne ihnen eigentlich etwas Neues
hinzuzufügen. „Du weißt‟, ſchreibt Erſterer ſeinem Bruder, „wie viel Mühe wir uns bisher gegeben
hatten, das Neſt des Flachsfinken zu finden. Jch dachte nicht mehr an die Möglichkeit, es zu erhalten,
und doch hat es mir ein Zufall in die Hände geſpielt; denn als ich bei Norwick einen ſteilen und faſt
kahlen Abhang herunterſtieg, that ich einen Fehltritt, fiel jämmerlich in das Gebüſch herab, und eben
dieſer mein Fall jagte ein brütendes Weibchen jener Vögel vom Neſte auf. Es ſtand auf dem ſtarken
Seitenaſt einer Birke; in der Bauart kommt es ganz mit dem unſeres Hänflings überein, innen
iſt es mit Schneehuhnfedern ausgefüttert. Die vier Eier ſind nicht größer als die vom Girlitz und
auf grünlichweißem Grunde mit braunröthlichen Tüpfeln beſetzt.‟
Zu uns kommt der Birkenzeiſig Anfangs November als Wintergaſt, manchmal in ſehr großer
Menge und nicht immer in ſolchen Jahren, welche auch bei uns mit einem ſtrengen Winter beginnen.
Höchſt wahrſcheinlich wird das Mißrathen des Birkenſamens in ſeiner Heimat die Urſache zu ſeiner
Wanderung. Er wählt ſich bei uns Gegenden aus, in denen Erlen und Birken wachſen, vereinigt ſich
gewöhnlich mit dem Zeiſig und ſtreift mit dieſem dann, den Gebirgen nachgehend, im Lande hin und
her, nachts ſich hohe, dichte Dornhecken zur Herberge erwählend. Eine höchſt merkwürdige Beobach-
tung Wagner’s theilt Lenz mit. Erſterer ſah nämlich, daß ſich eine Menge Birkenzeiſige gegen
Abend nach und nach, mit dem Kopfe zuerſt und mit eingezogenen Flügeln in den Schnee ſtürzten,
um daſelbſt zu übernachten. Wagner zog bei ſolcher Gelegenheit mehrere von ihnen aus dem
Schnee hervor.
Während ſeines Aufenthalts in der Fremde ernährt ſich der Birkenzeiſig zwar vorzugsweiſe von
Birken- und Erlengeſämen, ſonſt aber von faſt allen übrigen kleinen ölhaltigen Sämereien, welche er
auch in den Stoppelfeldern zuſammenlieſt. Zumal in den erſten Wochen ſeines Aufenthaltes bei
uns zeigt er ſich als ein Geſchöpf, welches die Tücke des Menſchen noch nicht kennen gelernt hat. Er
erſcheint ohne Scheu in den Dörfern und ſucht ſich in unmittelbarer Nähe des Menſchen ſein Futter,
läßt ſich auch durch das Getreibe dieſes ſeines Erzfeindes nicht im Geringſten ſtören. Erſt wiederholte
Verfolgung macht ihn vorſichtig, eigentlich ſcheu aber wird er nie.
Man darf wohl behaupten, daß der Erlenzeiſig jedem Naturfreund Vergnügen gewährt. Er iſt
ein unruhiger, gewandter, munterer Geſell, deſſen Beweglichkeit und Raſtloſigkeit erfreut und deſſen
Harmloſigkeit ſehr für ihn einnimmt. Jm Klettern iſt er geſchickter als ſeine ſämmtlichen Verwand-
ten; er wetteifert nicht blos mit dem Kreuzſchnabel, ſondern auch mit dem beweglichen Volk der
Meiſen. Birken, deren fadenähnliche Zweige von einer Schar der niedlichen Vögel bedeckt ſind,
gewähren einen prächtigen Anblick. Hier hängt und klettert die ganze Geſellſchaft in den verſchie-
denſten Stellungen auf und nieder und klaubt ſich aus den Samenzäpfchen gar eifrig Nahrung aus.
Aber auch auf dem Boden iſt der Birkenzeiſig nicht fremd; er geht öfter als ſein Verwandter und
Genoſſe, der gewöhnliche Zeiſig, zum Boden herab und hüpft hier ſehr geſchickt umher. Sein Flug iſt
ſchnell, wellenförmig, vor dem Aufſitzen ſchwebend. Bei dem Ueberfliegen baumloſer Strecken ſtreicht
der Schwarm gern in ziemlich bedeutender Höhe dahin, während er ſich in baumreichen Gegenden
ſelten mehr als nöthig erhebt. Die Lockſtimme iſt wiederholt ausgeſtoßenes „Tſchettſchek‟, welches
namentlich beim Auffliegen aus aller Kehlen ertönt; ihr wird häufig ein zärtliches „Main‟ ange-
hängt. Der Geſang beſteht weſentlich aus dieſen beiden Lauten, welche durch ein ungeordnetes Ge-
zwitſcher verbunden werden.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/164>, abgerufen am 21.11.2024.
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