Als die würdigsten Vertreter unserer Kolkraben dürften zwei afrikanische Verwandte angesehen werden können, welche man bezeichnend Geierraben (Corvultur) genannt hat. Nach den uns gewor- denen Berichten zu schließen, übertreffen sie ihre europäischen Artgenossen auch in ihrer räuberischen Thätigkeit, nicht blos an Größe. Ein ungewöhnlich dicker, seitlich etwas zusammen gedrückter Schna- bel, welcher auf der Oberseite bedeutend gekrümmt ist und deshalb in der That dem Geierschnabel ähnelt, lange Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die längsten sind, und ein ziemlich bedeu- tend abgestufter Schwanz sind die hervorstechenden Kennzeichen der Sippe.
Die beiden Arten, welche man bis jetzt kennt, Corvultur albicollis, vom Vorgebirge der guten Hoffnung, und Corvultur crassirostris, aus Abissinien, ähneln sich. Beide sind glänzend kohlschwarz, bis auf den Nacken, welcher weiß ist. Bei den abissinischen Geierraben schillert das Gefieder der Halsseiten dunkel purpurfarbig, das übrige blauschwarz. Die kleinen Deckfedern des Flügelbugs sind dunkel kastanienbraun und schwarz gemischt. Der weiße birnförmige Flecken im Nacken zieht
[Abbildung]
Der Geierrabe (Corvultur crassirostris).
sich bis auf den Scheitel hinauf. Das Auge ist kastanienbraun, der Schnabel wie der Fuß schwarz, an der Spitze aber weiß. Die Länge beträgt nach Rüppell's Messungen 3 Fuß 2 Zoll, die Fittig- länge 1 Fuß 5 Zoll, die Schwanzlänge 9 Zoll.
Jn den von mir bereisten Gegenden scheint der Geieradler nicht oder doch nur selten vorzukom- men, und deshalb kann ich über seine Lebensweise Nichts berichten. Nach Rüppell bewohnt der Vogel nur das abissinische Hochland d. h. einen Gürtel von mehr als 5000 Fuß über dem Meere. "Wir beobachteten ihn", sagt er, "zuerst zu Halai auf dem Tarantagebirge, dann wieder in der Pro- vinz Agame, in beiden nur in kleinen Familien; aber ziemlich hänfig findet er sich auch in Simen und ganz besonders im Gondar selbst. Seine Sitten sind ganz die der Saatkrähe. Er sucht nämlich seine aus Käfern und Würmern bestehende Nahrung im Dünger und auf Brachfeldern und schreit gewöhnlich beim Fliegen."
Rüppell, der ausgezeichnete Naturforscher, hat in Folge seiner überaus großen Kurzsichtigkeit kaum mehr als das Mitgetheilte über das Betragen des Vogels erfahren können; Le Vaillant und
Kolkrabe. Geierrabe.
Als die würdigſten Vertreter unſerer Kolkraben dürften zwei afrikaniſche Verwandte angeſehen werden können, welche man bezeichnend Geierraben (Corvultur) genannt hat. Nach den uns gewor- denen Berichten zu ſchließen, übertreffen ſie ihre europäiſchen Artgenoſſen auch in ihrer räuberiſchen Thätigkeit, nicht blos an Größe. Ein ungewöhnlich dicker, ſeitlich etwas zuſammen gedrückter Schna- bel, welcher auf der Oberſeite bedeutend gekrümmt iſt und deshalb in der That dem Geierſchnabel ähnelt, lange Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die längſten ſind, und ein ziemlich bedeu- tend abgeſtufter Schwanz ſind die hervorſtechenden Kennzeichen der Sippe.
Die beiden Arten, welche man bis jetzt kennt, Corvultur albicollis, vom Vorgebirge der guten Hoffnung, und Corvultur crassirostris, aus Abiſſinien, ähneln ſich. Beide ſind glänzend kohlſchwarz, bis auf den Nacken, welcher weiß iſt. Bei den abiſſiniſchen Geierraben ſchillert das Gefieder der Halsſeiten dunkel purpurfarbig, das übrige blauſchwarz. Die kleinen Deckfedern des Flügelbugs ſind dunkel kaſtanienbraun und ſchwarz gemiſcht. Der weiße birnförmige Flecken im Nacken zieht
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Der Geierrabe (Corvultur crassirostris).
ſich bis auf den Scheitel hinauf. Das Auge iſt kaſtanienbraun, der Schnabel wie der Fuß ſchwarz, an der Spitze aber weiß. Die Länge beträgt nach Rüppell’s Meſſungen 3 Fuß 2 Zoll, die Fittig- länge 1 Fuß 5 Zoll, die Schwanzlänge 9 Zoll.
Jn den von mir bereiſten Gegenden ſcheint der Geieradler nicht oder doch nur ſelten vorzukom- men, und deshalb kann ich über ſeine Lebensweiſe Nichts berichten. Nach Rüppell bewohnt der Vogel nur das abiſſiniſche Hochland d. h. einen Gürtel von mehr als 5000 Fuß über dem Meere. „Wir beobachteten ihn‟, ſagt er, „zuerſt zu Halai auf dem Tarantagebirge, dann wieder in der Pro- vinz Agamé, in beiden nur in kleinen Familien; aber ziemlich hänfig findet er ſich auch in Simen und ganz beſonders im Gondar ſelbſt. Seine Sitten ſind ganz die der Saatkrähe. Er ſucht nämlich ſeine aus Käfern und Würmern beſtehende Nahrung im Dünger und auf Brachfeldern und ſchreit gewöhnlich beim Fliegen.‟
Rüppell, der ausgezeichnete Naturforſcher, hat in Folge ſeiner überaus großen Kurzſichtigkeit kaum mehr als das Mitgetheilte über das Betragen des Vogels erfahren können; Le Vaillant und
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Kolkrabe. Geierrabe.
Als die würdigſten Vertreter unſerer Kolkraben dürften zwei afrikaniſche Verwandte angeſehen
werden können, welche man bezeichnend Geierraben (Corvultur) genannt hat. Nach den uns gewor-
denen Berichten zu ſchließen, übertreffen ſie ihre europäiſchen Artgenoſſen auch in ihrer räuberiſchen
Thätigkeit, nicht blos an Größe. Ein ungewöhnlich dicker, ſeitlich etwas zuſammen gedrückter Schna-
bel, welcher auf der Oberſeite bedeutend gekrümmt iſt und deshalb in der That dem Geierſchnabel
ähnelt, lange Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die längſten ſind, und ein ziemlich bedeu-
tend abgeſtufter Schwanz ſind die hervorſtechenden Kennzeichen der Sippe.
Die beiden Arten, welche man bis jetzt kennt, Corvultur albicollis, vom Vorgebirge der guten
Hoffnung, und Corvultur crassirostris, aus Abiſſinien, ähneln ſich. Beide ſind glänzend kohlſchwarz,
bis auf den Nacken, welcher weiß iſt. Bei den abiſſiniſchen Geierraben ſchillert das Gefieder der
Halsſeiten dunkel purpurfarbig, das übrige blauſchwarz. Die kleinen Deckfedern des Flügelbugs
ſind dunkel kaſtanienbraun und ſchwarz gemiſcht. Der weiße birnförmige Flecken im Nacken zieht
[Abbildung Der Geierrabe (Corvultur crassirostris).]
ſich bis auf den Scheitel hinauf. Das Auge iſt kaſtanienbraun, der Schnabel wie der Fuß ſchwarz,
an der Spitze aber weiß. Die Länge beträgt nach Rüppell’s Meſſungen 3 Fuß 2 Zoll, die Fittig-
länge 1 Fuß 5 Zoll, die Schwanzlänge 9 Zoll.
Jn den von mir bereiſten Gegenden ſcheint der Geieradler nicht oder doch nur ſelten vorzukom-
men, und deshalb kann ich über ſeine Lebensweiſe Nichts berichten. Nach Rüppell bewohnt der
Vogel nur das abiſſiniſche Hochland d. h. einen Gürtel von mehr als 5000 Fuß über dem Meere.
„Wir beobachteten ihn‟, ſagt er, „zuerſt zu Halai auf dem Tarantagebirge, dann wieder in der Pro-
vinz Agamé, in beiden nur in kleinen Familien; aber ziemlich hänfig findet er ſich auch in Simen und
ganz beſonders im Gondar ſelbſt. Seine Sitten ſind ganz die der Saatkrähe. Er ſucht nämlich
ſeine aus Käfern und Würmern beſtehende Nahrung im Dünger und auf Brachfeldern und ſchreit
gewöhnlich beim Fliegen.‟
Rüppell, der ausgezeichnete Naturforſcher, hat in Folge ſeiner überaus großen Kurzſichtigkeit
kaum mehr als das Mitgetheilte über das Betragen des Vogels erfahren können; Le Vaillant und
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/377>, abgerufen am 25.11.2024.
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