unersetzliche Wohlthäter der Felder, gerade von diesen Gutsbesitzern in der rücksichtslosesten Weise ver- folgt. Man hat in England erfahren, daß in Gegenden, in welchen wirklich alle Saatkrähen ver- nichtet worden waren, jahrelang nach einander Mißernten kamen, und man ist dann klug genug gewesen, die Vögel zu verschonen. Unsere großen oder kleinen Bauern freilich wissen davon Nichts oder wol- len davon Nichts wissen und stellen sich durch ihr als Fest gefeiertes Krähenschießen alljährlich ein nicht eben schmeichelhaftes Zeugniß ihres Bildungsgrades aus. Sie lassen sich einfach vom blinden Vorurtheil leiten und geben sich nicht einmal die Mühe, genauer zu prüfen. Wollten sie Dies thun, wollten sie nur einmal während der Maikäferzeit oder in einem Mäusejahre Saatkrähen schießen und jede derselben untersuchen, so würden sie sehr bald zu den Ansichten aller Naturforscher kommen. Dazu aber scheint eben kein Trieb vorhanden zu sein, und so wird die Befehdung der nützlichen Ge- schöpfe wohl noch lange Jahre fortwähren, bis auch bei uns zu Lande einmal der Schaden klug macht.
Jch wiederhole, daß es für Jedermann unangenehm ist, in der Nähe einer Saatkrähenansiedlung zu wohnen. Wenn die Brutzeit herannaht, sammeln sich Tausende dieser schwarzen Vögel auf einem sehr kleinen Raume, vorzugsweise in einem Feldgehölze, und hier beginnt nun ein Lärm, welchen man selbst gehört haben muß, um das Nervenerschütternde desselben würdigen zu können. Paar wohnt bei Paar; auf einem Baume stehen funfzehn bis zwanzig Nester, überhaupt so viel, als er aufnehmen kann. Jedes Paar zankt sich mit dem andern um die Baustoffe, und eins stielt dem andern nicht nur diese, sondern sogar das ganze Nest weg. Ein ununterbrochenes Krächzen und Geplärr erfüllt die Gegend, und eine schwarze Wolke von Vögeln verfinstert die Luft in der Nähe dieser Wohnsitze. End- lich tritt etwas Ruhe ein. Jedes Weibchen hat seine vier bis fünf blaßgrünen, aschgrau und dunkel- braun gefleckten Eier gelegt und brütet. Bald aber entschlüpfen die Jungen, und nun verdoppelt oder verdreifacht sich der Lärm; denn die jungen Raben wollen gefüttert sein und wissen ihre Gefühle sehr vernehmlich durch allerlei unliebsame Töne auszudrücken. Dann ist es in der Nähe einer solchen Ansiedlung buchstäblich nicht zum Aushalten. Nur die eigentliche Nacht macht das Geplärr verstum- men; es beginnt aber bereits vor Tagesanbruch und währt bis lange nach Sonnenuntergang ohne Aufhören fort. Noch schlimmer geht es Dem, welcher eine solche Ansiedlung besucht. Er wird bald ebenso bekalkt, wie der Boden um ihn her, welcher in Folge des aus den Nestern herabfallenden Mist- regens gräulich anzuschauen ist. Dazu kommt nun die schon erwähnte Hartnäckigkeit der Vögel. Sie lassen sich so leicht nicht vertreiben. Man kann ihnen Eier und Junge nehmen, so viel unter sie schießen, als man will: es hilft gar Nichts -- sie kommen doch wieder. Mit Vergnügen erinnere ich mich der Anstrengung, welche der hochwohlweise Rath der lieben Stadt Leipzig machte, um sich der Saatkrähen, welche sich auf einem Spaziergange angesiedelt hatten, zu entledigen. Zuerst wurde die bewehrte Mannschaft aufgeboten, hierauf sogar die Scharfschützen in Bewegung gesetzt -- Nichts wollte fruchten. Da griff man, wie es schien in Verzweiflung, zu dem letzten Mittel: man zog die blutrothe Fahne des Umsturzes auf. Buchstäblich wahr: rothe Fahnen flatterten unmittelbar neben und über den Nestern lustig im Winde, zum Grauen und Entsetzen aller friedliebenden Bürger. Aber die Krähen fürchteten nicht einmal das Gespenst unserer Junker und Pfaffen: sie ließen sich auch durch das verdächtige Roth nicht vertreiben. Erst als man ihnen ebenso hartnäckig ihre Nester immer und immer wieder zerstörte, verließen sie zur Freude aller Guten den bereits lieb gewonnenen Ort. Solche Uebelthaten sind allerdings nicht geeignet, urtheilslose Menschen mit den Saatkrähen zu befreunden; der sorgfältig Prüfende aber wird sie wenigstens in Feldgehölzen, welche von Wohnungen entfernt sind, gern gewähren lassen. Die armen Vögel haben ohnehin Feinde genug. Der Fuchs überlistet gar manche, und der Wanderfalk und Habicht richten oft große Niederlagen nament- lich unter den Jungen an. Auch die Winterreise fordert alljährlich viele Opfer.
Es ist ein wirklich anziehendes Schauspiel, welches die wandernden Saatkrähen gewähren. So groß auch die Menge ist, welche eine Ansiedlung bevölkert -- mit den Massen, welche sich gelegentlich der Winterreise zusammenschlagen, kann sie nicht verglichen werden. Tausende gesellen sich zu Tau- senden, und die Heere wachsen umsomehr an, je länger die Reise währt. Sie verstärken sich nicht blos
Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
unerſetzliche Wohlthäter der Felder, gerade von dieſen Gutsbeſitzern in der rückſichtsloſeſten Weiſe ver- folgt. Man hat in England erfahren, daß in Gegenden, in welchen wirklich alle Saatkrähen ver- nichtet worden waren, jahrelang nach einander Mißernten kamen, und man iſt dann klug genug geweſen, die Vögel zu verſchonen. Unſere großen oder kleinen Bauern freilich wiſſen davon Nichts oder wol- len davon Nichts wiſſen und ſtellen ſich durch ihr als Feſt gefeiertes Krähenſchießen alljährlich ein nicht eben ſchmeichelhaftes Zeugniß ihres Bildungsgrades aus. Sie laſſen ſich einfach vom blinden Vorurtheil leiten und geben ſich nicht einmal die Mühe, genauer zu prüfen. Wollten ſie Dies thun, wollten ſie nur einmal während der Maikäferzeit oder in einem Mäuſejahre Saatkrähen ſchießen und jede derſelben unterſuchen, ſo würden ſie ſehr bald zu den Anſichten aller Naturforſcher kommen. Dazu aber ſcheint eben kein Trieb vorhanden zu ſein, und ſo wird die Befehdung der nützlichen Ge- ſchöpfe wohl noch lange Jahre fortwähren, bis auch bei uns zu Lande einmal der Schaden klug macht.
Jch wiederhole, daß es für Jedermann unangenehm iſt, in der Nähe einer Saatkrähenanſiedlung zu wohnen. Wenn die Brutzeit herannaht, ſammeln ſich Tauſende dieſer ſchwarzen Vögel auf einem ſehr kleinen Raume, vorzugsweiſe in einem Feldgehölze, und hier beginnt nun ein Lärm, welchen man ſelbſt gehört haben muß, um das Nervenerſchütternde deſſelben würdigen zu können. Paar wohnt bei Paar; auf einem Baume ſtehen funfzehn bis zwanzig Neſter, überhaupt ſo viel, als er aufnehmen kann. Jedes Paar zankt ſich mit dem andern um die Bauſtoffe, und eins ſtielt dem andern nicht nur dieſe, ſondern ſogar das ganze Neſt weg. Ein ununterbrochenes Krächzen und Geplärr erfüllt die Gegend, und eine ſchwarze Wolke von Vögeln verfinſtert die Luft in der Nähe dieſer Wohnſitze. End- lich tritt etwas Ruhe ein. Jedes Weibchen hat ſeine vier bis fünf blaßgrünen, aſchgrau und dunkel- braun gefleckten Eier gelegt und brütet. Bald aber entſchlüpfen die Jungen, und nun verdoppelt oder verdreifacht ſich der Lärm; denn die jungen Raben wollen gefüttert ſein und wiſſen ihre Gefühle ſehr vernehmlich durch allerlei unliebſame Töne auszudrücken. Dann iſt es in der Nähe einer ſolchen Anſiedlung buchſtäblich nicht zum Aushalten. Nur die eigentliche Nacht macht das Geplärr verſtum- men; es beginnt aber bereits vor Tagesanbruch und währt bis lange nach Sonnenuntergang ohne Aufhören fort. Noch ſchlimmer geht es Dem, welcher eine ſolche Anſiedlung beſucht. Er wird bald ebenſo bekalkt, wie der Boden um ihn her, welcher in Folge des aus den Neſtern herabfallenden Miſt- regens gräulich anzuſchauen iſt. Dazu kommt nun die ſchon erwähnte Hartnäckigkeit der Vögel. Sie laſſen ſich ſo leicht nicht vertreiben. Man kann ihnen Eier und Junge nehmen, ſo viel unter ſie ſchießen, als man will: es hilft gar Nichts — ſie kommen doch wieder. Mit Vergnügen erinnere ich mich der Anſtrengung, welche der hochwohlweiſe Rath der lieben Stadt Leipzig machte, um ſich der Saatkrähen, welche ſich auf einem Spaziergange angeſiedelt hatten, zu entledigen. Zuerſt wurde die bewehrte Mannſchaft aufgeboten, hierauf ſogar die Scharfſchützen in Bewegung geſetzt — Nichts wollte fruchten. Da griff man, wie es ſchien in Verzweiflung, zu dem letzten Mittel: man zog die blutrothe Fahne des Umſturzes auf. Buchſtäblich wahr: rothe Fahnen flatterten unmittelbar neben und über den Neſtern luſtig im Winde, zum Grauen und Entſetzen aller friedliebenden Bürger. Aber die Krähen fürchteten nicht einmal das Geſpenſt unſerer Junker und Pfaffen: ſie ließen ſich auch durch das verdächtige Roth nicht vertreiben. Erſt als man ihnen ebenſo hartnäckig ihre Neſter immer und immer wieder zerſtörte, verließen ſie zur Freude aller Guten den bereits lieb gewonnenen Ort. Solche Uebelthaten ſind allerdings nicht geeignet, urtheilsloſe Menſchen mit den Saatkrähen zu befreunden; der ſorgfältig Prüfende aber wird ſie wenigſtens in Feldgehölzen, welche von Wohnungen entfernt ſind, gern gewähren laſſen. Die armen Vögel haben ohnehin Feinde genug. Der Fuchs überliſtet gar manche, und der Wanderfalk und Habicht richten oft große Niederlagen nament- lich unter den Jungen an. Auch die Winterreiſe fordert alljährlich viele Opfer.
Es iſt ein wirklich anziehendes Schauſpiel, welches die wandernden Saatkrähen gewähren. So groß auch die Menge iſt, welche eine Anſiedlung bevölkert — mit den Maſſen, welche ſich gelegentlich der Winterreiſe zuſammenſchlagen, kann ſie nicht verglichen werden. Tauſende geſellen ſich zu Tau- ſenden, und die Heere wachſen umſomehr an, je länger die Reiſe währt. Sie verſtärken ſich nicht blos
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[358/0386]
Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
unerſetzliche Wohlthäter der Felder, gerade von dieſen Gutsbeſitzern in der rückſichtsloſeſten Weiſe ver-
folgt. Man hat in England erfahren, daß in Gegenden, in welchen wirklich alle Saatkrähen ver-
nichtet worden waren, jahrelang nach einander Mißernten kamen, und man iſt dann klug genug geweſen,
die Vögel zu verſchonen. Unſere großen oder kleinen Bauern freilich wiſſen davon Nichts oder wol-
len davon Nichts wiſſen und ſtellen ſich durch ihr als Feſt gefeiertes Krähenſchießen alljährlich ein
nicht eben ſchmeichelhaftes Zeugniß ihres Bildungsgrades aus. Sie laſſen ſich einfach vom blinden
Vorurtheil leiten und geben ſich nicht einmal die Mühe, genauer zu prüfen. Wollten ſie Dies thun,
wollten ſie nur einmal während der Maikäferzeit oder in einem Mäuſejahre Saatkrähen ſchießen und
jede derſelben unterſuchen, ſo würden ſie ſehr bald zu den Anſichten aller Naturforſcher kommen.
Dazu aber ſcheint eben kein Trieb vorhanden zu ſein, und ſo wird die Befehdung der nützlichen Ge-
ſchöpfe wohl noch lange Jahre fortwähren, bis auch bei uns zu Lande einmal der Schaden klug macht.
Jch wiederhole, daß es für Jedermann unangenehm iſt, in der Nähe einer Saatkrähenanſiedlung
zu wohnen. Wenn die Brutzeit herannaht, ſammeln ſich Tauſende dieſer ſchwarzen Vögel auf einem
ſehr kleinen Raume, vorzugsweiſe in einem Feldgehölze, und hier beginnt nun ein Lärm, welchen man
ſelbſt gehört haben muß, um das Nervenerſchütternde deſſelben würdigen zu können. Paar wohnt bei
Paar; auf einem Baume ſtehen funfzehn bis zwanzig Neſter, überhaupt ſo viel, als er aufnehmen
kann. Jedes Paar zankt ſich mit dem andern um die Bauſtoffe, und eins ſtielt dem andern nicht nur
dieſe, ſondern ſogar das ganze Neſt weg. Ein ununterbrochenes Krächzen und Geplärr erfüllt die Gegend,
und eine ſchwarze Wolke von Vögeln verfinſtert die Luft in der Nähe dieſer Wohnſitze. End-
lich tritt etwas Ruhe ein. Jedes Weibchen hat ſeine vier bis fünf blaßgrünen, aſchgrau und dunkel-
braun gefleckten Eier gelegt und brütet. Bald aber entſchlüpfen die Jungen, und nun verdoppelt
oder verdreifacht ſich der Lärm; denn die jungen Raben wollen gefüttert ſein und wiſſen ihre Gefühle
ſehr vernehmlich durch allerlei unliebſame Töne auszudrücken. Dann iſt es in der Nähe einer ſolchen
Anſiedlung buchſtäblich nicht zum Aushalten. Nur die eigentliche Nacht macht das Geplärr verſtum-
men; es beginnt aber bereits vor Tagesanbruch und währt bis lange nach Sonnenuntergang ohne
Aufhören fort. Noch ſchlimmer geht es Dem, welcher eine ſolche Anſiedlung beſucht. Er wird bald
ebenſo bekalkt, wie der Boden um ihn her, welcher in Folge des aus den Neſtern herabfallenden Miſt-
regens gräulich anzuſchauen iſt. Dazu kommt nun die ſchon erwähnte Hartnäckigkeit der Vögel.
Sie laſſen ſich ſo leicht nicht vertreiben. Man kann ihnen Eier und Junge nehmen, ſo viel unter ſie
ſchießen, als man will: es hilft gar Nichts — ſie kommen doch wieder. Mit Vergnügen erinnere ich
mich der Anſtrengung, welche der hochwohlweiſe Rath der lieben Stadt Leipzig machte, um ſich der
Saatkrähen, welche ſich auf einem Spaziergange angeſiedelt hatten, zu entledigen. Zuerſt wurde die
bewehrte Mannſchaft aufgeboten, hierauf ſogar die Scharfſchützen in Bewegung geſetzt — Nichts
wollte fruchten. Da griff man, wie es ſchien in Verzweiflung, zu dem letzten Mittel: man zog die
blutrothe Fahne des Umſturzes auf. Buchſtäblich wahr: rothe Fahnen flatterten unmittelbar neben
und über den Neſtern luſtig im Winde, zum Grauen und Entſetzen aller friedliebenden Bürger.
Aber die Krähen fürchteten nicht einmal das Geſpenſt unſerer Junker und Pfaffen: ſie ließen ſich auch
durch das verdächtige Roth nicht vertreiben. Erſt als man ihnen ebenſo hartnäckig ihre Neſter immer
und immer wieder zerſtörte, verließen ſie zur Freude aller Guten den bereits lieb gewonnenen Ort.
Solche Uebelthaten ſind allerdings nicht geeignet, urtheilsloſe Menſchen mit den Saatkrähen zu
befreunden; der ſorgfältig Prüfende aber wird ſie wenigſtens in Feldgehölzen, welche von Wohnungen
entfernt ſind, gern gewähren laſſen. Die armen Vögel haben ohnehin Feinde genug. Der Fuchs
überliſtet gar manche, und der Wanderfalk und Habicht richten oft große Niederlagen nament-
lich unter den Jungen an. Auch die Winterreiſe fordert alljährlich viele Opfer.
Es iſt ein wirklich anziehendes Schauſpiel, welches die wandernden Saatkrähen gewähren. So
groß auch die Menge iſt, welche eine Anſiedlung bevölkert — mit den Maſſen, welche ſich gelegentlich
der Winterreiſe zuſammenſchlagen, kann ſie nicht verglichen werden. Tauſende geſellen ſich zu Tau-
ſenden, und die Heere wachſen umſomehr an, je länger die Reiſe währt. Sie verſtärken ſich nicht blos
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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