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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Raben- und Rebelkrähe.
das Klima erfahrungsmäßig nicht den geringsten Einfluß übt. Entweder verwandelt nach Gloger's
Ansicht das nördliche Klima die Rabenkrähe in eine Nebelkrähe oder umgekehrt das südliche die Nebel-
krähe in eine Rabenkrähe; ein Drittes ist nicht wohl anzunehmen. Nun aber finden wir die durch
die lange Winternacht des Nordens vielleicht ausgebleichte Nebelkrähe keineswegs blos in Skandina-
vien, vom Nordkap an bis zur südlichsten Spitze, im größten Theile Rußlands und in Norddeutsch-
land, sondern begegnen ihr auch in Galizien, Ungarn, Steiermark, in Süditalien, in Griechenland und
in ganz Egypten, hier vom Meere an bis zur Grenze Nubiens, sowie in Afganistan und Japan, ohne
bemerken zu können, daß das doch sehr verschiedene Klima Südeuropas oder Nordafrikas auch nur
den Anfang zu einer Schwärzung des ursprünglich nordischen Vogels gemacht habe. Die Rabenkrähe
hingegen lebt in ganz Mittel- und Süddeutschland, in Frankreich, aber auch in einem großen Theile
Asiens, namentlich in Sibirien und falls die Beobachtungen richtig sind, auch selbst auf Java, regel-
mäßig da, wo die Nebelkrähe nicht auftritt. Eine ersetzt also die andere, ohne sich jedoch irgendwie
an die Verschiedenheit des Klimas zu binden, und deshalb eben kann von einem Einflusse desselben
durchaus keine Rede sein. Nun gibt es aber allerdings Gegenden, wo die Verbreitungskreise der beiden
Arten an einander stoßen, und in solchen Gegenden kommt es in der That sehr häufig vor, daß die
beiden sich so innig verwandten Vögel eine Mischlingsehe eingehen. Diese Thatsache beweist aber
eben nur, daß die Annahme von den "Einpaarlern" unrichtig ist, keineswegs hingegen, daß die
beiden Krähen, weil sie sich paaren, gleichartig sein müssen. Jch werde noch wiederholt Gelegen-
heit haben, hervorzuheben, daß derartige Mischlingsehen ganz aus freien Stücken von Vögeln ein-
gegangen werden, welche kein Mensch als Spielarten ein und derselben Grundform betrachten wird.
So lange also der Artbegriff nicht vollständig über den Haufen geworfen ist, werden wir beide Krähen
stets als verschiedene Vögel auffassen müssen, so innig ihre Verwandtschaft auch sein mag. Bildeten
beide wirklich nur eine Art, so wäre es unbegreiflich, warum da, wo die eine Krähe ausschließlich auf-
tritt, nicht auch einmal die andere vorkommen könnte; denn da es der Natur nun einmal beliebt, eine
Raben- und eine Nebelkrähe auszubilden, könnte sie ebensogut auch in Egypten, wo es nur Nebel-
krähen gibt, Rabenkrähen und umgekehrt da, wo diese ausschließlich leben, Nebelkrähen auftreten lassen.

Hinsichtlich der Lebensweise unterscheiden sich Raben- und Nebelkrähe allerdings nicht, wenigstens
unsern blöden Sinnen nicht; denn sie selbst werden sicher wissen, wie sie zu einander stehen.

Beide sind Stand- oder höchstens Strichvögel. Sie halten sich paarweise zusammen und bewoh-
nen gemeinschaftlich ein größeres oder kleineres Gebiet, aus welchem sie sich selten entfernen. Strenge
Winterkälte macht insofern eine Ausnahme, daß die nördlich lebenden Arten kleine Streifzüge nach
Süden hin antreten, während die Mitglieder derselben Art in südlichen Ländern kaum an das Streichen
denken. Feldgehölze bilden ihre liebsten Aufenthaltsorte; sie meiden aber auch größere Waldungen
nicht und fiedeln sich da, wo sie sich sicher wissen, auch in unmittelbarer Nähe des Menschen, also beispiels-
weise in Baumgärten an. Sie sind gesellig im hohen Grade, leiblich wie geistig begabt und somit
befähigt, eine sehr bedeutsame Rolle zu spielen. Sie gehen gut, schrittweise, zwar etwas wackelnd,
jedoch ohne jede Anstrengung, fliegen leicht und ausdauernd, wenn auch minder gewandt als die
eigentlichen Raben, sind feinsinnig, namentlich was Gesicht, Gehör und Geruch anlangt, und stehen an
geistigen Fähigkeiten kaum oder nicht hinter dem Kolkraben zurück. Jm Kleinen leisten sie ungefähr Dasselbe,
was der Rabe im Großen auszuführen vermag; da sie aber regelmäßig blos kleineren Thieren gefähr-
lich werden, überwiegt der Nutzen, welchen sie stiften, den Schaden, den sie anrichten. Man darf mit
aller Bestimmtheit annehmen, daß sie zu den wichtigsten Vögeln unserer Heimat gehören, daß ohne sie
die überall häufigen und überall gegenwärtigen schadenbringenden Wirbelthiere und verderblichen
Kerbthiere in der bedenklichsten Weise überhand nehmen würden. Ein Vogelnest plündern allerdings
auch sie aus, und einen kranken Hasen oder ein Rebhuhn überfallen sie ebenfalls; sie können auch wohl
im Garten und Gehöft mancherlei Unfug stiften: was aber will es sagen, wenn sie während eini-
ger Monate ein Dutzend Eier wegschleppen oder sich anderer Sünden in demselben Umfange schuldig
machen, gegen den unschätzbaren Nutzen, welchen ihre Thätigkeit während des ganzen übrigen Jahres

Brehm, Thierleben. III. 23

Raben- und Rebelkrähe.
das Klima erfahrungsmäßig nicht den geringſten Einfluß übt. Entweder verwandelt nach Gloger’s
Anſicht das nördliche Klima die Rabenkrähe in eine Nebelkrähe oder umgekehrt das ſüdliche die Nebel-
krähe in eine Rabenkrähe; ein Drittes iſt nicht wohl anzunehmen. Nun aber finden wir die durch
die lange Winternacht des Nordens vielleicht ausgebleichte Nebelkrähe keineswegs blos in Skandina-
vien, vom Nordkap an bis zur ſüdlichſten Spitze, im größten Theile Rußlands und in Norddeutſch-
land, ſondern begegnen ihr auch in Galizien, Ungarn, Steiermark, in Süditalien, in Griechenland und
in ganz Egypten, hier vom Meere an bis zur Grenze Nubiens, ſowie in Afganiſtan und Japan, ohne
bemerken zu können, daß das doch ſehr verſchiedene Klima Südeuropas oder Nordafrikas auch nur
den Anfang zu einer Schwärzung des urſprünglich nordiſchen Vogels gemacht habe. Die Rabenkrähe
hingegen lebt in ganz Mittel- und Süddeutſchland, in Frankreich, aber auch in einem großen Theile
Aſiens, namentlich in Sibirien und falls die Beobachtungen richtig ſind, auch ſelbſt auf Java, regel-
mäßig da, wo die Nebelkrähe nicht auftritt. Eine erſetzt alſo die andere, ohne ſich jedoch irgendwie
an die Verſchiedenheit des Klimas zu binden, und deshalb eben kann von einem Einfluſſe deſſelben
durchaus keine Rede ſein. Nun gibt es aber allerdings Gegenden, wo die Verbreitungskreiſe der beiden
Arten an einander ſtoßen, und in ſolchen Gegenden kommt es in der That ſehr häufig vor, daß die
beiden ſich ſo innig verwandten Vögel eine Miſchlingsehe eingehen. Dieſe Thatſache beweiſt aber
eben nur, daß die Annahme von den „Einpaarlern‟ unrichtig iſt, keineswegs hingegen, daß die
beiden Krähen, weil ſie ſich paaren, gleichartig ſein müſſen. Jch werde noch wiederholt Gelegen-
heit haben, hervorzuheben, daß derartige Miſchlingsehen ganz aus freien Stücken von Vögeln ein-
gegangen werden, welche kein Menſch als Spielarten ein und derſelben Grundform betrachten wird.
So lange alſo der Artbegriff nicht vollſtändig über den Haufen geworfen iſt, werden wir beide Krähen
ſtets als verſchiedene Vögel auffaſſen müſſen, ſo innig ihre Verwandtſchaft auch ſein mag. Bildeten
beide wirklich nur eine Art, ſo wäre es unbegreiflich, warum da, wo die eine Krähe ausſchließlich auf-
tritt, nicht auch einmal die andere vorkommen könnte; denn da es der Natur nun einmal beliebt, eine
Raben- und eine Nebelkrähe auszubilden, könnte ſie ebenſogut auch in Egypten, wo es nur Nebel-
krähen gibt, Rabenkrähen und umgekehrt da, wo dieſe ausſchließlich leben, Nebelkrähen auftreten laſſen.

Hinſichtlich der Lebensweiſe unterſcheiden ſich Raben- und Nebelkrähe allerdings nicht, wenigſtens
unſern blöden Sinnen nicht; denn ſie ſelbſt werden ſicher wiſſen, wie ſie zu einander ſtehen.

Beide ſind Stand- oder höchſtens Strichvögel. Sie halten ſich paarweiſe zuſammen und bewoh-
nen gemeinſchaftlich ein größeres oder kleineres Gebiet, aus welchem ſie ſich ſelten entfernen. Strenge
Winterkälte macht inſofern eine Ausnahme, daß die nördlich lebenden Arten kleine Streifzüge nach
Süden hin antreten, während die Mitglieder derſelben Art in ſüdlichen Ländern kaum an das Streichen
denken. Feldgehölze bilden ihre liebſten Aufenthaltsorte; ſie meiden aber auch größere Waldungen
nicht und fiedeln ſich da, wo ſie ſich ſicher wiſſen, auch in unmittelbarer Nähe des Menſchen, alſo beiſpiels-
weiſe in Baumgärten an. Sie ſind geſellig im hohen Grade, leiblich wie geiſtig begabt und ſomit
befähigt, eine ſehr bedeutſame Rolle zu ſpielen. Sie gehen gut, ſchrittweiſe, zwar etwas wackelnd,
jedoch ohne jede Anſtrengung, fliegen leicht und ausdauernd, wenn auch minder gewandt als die
eigentlichen Raben, ſind feinſinnig, namentlich was Geſicht, Gehör und Geruch anlangt, und ſtehen an
geiſtigen Fähigkeiten kaum oder nicht hinter dem Kolkraben zurück. Jm Kleinen leiſten ſie ungefähr Daſſelbe,
was der Rabe im Großen auszuführen vermag; da ſie aber regelmäßig blos kleineren Thieren gefähr-
lich werden, überwiegt der Nutzen, welchen ſie ſtiften, den Schaden, den ſie anrichten. Man darf mit
aller Beſtimmtheit annehmen, daß ſie zu den wichtigſten Vögeln unſerer Heimat gehören, daß ohne ſie
die überall häufigen und überall gegenwärtigen ſchadenbringenden Wirbelthiere und verderblichen
Kerbthiere in der bedenklichſten Weiſe überhand nehmen würden. Ein Vogelneſt plündern allerdings
auch ſie aus, und einen kranken Haſen oder ein Rebhuhn überfallen ſie ebenfalls; ſie können auch wohl
im Garten und Gehöft mancherlei Unfug ſtiften: was aber will es ſagen, wenn ſie während eini-
ger Monate ein Dutzend Eier wegſchleppen oder ſich anderer Sünden in demſelben Umfange ſchuldig
machen, gegen den unſchätzbaren Nutzen, welchen ihre Thätigkeit während des ganzen übrigen Jahres

Brehm, Thierleben. III. 23
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[353/0381] Raben- und Rebelkrähe. das Klima erfahrungsmäßig nicht den geringſten Einfluß übt. Entweder verwandelt nach Gloger’s Anſicht das nördliche Klima die Rabenkrähe in eine Nebelkrähe oder umgekehrt das ſüdliche die Nebel- krähe in eine Rabenkrähe; ein Drittes iſt nicht wohl anzunehmen. Nun aber finden wir die durch die lange Winternacht des Nordens vielleicht ausgebleichte Nebelkrähe keineswegs blos in Skandina- vien, vom Nordkap an bis zur ſüdlichſten Spitze, im größten Theile Rußlands und in Norddeutſch- land, ſondern begegnen ihr auch in Galizien, Ungarn, Steiermark, in Süditalien, in Griechenland und in ganz Egypten, hier vom Meere an bis zur Grenze Nubiens, ſowie in Afganiſtan und Japan, ohne bemerken zu können, daß das doch ſehr verſchiedene Klima Südeuropas oder Nordafrikas auch nur den Anfang zu einer Schwärzung des urſprünglich nordiſchen Vogels gemacht habe. Die Rabenkrähe hingegen lebt in ganz Mittel- und Süddeutſchland, in Frankreich, aber auch in einem großen Theile Aſiens, namentlich in Sibirien und falls die Beobachtungen richtig ſind, auch ſelbſt auf Java, regel- mäßig da, wo die Nebelkrähe nicht auftritt. Eine erſetzt alſo die andere, ohne ſich jedoch irgendwie an die Verſchiedenheit des Klimas zu binden, und deshalb eben kann von einem Einfluſſe deſſelben durchaus keine Rede ſein. Nun gibt es aber allerdings Gegenden, wo die Verbreitungskreiſe der beiden Arten an einander ſtoßen, und in ſolchen Gegenden kommt es in der That ſehr häufig vor, daß die beiden ſich ſo innig verwandten Vögel eine Miſchlingsehe eingehen. Dieſe Thatſache beweiſt aber eben nur, daß die Annahme von den „Einpaarlern‟ unrichtig iſt, keineswegs hingegen, daß die beiden Krähen, weil ſie ſich paaren, gleichartig ſein müſſen. Jch werde noch wiederholt Gelegen- heit haben, hervorzuheben, daß derartige Miſchlingsehen ganz aus freien Stücken von Vögeln ein- gegangen werden, welche kein Menſch als Spielarten ein und derſelben Grundform betrachten wird. So lange alſo der Artbegriff nicht vollſtändig über den Haufen geworfen iſt, werden wir beide Krähen ſtets als verſchiedene Vögel auffaſſen müſſen, ſo innig ihre Verwandtſchaft auch ſein mag. Bildeten beide wirklich nur eine Art, ſo wäre es unbegreiflich, warum da, wo die eine Krähe ausſchließlich auf- tritt, nicht auch einmal die andere vorkommen könnte; denn da es der Natur nun einmal beliebt, eine Raben- und eine Nebelkrähe auszubilden, könnte ſie ebenſogut auch in Egypten, wo es nur Nebel- krähen gibt, Rabenkrähen und umgekehrt da, wo dieſe ausſchließlich leben, Nebelkrähen auftreten laſſen. Hinſichtlich der Lebensweiſe unterſcheiden ſich Raben- und Nebelkrähe allerdings nicht, wenigſtens unſern blöden Sinnen nicht; denn ſie ſelbſt werden ſicher wiſſen, wie ſie zu einander ſtehen. Beide ſind Stand- oder höchſtens Strichvögel. Sie halten ſich paarweiſe zuſammen und bewoh- nen gemeinſchaftlich ein größeres oder kleineres Gebiet, aus welchem ſie ſich ſelten entfernen. Strenge Winterkälte macht inſofern eine Ausnahme, daß die nördlich lebenden Arten kleine Streifzüge nach Süden hin antreten, während die Mitglieder derſelben Art in ſüdlichen Ländern kaum an das Streichen denken. Feldgehölze bilden ihre liebſten Aufenthaltsorte; ſie meiden aber auch größere Waldungen nicht und fiedeln ſich da, wo ſie ſich ſicher wiſſen, auch in unmittelbarer Nähe des Menſchen, alſo beiſpiels- weiſe in Baumgärten an. Sie ſind geſellig im hohen Grade, leiblich wie geiſtig begabt und ſomit befähigt, eine ſehr bedeutſame Rolle zu ſpielen. Sie gehen gut, ſchrittweiſe, zwar etwas wackelnd, jedoch ohne jede Anſtrengung, fliegen leicht und ausdauernd, wenn auch minder gewandt als die eigentlichen Raben, ſind feinſinnig, namentlich was Geſicht, Gehör und Geruch anlangt, und ſtehen an geiſtigen Fähigkeiten kaum oder nicht hinter dem Kolkraben zurück. Jm Kleinen leiſten ſie ungefähr Daſſelbe, was der Rabe im Großen auszuführen vermag; da ſie aber regelmäßig blos kleineren Thieren gefähr- lich werden, überwiegt der Nutzen, welchen ſie ſtiften, den Schaden, den ſie anrichten. Man darf mit aller Beſtimmtheit annehmen, daß ſie zu den wichtigſten Vögeln unſerer Heimat gehören, daß ohne ſie die überall häufigen und überall gegenwärtigen ſchadenbringenden Wirbelthiere und verderblichen Kerbthiere in der bedenklichſten Weiſe überhand nehmen würden. Ein Vogelneſt plündern allerdings auch ſie aus, und einen kranken Haſen oder ein Rebhuhn überfallen ſie ebenfalls; ſie können auch wohl im Garten und Gehöft mancherlei Unfug ſtiften: was aber will es ſagen, wenn ſie während eini- ger Monate ein Dutzend Eier wegſchleppen oder ſich anderer Sünden in demſelben Umfange ſchuldig machen, gegen den unſchätzbaren Nutzen, welchen ihre Thätigkeit während des ganzen übrigen Jahres Brehm, Thierleben. III. 23

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/381>, abgerufen am 24.11.2024.