Während des Sommers bewohnt der Vogel die Nadelwälder bergigter Gegenden, namentlich diejenigen, in denen der Holzsamen gut gerathen ist. Jn diesen Wäldern brütet er auch, und von ihnen aus beginnt er dann seine Streifereien. Jn gewissen Wintern erscheint er zu Tausenden in den Dörfern und in unmittelbarer Nähe derselben; in andern Wintern sieht man hier kaum einzelne. Baumlose Gegenden meidet er ängstlich, er hält sich vielmehr fast beständig in den obersten Kronen der Bäume auf.
Der Zeisig gehört zu unsern anmuthigsten Finken. "Er ist", sagt Naumann, "immer mun- ter, flink und keck, hält sein Gefieder stets schmuck, obgleich er dasselbe meistens nicht anlegt, bewegt sich schnell hin und her, wendet und dreht oft den Hinterleib hinüber und herüber, wozu er gewöhnlich lockt oder singt; er hüpft, steigt und klettert vortrefflich, kann sich verkehrt an die Spitzen schwankender Zweige hängen, an senkrechten, dünnen Ruthen ungemein schnell auf und ab hüpfen und gibt in dem Allen den Meisen wenig nach. Sein Sitz auf Zweigen ist höchst verschieden, und nirgends hat er lange Ruhe, wenn er nicht beim Fressen ist. Auch auf der Erde hüpft er leicht und schnell, ob er Dies gleich, so lange es gehen will, zu vermeiden sucht." Sein Flug ist wogend, schnell und leicht, er scheut sich deshalb nicht, große Räume zu überfliegen und steigt zu bedeutenden Höhen empor. Sein Lockton klingt wie "Trettet" oder wie "Tettertettet" und "Di, di" oder "didilei". Mit letzteren Tönen pflegt auch der Gesang des Männchens zu beginnen: -- ein nicht eben ausgezeichnetes, aber doch gemüthliches Gezwitscher, welchem als Schluß ein langgezogenes "Dididlidlideidanan" angehängt wird. Jm übrigen hat er in seinem Betragen große Aehnlichkeit mit dem Birkenzeisig. Er ist wie dieser arglos und zutraulich, gesellig, furchtsam, friedfertig und im gewissen Grade leichtsinnig; wenig- stens verschmerzt kaum ein anderer Vogel so leicht wie er den Verlust seiner Freiheit.
Als Stubenvogel empfiehlt er sich sehr. Er ist äußerst gelehrig, eignet sich bald allerlei belusti- gende Kunststücke an, macht kaum nennenswerthe Ansprüche an das Futter, verträgt sich mit allen übrigen Vögeln, in deren Gesellschaft er leben muß, und wird seinem Herrn rücksichtslos zugethan. Man kann ihn so gewöhnen, daß er frei nach Belieben aus- und einfliegt, oder ihn dahin bringen, daß er auf den Ruf zu seinem Gebieter zurückkehrt.
"Jch hatte", erzählt Hoffmann, "in meinem Gesellschaftsbauer, welcher im Garten stand, meh- rere Zeisige, von denen einer besonders so zahm war, daß ich ihn, wenn er sich nicht eben satt gefressen hatte, in den Garten hinausnehmen konnte. Sobald ich dann an der Thür des Gebauers stand und dem Zeisige den in meiner Hand befindlichen Hanssamen zeigte, so flog er mir auf die Hand, fraß ruhig darauf und ließ sich wieder in seine Behausung bringen. -- Einmal kam eine Schar von wil- den Zeisigen lockend über mich weggeflogen, als ich meinen zahmen auf der Hand sitzen hatte. Kaum hörte dieser seine Brüder, so ließ auch er sein helles "Zöri" ertönen. Auf dies hin saß die Schar auf einen der benachbarten Bäume nieder, und der meinige flog von der Hand weg und zu ihnen hinauf. Es war ein gar herzlicher Empfang, der ihm zu Theil wurde; alle schnatterten zusammen und begrüß- ten den neuen Genossen. Obwohl ich meinen Liebling schon für verloren hielt, lockte ich ihn doch versuchsweise auf die ihm wohlbekannte, Futter verheißende Art. Zu meiner großen Freude und Ueberraschung kam er herunter und setzte sich wieder auf meine Hand; nun wollte ich jedoch nichts mehr wagen, sondern hielt mit dem Daumen der Hand, auf welcher er saß, eine seiner Zehen fest und brachte ihn in das Gebauer zurück. Als er von dem Baume Aestchen für Aestchen herunterkletterte, waren ihm einige der zutraulichen Wildfänge nachgehüpft und hatten sich meiner Hand bis auf sechs Fuß genähert."
Dies eine Beispiel beweist, wie zahm ein Zeisig werden kann, zugleich aber, wie innig einer dieser Vögel an dem andern hängt. Jeder Vogelliebhaber, welcher Zeisige hält, hat Aehnliches beobachtet; denn jeder Gefangene ruft und bittet die Vorüberfliegenden, welche er hört, so lange, bis sie herbei kommen und wenigstens einen Augenblick in seiner Nähe verweilen; dann geben Alle ihre größte Freude kund.
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
Während des Sommers bewohnt der Vogel die Nadelwälder bergigter Gegenden, namentlich diejenigen, in denen der Holzſamen gut gerathen iſt. Jn dieſen Wäldern brütet er auch, und von ihnen aus beginnt er dann ſeine Streifereien. Jn gewiſſen Wintern erſcheint er zu Tauſenden in den Dörfern und in unmittelbarer Nähe derſelben; in andern Wintern ſieht man hier kaum einzelne. Baumloſe Gegenden meidet er ängſtlich, er hält ſich vielmehr faſt beſtändig in den oberſten Kronen der Bäume auf.
Der Zeiſig gehört zu unſern anmuthigſten Finken. „Er iſt‟, ſagt Naumann, „immer mun- ter, flink und keck, hält ſein Gefieder ſtets ſchmuck, obgleich er daſſelbe meiſtens nicht anlegt, bewegt ſich ſchnell hin und her, wendet und dreht oft den Hinterleib hinüber und herüber, wozu er gewöhnlich lockt oder ſingt; er hüpft, ſteigt und klettert vortrefflich, kann ſich verkehrt an die Spitzen ſchwankender Zweige hängen, an ſenkrechten, dünnen Ruthen ungemein ſchnell auf und ab hüpfen und gibt in dem Allen den Meiſen wenig nach. Sein Sitz auf Zweigen iſt höchſt verſchieden, und nirgends hat er lange Ruhe, wenn er nicht beim Freſſen iſt. Auch auf der Erde hüpft er leicht und ſchnell, ob er Dies gleich, ſo lange es gehen will, zu vermeiden ſucht.‟ Sein Flug iſt wogend, ſchnell und leicht, er ſcheut ſich deshalb nicht, große Räume zu überfliegen und ſteigt zu bedeutenden Höhen empor. Sein Lockton klingt wie „Trettet‟ oder wie „Tettertettet‟ und „Di, di‟ oder „didilei‟. Mit letzteren Tönen pflegt auch der Geſang des Männchens zu beginnen: — ein nicht eben ausgezeichnetes, aber doch gemüthliches Gezwitſcher, welchem als Schluß ein langgezogenes „Dididlidlideidanan‟ angehängt wird. Jm übrigen hat er in ſeinem Betragen große Aehnlichkeit mit dem Birkenzeiſig. Er iſt wie dieſer arglos und zutraulich, geſellig, furchtſam, friedfertig und im gewiſſen Grade leichtſinnig; wenig- ſtens verſchmerzt kaum ein anderer Vogel ſo leicht wie er den Verluſt ſeiner Freiheit.
Als Stubenvogel empfiehlt er ſich ſehr. Er iſt äußerſt gelehrig, eignet ſich bald allerlei beluſti- gende Kunſtſtücke an, macht kaum nennenswerthe Anſprüche an das Futter, verträgt ſich mit allen übrigen Vögeln, in deren Geſellſchaft er leben muß, und wird ſeinem Herrn rückſichtslos zugethan. Man kann ihn ſo gewöhnen, daß er frei nach Belieben aus- und einfliegt, oder ihn dahin bringen, daß er auf den Ruf zu ſeinem Gebieter zurückkehrt.
„Jch hatte‟, erzählt Hoffmann, „in meinem Geſellſchaftsbauer, welcher im Garten ſtand, meh- rere Zeiſige, von denen einer beſonders ſo zahm war, daß ich ihn, wenn er ſich nicht eben ſatt gefreſſen hatte, in den Garten hinausnehmen konnte. Sobald ich dann an der Thür des Gebauers ſtand und dem Zeiſige den in meiner Hand befindlichen Hanſſamen zeigte, ſo flog er mir auf die Hand, fraß ruhig darauf und ließ ſich wieder in ſeine Behauſung bringen. — Einmal kam eine Schar von wil- den Zeiſigen lockend über mich weggeflogen, als ich meinen zahmen auf der Hand ſitzen hatte. Kaum hörte dieſer ſeine Brüder, ſo ließ auch er ſein helles „Zöri‟ ertönen. Auf dies hin ſaß die Schar auf einen der benachbarten Bäume nieder, und der meinige flog von der Hand weg und zu ihnen hinauf. Es war ein gar herzlicher Empfang, der ihm zu Theil wurde; alle ſchnatterten zuſammen und begrüß- ten den neuen Genoſſen. Obwohl ich meinen Liebling ſchon für verloren hielt, lockte ich ihn doch verſuchsweiſe auf die ihm wohlbekannte, Futter verheißende Art. Zu meiner großen Freude und Ueberraſchung kam er herunter und ſetzte ſich wieder auf meine Hand; nun wollte ich jedoch nichts mehr wagen, ſondern hielt mit dem Daumen der Hand, auf welcher er ſaß, eine ſeiner Zehen feſt und brachte ihn in das Gebauer zurück. Als er von dem Baume Aeſtchen für Aeſtchen herunterkletterte, waren ihm einige der zutraulichen Wildfänge nachgehüpft und hatten ſich meiner Hand bis auf ſechs Fuß genähert.‟
Dies eine Beiſpiel beweiſt, wie zahm ein Zeiſig werden kann, zugleich aber, wie innig einer dieſer Vögel an dem andern hängt. Jeder Vogelliebhaber, welcher Zeiſige hält, hat Aehnliches beobachtet; denn jeder Gefangene ruft und bittet die Vorüberfliegenden, welche er hört, ſo lange, bis ſie herbei kommen und wenigſtens einen Augenblick in ſeiner Nähe verweilen; dann geben Alle ihre größte Freude kund.
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[148/0166]
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken.
Während des Sommers bewohnt der Vogel die Nadelwälder bergigter Gegenden, namentlich
diejenigen, in denen der Holzſamen gut gerathen iſt. Jn dieſen Wäldern brütet er auch, und von
ihnen aus beginnt er dann ſeine Streifereien. Jn gewiſſen Wintern erſcheint er zu Tauſenden in den
Dörfern und in unmittelbarer Nähe derſelben; in andern Wintern ſieht man hier kaum einzelne.
Baumloſe Gegenden meidet er ängſtlich, er hält ſich vielmehr faſt beſtändig in den oberſten Kronen
der Bäume auf.
Der Zeiſig gehört zu unſern anmuthigſten Finken. „Er iſt‟, ſagt Naumann, „immer mun-
ter, flink und keck, hält ſein Gefieder ſtets ſchmuck, obgleich er daſſelbe meiſtens nicht anlegt, bewegt ſich
ſchnell hin und her, wendet und dreht oft den Hinterleib hinüber und herüber, wozu er gewöhnlich lockt
oder ſingt; er hüpft, ſteigt und klettert vortrefflich, kann ſich verkehrt an die Spitzen ſchwankender
Zweige hängen, an ſenkrechten, dünnen Ruthen ungemein ſchnell auf und ab hüpfen und gibt in dem
Allen den Meiſen wenig nach. Sein Sitz auf Zweigen iſt höchſt verſchieden, und nirgends hat er
lange Ruhe, wenn er nicht beim Freſſen iſt. Auch auf der Erde hüpft er leicht und ſchnell, ob er
Dies gleich, ſo lange es gehen will, zu vermeiden ſucht.‟ Sein Flug iſt wogend, ſchnell und leicht, er
ſcheut ſich deshalb nicht, große Räume zu überfliegen und ſteigt zu bedeutenden Höhen empor. Sein
Lockton klingt wie „Trettet‟ oder wie „Tettertettet‟ und „Di, di‟ oder „didilei‟. Mit letzteren Tönen
pflegt auch der Geſang des Männchens zu beginnen: — ein nicht eben ausgezeichnetes, aber doch
gemüthliches Gezwitſcher, welchem als Schluß ein langgezogenes „Dididlidlideidanan‟ angehängt
wird. Jm übrigen hat er in ſeinem Betragen große Aehnlichkeit mit dem Birkenzeiſig. Er iſt wie
dieſer arglos und zutraulich, geſellig, furchtſam, friedfertig und im gewiſſen Grade leichtſinnig; wenig-
ſtens verſchmerzt kaum ein anderer Vogel ſo leicht wie er den Verluſt ſeiner Freiheit.
Als Stubenvogel empfiehlt er ſich ſehr. Er iſt äußerſt gelehrig, eignet ſich bald allerlei beluſti-
gende Kunſtſtücke an, macht kaum nennenswerthe Anſprüche an das Futter, verträgt ſich mit allen
übrigen Vögeln, in deren Geſellſchaft er leben muß, und wird ſeinem Herrn rückſichtslos zugethan.
Man kann ihn ſo gewöhnen, daß er frei nach Belieben aus- und einfliegt, oder ihn dahin bringen,
daß er auf den Ruf zu ſeinem Gebieter zurückkehrt.
„Jch hatte‟, erzählt Hoffmann, „in meinem Geſellſchaftsbauer, welcher im Garten ſtand, meh-
rere Zeiſige, von denen einer beſonders ſo zahm war, daß ich ihn, wenn er ſich nicht eben ſatt gefreſſen
hatte, in den Garten hinausnehmen konnte. Sobald ich dann an der Thür des Gebauers ſtand und
dem Zeiſige den in meiner Hand befindlichen Hanſſamen zeigte, ſo flog er mir auf die Hand, fraß
ruhig darauf und ließ ſich wieder in ſeine Behauſung bringen. — Einmal kam eine Schar von wil-
den Zeiſigen lockend über mich weggeflogen, als ich meinen zahmen auf der Hand ſitzen hatte. Kaum
hörte dieſer ſeine Brüder, ſo ließ auch er ſein helles „Zöri‟ ertönen. Auf dies hin ſaß die Schar auf
einen der benachbarten Bäume nieder, und der meinige flog von der Hand weg und zu ihnen hinauf.
Es war ein gar herzlicher Empfang, der ihm zu Theil wurde; alle ſchnatterten zuſammen und begrüß-
ten den neuen Genoſſen. Obwohl ich meinen Liebling ſchon für verloren hielt, lockte ich ihn doch
verſuchsweiſe auf die ihm wohlbekannte, Futter verheißende Art. Zu meiner großen Freude und
Ueberraſchung kam er herunter und ſetzte ſich wieder auf meine Hand; nun wollte ich jedoch nichts
mehr wagen, ſondern hielt mit dem Daumen der Hand, auf welcher er ſaß, eine ſeiner Zehen feſt und
brachte ihn in das Gebauer zurück. Als er von dem Baume Aeſtchen für Aeſtchen herunterkletterte,
waren ihm einige der zutraulichen Wildfänge nachgehüpft und hatten ſich meiner Hand bis auf ſechs
Fuß genähert.‟
Dies eine Beiſpiel beweiſt, wie zahm ein Zeiſig werden kann, zugleich aber, wie innig einer
dieſer Vögel an dem andern hängt. Jeder Vogelliebhaber, welcher Zeiſige hält, hat Aehnliches
beobachtet; denn jeder Gefangene ruft und bittet die Vorüberfliegenden, welche er hört, ſo lange, bis
ſie herbei kommen und wenigſtens einen Augenblick in ſeiner Nähe verweilen; dann geben Alle ihre
größte Freude kund.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/166>, abgerufen am 24.11.2024.
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