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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Rabenvögel.
ihnen eine Gegend ausgenutzt erscheint, verlassen sie dieselbe. Dem entsprechend sind sie Stand-,
Strich-, Wander- und Zugvögel, je nach Art, Heimatsgegend, Witterung, nach den Umständen.
Jhre Lebensweise ist ebenso vielseitig, wie ihre Begabung. Sie leben gern in Gesellschaften; aber
kein Mitglied derselben opfert dem Verbande seine Selbständigkeit. Einer steht dem anderen treulich
bei in Gefahr und Noth; die Gatten eines Paares hängen mit inniger Zärtlichkeit an einander; die
Eltern lieben ihre Jungen in so hohem Grade, wie wenige andere Vögel: aber im übrigen erkennt
und benutzt jeder seinen Vortheil bestmöglichst. Jhre geselligen Vereinigungen sind, wie es scheint,
Folge der Erkenntniß aller Vortheile, welche ein Verband Gleichbefähigter dem Einzelnen gewährt; sie
sind Verbindungen zu Schutz und Trutz, zur Ermöglichung geselliger Freuden, zur Unterhaltung des
ewig nach Beschäftigung strebenden Geistes. Einzelne Arten halten förmlich Zusammenkünfte an
gewissen Orten und zu gewissen Stunden ab, scheinbar zu dem Zwecke, gegenseitig die Erlebnisse des
Tages auszutauschen. Lehre und Warnung der durch Erfahrung gewitzigten Weisen eines Verbandes
findet in den Jüngeren, minder Erfahrenen eifrige Schüler, und so bilden sich auch deren Geistes-
fähigkeiten in überraschend kurzer Zeit aus. Ueberlegene Klugheit wird selbst von anderen Arten der
Ordnung bereitwillig anerkannt; daher werden die Klügsten bald zu Leitern und Führern ganzer
Genossenschaften.

Die Art und Weise des Brutgeschäfts weicht bei den verschiedenen Arten der Ordnung vielfach
ab. Einige sind Höhlenbrüter, andere Weber; die meisten erbauen sich freistehende Nester. Jhre
Geselligkeit wird durch die Sorge um einen geeigneten Nistplatz wenig gestört. Jn den Siedelungen,
welche mehrere Arten bilden, fehlt es anfänglich nicht an Streit um den Nistort und die Niststoffe:
der eine wird wo möglich gewaltsam erobert, die anderen werden listig weggestohlen; ist jedoch ein
Platz wirklich bebaut und das Nest belegt, so endet der Kampf, und der Friede tritt wieder ein. Die
Bauart des Nestes ist verschieden, je nach dem Standorte desselben und nach der Kunstfertigkeit
oder Laune seiner Gründer; die Anzahl der Eier eines Geleges schwankt zwischen vier und acht. Beide
Eltern brüten und beide lieben ihre Brut in so hohem Grade, daß der Ausdruck "Rabenvater" und
bezüglich "Rabenmutter" als eine durchaus unverdiente Schmähung unserer Vögel zu brandmarken
ist. Auch während des Brütens müßigen sich die männlichen Glieder der Paare gern noch ein Stünd-
chen ab, um den Anforderungen des geselligen Verkehrs zu genügen; zumal die Männchen kommen
ziemlich regelmäßig an bestimmten Orten zusammen, um mit einander zu singen oder zu schwatzen.
Die Jungen werden nach dem Ausfliegen längere Zeit geführt, ernährt, gewarnt und beschützt, am
längsten selbstverständlich von denen, welche im Laufe des Sommers nur einmal brüten. So ist es
gewöhnlich; die Ausnahmen von der Regel werden weiter unten ausführlicher zu behandeln sein.

Jm allgemeinen haben wir die Rabenvögel als vorwiegend nützliche Thiere anzusehen. Alle
kleineren Arten erwerben sich durch Vertilgung schädlicher Kerbthiere, Schnecken und Würmer hohe
Verdienste und brandschatzen dagegen nur ausnahmsweise das Besitzthum des Menschen; die größeren
und stärkeren Raben aber sind Räuber, welche sich ohne Besinnen auch an höheren Wirbelthieren ver-
greifen, deren Thätigkeit oder anderweitige Nutzbarkeit für uns ersprießlich ist. Einige Raben gehören
wegen solcher Raubgelüste ganz entschieden zu den schädlichsten Vögeln unseres Vaterlandes oder
heimatlichen Erdtheils; sie können sich sehr verhaßt und ernste Abwehr nöthig machen.

Für die Gefangenschaft eignen sich, soviel erprobt, alle Arten der Ordnung. Sie gewöhnen
sich leicht an einfaches Ersatzfutter und auch bald an ihren Gebieter, welchen viele rasch liebgewinnen
und in vieler Hinsicht erfreuen. Sie sind neben den Papageien die einzigen Vögel, welche nicht nur
allerlei Lieder nachpfeifen, sondern auch Worte der menschlichen Sprache nachschwatzen lernen; einzelne
unter ihnen sprechen sogar: sie schwatzen mit Verständniß des gewählten Ausdrucks. Zum Aus- und
Einfliegen lassen sie sich ohne Mühe gewöhnen, überhaupt zu Mancherlei abrichten. Ergötzlich oder
unterhaltend sind sie alle.

Viele Rabenvögel können auch nach dem Tode benutzt werden. Das Fleisch der kleineren
Arten ist wohlschmeckend; von anderen finden die Federn Verwendung.

Die Knacker. Rabenvögel.
ihnen eine Gegend ausgenutzt erſcheint, verlaſſen ſie dieſelbe. Dem entſprechend ſind ſie Stand-,
Strich-, Wander- und Zugvögel, je nach Art, Heimatsgegend, Witterung, nach den Umſtänden.
Jhre Lebensweiſe iſt ebenſo vielſeitig, wie ihre Begabung. Sie leben gern in Geſellſchaften; aber
kein Mitglied derſelben opfert dem Verbande ſeine Selbſtändigkeit. Einer ſteht dem anderen treulich
bei in Gefahr und Noth; die Gatten eines Paares hängen mit inniger Zärtlichkeit an einander; die
Eltern lieben ihre Jungen in ſo hohem Grade, wie wenige andere Vögel: aber im übrigen erkennt
und benutzt jeder ſeinen Vortheil beſtmöglichſt. Jhre geſelligen Vereinigungen ſind, wie es ſcheint,
Folge der Erkenntniß aller Vortheile, welche ein Verband Gleichbefähigter dem Einzelnen gewährt; ſie
ſind Verbindungen zu Schutz und Trutz, zur Ermöglichung geſelliger Freuden, zur Unterhaltung des
ewig nach Beſchäftigung ſtrebenden Geiſtes. Einzelne Arten halten förmlich Zuſammenkünfte an
gewiſſen Orten und zu gewiſſen Stunden ab, ſcheinbar zu dem Zwecke, gegenſeitig die Erlebniſſe des
Tages auszutauſchen. Lehre und Warnung der durch Erfahrung gewitzigten Weiſen eines Verbandes
findet in den Jüngeren, minder Erfahrenen eifrige Schüler, und ſo bilden ſich auch deren Geiſtes-
fähigkeiten in überraſchend kurzer Zeit aus. Ueberlegene Klugheit wird ſelbſt von anderen Arten der
Ordnung bereitwillig anerkannt; daher werden die Klügſten bald zu Leitern und Führern ganzer
Genoſſenſchaften.

Die Art und Weiſe des Brutgeſchäfts weicht bei den verſchiedenen Arten der Ordnung vielfach
ab. Einige ſind Höhlenbrüter, andere Weber; die meiſten erbauen ſich freiſtehende Neſter. Jhre
Geſelligkeit wird durch die Sorge um einen geeigneten Niſtplatz wenig geſtört. Jn den Siedelungen,
welche mehrere Arten bilden, fehlt es anfänglich nicht an Streit um den Niſtort und die Niſtſtoffe:
der eine wird wo möglich gewaltſam erobert, die anderen werden liſtig weggeſtohlen; iſt jedoch ein
Platz wirklich bebaut und das Neſt belegt, ſo endet der Kampf, und der Friede tritt wieder ein. Die
Bauart des Neſtes iſt verſchieden, je nach dem Standorte deſſelben und nach der Kunſtfertigkeit
oder Laune ſeiner Gründer; die Anzahl der Eier eines Geleges ſchwankt zwiſchen vier und acht. Beide
Eltern brüten und beide lieben ihre Brut in ſo hohem Grade, daß der Ausdruck „Rabenvater‟ und
bezüglich „Rabenmutter‟ als eine durchaus unverdiente Schmähung unſerer Vögel zu brandmarken
iſt. Auch während des Brütens müßigen ſich die männlichen Glieder der Paare gern noch ein Stünd-
chen ab, um den Anforderungen des geſelligen Verkehrs zu genügen; zumal die Männchen kommen
ziemlich regelmäßig an beſtimmten Orten zuſammen, um mit einander zu ſingen oder zu ſchwatzen.
Die Jungen werden nach dem Ausfliegen längere Zeit geführt, ernährt, gewarnt und beſchützt, am
längſten ſelbſtverſtändlich von denen, welche im Laufe des Sommers nur einmal brüten. So iſt es
gewöhnlich; die Ausnahmen von der Regel werden weiter unten ausführlicher zu behandeln ſein.

Jm allgemeinen haben wir die Rabenvögel als vorwiegend nützliche Thiere anzuſehen. Alle
kleineren Arten erwerben ſich durch Vertilgung ſchädlicher Kerbthiere, Schnecken und Würmer hohe
Verdienſte und brandſchatzen dagegen nur ausnahmsweiſe das Beſitzthum des Menſchen; die größeren
und ſtärkeren Raben aber ſind Räuber, welche ſich ohne Beſinnen auch an höheren Wirbelthieren ver-
greifen, deren Thätigkeit oder anderweitige Nutzbarkeit für uns erſprießlich iſt. Einige Raben gehören
wegen ſolcher Raubgelüſte ganz entſchieden zu den ſchädlichſten Vögeln unſeres Vaterlandes oder
heimatlichen Erdtheils; ſie können ſich ſehr verhaßt und ernſte Abwehr nöthig machen.

Für die Gefangenſchaft eignen ſich, ſoviel erprobt, alle Arten der Ordnung. Sie gewöhnen
ſich leicht an einfaches Erſatzfutter und auch bald an ihren Gebieter, welchen viele raſch liebgewinnen
und in vieler Hinſicht erfreuen. Sie ſind neben den Papageien die einzigen Vögel, welche nicht nur
allerlei Lieder nachpfeifen, ſondern auch Worte der menſchlichen Sprache nachſchwatzen lernen; einzelne
unter ihnen ſprechen ſogar: ſie ſchwatzen mit Verſtändniß des gewählten Ausdrucks. Zum Aus- und
Einfliegen laſſen ſie ſich ohne Mühe gewöhnen, überhaupt zu Mancherlei abrichten. Ergötzlich oder
unterhaltend ſind ſie alle.

Viele Rabenvögel können auch nach dem Tode benutzt werden. Das Fleiſch der kleineren
Arten iſt wohlſchmeckend; von anderen finden die Federn Verwendung.

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[278/0300] Die Knacker. Rabenvögel. ihnen eine Gegend ausgenutzt erſcheint, verlaſſen ſie dieſelbe. Dem entſprechend ſind ſie Stand-, Strich-, Wander- und Zugvögel, je nach Art, Heimatsgegend, Witterung, nach den Umſtänden. Jhre Lebensweiſe iſt ebenſo vielſeitig, wie ihre Begabung. Sie leben gern in Geſellſchaften; aber kein Mitglied derſelben opfert dem Verbande ſeine Selbſtändigkeit. Einer ſteht dem anderen treulich bei in Gefahr und Noth; die Gatten eines Paares hängen mit inniger Zärtlichkeit an einander; die Eltern lieben ihre Jungen in ſo hohem Grade, wie wenige andere Vögel: aber im übrigen erkennt und benutzt jeder ſeinen Vortheil beſtmöglichſt. Jhre geſelligen Vereinigungen ſind, wie es ſcheint, Folge der Erkenntniß aller Vortheile, welche ein Verband Gleichbefähigter dem Einzelnen gewährt; ſie ſind Verbindungen zu Schutz und Trutz, zur Ermöglichung geſelliger Freuden, zur Unterhaltung des ewig nach Beſchäftigung ſtrebenden Geiſtes. Einzelne Arten halten förmlich Zuſammenkünfte an gewiſſen Orten und zu gewiſſen Stunden ab, ſcheinbar zu dem Zwecke, gegenſeitig die Erlebniſſe des Tages auszutauſchen. Lehre und Warnung der durch Erfahrung gewitzigten Weiſen eines Verbandes findet in den Jüngeren, minder Erfahrenen eifrige Schüler, und ſo bilden ſich auch deren Geiſtes- fähigkeiten in überraſchend kurzer Zeit aus. Ueberlegene Klugheit wird ſelbſt von anderen Arten der Ordnung bereitwillig anerkannt; daher werden die Klügſten bald zu Leitern und Führern ganzer Genoſſenſchaften. Die Art und Weiſe des Brutgeſchäfts weicht bei den verſchiedenen Arten der Ordnung vielfach ab. Einige ſind Höhlenbrüter, andere Weber; die meiſten erbauen ſich freiſtehende Neſter. Jhre Geſelligkeit wird durch die Sorge um einen geeigneten Niſtplatz wenig geſtört. Jn den Siedelungen, welche mehrere Arten bilden, fehlt es anfänglich nicht an Streit um den Niſtort und die Niſtſtoffe: der eine wird wo möglich gewaltſam erobert, die anderen werden liſtig weggeſtohlen; iſt jedoch ein Platz wirklich bebaut und das Neſt belegt, ſo endet der Kampf, und der Friede tritt wieder ein. Die Bauart des Neſtes iſt verſchieden, je nach dem Standorte deſſelben und nach der Kunſtfertigkeit oder Laune ſeiner Gründer; die Anzahl der Eier eines Geleges ſchwankt zwiſchen vier und acht. Beide Eltern brüten und beide lieben ihre Brut in ſo hohem Grade, daß der Ausdruck „Rabenvater‟ und bezüglich „Rabenmutter‟ als eine durchaus unverdiente Schmähung unſerer Vögel zu brandmarken iſt. Auch während des Brütens müßigen ſich die männlichen Glieder der Paare gern noch ein Stünd- chen ab, um den Anforderungen des geſelligen Verkehrs zu genügen; zumal die Männchen kommen ziemlich regelmäßig an beſtimmten Orten zuſammen, um mit einander zu ſingen oder zu ſchwatzen. Die Jungen werden nach dem Ausfliegen längere Zeit geführt, ernährt, gewarnt und beſchützt, am längſten ſelbſtverſtändlich von denen, welche im Laufe des Sommers nur einmal brüten. So iſt es gewöhnlich; die Ausnahmen von der Regel werden weiter unten ausführlicher zu behandeln ſein. Jm allgemeinen haben wir die Rabenvögel als vorwiegend nützliche Thiere anzuſehen. Alle kleineren Arten erwerben ſich durch Vertilgung ſchädlicher Kerbthiere, Schnecken und Würmer hohe Verdienſte und brandſchatzen dagegen nur ausnahmsweiſe das Beſitzthum des Menſchen; die größeren und ſtärkeren Raben aber ſind Räuber, welche ſich ohne Beſinnen auch an höheren Wirbelthieren ver- greifen, deren Thätigkeit oder anderweitige Nutzbarkeit für uns erſprießlich iſt. Einige Raben gehören wegen ſolcher Raubgelüſte ganz entſchieden zu den ſchädlichſten Vögeln unſeres Vaterlandes oder heimatlichen Erdtheils; ſie können ſich ſehr verhaßt und ernſte Abwehr nöthig machen. Für die Gefangenſchaft eignen ſich, ſoviel erprobt, alle Arten der Ordnung. Sie gewöhnen ſich leicht an einfaches Erſatzfutter und auch bald an ihren Gebieter, welchen viele raſch liebgewinnen und in vieler Hinſicht erfreuen. Sie ſind neben den Papageien die einzigen Vögel, welche nicht nur allerlei Lieder nachpfeifen, ſondern auch Worte der menſchlichen Sprache nachſchwatzen lernen; einzelne unter ihnen ſprechen ſogar: ſie ſchwatzen mit Verſtändniß des gewählten Ausdrucks. Zum Aus- und Einfliegen laſſen ſie ſich ohne Mühe gewöhnen, überhaupt zu Mancherlei abrichten. Ergötzlich oder unterhaltend ſind ſie alle. Viele Rabenvögel können auch nach dem Tode benutzt werden. Das Fleiſch der kleineren Arten iſt wohlſchmeckend; von anderen finden die Federn Verwendung.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/300>, abgerufen am 21.11.2024.