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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
Alpen begegnet man dem Nußknacker ebenso regelmäßig, wie im Norden, am häufigsten immer da, wo
es die gedachten Bäume gibt. Er bewohnt gewisse Striche in Menge und fehlt in andern benachbar-
ten gänzlich. So tritt er in den mittleren Theilen Schwedens sehr häufig auf, während er den größ-
ten Theil Norwegens nur während seiner Reise besucht. Letztere findet ebenso unregelmäßig statt, wie
die des Seidenschwanzes. Jn manchen Jahren ist der Nußknacker während des Winters in
Deutschland überall zu finden; dann vergehen wieder viele Jahre, ehe man nur einen einzigen zu
sehen bekommt. Wahrscheinlich treibt ihn blos das Mißrathen der Zirbelkiefern- oder Arvensamen
vom Norden nach dem Süden hin oder vom Gebirge in die Ebene herab. Während des Sommers
gehört er in Deutschland unter die seltensten Erscheinungen, obwohl es zuweilen geschieht, daß einzelne
hier in stillen, einsamen Gebirgswäldern sich ansiedeln und brüten.

Jn seinem Wesen hat der Nußknacker nach meines Vaters Angaben kaum mehr Aehnlichkeit mit
dem Eichelheher, als mit den Spechten. Er sieht ungeschickt, tölpisch aus, ist aber ein gewandter
und munterer Vogel, welcher auf dem Boden gut geht und mit sehr großer Geschicklichkeit auf den
Aesten und Stauden herumhüpft oder sich wie die Meisen am Stamme anhängt, daß man wohl
sagen kann, er klettert an den Bäumen herum. Wie ein Specht hängt er sich an Stämme und
Zweige, und wie ein Specht meiselt er mit seinem scharfen Schnabel an der Rinde desselben herum, bis
er sie stückweise abgespaltet und die unter ihr sitzende Beute, welche er witterte, erlangt hat. Sein Flug
ist leicht, aber ziemlich langsam, mit starker Schwingung und Ausbreitung der Flügel. Die Stel-
lung ist verschieden, gewöhnlich zieht er die Füße an, trägt den Leib wagrecht, den Kopf eingezogen und
läßt die Federn hängen: dann hat er ein plumpes Ansehen, während er schmuck und schlank erscheint,
wenn er den Leib erhebt, den Kopf in die Höhe drückt und das Gefieder knapp anlegt. Ungeachtet
seines leichten Fluges fliegt er übrigens ungern weit, falls er nicht eben auf der Reise ist, son-
dern läßt sich gewöhnlich, wenn er nicht geradezu aufgescheucht ist, bald wieder nieder. Während des
Tages ist er viel beschäftigt; doch ist er nicht so unruhig und unstet, wie der in mancher Hinsicht ihm
gleichende Eichelheher. Seine Stimme ist ein kreischendes, weittönendes "Kräck, kräck, kräck",
zu welchem er im Frühjahre oft wiederholt "Körr, körr" hinzufügt. Seine Sinne scheinen wohl
entwickelt zu sein. An Verstand steht er vielen Mitgliedern seiner Familie nach; so dumm aber, als
er gescholten worden, ist er nicht. Jn seinen menschenleeren Wildnissen kommt er so wenig mit dem
Erzfeind der Thiere zusammen, daß er sich diesem gegenüber bei seinen Reisen oft recht einfältig
benimmt; erfährt er aber Nachstellungen, so beweist auch er, daß er gerade verständig genug ist. Er
flieht dann vor dem Menschen ebenso ängstlich, wie vor andern, ihm von jeher wohl bekannten Fein-
den, z. B. Raubsäugethieren und Raubvögeln

Ueber das Brutgeschäft sind noch wenige Beobachtungen angestellt worden. Es gehört zu den
größten Seltenheiten, wenn ein Nußknackerpaar in den uns zugänglichen Wäldern brütet, und noch
seltener wird auch hier das Nest gefunden. Die eigentlichen Brutplätze des Vogels sind eben die
Waldungen seiner wahren Heimat, Dickichte, welche kaum im Sommer begangen werden können, noch
viel weniger aber, wenn der Nußknacker zur Fortpflanzung schreitet. Nach Schütt's Erfahrungen
werden die Nester schon Anfangs März gebaut und in der letzten Hälfte des Monats bereits die
Eier gelegt. Um diese Zeit aber sind die Waldungen des Gebirges ebenso wie die nordischen Wälder
noch im fußtiefen Schnee, so zu sagen, begraben und schwer oder nicht zugänglich. Der Forscher muß
also einen schneearmen Frühling abwarten, bevor er überhaupt daran denken kann, ein Nußknackernest
suchen zu wollen; aber auch dann ist es immer noch sehr schwierig, das Nest zu finden.

Mein Vater erfuhr, daß im Voigtlande ein Nußknackernest in einem hohlen Baume gefunden
worden sei; die neueren Forscher stimmen darin überein, daß es frei auf Bäumen angelegt wird und
dem Neste unseres Hehers ähnelt. Es besteht, nach Schütt, äußerlich aus schwachen dürren Tannen-
reisern und ist mit grünen Tannenzweigen durchflochten, vielleicht der Ausschmückung wegen. Mos,
zarte Baumrinden und Bast folgen auf die äußerste Lage; Bartflechten, Bast und dürre Grashalme
bilden die schön gewölbte und ausgerundete Nestmulde. Die Eier sind auf blaßgrünbläulichem

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
Alpen begegnet man dem Nußknacker ebenſo regelmäßig, wie im Norden, am häufigſten immer da, wo
es die gedachten Bäume gibt. Er bewohnt gewiſſe Striche in Menge und fehlt in andern benachbar-
ten gänzlich. So tritt er in den mittleren Theilen Schwedens ſehr häufig auf, während er den größ-
ten Theil Norwegens nur während ſeiner Reiſe beſucht. Letztere findet ebenſo unregelmäßig ſtatt, wie
die des Seidenſchwanzes. Jn manchen Jahren iſt der Nußknacker während des Winters in
Deutſchland überall zu finden; dann vergehen wieder viele Jahre, ehe man nur einen einzigen zu
ſehen bekommt. Wahrſcheinlich treibt ihn blos das Mißrathen der Zirbelkiefern- oder Arvenſamen
vom Norden nach dem Süden hin oder vom Gebirge in die Ebene herab. Während des Sommers
gehört er in Deutſchland unter die ſeltenſten Erſcheinungen, obwohl es zuweilen geſchieht, daß einzelne
hier in ſtillen, einſamen Gebirgswäldern ſich anſiedeln und brüten.

Jn ſeinem Weſen hat der Nußknacker nach meines Vaters Angaben kaum mehr Aehnlichkeit mit
dem Eichelheher, als mit den Spechten. Er ſieht ungeſchickt, tölpiſch aus, iſt aber ein gewandter
und munterer Vogel, welcher auf dem Boden gut geht und mit ſehr großer Geſchicklichkeit auf den
Aeſten und Stauden herumhüpft oder ſich wie die Meiſen am Stamme anhängt, daß man wohl
ſagen kann, er klettert an den Bäumen herum. Wie ein Specht hängt er ſich an Stämme und
Zweige, und wie ein Specht meiſelt er mit ſeinem ſcharfen Schnabel an der Rinde deſſelben herum, bis
er ſie ſtückweiſe abgeſpaltet und die unter ihr ſitzende Beute, welche er witterte, erlangt hat. Sein Flug
iſt leicht, aber ziemlich langſam, mit ſtarker Schwingung und Ausbreitung der Flügel. Die Stel-
lung iſt verſchieden, gewöhnlich zieht er die Füße an, trägt den Leib wagrecht, den Kopf eingezogen und
läßt die Federn hängen: dann hat er ein plumpes Anſehen, während er ſchmuck und ſchlank erſcheint,
wenn er den Leib erhebt, den Kopf in die Höhe drückt und das Gefieder knapp anlegt. Ungeachtet
ſeines leichten Fluges fliegt er übrigens ungern weit, falls er nicht eben auf der Reiſe iſt, ſon-
dern läßt ſich gewöhnlich, wenn er nicht geradezu aufgeſcheucht iſt, bald wieder nieder. Während des
Tages iſt er viel beſchäftigt; doch iſt er nicht ſo unruhig und unſtet, wie der in mancher Hinſicht ihm
gleichende Eichelheher. Seine Stimme iſt ein kreiſchendes, weittönendes „Kräck, kräck, kräck‟,
zu welchem er im Frühjahre oft wiederholt „Körr, körr‟ hinzufügt. Seine Sinne ſcheinen wohl
entwickelt zu ſein. An Verſtand ſteht er vielen Mitgliedern ſeiner Familie nach; ſo dumm aber, als
er geſcholten worden, iſt er nicht. Jn ſeinen menſchenleeren Wildniſſen kommt er ſo wenig mit dem
Erzfeind der Thiere zuſammen, daß er ſich dieſem gegenüber bei ſeinen Reiſen oft recht einfältig
benimmt; erfährt er aber Nachſtellungen, ſo beweiſt auch er, daß er gerade verſtändig genug iſt. Er
flieht dann vor dem Menſchen ebenſo ängſtlich, wie vor andern, ihm von jeher wohl bekannten Fein-
den, z. B. Raubſäugethieren und Raubvögeln

Ueber das Brutgeſchäft ſind noch wenige Beobachtungen angeſtellt worden. Es gehört zu den
größten Seltenheiten, wenn ein Nußknackerpaar in den uns zugänglichen Wäldern brütet, und noch
ſeltener wird auch hier das Neſt gefunden. Die eigentlichen Brutplätze des Vogels ſind eben die
Waldungen ſeiner wahren Heimat, Dickichte, welche kaum im Sommer begangen werden können, noch
viel weniger aber, wenn der Nußknacker zur Fortpflanzung ſchreitet. Nach Schütt’s Erfahrungen
werden die Neſter ſchon Anfangs März gebaut und in der letzten Hälfte des Monats bereits die
Eier gelegt. Um dieſe Zeit aber ſind die Waldungen des Gebirges ebenſo wie die nordiſchen Wälder
noch im fußtiefen Schnee, ſo zu ſagen, begraben und ſchwer oder nicht zugänglich. Der Forſcher muß
alſo einen ſchneearmen Frühling abwarten, bevor er überhaupt daran denken kann, ein Nußknackerneſt
ſuchen zu wollen; aber auch dann iſt es immer noch ſehr ſchwierig, das Neſt zu finden.

Mein Vater erfuhr, daß im Voigtlande ein Nußknackerneſt in einem hohlen Baume gefunden
worden ſei; die neueren Forſcher ſtimmen darin überein, daß es frei auf Bäumen angelegt wird und
dem Neſte unſeres Hehers ähnelt. Es beſteht, nach Schütt, äußerlich aus ſchwachen dürren Tannen-
reiſern und iſt mit grünen Tannenzweigen durchflochten, vielleicht der Ausſchmückung wegen. Mos,
zarte Baumrinden und Baſt folgen auf die äußerſte Lage; Bartflechten, Baſt und dürre Grashalme
bilden die ſchön gewölbte und ausgerundete Neſtmulde. Die Eier ſind auf blaßgrünbläulichem

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[366/0394] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. Alpen begegnet man dem Nußknacker ebenſo regelmäßig, wie im Norden, am häufigſten immer da, wo es die gedachten Bäume gibt. Er bewohnt gewiſſe Striche in Menge und fehlt in andern benachbar- ten gänzlich. So tritt er in den mittleren Theilen Schwedens ſehr häufig auf, während er den größ- ten Theil Norwegens nur während ſeiner Reiſe beſucht. Letztere findet ebenſo unregelmäßig ſtatt, wie die des Seidenſchwanzes. Jn manchen Jahren iſt der Nußknacker während des Winters in Deutſchland überall zu finden; dann vergehen wieder viele Jahre, ehe man nur einen einzigen zu ſehen bekommt. Wahrſcheinlich treibt ihn blos das Mißrathen der Zirbelkiefern- oder Arvenſamen vom Norden nach dem Süden hin oder vom Gebirge in die Ebene herab. Während des Sommers gehört er in Deutſchland unter die ſeltenſten Erſcheinungen, obwohl es zuweilen geſchieht, daß einzelne hier in ſtillen, einſamen Gebirgswäldern ſich anſiedeln und brüten. Jn ſeinem Weſen hat der Nußknacker nach meines Vaters Angaben kaum mehr Aehnlichkeit mit dem Eichelheher, als mit den Spechten. Er ſieht ungeſchickt, tölpiſch aus, iſt aber ein gewandter und munterer Vogel, welcher auf dem Boden gut geht und mit ſehr großer Geſchicklichkeit auf den Aeſten und Stauden herumhüpft oder ſich wie die Meiſen am Stamme anhängt, daß man wohl ſagen kann, er klettert an den Bäumen herum. Wie ein Specht hängt er ſich an Stämme und Zweige, und wie ein Specht meiſelt er mit ſeinem ſcharfen Schnabel an der Rinde deſſelben herum, bis er ſie ſtückweiſe abgeſpaltet und die unter ihr ſitzende Beute, welche er witterte, erlangt hat. Sein Flug iſt leicht, aber ziemlich langſam, mit ſtarker Schwingung und Ausbreitung der Flügel. Die Stel- lung iſt verſchieden, gewöhnlich zieht er die Füße an, trägt den Leib wagrecht, den Kopf eingezogen und läßt die Federn hängen: dann hat er ein plumpes Anſehen, während er ſchmuck und ſchlank erſcheint, wenn er den Leib erhebt, den Kopf in die Höhe drückt und das Gefieder knapp anlegt. Ungeachtet ſeines leichten Fluges fliegt er übrigens ungern weit, falls er nicht eben auf der Reiſe iſt, ſon- dern läßt ſich gewöhnlich, wenn er nicht geradezu aufgeſcheucht iſt, bald wieder nieder. Während des Tages iſt er viel beſchäftigt; doch iſt er nicht ſo unruhig und unſtet, wie der in mancher Hinſicht ihm gleichende Eichelheher. Seine Stimme iſt ein kreiſchendes, weittönendes „Kräck, kräck, kräck‟, zu welchem er im Frühjahre oft wiederholt „Körr, körr‟ hinzufügt. Seine Sinne ſcheinen wohl entwickelt zu ſein. An Verſtand ſteht er vielen Mitgliedern ſeiner Familie nach; ſo dumm aber, als er geſcholten worden, iſt er nicht. Jn ſeinen menſchenleeren Wildniſſen kommt er ſo wenig mit dem Erzfeind der Thiere zuſammen, daß er ſich dieſem gegenüber bei ſeinen Reiſen oft recht einfältig benimmt; erfährt er aber Nachſtellungen, ſo beweiſt auch er, daß er gerade verſtändig genug iſt. Er flieht dann vor dem Menſchen ebenſo ängſtlich, wie vor andern, ihm von jeher wohl bekannten Fein- den, z. B. Raubſäugethieren und Raubvögeln Ueber das Brutgeſchäft ſind noch wenige Beobachtungen angeſtellt worden. Es gehört zu den größten Seltenheiten, wenn ein Nußknackerpaar in den uns zugänglichen Wäldern brütet, und noch ſeltener wird auch hier das Neſt gefunden. Die eigentlichen Brutplätze des Vogels ſind eben die Waldungen ſeiner wahren Heimat, Dickichte, welche kaum im Sommer begangen werden können, noch viel weniger aber, wenn der Nußknacker zur Fortpflanzung ſchreitet. Nach Schütt’s Erfahrungen werden die Neſter ſchon Anfangs März gebaut und in der letzten Hälfte des Monats bereits die Eier gelegt. Um dieſe Zeit aber ſind die Waldungen des Gebirges ebenſo wie die nordiſchen Wälder noch im fußtiefen Schnee, ſo zu ſagen, begraben und ſchwer oder nicht zugänglich. Der Forſcher muß alſo einen ſchneearmen Frühling abwarten, bevor er überhaupt daran denken kann, ein Nußknackerneſt ſuchen zu wollen; aber auch dann iſt es immer noch ſehr ſchwierig, das Neſt zu finden. Mein Vater erfuhr, daß im Voigtlande ein Nußknackerneſt in einem hohlen Baume gefunden worden ſei; die neueren Forſcher ſtimmen darin überein, daß es frei auf Bäumen angelegt wird und dem Neſte unſeres Hehers ähnelt. Es beſteht, nach Schütt, äußerlich aus ſchwachen dürren Tannen- reiſern und iſt mit grünen Tannenzweigen durchflochten, vielleicht der Ausſchmückung wegen. Mos, zarte Baumrinden und Baſt folgen auf die äußerſte Lage; Bartflechten, Baſt und dürre Grashalme bilden die ſchön gewölbte und ausgerundete Neſtmulde. Die Eier ſind auf blaßgrünbläulichem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/394>, abgerufen am 23.11.2024.