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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Blauheher.
wärts bekannt und überall gemein, in den meisten Gegenden Standvogel, nur in den nördlichen
Staaten Strich- oder Wandervogel. Sein Leben ist mehr oder weniger das unseres Eichelhehers,
welchen wir bald kennen lernen werden. Er bevorzugt die dichten und mittelhohen Wälder, ohne
jedoch die hochstämmigen zu meiden; er kommt gelegentlich in die Fruchtgärten herein, schweift bestän-
dig von einem Orte zum andern, ist auf Alles aufmerksam, warnt durch lautes Schreien andere Vögel
und selbst Säugethiere, ahmt verschiedene Stimmen nach, raubt nach Verhältniß seiner Größe im
weitesten Umfange, kurz er ist eben in jeder Hinsicht ein ebenbürtiger Vertreter seines deutschen Ver-
wandten.

Die amerikanischen Forscher geben ausführliche Nachrichten über seine Lebensweise und theilen
manche ergötzliche Geschichte mit. Wilson nennt ihn den Trompeter unter den Vögeln, weil er, sowie
er etwas Verdächtiges sieht, unter den sonderbarsten Bewegungen aus vollem Halse schreit und alle
andern Vögel dadurch warnt. Sein Geschrei klingt nach Gerhardt wie "Titullihtu und göck-
göck";
der gewöhnliche Ruf ein schallendes "Käh". Gerhardt erwähnt, daß er die Stimme des
rothschwänzigen Bussards, Audubon, daß er den Schrei des Sperlingsfalken aufs täu-
schendste nachahmt und alle kleinen Vögel der Nachbarschaft dadurch erschreckt, daß er ferner, wenn er
einen Fuchs oder ein Schupp oder ein anderes Raubthier entdeckt hat, dieses Ereigniß der ganzen
Vogelwelt anzeigt, jeden andern Heher der Nachbarschaft und alle Krähen herbeiruft und dadurch die
Raubthiere aufs äußerste ärgert. Eulen gegenüber benimmt er sich ähnlich: er plagt sie so, daß sie
so eilig als möglich ihr Heil in der Flucht suchen müssen. Dagegen ist er selbst ein sehr gefräßiger
und schädlicher Raubvogel. Er plündert rücksichtslos alle Nester aus, welche er finden kann, frißt die
Eier und die Jungen auf und greift sogar verwundete Vögel von bedeutender Größe oder wehrhafte
Säugethiere an. Alle Arten von Fleisch, alle Kerbthiere, Sämereien u. dgl. bilden seine Nahrung.
Er ist, wie Audubon sagt, mehr herrschsüchtig, als muthig. Er bedroht die Schwachen, fürchtet die
Starken und flieht selbst vor gleich Starken. Dabei ist er listig im höchsten Grade, verschlagen und
tückisch. Deshalb hassen ihn denn auch die meisten Vögel und beweisen große Angst, wenn er sich
ihren Nestern nähert. Drosseln u. dgl. vertreiben ihn, wenn sie ihn gewahren; er aber benutzt ihre
Abwesenheit, stiehlt sich sacht herbei und frißt die Eier oder zerfleischt die Jungen. "Jch habe ihn",
sagt Audubon, "einen ganzen Tag lang von dem einen Neste zu dem andern fliegen sehen und
beobachtet, daß er dieselben mit derselben Regelmäßigkeit besuchte, wie ein Arzt, welcher von einem
seiner Kranken zu dem andern geht. Dies geschah einzig und allein in der Absicht, um die Eier aus-
zutrinken. Auf junge Küchlein machte er wiederholte Angriffe, ward aber von der Glucke zurück-
gescheucht."

Jm Herbst erscheint er scharenweise auf Ahorn-, Eich- und ähnlichen Bäumen, um von deren
Früchten zu schmausen, füllt sich dort die Kehle an und trägt auch wohl Massen der Körner oder
Eicheln an bestimmten Plätzen zusammen, in der Absicht, im Winter von ihnen zu schmausen. Dabei
befördert er allerdings die Besamung der Wälder; doch ist dieser Nutzen wohl kaum hoch anzuschlagen.

Je nach der Gegend brütet er ein- oder zweimal im Jahre. Sein Nest wird aus Zweigen und
andern dürren Stoffen aufgebaut und innen mit zarten Wurzeln ausgelegt. Vier bis fünf Eier, welche
auf olivenbraunem Grunde mit dunkeln Flecken bezeichnet sind, bilden das Gelege. Das Männchen
hütet sich, während das Weibchen brütet, das Nest zu verrathen; es ist still und lautlos und macht seine
Besuche so heimlich, als möglich. Die Jungen werden vorzugsweise mit Kerbthieren groß gefüttert.

Jung aus dem Neste genommene Blauheher werden bald zahm, müssen jedoch abgesondert im
Bauer gehalten werden, weil sie andere Vögel blutgierig überfallen und tödten. Ein Gefangener,
welcher in einem Gesellschaftsbauer gehalten wurde, vernichtete nach und nach die sämmtliche Mit-
bewohnerschaft desselben. Auch alte Vögel dieser Art gewöhnen sich leicht an den Verlust ihrer Frei-
heit. Audubon erzählt, daß er einmal gegen dreißig habe fangen lassen, in der Absicht, sie mit
sich nach Europa zu nehmen und ihnen hier die Freiheit zu geben. Die Vögel wurden in gewöhn-
lichen Fallen, welche mit Mais geködert waren, berückt und dem Forscher gebracht, sowie sie sich

Blauheher.
wärts bekannt und überall gemein, in den meiſten Gegenden Standvogel, nur in den nördlichen
Staaten Strich- oder Wandervogel. Sein Leben iſt mehr oder weniger das unſeres Eichelhehers,
welchen wir bald kennen lernen werden. Er bevorzugt die dichten und mittelhohen Wälder, ohne
jedoch die hochſtämmigen zu meiden; er kommt gelegentlich in die Fruchtgärten herein, ſchweift beſtän-
dig von einem Orte zum andern, iſt auf Alles aufmerkſam, warnt durch lautes Schreien andere Vögel
und ſelbſt Säugethiere, ahmt verſchiedene Stimmen nach, raubt nach Verhältniß ſeiner Größe im
weiteſten Umfange, kurz er iſt eben in jeder Hinſicht ein ebenbürtiger Vertreter ſeines deutſchen Ver-
wandten.

Die amerikaniſchen Forſcher geben ausführliche Nachrichten über ſeine Lebensweiſe und theilen
manche ergötzliche Geſchichte mit. Wilſon nennt ihn den Trompeter unter den Vögeln, weil er, ſowie
er etwas Verdächtiges ſieht, unter den ſonderbarſten Bewegungen aus vollem Halſe ſchreit und alle
andern Vögel dadurch warnt. Sein Geſchrei klingt nach Gerhardt wie „Titullihtu und göck-
göck‟;
der gewöhnliche Ruf ein ſchallendes „Käh‟. Gerhardt erwähnt, daß er die Stimme des
rothſchwänzigen Buſſards, Audubon, daß er den Schrei des Sperlingsfalken aufs täu-
ſchendſte nachahmt und alle kleinen Vögel der Nachbarſchaft dadurch erſchreckt, daß er ferner, wenn er
einen Fuchs oder ein Schupp oder ein anderes Raubthier entdeckt hat, dieſes Ereigniß der ganzen
Vogelwelt anzeigt, jeden andern Heher der Nachbarſchaft und alle Krähen herbeiruft und dadurch die
Raubthiere aufs äußerſte ärgert. Eulen gegenüber benimmt er ſich ähnlich: er plagt ſie ſo, daß ſie
ſo eilig als möglich ihr Heil in der Flucht ſuchen müſſen. Dagegen iſt er ſelbſt ein ſehr gefräßiger
und ſchädlicher Raubvogel. Er plündert rückſichtslos alle Neſter aus, welche er finden kann, frißt die
Eier und die Jungen auf und greift ſogar verwundete Vögel von bedeutender Größe oder wehrhafte
Säugethiere an. Alle Arten von Fleiſch, alle Kerbthiere, Sämereien u. dgl. bilden ſeine Nahrung.
Er iſt, wie Audubon ſagt, mehr herrſchſüchtig, als muthig. Er bedroht die Schwachen, fürchtet die
Starken und flieht ſelbſt vor gleich Starken. Dabei iſt er liſtig im höchſten Grade, verſchlagen und
tückiſch. Deshalb haſſen ihn denn auch die meiſten Vögel und beweiſen große Angſt, wenn er ſich
ihren Neſtern nähert. Droſſeln u. dgl. vertreiben ihn, wenn ſie ihn gewahren; er aber benutzt ihre
Abweſenheit, ſtiehlt ſich ſacht herbei und frißt die Eier oder zerfleiſcht die Jungen. „Jch habe ihn‟,
ſagt Audubon, „einen ganzen Tag lang von dem einen Neſte zu dem andern fliegen ſehen und
beobachtet, daß er dieſelben mit derſelben Regelmäßigkeit beſuchte, wie ein Arzt, welcher von einem
ſeiner Kranken zu dem andern geht. Dies geſchah einzig und allein in der Abſicht, um die Eier aus-
zutrinken. Auf junge Küchlein machte er wiederholte Angriffe, ward aber von der Glucke zurück-
geſcheucht.‟

Jm Herbſt erſcheint er ſcharenweiſe auf Ahorn-, Eich- und ähnlichen Bäumen, um von deren
Früchten zu ſchmauſen, füllt ſich dort die Kehle an und trägt auch wohl Maſſen der Körner oder
Eicheln an beſtimmten Plätzen zuſammen, in der Abſicht, im Winter von ihnen zu ſchmauſen. Dabei
befördert er allerdings die Beſamung der Wälder; doch iſt dieſer Nutzen wohl kaum hoch anzuſchlagen.

Je nach der Gegend brütet er ein- oder zweimal im Jahre. Sein Neſt wird aus Zweigen und
andern dürren Stoffen aufgebaut und innen mit zarten Wurzeln ausgelegt. Vier bis fünf Eier, welche
auf olivenbraunem Grunde mit dunkeln Flecken bezeichnet ſind, bilden das Gelege. Das Männchen
hütet ſich, während das Weibchen brütet, das Neſt zu verrathen; es iſt ſtill und lautlos und macht ſeine
Beſuche ſo heimlich, als möglich. Die Jungen werden vorzugsweiſe mit Kerbthieren groß gefüttert.

Jung aus dem Neſte genommene Blauheher werden bald zahm, müſſen jedoch abgeſondert im
Bauer gehalten werden, weil ſie andere Vögel blutgierig überfallen und tödten. Ein Gefangener,
welcher in einem Geſellſchaftsbauer gehalten wurde, vernichtete nach und nach die ſämmtliche Mit-
bewohnerſchaft deſſelben. Auch alte Vögel dieſer Art gewöhnen ſich leicht an den Verluſt ihrer Frei-
heit. Audubon erzählt, daß er einmal gegen dreißig habe fangen laſſen, in der Abſicht, ſie mit
ſich nach Europa zu nehmen und ihnen hier die Freiheit zu geben. Die Vögel wurden in gewöhn-
lichen Fallen, welche mit Mais geködert waren, berückt und dem Forſcher gebracht, ſowie ſie ſich

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[377/0405] Blauheher. wärts bekannt und überall gemein, in den meiſten Gegenden Standvogel, nur in den nördlichen Staaten Strich- oder Wandervogel. Sein Leben iſt mehr oder weniger das unſeres Eichelhehers, welchen wir bald kennen lernen werden. Er bevorzugt die dichten und mittelhohen Wälder, ohne jedoch die hochſtämmigen zu meiden; er kommt gelegentlich in die Fruchtgärten herein, ſchweift beſtän- dig von einem Orte zum andern, iſt auf Alles aufmerkſam, warnt durch lautes Schreien andere Vögel und ſelbſt Säugethiere, ahmt verſchiedene Stimmen nach, raubt nach Verhältniß ſeiner Größe im weiteſten Umfange, kurz er iſt eben in jeder Hinſicht ein ebenbürtiger Vertreter ſeines deutſchen Ver- wandten. Die amerikaniſchen Forſcher geben ausführliche Nachrichten über ſeine Lebensweiſe und theilen manche ergötzliche Geſchichte mit. Wilſon nennt ihn den Trompeter unter den Vögeln, weil er, ſowie er etwas Verdächtiges ſieht, unter den ſonderbarſten Bewegungen aus vollem Halſe ſchreit und alle andern Vögel dadurch warnt. Sein Geſchrei klingt nach Gerhardt wie „Titullihtu und göck- göck‟; der gewöhnliche Ruf ein ſchallendes „Käh‟. Gerhardt erwähnt, daß er die Stimme des rothſchwänzigen Buſſards, Audubon, daß er den Schrei des Sperlingsfalken aufs täu- ſchendſte nachahmt und alle kleinen Vögel der Nachbarſchaft dadurch erſchreckt, daß er ferner, wenn er einen Fuchs oder ein Schupp oder ein anderes Raubthier entdeckt hat, dieſes Ereigniß der ganzen Vogelwelt anzeigt, jeden andern Heher der Nachbarſchaft und alle Krähen herbeiruft und dadurch die Raubthiere aufs äußerſte ärgert. Eulen gegenüber benimmt er ſich ähnlich: er plagt ſie ſo, daß ſie ſo eilig als möglich ihr Heil in der Flucht ſuchen müſſen. Dagegen iſt er ſelbſt ein ſehr gefräßiger und ſchädlicher Raubvogel. Er plündert rückſichtslos alle Neſter aus, welche er finden kann, frißt die Eier und die Jungen auf und greift ſogar verwundete Vögel von bedeutender Größe oder wehrhafte Säugethiere an. Alle Arten von Fleiſch, alle Kerbthiere, Sämereien u. dgl. bilden ſeine Nahrung. Er iſt, wie Audubon ſagt, mehr herrſchſüchtig, als muthig. Er bedroht die Schwachen, fürchtet die Starken und flieht ſelbſt vor gleich Starken. Dabei iſt er liſtig im höchſten Grade, verſchlagen und tückiſch. Deshalb haſſen ihn denn auch die meiſten Vögel und beweiſen große Angſt, wenn er ſich ihren Neſtern nähert. Droſſeln u. dgl. vertreiben ihn, wenn ſie ihn gewahren; er aber benutzt ihre Abweſenheit, ſtiehlt ſich ſacht herbei und frißt die Eier oder zerfleiſcht die Jungen. „Jch habe ihn‟, ſagt Audubon, „einen ganzen Tag lang von dem einen Neſte zu dem andern fliegen ſehen und beobachtet, daß er dieſelben mit derſelben Regelmäßigkeit beſuchte, wie ein Arzt, welcher von einem ſeiner Kranken zu dem andern geht. Dies geſchah einzig und allein in der Abſicht, um die Eier aus- zutrinken. Auf junge Küchlein machte er wiederholte Angriffe, ward aber von der Glucke zurück- geſcheucht.‟ Jm Herbſt erſcheint er ſcharenweiſe auf Ahorn-, Eich- und ähnlichen Bäumen, um von deren Früchten zu ſchmauſen, füllt ſich dort die Kehle an und trägt auch wohl Maſſen der Körner oder Eicheln an beſtimmten Plätzen zuſammen, in der Abſicht, im Winter von ihnen zu ſchmauſen. Dabei befördert er allerdings die Beſamung der Wälder; doch iſt dieſer Nutzen wohl kaum hoch anzuſchlagen. Je nach der Gegend brütet er ein- oder zweimal im Jahre. Sein Neſt wird aus Zweigen und andern dürren Stoffen aufgebaut und innen mit zarten Wurzeln ausgelegt. Vier bis fünf Eier, welche auf olivenbraunem Grunde mit dunkeln Flecken bezeichnet ſind, bilden das Gelege. Das Männchen hütet ſich, während das Weibchen brütet, das Neſt zu verrathen; es iſt ſtill und lautlos und macht ſeine Beſuche ſo heimlich, als möglich. Die Jungen werden vorzugsweiſe mit Kerbthieren groß gefüttert. Jung aus dem Neſte genommene Blauheher werden bald zahm, müſſen jedoch abgeſondert im Bauer gehalten werden, weil ſie andere Vögel blutgierig überfallen und tödten. Ein Gefangener, welcher in einem Geſellſchaftsbauer gehalten wurde, vernichtete nach und nach die ſämmtliche Mit- bewohnerſchaft deſſelben. Auch alte Vögel dieſer Art gewöhnen ſich leicht an den Verluſt ihrer Frei- heit. Audubon erzählt, daß er einmal gegen dreißig habe fangen laſſen, in der Abſicht, ſie mit ſich nach Europa zu nehmen und ihnen hier die Freiheit zu geben. Die Vögel wurden in gewöhn- lichen Fallen, welche mit Mais geködert waren, berückt und dem Forſcher gebracht, ſowie ſie ſich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/405>, abgerufen am 22.11.2024.