Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Reihe.
Fänger (Captantes).


Wollten wir bei den Vögeln in demselben Sinne von Raubthieren sprechen, wie wir es bei den
Säugethieren gethan haben, so würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen.
Es ist bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es
durchaus verschmähen, von thierischen Stoffen sich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klassen der Wirbel-
thiere ist Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach sind Raubthiere, und gerade
diejenigen, welche wir als die harmlosesten anzusehen gewohnt sind, unsere Singvögel, leben fast aus-
schließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet ist
es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff "Raubthier" auf eine einzige Ordnung zu
beschränken; wir nehmen sogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln sprechen,
obwohl sie sich ausschließlich fast von Wirbelthieren ernähren. Jch lasse es dahin gestellt sein, ob eine
so milde Beurtheilung der räuberischen Thätigkeit der Vögel sich auf die Liebe zu den gefiederten
Geschöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigstens die
kleinen gefiederten Räuber uns leisten.

Die räuberische Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier
als Ordnungen ansehen wollen, so auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erscheinen kann, sie in einer
besonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieselbe einzuschließenden Vögel nähren sich, wenn auch
nicht ausschließlich, so doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweise, zeitweilig oder
nebenbei, von Früchten. Sie stellen den von ihnen befehdeten Geschöpfen mit großem Eifer nach und
verfolgen sie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der
Bäume oder selbst im Wasser; sie tödten sie, nachdem sie dieselben ergriffen haben oder nehmen die
von ihnen aufgefundenen Leichen in Besitz: sie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub-
säugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubsäugethiere ebenfalls
thun, und so haben wir noch eine Berechtigung mehr, unsere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu
vergleichen.

Die Reihe der Fänger begreift in sich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen
Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel.
Jede dieser Ordnungen behauptet selbstverständlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtschaft
aller Ordnungen unter sich ist jedoch eine sehr enge, obgleich Dies erst dann bemerklich werden dürfte,
nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich
übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieses Ganze als eine allseitig abgeschlossene Abtheilung der Klasse
zu betrachten. Die durchgehende Uebereinstimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner

Zweite Reihe.
Fänger (Captantes).


Wollten wir bei den Vögeln in demſelben Sinne von Raubthieren ſprechen, wie wir es bei den
Säugethieren gethan haben, ſo würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen.
Es iſt bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es
durchaus verſchmähen, von thieriſchen Stoffen ſich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klaſſen der Wirbel-
thiere iſt Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach ſind Raubthiere, und gerade
diejenigen, welche wir als die harmloſeſten anzuſehen gewohnt ſind, unſere Singvögel, leben faſt aus-
ſchließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet iſt
es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff „Raubthier‟ auf eine einzige Ordnung zu
beſchränken; wir nehmen ſogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln ſprechen,
obwohl ſie ſich ausſchließlich faſt von Wirbelthieren ernähren. Jch laſſe es dahin geſtellt ſein, ob eine
ſo milde Beurtheilung der räuberiſchen Thätigkeit der Vögel ſich auf die Liebe zu den gefiederten
Geſchöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigſtens die
kleinen gefiederten Räuber uns leiſten.

Die räuberiſche Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier
als Ordnungen anſehen wollen, ſo auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erſcheinen kann, ſie in einer
beſonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieſelbe einzuſchließenden Vögel nähren ſich, wenn auch
nicht ausſchließlich, ſo doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweiſe, zeitweilig oder
nebenbei, von Früchten. Sie ſtellen den von ihnen befehdeten Geſchöpfen mit großem Eifer nach und
verfolgen ſie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der
Bäume oder ſelbſt im Waſſer; ſie tödten ſie, nachdem ſie dieſelben ergriffen haben oder nehmen die
von ihnen aufgefundenen Leichen in Beſitz: ſie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub-
ſäugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubſäugethiere ebenfalls
thun, und ſo haben wir noch eine Berechtigung mehr, unſere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu
vergleichen.

Die Reihe der Fänger begreift in ſich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen
Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel.
Jede dieſer Ordnungen behauptet ſelbſtverſtändlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtſchaft
aller Ordnungen unter ſich iſt jedoch eine ſehr enge, obgleich Dies erſt dann bemerklich werden dürfte,
nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich
übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieſes Ganze als eine allſeitig abgeſchloſſene Abtheilung der Klaſſe
zu betrachten. Die durchgehende Uebereinſtimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0428" n="[400]"/>
      <div n="1">
        <head>Zweite Reihe.<lb/><hi rendition="#g"><hi rendition="#b">Fänger</hi> (<hi rendition="#aq">Captantes</hi>).</hi></head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Wollten wir bei den Vögeln in dem&#x017F;elben Sinne von Raubthieren &#x017F;prechen, wie wir es bei den<lb/>
Säugethieren gethan haben, &#x017F;o würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen.<lb/>
Es i&#x017F;t bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es<lb/>
durchaus ver&#x017F;chmähen, von thieri&#x017F;chen Stoffen &#x017F;ich zu ernähren; denn bei allen übrigen Kla&#x017F;&#x017F;en der Wirbel-<lb/>
thiere i&#x017F;t Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach &#x017F;ind Raubthiere, und gerade<lb/>
diejenigen, welche wir als die harmlo&#x017F;e&#x017F;ten anzu&#x017F;ehen gewohnt &#x017F;ind, un&#x017F;ere Singvögel, leben fa&#x017F;t aus-<lb/>
&#x017F;chließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet i&#x017F;t<lb/>
es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff &#x201E;Raubthier&#x201F; auf eine einzige Ordnung zu<lb/>
be&#x017F;chränken; wir nehmen &#x017F;ogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln &#x017F;prechen,<lb/>
obwohl &#x017F;ie &#x017F;ich aus&#x017F;chließlich fa&#x017F;t von Wirbelthieren ernähren. Jch la&#x017F;&#x017F;e es dahin ge&#x017F;tellt &#x017F;ein, ob eine<lb/>
&#x017F;o milde Beurtheilung der räuberi&#x017F;chen Thätigkeit der Vögel &#x017F;ich auf die Liebe zu den gefiederten<lb/>
Ge&#x017F;chöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenig&#x017F;tens die<lb/>
kleinen gefiederten Räuber uns lei&#x017F;ten.</p><lb/>
        <p>Die räuberi&#x017F;che Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier<lb/>
als Ordnungen an&#x017F;ehen wollen, &#x017F;o auffallend hervor, daß es gerechtfertigt er&#x017F;cheinen kann, &#x017F;ie in einer<lb/>
be&#x017F;onderen Reihe zu vereinigen. Alle die in die&#x017F;elbe einzu&#x017F;chließenden Vögel nähren &#x017F;ich, wenn auch<lb/>
nicht aus&#x017F;chließlich, &#x017F;o doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmswei&#x017F;e, zeitweilig oder<lb/>
nebenbei, von Früchten. Sie &#x017F;tellen den von ihnen befehdeten Ge&#x017F;chöpfen mit großem Eifer nach und<lb/>
verfolgen &#x017F;ie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der<lb/>
Bäume oder &#x017F;elb&#x017F;t im Wa&#x017F;&#x017F;er; &#x017F;ie tödten &#x017F;ie, nachdem &#x017F;ie die&#x017F;elben ergriffen haben oder nehmen die<lb/>
von ihnen aufgefundenen Leichen in Be&#x017F;itz: &#x017F;ie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub-<lb/>
&#x017F;äugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raub&#x017F;äugethiere ebenfalls<lb/>
thun, und &#x017F;o haben wir noch eine Berechtigung mehr, un&#x017F;ere <hi rendition="#g">Fänger</hi> mit den vierfüßigen Räubern zu<lb/>
vergleichen.</p><lb/>
        <p>Die Reihe der Fänger begreift in &#x017F;ich die Ordnung der <hi rendition="#g">Raubvögel</hi> im allgemein giltigen<lb/>
Sinne, die Ordnung der <hi rendition="#g">Sperr-</hi> oder <hi rendition="#g">Schwalbenvögel</hi> und die Ordnung der <hi rendition="#g">Singvögel.</hi><lb/>
Jede die&#x017F;er Ordnungen behauptet &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandt&#x017F;chaft<lb/>
aller Ordnungen unter &#x017F;ich i&#x017F;t jedoch eine &#x017F;ehr enge, obgleich Dies er&#x017F;t dann bemerklich werden dürfte,<lb/>
nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich<lb/>
übrigens, daß ich weit entfernt bin, die&#x017F;es Ganze als eine all&#x017F;eitig abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Abtheilung der Kla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu betrachten. Die durchgehende Ueberein&#x017F;timmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[400]/0428] Zweite Reihe. Fänger (Captantes). Wollten wir bei den Vögeln in demſelben Sinne von Raubthieren ſprechen, wie wir es bei den Säugethieren gethan haben, ſo würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen. Es iſt bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es durchaus verſchmähen, von thieriſchen Stoffen ſich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klaſſen der Wirbel- thiere iſt Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach ſind Raubthiere, und gerade diejenigen, welche wir als die harmloſeſten anzuſehen gewohnt ſind, unſere Singvögel, leben faſt aus- ſchließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet iſt es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff „Raubthier‟ auf eine einzige Ordnung zu beſchränken; wir nehmen ſogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln ſprechen, obwohl ſie ſich ausſchließlich faſt von Wirbelthieren ernähren. Jch laſſe es dahin geſtellt ſein, ob eine ſo milde Beurtheilung der räuberiſchen Thätigkeit der Vögel ſich auf die Liebe zu den gefiederten Geſchöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigſtens die kleinen gefiederten Räuber uns leiſten. Die räuberiſche Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier als Ordnungen anſehen wollen, ſo auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erſcheinen kann, ſie in einer beſonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieſelbe einzuſchließenden Vögel nähren ſich, wenn auch nicht ausſchließlich, ſo doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweiſe, zeitweilig oder nebenbei, von Früchten. Sie ſtellen den von ihnen befehdeten Geſchöpfen mit großem Eifer nach und verfolgen ſie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der Bäume oder ſelbſt im Waſſer; ſie tödten ſie, nachdem ſie dieſelben ergriffen haben oder nehmen die von ihnen aufgefundenen Leichen in Beſitz: ſie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub- ſäugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubſäugethiere ebenfalls thun, und ſo haben wir noch eine Berechtigung mehr, unſere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu vergleichen. Die Reihe der Fänger begreift in ſich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel. Jede dieſer Ordnungen behauptet ſelbſtverſtändlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtſchaft aller Ordnungen unter ſich iſt jedoch eine ſehr enge, obgleich Dies erſt dann bemerklich werden dürfte, nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieſes Ganze als eine allſeitig abgeſchloſſene Abtheilung der Klaſſe zu betrachten. Die durchgehende Uebereinſtimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/428
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. [400]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/428>, abgerufen am 22.11.2024.