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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer.
wo er Nachtruhe hält, am allerscheuesten ist. Man muß, um sich des Vogels zu bemächtigen, auf ihn
förmlich anstehen und sich wohl vor einem Fehlschusse in Acht nehmen. Dies gilt auch für Spanien,
wo wir uns oft vergebens bemühten, die schlauen Vögel zu überlisten, und trotz aller Uebung im Jagen
derartigen Wildes gar häufig mit leeren Händen den Rückweg antreten mußten.

Jn der Gefangenschaft verursacht der Steinsperling wenig Mühe, aber viel Vergnügen. Er
wird bald zutraulich, verträgt sich mit andern Vögeln vortrefflich und erfreut durch die Anmuth seines
Betragens. Mein Vater fütterte einen, welcher jung aus dem Neste genommen war, mit vieler
Mühe auf, hatte dann aber die Genugthuung, ihn ungewöhnlich zahm zu sehen. "Er bleibt", sagt er,
"ganz ruhig und flattert nicht, wenn man seinen Käfig herabzieht, um ihn zu füttern, scheut sich selbst
dann nicht, wenn man das Trinkgeschirr aus demselben herausnimmt. Seine Zutraulichkeit geht so
weit, daß er, wenn ich ihm sein Futter in das Gefäß schütte, gleich neben die Hand oder zwischen die
Finger seinen Kopf steckt. Die vorgehaltenen Fliegen, welche er sehr gern verzehrt, nimmt er aus der
Hand. Wenn ich früh beschäftigt bin und ihn zu füttern unterlasse, erinnert er mich daran durch
beständiges Locken." Auch Bolle rühmt seine Gefangenen. Bei geeigneter Behandlung kann man
den Vogel zur Fortpflanzung im Käfig bringen, Toussonel wenigstens erwähnt eines solchen Falles.



Ein sehr auffallend gestalteter Fink, der Kernbeißer, ist gewöhnlich den Edelsinken zuge-
rechnet worden, verdient aber als Vertreter einer eigenen Familie betrachtet zu werden, wie er schon
längst als Vertreter einer eigenen Sippe gegolten hat. Jn diese Familie würden allerdings nur
wenige andere Finken einzureihen sein, und unter ihnen gibt es nicht einen Einzigen, welcher alle
wesentlichen Kennzeichen des Kernbeißers mit ihm gemein hätte. Wir kennen sehr viele Finken,
welche an ihn erinnern, aber nur höchst wenige, welche ihm wirklich ähneln: man kann höchstens sagen,
daß sich sein Gepräge in andern Familien wiederholt.

Die Kernbeißer kennzeichnet ein gedrungener, fast plumper Leib mit langen Flügeln, aber ver-
hältnißmäßig kurzem Schwanze und kurzen kräftigen Füßen, vor Allem aber der starke Kopf mit
gewaltigem, kreiselförmigen, dicken, aber doch nicht gerade kurzen, spitzen Schnabel, welcher auf der
Jnnenseite des Oberschnabels Längsriefen und hinter diesen eine knollige, quere Erhöhung hat, der
eine von einer harten und dicken Wulst umgebene Grube im Unterkiefer gegenübersteht. Das Gefie-
der ist reich, weichstrahlig und ansprechend, aber nicht besonders lebhaft gefärbt.

Die hierher zu zählenden Vögel sind Weltbürger und einzelne Arten sehr weit verbreitet. Ueber
ihr Leben und Treiben geben uns die einheimischen Arten Kunde; über die außereuropäischen Kern-
beißer sind die Nachrichten sehr dürftig.

Wir dürfen einen in Deutschland überall häufig vorkommenden Finken, den Grünling oder
Schwunsch-, Grün-, Hirsen- und Kuttvogel, Rappfink, Tutter, Wonütz, Gröning,
Grinzling
und wie das Volk ihn sonst noch benennen mag (Chloris hortensis), zu unserer Familie
zählen und ihn als ein Uebergangsglied von den Edelfinken zu den Kernbeißern betrachten. Der
Schnabel ist schwächer, als bei diesen, aber stärker als bei jenen, kegelförmig, an den Schneiden scharf
und eingezogen, mit einem kleinen Ballen im Unterkiefer. Der Fuß ist etwas länger als bei den
Kernbeißern, die Gestalt gestreckter, jedoch immerhin noch kräftig. Grün ist die Hauptfarbe des Ge-
fieders. Beim Männchen im Hochzeitskleid ist der Oberkörper olivenzeisiggrün, der Unterkörper grün-
gelb, der Flügel aschgrau, der Schwanz schwarz, jener auf den neun vordersten Schwungfedern, dieser
am Hinterende der fünf äußeren Schwanzfedern schön gelb gefleckt. Der Schnabel ist hornfleisch-
farben, der Augenstern braun. Das Winterkleid erscheint wegen der grauen Spitzenkanten der
Federn graulicher; das Weibchen behält diese Färbung im wesentlichen bei. Das Jugendkleid unter-
scheidet sich durch dunkle Längsstreifen auf der Ober- und Unterseite. Die Länge beträgt fast 6 Zoll,
die Breite 10 Zoll. Das Weibchen ist um 1/2 Zoll kürzer und um 3/4 Zoll schmäler.

Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer.
wo er Nachtruhe hält, am allerſcheueſten iſt. Man muß, um ſich des Vogels zu bemächtigen, auf ihn
förmlich anſtehen und ſich wohl vor einem Fehlſchuſſe in Acht nehmen. Dies gilt auch für Spanien,
wo wir uns oft vergebens bemühten, die ſchlauen Vögel zu überliſten, und trotz aller Uebung im Jagen
derartigen Wildes gar häufig mit leeren Händen den Rückweg antreten mußten.

Jn der Gefangenſchaft verurſacht der Steinſperling wenig Mühe, aber viel Vergnügen. Er
wird bald zutraulich, verträgt ſich mit andern Vögeln vortrefflich und erfreut durch die Anmuth ſeines
Betragens. Mein Vater fütterte einen, welcher jung aus dem Neſte genommen war, mit vieler
Mühe auf, hatte dann aber die Genugthuung, ihn ungewöhnlich zahm zu ſehen. „Er bleibt‟, ſagt er,
„ganz ruhig und flattert nicht, wenn man ſeinen Käfig herabzieht, um ihn zu füttern, ſcheut ſich ſelbſt
dann nicht, wenn man das Trinkgeſchirr aus demſelben herausnimmt. Seine Zutraulichkeit geht ſo
weit, daß er, wenn ich ihm ſein Futter in das Gefäß ſchütte, gleich neben die Hand oder zwiſchen die
Finger ſeinen Kopf ſteckt. Die vorgehaltenen Fliegen, welche er ſehr gern verzehrt, nimmt er aus der
Hand. Wenn ich früh beſchäftigt bin und ihn zu füttern unterlaſſe, erinnert er mich daran durch
beſtändiges Locken.‟ Auch Bolle rühmt ſeine Gefangenen. Bei geeigneter Behandlung kann man
den Vogel zur Fortpflanzung im Käfig bringen, Touſſonel wenigſtens erwähnt eines ſolchen Falles.



Ein ſehr auffallend geſtalteter Fink, der Kernbeißer, iſt gewöhnlich den Edelſinken zuge-
rechnet worden, verdient aber als Vertreter einer eigenen Familie betrachtet zu werden, wie er ſchon
längſt als Vertreter einer eigenen Sippe gegolten hat. Jn dieſe Familie würden allerdings nur
wenige andere Finken einzureihen ſein, und unter ihnen gibt es nicht einen Einzigen, welcher alle
weſentlichen Kennzeichen des Kernbeißers mit ihm gemein hätte. Wir kennen ſehr viele Finken,
welche an ihn erinnern, aber nur höchſt wenige, welche ihm wirklich ähneln: man kann höchſtens ſagen,
daß ſich ſein Gepräge in andern Familien wiederholt.

Die Kernbeißer kennzeichnet ein gedrungener, faſt plumper Leib mit langen Flügeln, aber ver-
hältnißmäßig kurzem Schwanze und kurzen kräftigen Füßen, vor Allem aber der ſtarke Kopf mit
gewaltigem, kreiſelförmigen, dicken, aber doch nicht gerade kurzen, ſpitzen Schnabel, welcher auf der
Jnnenſeite des Oberſchnabels Längsriefen und hinter dieſen eine knollige, quere Erhöhung hat, der
eine von einer harten und dicken Wulſt umgebene Grube im Unterkiefer gegenüberſteht. Das Gefie-
der iſt reich, weichſtrahlig und anſprechend, aber nicht beſonders lebhaft gefärbt.

Die hierher zu zählenden Vögel ſind Weltbürger und einzelne Arten ſehr weit verbreitet. Ueber
ihr Leben und Treiben geben uns die einheimiſchen Arten Kunde; über die außereuropäiſchen Kern-
beißer ſind die Nachrichten ſehr dürftig.

Wir dürfen einen in Deutſchland überall häufig vorkommenden Finken, den Grünling oder
Schwunſch-, Grün-, Hirſen- und Kuttvogel, Rappfink, Tutter, Wonütz, Gröning,
Grinzling
und wie das Volk ihn ſonſt noch benennen mag (Chloris hortensis), zu unſerer Familie
zählen und ihn als ein Uebergangsglied von den Edelfinken zu den Kernbeißern betrachten. Der
Schnabel iſt ſchwächer, als bei dieſen, aber ſtärker als bei jenen, kegelförmig, an den Schneiden ſcharf
und eingezogen, mit einem kleinen Ballen im Unterkiefer. Der Fuß iſt etwas länger als bei den
Kernbeißern, die Geſtalt geſtreckter, jedoch immerhin noch kräftig. Grün iſt die Hauptfarbe des Ge-
fieders. Beim Männchen im Hochzeitskleid iſt der Oberkörper olivenzeiſiggrün, der Unterkörper grün-
gelb, der Flügel aſchgrau, der Schwanz ſchwarz, jener auf den neun vorderſten Schwungfedern, dieſer
am Hinterende der fünf äußeren Schwanzfedern ſchön gelb gefleckt. Der Schnabel iſt hornfleiſch-
farben, der Augenſtern braun. Das Winterkleid erſcheint wegen der grauen Spitzenkanten der
Federn graulicher; das Weibchen behält dieſe Färbung im weſentlichen bei. Das Jugendkleid unter-
ſcheidet ſich durch dunkle Längsſtreifen auf der Ober- und Unterſeite. Die Länge beträgt faſt 6 Zoll,
die Breite 10 Zoll. Das Weibchen iſt um ½ Zoll kürzer und um ¾ Zoll ſchmäler.

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[170/0190] Die Knacker. Sperlingsvögel. Kernbeißer. wo er Nachtruhe hält, am allerſcheueſten iſt. Man muß, um ſich des Vogels zu bemächtigen, auf ihn förmlich anſtehen und ſich wohl vor einem Fehlſchuſſe in Acht nehmen. Dies gilt auch für Spanien, wo wir uns oft vergebens bemühten, die ſchlauen Vögel zu überliſten, und trotz aller Uebung im Jagen derartigen Wildes gar häufig mit leeren Händen den Rückweg antreten mußten. Jn der Gefangenſchaft verurſacht der Steinſperling wenig Mühe, aber viel Vergnügen. Er wird bald zutraulich, verträgt ſich mit andern Vögeln vortrefflich und erfreut durch die Anmuth ſeines Betragens. Mein Vater fütterte einen, welcher jung aus dem Neſte genommen war, mit vieler Mühe auf, hatte dann aber die Genugthuung, ihn ungewöhnlich zahm zu ſehen. „Er bleibt‟, ſagt er, „ganz ruhig und flattert nicht, wenn man ſeinen Käfig herabzieht, um ihn zu füttern, ſcheut ſich ſelbſt dann nicht, wenn man das Trinkgeſchirr aus demſelben herausnimmt. Seine Zutraulichkeit geht ſo weit, daß er, wenn ich ihm ſein Futter in das Gefäß ſchütte, gleich neben die Hand oder zwiſchen die Finger ſeinen Kopf ſteckt. Die vorgehaltenen Fliegen, welche er ſehr gern verzehrt, nimmt er aus der Hand. Wenn ich früh beſchäftigt bin und ihn zu füttern unterlaſſe, erinnert er mich daran durch beſtändiges Locken.‟ Auch Bolle rühmt ſeine Gefangenen. Bei geeigneter Behandlung kann man den Vogel zur Fortpflanzung im Käfig bringen, Touſſonel wenigſtens erwähnt eines ſolchen Falles. Ein ſehr auffallend geſtalteter Fink, der Kernbeißer, iſt gewöhnlich den Edelſinken zuge- rechnet worden, verdient aber als Vertreter einer eigenen Familie betrachtet zu werden, wie er ſchon längſt als Vertreter einer eigenen Sippe gegolten hat. Jn dieſe Familie würden allerdings nur wenige andere Finken einzureihen ſein, und unter ihnen gibt es nicht einen Einzigen, welcher alle weſentlichen Kennzeichen des Kernbeißers mit ihm gemein hätte. Wir kennen ſehr viele Finken, welche an ihn erinnern, aber nur höchſt wenige, welche ihm wirklich ähneln: man kann höchſtens ſagen, daß ſich ſein Gepräge in andern Familien wiederholt. Die Kernbeißer kennzeichnet ein gedrungener, faſt plumper Leib mit langen Flügeln, aber ver- hältnißmäßig kurzem Schwanze und kurzen kräftigen Füßen, vor Allem aber der ſtarke Kopf mit gewaltigem, kreiſelförmigen, dicken, aber doch nicht gerade kurzen, ſpitzen Schnabel, welcher auf der Jnnenſeite des Oberſchnabels Längsriefen und hinter dieſen eine knollige, quere Erhöhung hat, der eine von einer harten und dicken Wulſt umgebene Grube im Unterkiefer gegenüberſteht. Das Gefie- der iſt reich, weichſtrahlig und anſprechend, aber nicht beſonders lebhaft gefärbt. Die hierher zu zählenden Vögel ſind Weltbürger und einzelne Arten ſehr weit verbreitet. Ueber ihr Leben und Treiben geben uns die einheimiſchen Arten Kunde; über die außereuropäiſchen Kern- beißer ſind die Nachrichten ſehr dürftig. Wir dürfen einen in Deutſchland überall häufig vorkommenden Finken, den Grünling oder Schwunſch-, Grün-, Hirſen- und Kuttvogel, Rappfink, Tutter, Wonütz, Gröning, Grinzling und wie das Volk ihn ſonſt noch benennen mag (Chloris hortensis), zu unſerer Familie zählen und ihn als ein Uebergangsglied von den Edelfinken zu den Kernbeißern betrachten. Der Schnabel iſt ſchwächer, als bei dieſen, aber ſtärker als bei jenen, kegelförmig, an den Schneiden ſcharf und eingezogen, mit einem kleinen Ballen im Unterkiefer. Der Fuß iſt etwas länger als bei den Kernbeißern, die Geſtalt geſtreckter, jedoch immerhin noch kräftig. Grün iſt die Hauptfarbe des Ge- fieders. Beim Männchen im Hochzeitskleid iſt der Oberkörper olivenzeiſiggrün, der Unterkörper grün- gelb, der Flügel aſchgrau, der Schwanz ſchwarz, jener auf den neun vorderſten Schwungfedern, dieſer am Hinterende der fünf äußeren Schwanzfedern ſchön gelb gefleckt. Der Schnabel iſt hornfleiſch- farben, der Augenſtern braun. Das Winterkleid erſcheint wegen der grauen Spitzenkanten der Federn graulicher; das Weibchen behält dieſe Färbung im weſentlichen bei. Das Jugendkleid unter- ſcheidet ſich durch dunkle Längsſtreifen auf der Ober- und Unterſeite. Die Länge beträgt faſt 6 Zoll, die Breite 10 Zoll. Das Weibchen iſt um ½ Zoll kürzer und um ¾ Zoll ſchmäler.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/190>, abgerufen am 21.11.2024.