Wirklich liebenswürdig zeigt sich der Birkenzeisig gegen Andere seiner Art und Verwandte. Eine Schar, welche sich einmal zusammenfand, trennt sich nicht mehr und ruft den Einzelnen, welcher sich nur wenig entfernte, ängstlich herbei. Sie beweist aber auch bald die größte Anhänglichkeit an die Zeisige und mischt sich, in Ermangelung dieser passenden Genossen, unter Hänflinge und Feldsper- linge. Mit allen diesen Vögeln lebt der Birkenzeisig in tiefstem Frieden; Zank und Streit kennt er überhaupt nicht.
Jm Käfig geht das niedliche Vögelchen ohne alle Umstände ans Futter, wird auch in kürzester Zeit ungemein zahm, begnügt sich mit einfacher Nahrung und erfreut durch seine Beweglichkeit und die Kletterkünste, welche er auch im Gebauer ausübt. Mit andern kleinen Vögeln macht er sich bald innig vertraut und liebkost sie auf die verschiedenste Weise. Weder seine Jagd, noch sein Fang hat irgend welche Schwierigkeit, man erlegt ihn mit dem Gewehr in Menge und fängt ihn in jeder passen- den Falle. Seine Geselligkeit wird ihm dem Vogelsteller gegenüber regelmäßig zum Verderben; denn hat man erst Einen gefangen, so kann man sich Anderer, welche der Gefangene herbeilockt, leicht bemächtigen. Den Ersten pflegt man in Thüringen zu "titschen" oder, wie man in Anhalt sagt, zu "kikeln" d. h. mit einer Leimruthe zu fangen, welche man an einer langen, biegsamen Stange oder Gerte befestigt hat und dem Vogel, während er frißt, auf das Gefieder schnellt. Zu dieser Fang- weise gehört allerdings ein gewisses Geschick; sie würde aber ohne die Dummdreistigkeit des Leinsinken unmöglich sein. Auf dem Finkenherde fängt man Birkenzeisige in Menge, nicht selten auch diejeni- gen noch, welche beim Zuschlagen der Netze glücklich entrannen, aus Liebe zu ihren gefangenen Ge- fährten aber nochmals herbeikommen und in den Netzen sich verwickeln. Jn manchen Gegenden wer- den sie leider noch, viel mehr als recht, für die Küche gefangen.
Es muß noch entschieden werden, ob der in Nordamerika vorkommende Birkenzeisig derselbe ist, welcher in Europa lebt, oder nicht. Für die Westhälfte der Erde gilt nämlich fast Dasselbe, was hinsichtlich Europas angegeben ist. Labrador ist der Sommeraufenthalt unserer Vögel; vonhier- aus durchstreifen sie einen großen Theil Nordamerikas. Doch fand sie Richardson auch in den streugsten Wintern als Standvögel aller Pelzgegenden. Audubon traf sie im Sommer auf Labra- dor familien- und gesellschaftsweise an, so zahm, so menschenfreundlich, wie überall, wo ihr Vertrauen noch nicht wiederholt getäuscht wurde. Dagegen sahen weder dieser noch andere Forscher Birkenzeisige westlich vom Alleghaniegebirge, und somit scheint es, als ob dieses ihre Grenze nach Westen hin bilde.
Die Zeisige (Spinus), welche neuerdings von den Birkenzeisigen getrennt wurden, unterscheiden sich von diesen hauptsächlich durch den längeren, feinspitzigeren Schnabel, welcher auf der Firste bogen- förmig gewölbt ist, durch die mit kurzen Nägeln besetzten Zehen und die verhältnißmäßig langen Flügel, sowie endlich durch die Färbung des Gefieders; im übrigen stehen sich beide Sippen sehr nahe.
Unser gemeiner oder Erlenzeisig, Zeising, Zising, Zislein, Gelbvogel, Angelches u. s. w. (Spinus viridis), wird 5 Zoll lang und 9 Zoll breit. Bei dem Männchen ist der Oberkopf schwarz, der Rücken gelbgrün, schwarzgrau gestrichelt, der Flügel schwärzlich, zweimal gelb gebändert, der Unter- körper an der Brust hochgelb, am Bauche weiß, an der Kehle schwarz. Beim Weibchen ist der Ober- körper graugrün, dunkler gestrichelt, der Unterkörper weiß oder gelblichweiß, durch schwärzliche Längs- flecken gestreift. Die Jungen sind gelber und noch bunter gezeichnet als die Weibchen.
Vom mittleren Norwegen, Schweden und Rußland an kommt der Zeisig durch ganz Europa vor und ist namentlich in gebirgigen Gegenden häufig; in Nordasien hingegen soll er nicht gefunden werden; in Nordostasien aber kommt er vor: Radde berichtet von Flügen, welche er im Bureja- gebirge und am Amurufer sah. Der Zeisig ist ein Strichvogel, welcher außer der Brutzeit weit im Lande umherstreift, unser Vaterland aber nur selten verläßt; um so häufiger kommen in manchen Win- tern Zeisige aus nördlichen Ländern zu uns, um Herberge während des Winters zu nehmen.
10*
Birken- und Erlenzeiſig.
Wirklich liebenswürdig zeigt ſich der Birkenzeiſig gegen Andere ſeiner Art und Verwandte. Eine Schar, welche ſich einmal zuſammenfand, trennt ſich nicht mehr und ruft den Einzelnen, welcher ſich nur wenig entfernte, ängſtlich herbei. Sie beweiſt aber auch bald die größte Anhänglichkeit an die Zeiſige und miſcht ſich, in Ermangelung dieſer paſſenden Genoſſen, unter Hänflinge und Feldſper- linge. Mit allen dieſen Vögeln lebt der Birkenzeiſig in tiefſtem Frieden; Zank und Streit kennt er überhaupt nicht.
Jm Käfig geht das niedliche Vögelchen ohne alle Umſtände ans Futter, wird auch in kürzeſter Zeit ungemein zahm, begnügt ſich mit einfacher Nahrung und erfreut durch ſeine Beweglichkeit und die Kletterkünſte, welche er auch im Gebauer ausübt. Mit andern kleinen Vögeln macht er ſich bald innig vertraut und liebkoſt ſie auf die verſchiedenſte Weiſe. Weder ſeine Jagd, noch ſein Fang hat irgend welche Schwierigkeit, man erlegt ihn mit dem Gewehr in Menge und fängt ihn in jeder paſſen- den Falle. Seine Geſelligkeit wird ihm dem Vogelſteller gegenüber regelmäßig zum Verderben; denn hat man erſt Einen gefangen, ſo kann man ſich Anderer, welche der Gefangene herbeilockt, leicht bemächtigen. Den Erſten pflegt man in Thüringen zu „titſchen‟ oder, wie man in Anhalt ſagt, zu „kikeln‟ d. h. mit einer Leimruthe zu fangen, welche man an einer langen, biegſamen Stange oder Gerte befeſtigt hat und dem Vogel, während er frißt, auf das Gefieder ſchnellt. Zu dieſer Fang- weiſe gehört allerdings ein gewiſſes Geſchick; ſie würde aber ohne die Dummdreiſtigkeit des Leinſinken unmöglich ſein. Auf dem Finkenherde fängt man Birkenzeiſige in Menge, nicht ſelten auch diejeni- gen noch, welche beim Zuſchlagen der Netze glücklich entrannen, aus Liebe zu ihren gefangenen Ge- fährten aber nochmals herbeikommen und in den Netzen ſich verwickeln. Jn manchen Gegenden wer- den ſie leider noch, viel mehr als recht, für die Küche gefangen.
Es muß noch entſchieden werden, ob der in Nordamerika vorkommende Birkenzeiſig derſelbe iſt, welcher in Europa lebt, oder nicht. Für die Weſthälfte der Erde gilt nämlich faſt Daſſelbe, was hinſichtlich Europas angegeben iſt. Labrador iſt der Sommeraufenthalt unſerer Vögel; vonhier- aus durchſtreifen ſie einen großen Theil Nordamerikas. Doch fand ſie Richardſon auch in den ſtreugſten Wintern als Standvögel aller Pelzgegenden. Audubon traf ſie im Sommer auf Labra- dor familien- und geſellſchaftsweiſe an, ſo zahm, ſo menſchenfreundlich, wie überall, wo ihr Vertrauen noch nicht wiederholt getäuſcht wurde. Dagegen ſahen weder dieſer noch andere Forſcher Birkenzeiſige weſtlich vom Alleghaniegebirge, und ſomit ſcheint es, als ob dieſes ihre Grenze nach Weſten hin bilde.
Die Zeiſige (Spinus), welche neuerdings von den Birkenzeiſigen getrennt wurden, unterſcheiden ſich von dieſen hauptſächlich durch den längeren, feinſpitzigeren Schnabel, welcher auf der Firſte bogen- förmig gewölbt iſt, durch die mit kurzen Nägeln beſetzten Zehen und die verhältnißmäßig langen Flügel, ſowie endlich durch die Färbung des Gefieders; im übrigen ſtehen ſich beide Sippen ſehr nahe.
Unſer gemeiner oder Erlenzeiſig, Zeiſing, Ziſing, Ziſlein, Gelbvogel, Angelches u. ſ. w. (Spinus viridis), wird 5 Zoll lang und 9 Zoll breit. Bei dem Männchen iſt der Oberkopf ſchwarz, der Rücken gelbgrün, ſchwarzgrau geſtrichelt, der Flügel ſchwärzlich, zweimal gelb gebändert, der Unter- körper an der Bruſt hochgelb, am Bauche weiß, an der Kehle ſchwarz. Beim Weibchen iſt der Ober- körper graugrün, dunkler geſtrichelt, der Unterkörper weiß oder gelblichweiß, durch ſchwärzliche Längs- flecken geſtreift. Die Jungen ſind gelber und noch bunter gezeichnet als die Weibchen.
Vom mittleren Norwegen, Schweden und Rußland an kommt der Zeiſig durch ganz Europa vor und iſt namentlich in gebirgigen Gegenden häufig; in Nordaſien hingegen ſoll er nicht gefunden werden; in Nordoſtaſien aber kommt er vor: Radde berichtet von Flügen, welche er im Bureja- gebirge und am Amurufer ſah. Der Zeiſig iſt ein Strichvogel, welcher außer der Brutzeit weit im Lande umherſtreift, unſer Vaterland aber nur ſelten verläßt; um ſo häufiger kommen in manchen Win- tern Zeiſige aus nördlichen Ländern zu uns, um Herberge während des Winters zu nehmen.
10*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0165"n="147"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Birken- und Erlenzeiſig.</hi></fw><lb/><p>Wirklich liebenswürdig zeigt ſich der Birkenzeiſig gegen Andere ſeiner Art und Verwandte. Eine<lb/>
Schar, welche ſich einmal zuſammenfand, trennt ſich nicht mehr und ruft den Einzelnen, welcher ſich<lb/>
nur wenig entfernte, ängſtlich herbei. Sie beweiſt aber auch bald die größte Anhänglichkeit an die<lb/>
Zeiſige und miſcht ſich, in Ermangelung dieſer paſſenden Genoſſen, unter Hänflinge und Feldſper-<lb/>
linge. Mit allen dieſen Vögeln lebt der Birkenzeiſig in tiefſtem Frieden; Zank und Streit kennt er<lb/>
überhaupt nicht.</p><lb/><p>Jm Käfig geht das niedliche Vögelchen ohne alle Umſtände ans Futter, wird auch in kürzeſter<lb/>
Zeit ungemein zahm, begnügt ſich mit einfacher Nahrung und erfreut durch ſeine Beweglichkeit und<lb/>
die Kletterkünſte, welche er auch im Gebauer ausübt. Mit andern kleinen Vögeln macht er ſich<lb/>
bald innig vertraut und liebkoſt ſie auf die verſchiedenſte Weiſe. Weder ſeine Jagd, noch ſein Fang hat<lb/>
irgend welche Schwierigkeit, man erlegt ihn mit dem Gewehr in Menge und fängt ihn in jeder paſſen-<lb/>
den Falle. Seine Geſelligkeit wird ihm dem Vogelſteller gegenüber regelmäßig zum Verderben; denn<lb/>
hat man erſt Einen gefangen, ſo kann man ſich Anderer, welche der Gefangene herbeilockt, leicht<lb/>
bemächtigen. Den Erſten pflegt man in Thüringen zu <hirendition="#g">„titſchen‟</hi> oder, wie man in Anhalt ſagt,<lb/>
zu <hirendition="#g">„kikeln‟</hi> d. h. mit einer Leimruthe zu fangen, welche man an einer langen, biegſamen Stange<lb/>
oder Gerte befeſtigt hat und dem Vogel, während er frißt, auf das Gefieder ſchnellt. Zu dieſer Fang-<lb/>
weiſe gehört allerdings ein gewiſſes Geſchick; ſie würde aber ohne die Dummdreiſtigkeit des Leinſinken<lb/>
unmöglich ſein. Auf dem Finkenherde fängt man Birkenzeiſige in Menge, nicht ſelten auch diejeni-<lb/>
gen noch, welche beim Zuſchlagen der Netze glücklich entrannen, aus Liebe zu ihren gefangenen Ge-<lb/>
fährten aber nochmals herbeikommen und in den Netzen ſich verwickeln. Jn manchen Gegenden wer-<lb/>
den ſie leider noch, viel mehr als recht, für die Küche gefangen.</p><lb/><p>Es muß noch entſchieden werden, ob der in Nordamerika vorkommende Birkenzeiſig derſelbe iſt,<lb/>
welcher in Europa lebt, oder nicht. Für die Weſthälfte der Erde gilt nämlich faſt Daſſelbe, was<lb/>
hinſichtlich Europas angegeben iſt. Labrador iſt der Sommeraufenthalt unſerer Vögel; vonhier-<lb/>
aus durchſtreifen ſie einen großen Theil Nordamerikas. Doch fand ſie <hirendition="#g">Richardſon</hi> auch in den<lb/>ſtreugſten Wintern als Standvögel aller Pelzgegenden. <hirendition="#g">Audubon</hi> traf ſie im Sommer auf Labra-<lb/>
dor familien- und geſellſchaftsweiſe an, ſo zahm, ſo menſchenfreundlich, wie überall, wo ihr Vertrauen<lb/>
noch nicht wiederholt getäuſcht wurde. Dagegen ſahen weder dieſer noch andere Forſcher Birkenzeiſige<lb/>
weſtlich vom Alleghaniegebirge, und ſomit ſcheint es, als ob dieſes ihre Grenze nach Weſten hin bilde.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die <hirendition="#g">Zeiſige</hi> (<hirendition="#aq">Spinus</hi>), welche neuerdings von den Birkenzeiſigen getrennt wurden, unterſcheiden<lb/>ſich von dieſen hauptſächlich durch den längeren, feinſpitzigeren Schnabel, welcher auf der Firſte bogen-<lb/>
förmig gewölbt iſt, durch die mit kurzen Nägeln beſetzten Zehen und die verhältnißmäßig langen<lb/>
Flügel, ſowie endlich durch die Färbung des Gefieders; im übrigen ſtehen ſich beide Sippen ſehr nahe.</p><lb/><p>Unſer <hirendition="#g">gemeiner</hi> oder <hirendition="#g">Erlenzeiſig,</hi> Zeiſing, Ziſing, Ziſlein, Gelbvogel, Angelches u. ſ. w.<lb/>
(<hirendition="#aq">Spinus viridis</hi>), wird 5 Zoll lang und 9 Zoll breit. Bei dem Männchen iſt der Oberkopf ſchwarz,<lb/>
der Rücken gelbgrün, ſchwarzgrau geſtrichelt, der Flügel ſchwärzlich, zweimal gelb gebändert, der Unter-<lb/>
körper an der Bruſt hochgelb, am Bauche weiß, an der Kehle ſchwarz. Beim Weibchen iſt der Ober-<lb/>
körper graugrün, dunkler geſtrichelt, der Unterkörper weiß oder gelblichweiß, durch ſchwärzliche Längs-<lb/>
flecken geſtreift. Die Jungen ſind gelber und noch bunter gezeichnet als die Weibchen.</p><lb/><p>Vom mittleren Norwegen, Schweden und Rußland an kommt der Zeiſig durch ganz Europa vor<lb/>
und iſt namentlich in gebirgigen Gegenden häufig; in Nordaſien hingegen ſoll er nicht gefunden<lb/>
werden; in Nordoſtaſien aber kommt er vor: <hirendition="#g">Radde</hi> berichtet von Flügen, welche er im <hirendition="#g">Bureja-</hi><lb/>
gebirge und am <hirendition="#g">Amuru</hi>fer ſah. Der Zeiſig iſt ein Strichvogel, welcher außer der Brutzeit weit im<lb/>
Lande umherſtreift, unſer Vaterland aber nur ſelten verläßt; um ſo häufiger kommen in manchen Win-<lb/>
tern Zeiſige aus nördlichen Ländern zu uns, um Herberge während des Winters zu nehmen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">10*</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[147/0165]
Birken- und Erlenzeiſig.
Wirklich liebenswürdig zeigt ſich der Birkenzeiſig gegen Andere ſeiner Art und Verwandte. Eine
Schar, welche ſich einmal zuſammenfand, trennt ſich nicht mehr und ruft den Einzelnen, welcher ſich
nur wenig entfernte, ängſtlich herbei. Sie beweiſt aber auch bald die größte Anhänglichkeit an die
Zeiſige und miſcht ſich, in Ermangelung dieſer paſſenden Genoſſen, unter Hänflinge und Feldſper-
linge. Mit allen dieſen Vögeln lebt der Birkenzeiſig in tiefſtem Frieden; Zank und Streit kennt er
überhaupt nicht.
Jm Käfig geht das niedliche Vögelchen ohne alle Umſtände ans Futter, wird auch in kürzeſter
Zeit ungemein zahm, begnügt ſich mit einfacher Nahrung und erfreut durch ſeine Beweglichkeit und
die Kletterkünſte, welche er auch im Gebauer ausübt. Mit andern kleinen Vögeln macht er ſich
bald innig vertraut und liebkoſt ſie auf die verſchiedenſte Weiſe. Weder ſeine Jagd, noch ſein Fang hat
irgend welche Schwierigkeit, man erlegt ihn mit dem Gewehr in Menge und fängt ihn in jeder paſſen-
den Falle. Seine Geſelligkeit wird ihm dem Vogelſteller gegenüber regelmäßig zum Verderben; denn
hat man erſt Einen gefangen, ſo kann man ſich Anderer, welche der Gefangene herbeilockt, leicht
bemächtigen. Den Erſten pflegt man in Thüringen zu „titſchen‟ oder, wie man in Anhalt ſagt,
zu „kikeln‟ d. h. mit einer Leimruthe zu fangen, welche man an einer langen, biegſamen Stange
oder Gerte befeſtigt hat und dem Vogel, während er frißt, auf das Gefieder ſchnellt. Zu dieſer Fang-
weiſe gehört allerdings ein gewiſſes Geſchick; ſie würde aber ohne die Dummdreiſtigkeit des Leinſinken
unmöglich ſein. Auf dem Finkenherde fängt man Birkenzeiſige in Menge, nicht ſelten auch diejeni-
gen noch, welche beim Zuſchlagen der Netze glücklich entrannen, aus Liebe zu ihren gefangenen Ge-
fährten aber nochmals herbeikommen und in den Netzen ſich verwickeln. Jn manchen Gegenden wer-
den ſie leider noch, viel mehr als recht, für die Küche gefangen.
Es muß noch entſchieden werden, ob der in Nordamerika vorkommende Birkenzeiſig derſelbe iſt,
welcher in Europa lebt, oder nicht. Für die Weſthälfte der Erde gilt nämlich faſt Daſſelbe, was
hinſichtlich Europas angegeben iſt. Labrador iſt der Sommeraufenthalt unſerer Vögel; vonhier-
aus durchſtreifen ſie einen großen Theil Nordamerikas. Doch fand ſie Richardſon auch in den
ſtreugſten Wintern als Standvögel aller Pelzgegenden. Audubon traf ſie im Sommer auf Labra-
dor familien- und geſellſchaftsweiſe an, ſo zahm, ſo menſchenfreundlich, wie überall, wo ihr Vertrauen
noch nicht wiederholt getäuſcht wurde. Dagegen ſahen weder dieſer noch andere Forſcher Birkenzeiſige
weſtlich vom Alleghaniegebirge, und ſomit ſcheint es, als ob dieſes ihre Grenze nach Weſten hin bilde.
Die Zeiſige (Spinus), welche neuerdings von den Birkenzeiſigen getrennt wurden, unterſcheiden
ſich von dieſen hauptſächlich durch den längeren, feinſpitzigeren Schnabel, welcher auf der Firſte bogen-
förmig gewölbt iſt, durch die mit kurzen Nägeln beſetzten Zehen und die verhältnißmäßig langen
Flügel, ſowie endlich durch die Färbung des Gefieders; im übrigen ſtehen ſich beide Sippen ſehr nahe.
Unſer gemeiner oder Erlenzeiſig, Zeiſing, Ziſing, Ziſlein, Gelbvogel, Angelches u. ſ. w.
(Spinus viridis), wird 5 Zoll lang und 9 Zoll breit. Bei dem Männchen iſt der Oberkopf ſchwarz,
der Rücken gelbgrün, ſchwarzgrau geſtrichelt, der Flügel ſchwärzlich, zweimal gelb gebändert, der Unter-
körper an der Bruſt hochgelb, am Bauche weiß, an der Kehle ſchwarz. Beim Weibchen iſt der Ober-
körper graugrün, dunkler geſtrichelt, der Unterkörper weiß oder gelblichweiß, durch ſchwärzliche Längs-
flecken geſtreift. Die Jungen ſind gelber und noch bunter gezeichnet als die Weibchen.
Vom mittleren Norwegen, Schweden und Rußland an kommt der Zeiſig durch ganz Europa vor
und iſt namentlich in gebirgigen Gegenden häufig; in Nordaſien hingegen ſoll er nicht gefunden
werden; in Nordoſtaſien aber kommt er vor: Radde berichtet von Flügen, welche er im Bureja-
gebirge und am Amurufer ſah. Der Zeiſig iſt ein Strichvogel, welcher außer der Brutzeit weit im
Lande umherſtreift, unſer Vaterland aber nur ſelten verläßt; um ſo häufiger kommen in manchen Win-
tern Zeiſige aus nördlichen Ländern zu uns, um Herberge während des Winters zu nehmen.
10*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/165>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.