Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
Umgebung und lassen nichts Verdächtiges vorüber, ohne es mit lautem Geschrei zu begrüßen. Die
vorbeistreichenden Adler werden von der ganzen Bande streckenweis verfolgt und muthig angegriffen,
jedoch mit sorgfältigster Berücksichtigung der betreffenden Art; denn vor dem gewandten Habichts-
adler
(Pseudaetos Bonellii) nehmen sich die klugen Vögel wohl in Acht, verbergen sich sogar vor ihm
noch tiefer in ihre Felsenhöhlen, während sie sich um den Geieradler (Gypaetos barbatus) gar nicht
kümmern -- ganz einfach deshalb, weil sie ihn als Das erkennen, was er ist: als einen ihnen durch-
aus ungefährlichen Geier. Jn den Nachmittagsstunden fliegen die Alpenkrähen abermals auf
Nahrung aus, und erst mit Sonnenuntergang kehren sie, nachdem sie nochmals sich getränkt haben, zu
den Wohn- und Schlafplätzen der Gesellschaft zurück.

Eigenthümlich ist es, daß die Alpenkrähe nur gewisse Oertlichkeiten bewohnt und in andern,
scheinbar ebenso günstigen fehlt. So findet sie sich nach Bolle nur auf Palma, auf keiner kanari-
schen Jnsel weiter. "Während dort zahlreiche Schwärme sowohl die heißen grottenreichen Thäler des
Küstengebiets wie die hochgelegenen, im Winter mit Schnee bedeckten Bergzinnen bevölkern, haben die
in der Entfernung von wenigen Meilen dem Auge weithin sichtbaren, aus dem Meere auftauchenden
Gebirgskämme von Teneriffa, Gomera und Ferro die Auswanderungslust dieser fluggewandten
Bewohner der hohen Lüfte noch nie gereizt. Scheu, flüchtig und höchst gesellig beleben die Ansiede-
lungen der Alpenkrähen auf das Angenehmste und Fesselndste die entzückenden Landschaften jener
unvergleichlichen Jnsel. Jhr Leben scheint ein immerwährendes, heiteres Spiel zu sein; denn man
sieht sie einander fortwährend jagen und sich necken. Ein leichter, zierlich schwebender Flug voll der
künstlichsten, anmuthigsten Schwenkungen zeichnet sie aus. Auf frisch beackerten Feldern fallen sie in
Herden von Tausenden nieder; auch an einsamen, aus den Felsen hervorsprudelnden Quellen sah ich
sie oft zahlreich zur Tränke kommen."

Erst wenn man beobachtet, welche Gegenstände die Alpenkrähe hauptsächlich zu ihrer Nahrung
wählt, erkennt man, wie geschickt sie ihren bogenförmigen Schnabel zu verwenden weiß. Nach unsern
Erfahrungen ist sie nämlich fast ausschließlich ein Kerbthierfresser, welcher nur gelegentlich andere Nahrung
aufnimmt. Heuschrecken und Spinnenthiere, darunter Skorpionen, dürften in Spanien die Haupt-
masse ihrer Mahlzeiten bilden, und dieser Thiere weiß sie sich mit größtem Geschick zu bemächtigen.
Sie hebt mit ihrem langen Schnabel kleinere Steine in die Höhe und sucht unter denselben die ver-
steckten Thiere hervor, bohrt auch, wie die Saatkrähe, nach Kerfen in die Erde oder steckt ihren
Schnabel unter größere Steine, deren Gewicht sie nicht bewältigen kann, um hier nach ihrer Lieblings-
speise zu forschen.

Die Brutzeit fällt in die ersten Monate des Frühlings. Jn Spanien fanden wir schon Anfangs
Juli ausgeflogene Junge. Das Nest selbst haben wir nicht untersuchen können; denn auch auf der
iberischen Halbinsel behält die Alpenkrähe die löbliche Gewohnheit bei, die Höhlen unersteiglicher
Felsenwände zur Anlage ihres Nestes zu wählen. Letzteres soll ein großer, aus dürren Stengeln und
Heu errichteter Bau sein, zu dessen innerer Ausfütterung Mos gebraucht wird. Die drei bis fünf
Eier, welche man im Mai hier findet, sind auf weißlichem oder schmuziggraugelbem Grunde mit hell-
braunen Flecken und Punkten bezeichnet. Nach Tschudi's Angabe währt die Brutzeit achtzehn
Tage. Wahrscheinlich brütet das Weibchen allein, während beide Eltern unter großem Geschrei und
Gelärm das schwere Geschäft der Auffütterung ihrer Kinder theilen. Es ist höchst unwahrscheinlich,
daß ein Paar mehr als einmal im Jahre brütet, wie es von Schinz behauptet worden ist.

Auch während der Brutzeit leben die Alpenkrähen in derselben engen Verbindung, wie in den
übrigen Monaten des Jahres. Sie sind gesellschaftliche Vögel im vollen Sinne des Worts. Ganz
ohne Neckereien geht es freilich nicht ab, und möglicherweise bestehlen sich auch die Genossen eines Ver-
bandes nach bestem Können und Vermögen; Dies aber ist nun einmal Rabenart und stört die Ein-
tracht nicht im Geringsten. Bei Gefahr steht sich der ganze Schwarm treulich bei, und jeder beweist
unter Umständen einen wirklich erhabenen Muth. So beobachteten wir, daß Verwundete von den
Gesunden unter lautem Geschrei umschwärmt wurden, wobei letztere ganz unverkennbar die Absicht

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
Umgebung und laſſen nichts Verdächtiges vorüber, ohne es mit lautem Geſchrei zu begrüßen. Die
vorbeiſtreichenden Adler werden von der ganzen Bande ſtreckenweis verfolgt und muthig angegriffen,
jedoch mit ſorgfältigſter Berückſichtigung der betreffenden Art; denn vor dem gewandten Habichts-
adler
(Pseudaëtos Bonellii) nehmen ſich die klugen Vögel wohl in Acht, verbergen ſich ſogar vor ihm
noch tiefer in ihre Felſenhöhlen, während ſie ſich um den Geieradler (Gypaëtos barbatus) gar nicht
kümmern — ganz einfach deshalb, weil ſie ihn als Das erkennen, was er iſt: als einen ihnen durch-
aus ungefährlichen Geier. Jn den Nachmittagsſtunden fliegen die Alpenkrähen abermals auf
Nahrung aus, und erſt mit Sonnenuntergang kehren ſie, nachdem ſie nochmals ſich getränkt haben, zu
den Wohn- und Schlafplätzen der Geſellſchaft zurück.

Eigenthümlich iſt es, daß die Alpenkrähe nur gewiſſe Oertlichkeiten bewohnt und in andern,
ſcheinbar ebenſo günſtigen fehlt. So findet ſie ſich nach Bolle nur auf Palma, auf keiner kanari-
ſchen Jnſel weiter. „Während dort zahlreiche Schwärme ſowohl die heißen grottenreichen Thäler des
Küſtengebiets wie die hochgelegenen, im Winter mit Schnee bedeckten Bergzinnen bevölkern, haben die
in der Entfernung von wenigen Meilen dem Auge weithin ſichtbaren, aus dem Meere auftauchenden
Gebirgskämme von Teneriffa, Gomera und Ferro die Auswanderungsluſt dieſer fluggewandten
Bewohner der hohen Lüfte noch nie gereizt. Scheu, flüchtig und höchſt geſellig beleben die Anſiede-
lungen der Alpenkrähen auf das Angenehmſte und Feſſelndſte die entzückenden Landſchaften jener
unvergleichlichen Jnſel. Jhr Leben ſcheint ein immerwährendes, heiteres Spiel zu ſein; denn man
ſieht ſie einander fortwährend jagen und ſich necken. Ein leichter, zierlich ſchwebender Flug voll der
künſtlichſten, anmuthigſten Schwenkungen zeichnet ſie aus. Auf friſch beackerten Feldern fallen ſie in
Herden von Tauſenden nieder; auch an einſamen, aus den Felſen hervorſprudelnden Quellen ſah ich
ſie oft zahlreich zur Tränke kommen.‟

Erſt wenn man beobachtet, welche Gegenſtände die Alpenkrähe hauptſächlich zu ihrer Nahrung
wählt, erkennt man, wie geſchickt ſie ihren bogenförmigen Schnabel zu verwenden weiß. Nach unſern
Erfahrungen iſt ſie nämlich faſt ausſchließlich ein Kerbthierfreſſer, welcher nur gelegentlich andere Nahrung
aufnimmt. Heuſchrecken und Spinnenthiere, darunter Skorpionen, dürften in Spanien die Haupt-
maſſe ihrer Mahlzeiten bilden, und dieſer Thiere weiß ſie ſich mit größtem Geſchick zu bemächtigen.
Sie hebt mit ihrem langen Schnabel kleinere Steine in die Höhe und ſucht unter denſelben die ver-
ſteckten Thiere hervor, bohrt auch, wie die Saatkrähe, nach Kerfen in die Erde oder ſteckt ihren
Schnabel unter größere Steine, deren Gewicht ſie nicht bewältigen kann, um hier nach ihrer Lieblings-
ſpeiſe zu forſchen.

Die Brutzeit fällt in die erſten Monate des Frühlings. Jn Spanien fanden wir ſchon Anfangs
Juli ausgeflogene Junge. Das Neſt ſelbſt haben wir nicht unterſuchen können; denn auch auf der
iberiſchen Halbinſel behält die Alpenkrähe die löbliche Gewohnheit bei, die Höhlen unerſteiglicher
Felſenwände zur Anlage ihres Neſtes zu wählen. Letzteres ſoll ein großer, aus dürren Stengeln und
Heu errichteter Bau ſein, zu deſſen innerer Ausfütterung Mos gebraucht wird. Die drei bis fünf
Eier, welche man im Mai hier findet, ſind auf weißlichem oder ſchmuziggraugelbem Grunde mit hell-
braunen Flecken und Punkten bezeichnet. Nach Tſchudi’s Angabe währt die Brutzeit achtzehn
Tage. Wahrſcheinlich brütet das Weibchen allein, während beide Eltern unter großem Geſchrei und
Gelärm das ſchwere Geſchäft der Auffütterung ihrer Kinder theilen. Es iſt höchſt unwahrſcheinlich,
daß ein Paar mehr als einmal im Jahre brütet, wie es von Schinz behauptet worden iſt.

Auch während der Brutzeit leben die Alpenkrähen in derſelben engen Verbindung, wie in den
übrigen Monaten des Jahres. Sie ſind geſellſchaftliche Vögel im vollen Sinne des Worts. Ganz
ohne Neckereien geht es freilich nicht ab, und möglicherweiſe beſtehlen ſich auch die Genoſſen eines Ver-
bandes nach beſtem Können und Vermögen; Dies aber iſt nun einmal Rabenart und ſtört die Ein-
tracht nicht im Geringſten. Bei Gefahr ſteht ſich der ganze Schwarm treulich bei, und jeder beweiſt
unter Umſtänden einen wirklich erhabenen Muth. So beobachteten wir, daß Verwundete von den
Geſunden unter lautem Geſchrei umſchwärmt wurden, wobei letztere ganz unverkennbar die Abſicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="336"/><fw place="top" type="header">Die Knacker. Rabenvögel. Raben.</fw><lb/>
Umgebung und la&#x017F;&#x017F;en nichts Verdächtiges vorüber, ohne es mit lautem Ge&#x017F;chrei zu begrüßen. Die<lb/>
vorbei&#x017F;treichenden <hi rendition="#g">Adler</hi> werden von der ganzen Bande &#x017F;treckenweis verfolgt und muthig angegriffen,<lb/>
jedoch mit &#x017F;orgfältig&#x017F;ter Berück&#x017F;ichtigung der betreffenden Art; denn vor dem gewandten <hi rendition="#g">Habichts-<lb/>
adler</hi> (<hi rendition="#aq">Pseudaëtos Bonellii</hi>) nehmen &#x017F;ich die klugen Vögel wohl in Acht, verbergen &#x017F;ich &#x017F;ogar vor ihm<lb/>
noch tiefer in ihre Fel&#x017F;enhöhlen, während &#x017F;ie &#x017F;ich um den <hi rendition="#g">Geieradler</hi> (<hi rendition="#aq">Gypaëtos barbatus</hi>) gar nicht<lb/>
kümmern &#x2014; ganz einfach deshalb, weil &#x017F;ie ihn als Das erkennen, was er i&#x017F;t: als einen ihnen durch-<lb/>
aus ungefährlichen Geier. Jn den Nachmittags&#x017F;tunden fliegen die Alpenkrähen abermals auf<lb/>
Nahrung aus, und er&#x017F;t mit Sonnenuntergang kehren &#x017F;ie, nachdem &#x017F;ie nochmals &#x017F;ich getränkt haben, zu<lb/>
den Wohn- und Schlafplätzen der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zurück.</p><lb/>
          <p>Eigenthümlich i&#x017F;t es, daß die Alpenkrähe nur gewi&#x017F;&#x017F;e Oertlichkeiten bewohnt und in andern,<lb/>
&#x017F;cheinbar eben&#x017F;o gün&#x017F;tigen fehlt. So findet &#x017F;ie &#x017F;ich nach <hi rendition="#g">Bolle</hi> nur auf <hi rendition="#g">Palma,</hi> auf keiner kanari-<lb/>
&#x017F;chen Jn&#x017F;el weiter. &#x201E;Während dort zahlreiche Schwärme &#x017F;owohl die heißen grottenreichen Thäler des<lb/>&#x017F;tengebiets wie die hochgelegenen, im Winter mit Schnee bedeckten Bergzinnen bevölkern, haben die<lb/>
in der Entfernung von wenigen Meilen dem Auge weithin &#x017F;ichtbaren, aus dem Meere auftauchenden<lb/>
Gebirgskämme von Teneriffa, Gomera und Ferro die Auswanderungslu&#x017F;t die&#x017F;er fluggewandten<lb/>
Bewohner der hohen Lüfte noch nie gereizt. Scheu, flüchtig und höch&#x017F;t ge&#x017F;ellig beleben die An&#x017F;iede-<lb/>
lungen der Alpenkrähen auf das Angenehm&#x017F;te und Fe&#x017F;&#x017F;elnd&#x017F;te die entzückenden Land&#x017F;chaften jener<lb/>
unvergleichlichen Jn&#x017F;el. Jhr Leben &#x017F;cheint ein immerwährendes, heiteres Spiel zu &#x017F;ein; denn man<lb/>
&#x017F;ieht &#x017F;ie einander fortwährend jagen und &#x017F;ich necken. Ein leichter, zierlich &#x017F;chwebender Flug voll der<lb/>
kün&#x017F;tlich&#x017F;ten, anmuthig&#x017F;ten Schwenkungen zeichnet &#x017F;ie aus. Auf fri&#x017F;ch beackerten Feldern fallen &#x017F;ie in<lb/>
Herden von Tau&#x017F;enden nieder; auch an ein&#x017F;amen, aus den Fel&#x017F;en hervor&#x017F;prudelnden Quellen &#x017F;ah ich<lb/>
&#x017F;ie oft zahlreich zur Tränke kommen.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;t wenn man beobachtet, welche Gegen&#x017F;tände die Alpenkrähe haupt&#x017F;ächlich zu ihrer Nahrung<lb/>
wählt, erkennt man, wie ge&#x017F;chickt &#x017F;ie ihren bogenförmigen Schnabel zu verwenden weiß. Nach un&#x017F;ern<lb/>
Erfahrungen i&#x017F;t &#x017F;ie nämlich fa&#x017F;t aus&#x017F;chließlich ein Kerbthierfre&#x017F;&#x017F;er, welcher nur gelegentlich andere Nahrung<lb/>
aufnimmt. Heu&#x017F;chrecken und Spinnenthiere, darunter Skorpionen, dürften in Spanien die Haupt-<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;e ihrer Mahlzeiten bilden, und die&#x017F;er Thiere weiß &#x017F;ie &#x017F;ich mit größtem Ge&#x017F;chick zu bemächtigen.<lb/>
Sie hebt mit ihrem langen Schnabel kleinere Steine in die Höhe und &#x017F;ucht unter den&#x017F;elben die ver-<lb/>
&#x017F;teckten Thiere hervor, bohrt auch, wie die <hi rendition="#g">Saatkrähe,</hi> nach Kerfen in die Erde oder &#x017F;teckt ihren<lb/>
Schnabel unter größere Steine, deren Gewicht &#x017F;ie nicht bewältigen kann, um hier nach ihrer Lieblings-<lb/>
&#x017F;pei&#x017F;e zu for&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Die Brutzeit fällt in die er&#x017F;ten Monate des Frühlings. Jn Spanien fanden wir &#x017F;chon Anfangs<lb/>
Juli ausgeflogene Junge. Das Ne&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t haben wir nicht unter&#x017F;uchen können; denn auch auf der<lb/>
iberi&#x017F;chen Halbin&#x017F;el behält die Alpenkrähe die löbliche Gewohnheit bei, die Höhlen uner&#x017F;teiglicher<lb/>
Fel&#x017F;enwände zur Anlage ihres Ne&#x017F;tes zu wählen. Letzteres &#x017F;oll ein großer, aus dürren Stengeln und<lb/>
Heu errichteter Bau &#x017F;ein, zu de&#x017F;&#x017F;en innerer Ausfütterung Mos gebraucht wird. Die drei bis fünf<lb/>
Eier, welche man im Mai hier findet, &#x017F;ind auf weißlichem oder &#x017F;chmuziggraugelbem Grunde mit hell-<lb/>
braunen Flecken und Punkten bezeichnet. Nach <hi rendition="#g">T&#x017F;chudi&#x2019;s</hi> Angabe währt die Brutzeit achtzehn<lb/>
Tage. Wahr&#x017F;cheinlich brütet das Weibchen allein, während beide Eltern unter großem Ge&#x017F;chrei und<lb/>
Gelärm das &#x017F;chwere Ge&#x017F;chäft der Auffütterung ihrer Kinder theilen. Es i&#x017F;t höch&#x017F;t unwahr&#x017F;cheinlich,<lb/>
daß ein Paar mehr als einmal im Jahre brütet, wie es von <hi rendition="#g">Schinz</hi> behauptet worden i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Auch während der Brutzeit leben die Alpenkrähen in der&#x017F;elben engen Verbindung, wie in den<lb/>
übrigen Monaten des Jahres. Sie &#x017F;ind ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Vögel im vollen Sinne des Worts. Ganz<lb/>
ohne Neckereien geht es freilich nicht ab, und möglicherwei&#x017F;e be&#x017F;tehlen &#x017F;ich auch die Geno&#x017F;&#x017F;en eines Ver-<lb/>
bandes nach be&#x017F;tem Können und Vermögen; Dies aber i&#x017F;t nun einmal Rabenart und &#x017F;tört die Ein-<lb/>
tracht nicht im Gering&#x017F;ten. Bei Gefahr &#x017F;teht &#x017F;ich der ganze Schwarm treulich bei, und jeder bewei&#x017F;t<lb/>
unter Um&#x017F;tänden einen wirklich erhabenen Muth. So beobachteten wir, daß Verwundete von den<lb/>
Ge&#x017F;unden unter lautem Ge&#x017F;chrei um&#x017F;chwärmt wurden, wobei letztere ganz unverkennbar die Ab&#x017F;icht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0362] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. Umgebung und laſſen nichts Verdächtiges vorüber, ohne es mit lautem Geſchrei zu begrüßen. Die vorbeiſtreichenden Adler werden von der ganzen Bande ſtreckenweis verfolgt und muthig angegriffen, jedoch mit ſorgfältigſter Berückſichtigung der betreffenden Art; denn vor dem gewandten Habichts- adler (Pseudaëtos Bonellii) nehmen ſich die klugen Vögel wohl in Acht, verbergen ſich ſogar vor ihm noch tiefer in ihre Felſenhöhlen, während ſie ſich um den Geieradler (Gypaëtos barbatus) gar nicht kümmern — ganz einfach deshalb, weil ſie ihn als Das erkennen, was er iſt: als einen ihnen durch- aus ungefährlichen Geier. Jn den Nachmittagsſtunden fliegen die Alpenkrähen abermals auf Nahrung aus, und erſt mit Sonnenuntergang kehren ſie, nachdem ſie nochmals ſich getränkt haben, zu den Wohn- und Schlafplätzen der Geſellſchaft zurück. Eigenthümlich iſt es, daß die Alpenkrähe nur gewiſſe Oertlichkeiten bewohnt und in andern, ſcheinbar ebenſo günſtigen fehlt. So findet ſie ſich nach Bolle nur auf Palma, auf keiner kanari- ſchen Jnſel weiter. „Während dort zahlreiche Schwärme ſowohl die heißen grottenreichen Thäler des Küſtengebiets wie die hochgelegenen, im Winter mit Schnee bedeckten Bergzinnen bevölkern, haben die in der Entfernung von wenigen Meilen dem Auge weithin ſichtbaren, aus dem Meere auftauchenden Gebirgskämme von Teneriffa, Gomera und Ferro die Auswanderungsluſt dieſer fluggewandten Bewohner der hohen Lüfte noch nie gereizt. Scheu, flüchtig und höchſt geſellig beleben die Anſiede- lungen der Alpenkrähen auf das Angenehmſte und Feſſelndſte die entzückenden Landſchaften jener unvergleichlichen Jnſel. Jhr Leben ſcheint ein immerwährendes, heiteres Spiel zu ſein; denn man ſieht ſie einander fortwährend jagen und ſich necken. Ein leichter, zierlich ſchwebender Flug voll der künſtlichſten, anmuthigſten Schwenkungen zeichnet ſie aus. Auf friſch beackerten Feldern fallen ſie in Herden von Tauſenden nieder; auch an einſamen, aus den Felſen hervorſprudelnden Quellen ſah ich ſie oft zahlreich zur Tränke kommen.‟ Erſt wenn man beobachtet, welche Gegenſtände die Alpenkrähe hauptſächlich zu ihrer Nahrung wählt, erkennt man, wie geſchickt ſie ihren bogenförmigen Schnabel zu verwenden weiß. Nach unſern Erfahrungen iſt ſie nämlich faſt ausſchließlich ein Kerbthierfreſſer, welcher nur gelegentlich andere Nahrung aufnimmt. Heuſchrecken und Spinnenthiere, darunter Skorpionen, dürften in Spanien die Haupt- maſſe ihrer Mahlzeiten bilden, und dieſer Thiere weiß ſie ſich mit größtem Geſchick zu bemächtigen. Sie hebt mit ihrem langen Schnabel kleinere Steine in die Höhe und ſucht unter denſelben die ver- ſteckten Thiere hervor, bohrt auch, wie die Saatkrähe, nach Kerfen in die Erde oder ſteckt ihren Schnabel unter größere Steine, deren Gewicht ſie nicht bewältigen kann, um hier nach ihrer Lieblings- ſpeiſe zu forſchen. Die Brutzeit fällt in die erſten Monate des Frühlings. Jn Spanien fanden wir ſchon Anfangs Juli ausgeflogene Junge. Das Neſt ſelbſt haben wir nicht unterſuchen können; denn auch auf der iberiſchen Halbinſel behält die Alpenkrähe die löbliche Gewohnheit bei, die Höhlen unerſteiglicher Felſenwände zur Anlage ihres Neſtes zu wählen. Letzteres ſoll ein großer, aus dürren Stengeln und Heu errichteter Bau ſein, zu deſſen innerer Ausfütterung Mos gebraucht wird. Die drei bis fünf Eier, welche man im Mai hier findet, ſind auf weißlichem oder ſchmuziggraugelbem Grunde mit hell- braunen Flecken und Punkten bezeichnet. Nach Tſchudi’s Angabe währt die Brutzeit achtzehn Tage. Wahrſcheinlich brütet das Weibchen allein, während beide Eltern unter großem Geſchrei und Gelärm das ſchwere Geſchäft der Auffütterung ihrer Kinder theilen. Es iſt höchſt unwahrſcheinlich, daß ein Paar mehr als einmal im Jahre brütet, wie es von Schinz behauptet worden iſt. Auch während der Brutzeit leben die Alpenkrähen in derſelben engen Verbindung, wie in den übrigen Monaten des Jahres. Sie ſind geſellſchaftliche Vögel im vollen Sinne des Worts. Ganz ohne Neckereien geht es freilich nicht ab, und möglicherweiſe beſtehlen ſich auch die Genoſſen eines Ver- bandes nach beſtem Können und Vermögen; Dies aber iſt nun einmal Rabenart und ſtört die Ein- tracht nicht im Geringſten. Bei Gefahr ſteht ſich der ganze Schwarm treulich bei, und jeder beweiſt unter Umſtänden einen wirklich erhabenen Muth. So beobachteten wir, daß Verwundete von den Geſunden unter lautem Geſchrei umſchwärmt wurden, wobei letztere ganz unverkennbar die Abſicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/362
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/362>, abgerufen am 24.11.2024.