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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
dem Menschen bringt! Es ist geradezu ein Frevel, wenn diese Thiere befehdet werden; es ist eine
wahre Sünde gegen unsere heutige Bildung, wenn der Mensch glaubt, daß er mehr leisten könne, als
unsere Krähen, wenn er z. B. Gift gegen Mäusefraß auslegt, und dadurch kaum mehr Mäuse vertilgt,
als Krähen, welche ihrerseits das gefräßige Heer in der umfassendsten Weise bekämpfen. Es ist ein
Beweis von mangelndem Verständniß, wenn von Obrigkeits wegen Preise ausgesetzt werden für Ver-
nichtung der Krähen, da man mit aller Bestimmtheit behaupten kann, daß durch den Tod einer ein-
zigen Krähe der Land- und Forstwirthschaft ein weit größerer Schaden erwächst, als durch die Thätig-
keit von zehn lebenden. Auf diesen großen Nutzen unserer Vögel nachdrücklich hinzuweisen, halte ich
für viel wichtiger, als eine ausführliche Beschreibung ihres Lebens, so beachtenswerth dieses im übri-
gen auch ist.

Das tägliche Leben der Krähen ist ungefähr folgendes: Sie fliegen vor Tagesanbruch auf und
sammeln sich, ehe sie nach Nahrung ausgehen, auf einem bestimmten Gebäude oder großen Baum, so
lange sie nicht Verfolgung erfahren. Vonhieraus vertheilen sie sich dann über die Felder, vermischen
sich wohl auch mit andern Arten ihrer Familie, namentlich während der Zugzeit. Bis gegen den
Mittag hin sind sie eifrig mit Aufsuchen ihrer Nahrung beschäftigt. Sie schreiten Felder und Wiesen
ab, folgen dem Pflüger, um die von ihm bloßgelegten Engerlinge aufzulauern, lauern vor Mäuse-
löchern, spähen nach Vogelnestern umher, untersuchen die Ufer der Bäche und Flüsse, durchstöbern die
Gärten, kurz, machen sich überall zu schaffen. Dabei kommen sie gelegentlich mit andern ihrer Art
zusammen und betreiben ihre Arbeit eine Zeitlang gemeinschaftlich. Ereignet sich etwas Auffallendes,
so sind sie gewiß die ersten, welche es bemerken und andern Geschöpfen anzeigen. Ein Raubvogel
wird mit großem Geschrei begrüßt und so eifrig verfolgt, daß er oft in seinem Gewerbe behindert wird.
Snell hat sehr Recht, wenn er auch diese Handlungsweise der Krähen als Nutzen hervorhebt; denn
es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die räuberische Thätigkeit der schädlichen Raubvögel durch die
Krähen bedeutend gehindert wird, sei es, indem sie den Raubvogel unmittelbar angreifen, sei es,
indem sie ihn dem Menschen und den Thieren verrathen. Gegen Mittag fliegen die Krähen einem
dichten Baume zu und verbergen sich hier im Gelaube desselben, um Mittagsruhe zu halten. Nach-
mittags gehen sie zum zweiten Male nach Nahrung aus, und gegen Abend versammeln sie sich in
großer Menge auf bestimmten Plätzen, gleichsam in der Absicht, sich hier gegenseitig die Erlebnisse des
Tages auszutauschen. Dann begeben sie sich zum Schlafplatze, einem bestimmten Waldtheile, welcher
alle Krähen eines großen Gebiets vereinigt. Hier erscheinen sie mit größter Vorsicht, gewöhnlich erst,
nachdem sie mehrmals Späher vorausgesandt haben. Sie kommen nach Einbruch der Nacht an, fliegen
still dem Orte zu und setzen sich so ruhig auf, daß man Nichts als das Rauschen der Schwingen
vernimmt. Nachstellungen machen sie im höchsten Grade scheu. Sie lernen den Jäger sehr bald von
dem ihnen ungefährlichen Menschen unterscheiden und vertrauen überhaupt nur Dem, von dessen Wohl-
wollen sie sich vollständig überzeugt haben.

Jm Februar und März regt sich die Liebe in ihnen. Die einzelnen Paare halten sich dann noch
enger zusammen als sonst, schwatzen in liebenswürdiger Weise mit einander, und das Männchen macht
außerdem durch sonderbare Bewegungen und Verneigungen und eigenthümliches Breiten der
Schwingen seiner Gattin in artiger Weise den Hof. Der Horst wird zu Ende des März oder im
Anfang des April auf hohen Bäumen angelegt oder ein vorjähriger für die neue Brut wieder her-
gerichtet. Er ähnelt dem des Kolkraben, ist aber bedeutend kleiner, höchstens zwei Fuß breit und nur
vier Zoll tief. Auf die Unterlage dürrer Zweige folgen Baststreifen, Grasbüsche, Quecken und
andere Wurzeln, welche sehr oft durch eine Lage lehmiger Erde verbunden werden. Die Mulde wird
mit Wolle, Kälberhaaren, Schweinsborsten, Baststückchen, Grashalmen, Mosstengeln, Lumpen und
dergleichen ausgefüttert. Jn der ersten Hälfte des Aprils legt das Weibchen drei bis fünf, höchst selten
sechs Eier, welche auf blaugrünlichem Grunde mit olivenfarbenen, dunkelgrünen, dunkelaschgrauen
und schwärzlichen Punkten und Flecken gezeichnet sind. Das Weibchen brütet allein, wird aber
nur dann vom Männchen verlassen, wenn dieses wegfliegen muß, um für sich und die Gattin Nahrung

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
dem Menſchen bringt! Es iſt geradezu ein Frevel, wenn dieſe Thiere befehdet werden; es iſt eine
wahre Sünde gegen unſere heutige Bildung, wenn der Menſch glaubt, daß er mehr leiſten könne, als
unſere Krähen, wenn er z. B. Gift gegen Mäuſefraß auslegt, und dadurch kaum mehr Mäuſe vertilgt,
als Krähen, welche ihrerſeits das gefräßige Heer in der umfaſſendſten Weiſe bekämpfen. Es iſt ein
Beweis von mangelndem Verſtändniß, wenn von Obrigkeits wegen Preiſe ausgeſetzt werden für Ver-
nichtung der Krähen, da man mit aller Beſtimmtheit behaupten kann, daß durch den Tod einer ein-
zigen Krähe der Land- und Forſtwirthſchaft ein weit größerer Schaden erwächſt, als durch die Thätig-
keit von zehn lebenden. Auf dieſen großen Nutzen unſerer Vögel nachdrücklich hinzuweiſen, halte ich
für viel wichtiger, als eine ausführliche Beſchreibung ihres Lebens, ſo beachtenswerth dieſes im übri-
gen auch iſt.

Das tägliche Leben der Krähen iſt ungefähr folgendes: Sie fliegen vor Tagesanbruch auf und
ſammeln ſich, ehe ſie nach Nahrung ausgehen, auf einem beſtimmten Gebäude oder großen Baum, ſo
lange ſie nicht Verfolgung erfahren. Vonhieraus vertheilen ſie ſich dann über die Felder, vermiſchen
ſich wohl auch mit andern Arten ihrer Familie, namentlich während der Zugzeit. Bis gegen den
Mittag hin ſind ſie eifrig mit Aufſuchen ihrer Nahrung beſchäftigt. Sie ſchreiten Felder und Wieſen
ab, folgen dem Pflüger, um die von ihm bloßgelegten Engerlinge aufzulauern, lauern vor Mäuſe-
löchern, ſpähen nach Vogelneſtern umher, unterſuchen die Ufer der Bäche und Flüſſe, durchſtöbern die
Gärten, kurz, machen ſich überall zu ſchaffen. Dabei kommen ſie gelegentlich mit andern ihrer Art
zuſammen und betreiben ihre Arbeit eine Zeitlang gemeinſchaftlich. Ereignet ſich etwas Auffallendes,
ſo ſind ſie gewiß die erſten, welche es bemerken und andern Geſchöpfen anzeigen. Ein Raubvogel
wird mit großem Geſchrei begrüßt und ſo eifrig verfolgt, daß er oft in ſeinem Gewerbe behindert wird.
Snell hat ſehr Recht, wenn er auch dieſe Handlungsweiſe der Krähen als Nutzen hervorhebt; denn
es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die räuberiſche Thätigkeit der ſchädlichen Raubvögel durch die
Krähen bedeutend gehindert wird, ſei es, indem ſie den Raubvogel unmittelbar angreifen, ſei es,
indem ſie ihn dem Menſchen und den Thieren verrathen. Gegen Mittag fliegen die Krähen einem
dichten Baume zu und verbergen ſich hier im Gelaube deſſelben, um Mittagsruhe zu halten. Nach-
mittags gehen ſie zum zweiten Male nach Nahrung aus, und gegen Abend verſammeln ſie ſich in
großer Menge auf beſtimmten Plätzen, gleichſam in der Abſicht, ſich hier gegenſeitig die Erlebniſſe des
Tages auszutauſchen. Dann begeben ſie ſich zum Schlafplatze, einem beſtimmten Waldtheile, welcher
alle Krähen eines großen Gebiets vereinigt. Hier erſcheinen ſie mit größter Vorſicht, gewöhnlich erſt,
nachdem ſie mehrmals Späher vorausgeſandt haben. Sie kommen nach Einbruch der Nacht an, fliegen
ſtill dem Orte zu und ſetzen ſich ſo ruhig auf, daß man Nichts als das Rauſchen der Schwingen
vernimmt. Nachſtellungen machen ſie im höchſten Grade ſcheu. Sie lernen den Jäger ſehr bald von
dem ihnen ungefährlichen Menſchen unterſcheiden und vertrauen überhaupt nur Dem, von deſſen Wohl-
wollen ſie ſich vollſtändig überzeugt haben.

Jm Februar und März regt ſich die Liebe in ihnen. Die einzelnen Paare halten ſich dann noch
enger zuſammen als ſonſt, ſchwatzen in liebenswürdiger Weiſe mit einander, und das Männchen macht
außerdem durch ſonderbare Bewegungen und Verneigungen und eigenthümliches Breiten der
Schwingen ſeiner Gattin in artiger Weiſe den Hof. Der Horſt wird zu Ende des März oder im
Anfang des April auf hohen Bäumen angelegt oder ein vorjähriger für die neue Brut wieder her-
gerichtet. Er ähnelt dem des Kolkraben, iſt aber bedeutend kleiner, höchſtens zwei Fuß breit und nur
vier Zoll tief. Auf die Unterlage dürrer Zweige folgen Baſtſtreifen, Grasbüſche, Quecken und
andere Wurzeln, welche ſehr oft durch eine Lage lehmiger Erde verbunden werden. Die Mulde wird
mit Wolle, Kälberhaaren, Schweinsborſten, Baſtſtückchen, Grashalmen, Mosſtengeln, Lumpen und
dergleichen ausgefüttert. Jn der erſten Hälfte des Aprils legt das Weibchen drei bis fünf, höchſt ſelten
ſechs Eier, welche auf blaugrünlichem Grunde mit olivenfarbenen, dunkelgrünen, dunkelaſchgrauen
und ſchwärzlichen Punkten und Flecken gezeichnet ſind. Das Weibchen brütet allein, wird aber
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[354/0382] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. dem Menſchen bringt! Es iſt geradezu ein Frevel, wenn dieſe Thiere befehdet werden; es iſt eine wahre Sünde gegen unſere heutige Bildung, wenn der Menſch glaubt, daß er mehr leiſten könne, als unſere Krähen, wenn er z. B. Gift gegen Mäuſefraß auslegt, und dadurch kaum mehr Mäuſe vertilgt, als Krähen, welche ihrerſeits das gefräßige Heer in der umfaſſendſten Weiſe bekämpfen. Es iſt ein Beweis von mangelndem Verſtändniß, wenn von Obrigkeits wegen Preiſe ausgeſetzt werden für Ver- nichtung der Krähen, da man mit aller Beſtimmtheit behaupten kann, daß durch den Tod einer ein- zigen Krähe der Land- und Forſtwirthſchaft ein weit größerer Schaden erwächſt, als durch die Thätig- keit von zehn lebenden. Auf dieſen großen Nutzen unſerer Vögel nachdrücklich hinzuweiſen, halte ich für viel wichtiger, als eine ausführliche Beſchreibung ihres Lebens, ſo beachtenswerth dieſes im übri- gen auch iſt. Das tägliche Leben der Krähen iſt ungefähr folgendes: Sie fliegen vor Tagesanbruch auf und ſammeln ſich, ehe ſie nach Nahrung ausgehen, auf einem beſtimmten Gebäude oder großen Baum, ſo lange ſie nicht Verfolgung erfahren. Vonhieraus vertheilen ſie ſich dann über die Felder, vermiſchen ſich wohl auch mit andern Arten ihrer Familie, namentlich während der Zugzeit. Bis gegen den Mittag hin ſind ſie eifrig mit Aufſuchen ihrer Nahrung beſchäftigt. Sie ſchreiten Felder und Wieſen ab, folgen dem Pflüger, um die von ihm bloßgelegten Engerlinge aufzulauern, lauern vor Mäuſe- löchern, ſpähen nach Vogelneſtern umher, unterſuchen die Ufer der Bäche und Flüſſe, durchſtöbern die Gärten, kurz, machen ſich überall zu ſchaffen. Dabei kommen ſie gelegentlich mit andern ihrer Art zuſammen und betreiben ihre Arbeit eine Zeitlang gemeinſchaftlich. Ereignet ſich etwas Auffallendes, ſo ſind ſie gewiß die erſten, welche es bemerken und andern Geſchöpfen anzeigen. Ein Raubvogel wird mit großem Geſchrei begrüßt und ſo eifrig verfolgt, daß er oft in ſeinem Gewerbe behindert wird. Snell hat ſehr Recht, wenn er auch dieſe Handlungsweiſe der Krähen als Nutzen hervorhebt; denn es unterliegt gar keinem Zweifel, daß die räuberiſche Thätigkeit der ſchädlichen Raubvögel durch die Krähen bedeutend gehindert wird, ſei es, indem ſie den Raubvogel unmittelbar angreifen, ſei es, indem ſie ihn dem Menſchen und den Thieren verrathen. Gegen Mittag fliegen die Krähen einem dichten Baume zu und verbergen ſich hier im Gelaube deſſelben, um Mittagsruhe zu halten. Nach- mittags gehen ſie zum zweiten Male nach Nahrung aus, und gegen Abend verſammeln ſie ſich in großer Menge auf beſtimmten Plätzen, gleichſam in der Abſicht, ſich hier gegenſeitig die Erlebniſſe des Tages auszutauſchen. Dann begeben ſie ſich zum Schlafplatze, einem beſtimmten Waldtheile, welcher alle Krähen eines großen Gebiets vereinigt. Hier erſcheinen ſie mit größter Vorſicht, gewöhnlich erſt, nachdem ſie mehrmals Späher vorausgeſandt haben. Sie kommen nach Einbruch der Nacht an, fliegen ſtill dem Orte zu und ſetzen ſich ſo ruhig auf, daß man Nichts als das Rauſchen der Schwingen vernimmt. Nachſtellungen machen ſie im höchſten Grade ſcheu. Sie lernen den Jäger ſehr bald von dem ihnen ungefährlichen Menſchen unterſcheiden und vertrauen überhaupt nur Dem, von deſſen Wohl- wollen ſie ſich vollſtändig überzeugt haben. Jm Februar und März regt ſich die Liebe in ihnen. Die einzelnen Paare halten ſich dann noch enger zuſammen als ſonſt, ſchwatzen in liebenswürdiger Weiſe mit einander, und das Männchen macht außerdem durch ſonderbare Bewegungen und Verneigungen und eigenthümliches Breiten der Schwingen ſeiner Gattin in artiger Weiſe den Hof. Der Horſt wird zu Ende des März oder im Anfang des April auf hohen Bäumen angelegt oder ein vorjähriger für die neue Brut wieder her- gerichtet. Er ähnelt dem des Kolkraben, iſt aber bedeutend kleiner, höchſtens zwei Fuß breit und nur vier Zoll tief. Auf die Unterlage dürrer Zweige folgen Baſtſtreifen, Grasbüſche, Quecken und andere Wurzeln, welche ſehr oft durch eine Lage lehmiger Erde verbunden werden. Die Mulde wird mit Wolle, Kälberhaaren, Schweinsborſten, Baſtſtückchen, Grashalmen, Mosſtengeln, Lumpen und dergleichen ausgefüttert. Jn der erſten Hälfte des Aprils legt das Weibchen drei bis fünf, höchſt ſelten ſechs Eier, welche auf blaugrünlichem Grunde mit olivenfarbenen, dunkelgrünen, dunkelaſchgrauen und ſchwärzlichen Punkten und Flecken gezeichnet ſind. Das Weibchen brütet allein, wird aber nur dann vom Männchen verlaſſen, wenn dieſes wegfliegen muß, um für ſich und die Gattin Nahrung

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/382>, abgerufen am 24.11.2024.