mit den Sperlingsvögeln, dennoch ein selbständiges Gepräge zeigen, und die Uebersicht des Ganzen durch das von mir befolgte Verfahren erleichtert werden dürfte.
Wir haben es in dieser Ordnung mit Vögeln zu thun, deren Größe zwischen der eines Raben und eines Finken schwankt. Der Leib aller hierher zu zählenden Geschöpfe ist sehr übereinstimmend gestaltet und gebaut. Der Rumpf ist gestreckt, ohne deshalb verschmächtigt zu sein, der Kopf ist ver- hältnißmäßig groß, der Hals kurz, der Fittig mittel- oder ziemlich lang, zugespitzt oder gerundet, der zwölffederige Schwanz verschieden gebildet: kurz und gerade abgeschnitten, ein wenig gerundet oder lang und dann meist beträchtlich abgestuft, der Fuß kräftig, weder stelzenartig verlängert, noch beson- ders verkürzt, am Lauf mit Tafelschuppen beschildert, kurzzehig und ziemlich stark bekrallt. Der Schnabel erreicht die halbe, zuweilen auch die ganze Kopflänge und selbst noch etwas mehr; er ist ziemlich gerade, mehr oder weniger kegelförmig, auf der Firste oft etwas gebogen, an der Spitze ein wenig herabgekrümmt, nicht aber hakig. Die Federn sind verhältnißmäßig klein und etwas derb; sie stehen dicht und lassen das Gefieder deshalb voll erscheinen; sie verlängern und zerschleißen sich auch wohl bei Einzelnen in eigenthümlicher Weise. Jhre Färbung wechselt. Schwarz ist die Farbe, welche am häufigsten vorkommt; nächstdem tritt Gelb und Weiß auf, seltener Grün, Braun, Roth etc. Sehr oft schillern die Federn in prachtvoll metallischem Glanze.
Der innere Leibesbau kommt in vielen Stücken mit dem der Sperlingsvögel überein. Das Ge- ripp ist kräftig; viele seiner Knochen sind luftführend. Die Wirbelsäule besteht sehr übereinstimmend aus 12 Hals-, 8 Rücken-, 10--11 Becken- und 7--8 Schwanzwirbeln. Die Singmuskeln im unteren Kehlkopf sind vorhanden. Die Speiseröhre erweitert sich nicht kropfartig; der Vormagen ist kurz und drüsenreich, aber dünnwandig, der Magen niemals so muskelig, wie bei den Sperlingsvögeln. Alle Sinneswerkzeuge sind wohl entwickelt; das Gehirn ist sehr groß.
Die Rabenvögel bewohnen alle Erdtheile und alle Breiten- oder Höhengürtel derselben. Die meisten sind weit verbreitet, einzelne jedoch auch sehr beschränkt in ihrem Vorkommen. Der Süden ist reicher an Arten, als der Norden; die hier lebenden Raben sind dafür aber weiter verbreitet, als die, welche unter niederen Breiten wohnen. Als eigentliche Heim- und Wohnstätte unserer Vögel ist der Wald anzusehen; doch weiß auch die Seeküste, die baumlose Steppe oder Wüste, das Hochgebirge Einzelne zu fesseln, und so begegnet man ihnen vom Meeresstrande an bis zum Gletschergürtel hinauf allüberall, -- auch an oder in menschenbelebten Dörfern oder Städten.
Owen hat einmal behauptet, daß man in dem Raben den vollkommensten aller Vögel vor sich habe, und es läßt sich dagegen nicht viel einwenden. Die Begabung der Rabenvögel ist in der That eine außerordentliche, weil ebenso hohe, wie manchfaltige; ihre geistige Befähigung ist nicht minder groß, als ihre leibliche. Die Rabenvögel fliegen leicht, rasch und sehr gewandt; sie gehen gut und bewegen sich auf dem Boden mit demselben Geschick, wie im Gezweig der Bäume; ihre Stimme ist reichhaltig; ihre Sinne sind ziemlich gleichmäßig entwickelt; ihr Verstand steht auf so hoher Stufe, wie bei wenig anderen Vögeln überhaupt. Einige erscheinen als ganz besonders bevorzugt; sie vereinigen gewissermaßen die Eigenschaften der Papageien und Falken in sich.
Solcher Vielseitigkeit entsprechen Lebensweise, Betragen, Ernährung, Fortpflanzung und andere Thätigkeiten und Handlungen dieser Vögel. Jm allgemeinen läßt sich darüber wenig sagen; denn eigentlich scheint den Rabenvögeln Alles möglich zu sein. Die Lebensweise der kleineren Arten erin- nert vielfach an das Treiben der Finken und Ammern; die größeren Mitglieder der Ordnung hin- gegen bekunden in ihrem Gebahren viel Eigenthümliches. Sie sind, wenigstens zum Theil, sehr tüchtige Räuber, weil sie jede ihrer Gaben aufs beste anzuwenden wissen und bei ihrer Jagd Kraft und Gewandtheit mit Muth und List vereinigen. Sie sind aber nicht blos Räuber, sondern auch schlimme Diebe, welche Freude an ihnen ganz unnützen, dem Menschen vielleicht sehr werthvollen Dingen zu haben scheinen, und daher manchen Unfug stiften. Alles Genießbare ist ihnen recht, und um die Mittel zur Erwerbung sind sie nie verlegen. So führen sie ein wirklich beneidenswerthes Leben. Jede Oertlichkeit bietet ihnen das Erforderliche, weil sie eben Alles zu gebrauchen verstehen, und wenn
Allgemeines.
mit den Sperlingsvögeln, dennoch ein ſelbſtändiges Gepräge zeigen, und die Ueberſicht des Ganzen durch das von mir befolgte Verfahren erleichtert werden dürfte.
Wir haben es in dieſer Ordnung mit Vögeln zu thun, deren Größe zwiſchen der eines Raben und eines Finken ſchwankt. Der Leib aller hierher zu zählenden Geſchöpfe iſt ſehr übereinſtimmend geſtaltet und gebaut. Der Rumpf iſt geſtreckt, ohne deshalb verſchmächtigt zu ſein, der Kopf iſt ver- hältnißmäßig groß, der Hals kurz, der Fittig mittel- oder ziemlich lang, zugeſpitzt oder gerundet, der zwölffederige Schwanz verſchieden gebildet: kurz und gerade abgeſchnitten, ein wenig gerundet oder lang und dann meiſt beträchtlich abgeſtuft, der Fuß kräftig, weder ſtelzenartig verlängert, noch beſon- ders verkürzt, am Lauf mit Tafelſchuppen beſchildert, kurzzehig und ziemlich ſtark bekrallt. Der Schnabel erreicht die halbe, zuweilen auch die ganze Kopflänge und ſelbſt noch etwas mehr; er iſt ziemlich gerade, mehr oder weniger kegelförmig, auf der Firſte oft etwas gebogen, an der Spitze ein wenig herabgekrümmt, nicht aber hakig. Die Federn ſind verhältnißmäßig klein und etwas derb; ſie ſtehen dicht und laſſen das Gefieder deshalb voll erſcheinen; ſie verlängern und zerſchleißen ſich auch wohl bei Einzelnen in eigenthümlicher Weiſe. Jhre Färbung wechſelt. Schwarz iſt die Farbe, welche am häufigſten vorkommt; nächſtdem tritt Gelb und Weiß auf, ſeltener Grün, Braun, Roth ꝛc. Sehr oft ſchillern die Federn in prachtvoll metalliſchem Glanze.
Der innere Leibesbau kommt in vielen Stücken mit dem der Sperlingsvögel überein. Das Ge- ripp iſt kräftig; viele ſeiner Knochen ſind luftführend. Die Wirbelſäule beſteht ſehr übereinſtimmend aus 12 Hals-, 8 Rücken-, 10—11 Becken- und 7—8 Schwanzwirbeln. Die Singmuskeln im unteren Kehlkopf ſind vorhanden. Die Speiſeröhre erweitert ſich nicht kropfartig; der Vormagen iſt kurz und drüſenreich, aber dünnwandig, der Magen niemals ſo muskelig, wie bei den Sperlingsvögeln. Alle Sinneswerkzeuge ſind wohl entwickelt; das Gehirn iſt ſehr groß.
Die Rabenvögel bewohnen alle Erdtheile und alle Breiten- oder Höhengürtel derſelben. Die meiſten ſind weit verbreitet, einzelne jedoch auch ſehr beſchränkt in ihrem Vorkommen. Der Süden iſt reicher an Arten, als der Norden; die hier lebenden Raben ſind dafür aber weiter verbreitet, als die, welche unter niederen Breiten wohnen. Als eigentliche Heim- und Wohnſtätte unſerer Vögel iſt der Wald anzuſehen; doch weiß auch die Seeküſte, die baumloſe Steppe oder Wüſte, das Hochgebirge Einzelne zu feſſeln, und ſo begegnet man ihnen vom Meeresſtrande an bis zum Gletſchergürtel hinauf allüberall, — auch an oder in menſchenbelebten Dörfern oder Städten.
Owen hat einmal behauptet, daß man in dem Raben den vollkommenſten aller Vögel vor ſich habe, und es läßt ſich dagegen nicht viel einwenden. Die Begabung der Rabenvögel iſt in der That eine außerordentliche, weil ebenſo hohe, wie manchfaltige; ihre geiſtige Befähigung iſt nicht minder groß, als ihre leibliche. Die Rabenvögel fliegen leicht, raſch und ſehr gewandt; ſie gehen gut und bewegen ſich auf dem Boden mit demſelben Geſchick, wie im Gezweig der Bäume; ihre Stimme iſt reichhaltig; ihre Sinne ſind ziemlich gleichmäßig entwickelt; ihr Verſtand ſteht auf ſo hoher Stufe, wie bei wenig anderen Vögeln überhaupt. Einige erſcheinen als ganz beſonders bevorzugt; ſie vereinigen gewiſſermaßen die Eigenſchaften der Papageien und Falken in ſich.
Solcher Vielſeitigkeit entſprechen Lebensweiſe, Betragen, Ernährung, Fortpflanzung und andere Thätigkeiten und Handlungen dieſer Vögel. Jm allgemeinen läßt ſich darüber wenig ſagen; denn eigentlich ſcheint den Rabenvögeln Alles möglich zu ſein. Die Lebensweiſe der kleineren Arten erin- nert vielfach an das Treiben der Finken und Ammern; die größeren Mitglieder der Ordnung hin- gegen bekunden in ihrem Gebahren viel Eigenthümliches. Sie ſind, wenigſtens zum Theil, ſehr tüchtige Räuber, weil ſie jede ihrer Gaben aufs beſte anzuwenden wiſſen und bei ihrer Jagd Kraft und Gewandtheit mit Muth und Liſt vereinigen. Sie ſind aber nicht blos Räuber, ſondern auch ſchlimme Diebe, welche Freude an ihnen ganz unnützen, dem Menſchen vielleicht ſehr werthvollen Dingen zu haben ſcheinen, und daher manchen Unfug ſtiften. Alles Genießbare iſt ihnen recht, und um die Mittel zur Erwerbung ſind ſie nie verlegen. So führen ſie ein wirklich beneidenswerthes Leben. Jede Oertlichkeit bietet ihnen das Erforderliche, weil ſie eben Alles zu gebrauchen verſtehen, und wenn
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[277/0299]
Allgemeines.
mit den Sperlingsvögeln, dennoch ein ſelbſtändiges Gepräge zeigen, und die Ueberſicht des Ganzen
durch das von mir befolgte Verfahren erleichtert werden dürfte.
Wir haben es in dieſer Ordnung mit Vögeln zu thun, deren Größe zwiſchen der eines Raben
und eines Finken ſchwankt. Der Leib aller hierher zu zählenden Geſchöpfe iſt ſehr übereinſtimmend
geſtaltet und gebaut. Der Rumpf iſt geſtreckt, ohne deshalb verſchmächtigt zu ſein, der Kopf iſt ver-
hältnißmäßig groß, der Hals kurz, der Fittig mittel- oder ziemlich lang, zugeſpitzt oder gerundet, der
zwölffederige Schwanz verſchieden gebildet: kurz und gerade abgeſchnitten, ein wenig gerundet oder
lang und dann meiſt beträchtlich abgeſtuft, der Fuß kräftig, weder ſtelzenartig verlängert, noch beſon-
ders verkürzt, am Lauf mit Tafelſchuppen beſchildert, kurzzehig und ziemlich ſtark bekrallt. Der
Schnabel erreicht die halbe, zuweilen auch die ganze Kopflänge und ſelbſt noch etwas mehr; er iſt
ziemlich gerade, mehr oder weniger kegelförmig, auf der Firſte oft etwas gebogen, an der Spitze ein
wenig herabgekrümmt, nicht aber hakig. Die Federn ſind verhältnißmäßig klein und etwas derb; ſie
ſtehen dicht und laſſen das Gefieder deshalb voll erſcheinen; ſie verlängern und zerſchleißen ſich auch
wohl bei Einzelnen in eigenthümlicher Weiſe. Jhre Färbung wechſelt. Schwarz iſt die Farbe, welche
am häufigſten vorkommt; nächſtdem tritt Gelb und Weiß auf, ſeltener Grün, Braun, Roth ꝛc. Sehr
oft ſchillern die Federn in prachtvoll metalliſchem Glanze.
Der innere Leibesbau kommt in vielen Stücken mit dem der Sperlingsvögel überein. Das Ge-
ripp iſt kräftig; viele ſeiner Knochen ſind luftführend. Die Wirbelſäule beſteht ſehr übereinſtimmend
aus 12 Hals-, 8 Rücken-, 10—11 Becken- und 7—8 Schwanzwirbeln. Die Singmuskeln im
unteren Kehlkopf ſind vorhanden. Die Speiſeröhre erweitert ſich nicht kropfartig; der Vormagen iſt
kurz und drüſenreich, aber dünnwandig, der Magen niemals ſo muskelig, wie bei den Sperlingsvögeln.
Alle Sinneswerkzeuge ſind wohl entwickelt; das Gehirn iſt ſehr groß.
Die Rabenvögel bewohnen alle Erdtheile und alle Breiten- oder Höhengürtel derſelben. Die
meiſten ſind weit verbreitet, einzelne jedoch auch ſehr beſchränkt in ihrem Vorkommen. Der Süden iſt
reicher an Arten, als der Norden; die hier lebenden Raben ſind dafür aber weiter verbreitet, als die,
welche unter niederen Breiten wohnen. Als eigentliche Heim- und Wohnſtätte unſerer Vögel iſt der
Wald anzuſehen; doch weiß auch die Seeküſte, die baumloſe Steppe oder Wüſte, das Hochgebirge
Einzelne zu feſſeln, und ſo begegnet man ihnen vom Meeresſtrande an bis zum Gletſchergürtel hinauf
allüberall, — auch an oder in menſchenbelebten Dörfern oder Städten.
Owen hat einmal behauptet, daß man in dem Raben den vollkommenſten aller Vögel vor ſich
habe, und es läßt ſich dagegen nicht viel einwenden. Die Begabung der Rabenvögel iſt in der That
eine außerordentliche, weil ebenſo hohe, wie manchfaltige; ihre geiſtige Befähigung iſt nicht minder
groß, als ihre leibliche. Die Rabenvögel fliegen leicht, raſch und ſehr gewandt; ſie gehen gut und
bewegen ſich auf dem Boden mit demſelben Geſchick, wie im Gezweig der Bäume; ihre Stimme iſt
reichhaltig; ihre Sinne ſind ziemlich gleichmäßig entwickelt; ihr Verſtand ſteht auf ſo hoher Stufe, wie
bei wenig anderen Vögeln überhaupt. Einige erſcheinen als ganz beſonders bevorzugt; ſie vereinigen
gewiſſermaßen die Eigenſchaften der Papageien und Falken in ſich.
Solcher Vielſeitigkeit entſprechen Lebensweiſe, Betragen, Ernährung, Fortpflanzung und andere
Thätigkeiten und Handlungen dieſer Vögel. Jm allgemeinen läßt ſich darüber wenig ſagen; denn
eigentlich ſcheint den Rabenvögeln Alles möglich zu ſein. Die Lebensweiſe der kleineren Arten erin-
nert vielfach an das Treiben der Finken und Ammern; die größeren Mitglieder der Ordnung hin-
gegen bekunden in ihrem Gebahren viel Eigenthümliches. Sie ſind, wenigſtens zum Theil, ſehr
tüchtige Räuber, weil ſie jede ihrer Gaben aufs beſte anzuwenden wiſſen und bei ihrer Jagd Kraft
und Gewandtheit mit Muth und Liſt vereinigen. Sie ſind aber nicht blos Räuber, ſondern auch
ſchlimme Diebe, welche Freude an ihnen ganz unnützen, dem Menſchen vielleicht ſehr werthvollen
Dingen zu haben ſcheinen, und daher manchen Unfug ſtiften. Alles Genießbare iſt ihnen recht, und
um die Mittel zur Erwerbung ſind ſie nie verlegen. So führen ſie ein wirklich beneidenswerthes Leben.
Jede Oertlichkeit bietet ihnen das Erforderliche, weil ſie eben Alles zu gebrauchen verſtehen, und wenn
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/299>, abgerufen am 21.11.2024.
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