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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Zwergadler. Keilschwanzadler.

Ein unserm Stein- oder Goldadler vollkommen ebenbürtiger Raubvogel bewohnt Australien.
Er steht den eigentlichen Edeladlern in Gestalt und Färbung sehr nahe, unterscheidet sich aber durch
seinen gestreckten, aber doch kräftigen Schnabel, seinen langen, stark abgestuften Schwanz und die
langen Federn am Hinterhalse von ihnen, sowie von den übrigen Arten der Familie und ist deshalb
zum Vertreter einer eigenen Sippe erhoben worden, welche Kaup Bussardfalkenadler
(Uroaetus) genannt hat.

Der Keilschwanzadler (Uroaetus audax) ist 3 Fuß 1 Zoll lang und bis 6 Fuß 8 Zoll breit.
Der Kopf, die Gurgelgegend und die Ober- und Unterseite sind schwärzlichbraun, die Federn an den
Rändern und an der Spitze blaßbraun, namentlich die des Flügels und der Oberschwanzdecke; der
Rücken und die Halsseiten sind rostfarbig. Das Auge ist nußbraun, die Wachshaut und ein nackter
Streifen um das Auge sind gelblichweiß, der Schnabel an der Wurzel ist gelblichhornfarben, an der
Spitze gelb, der Fuß hellgelb. Bisher hat man nur diese eine Art der Keilschwanzadler gekannt; es
scheint jedoch, als ob Australien deren mindestens zwei beherberge, eine, welche gedrungener gebaut und
dunkler gefärbt ist als die andere, welche sich durch Schlankheit und lichte Färbung auszeichnet.
Nach den Beobachtungen des "alten Buschmann" ist die dunkle Art oder Abart seltener als die
andere, jedoch ebenso weit verbreitet.

Beide Arten oder Abarten bewohnen ganz Australien und sind nirgends selten. Man findet sie
ebensowohl im tiefen Walde, als in den Ebenen, paarweise und in Gesellschaften. Am häufigsten
sind sie in den Kängurugründen: hier konnte der "alte Buschmann" im Laufe eines Winters über ein
Dutzend Stück erlegen. "Alles, was die Schriststeller von dem Muthe, der Kraft und der Raubsucht
des Steinadlers erzählen", sagt Gould, "paßt auch auf den Keilschwanzadler. Er raubt alle kleinen
Arten von Kängurus, welche sich auf den Ebenen und offenen Hügeln vorfinden, bewältigt den edeln
Trappen und ist der größte Feind der Schafherden, welche schreckliche Niederlagen von ihnen
erleiden." Die großen Kängurus vermag er nicht zu bewältigen, wohl aber die Jungen. Er weiß
sich sogar derer zu bemächtigen, welche noch im Beutel der Mutter sich befinden. "Einst", erzählt der
"alte Buschmann", "beobachtete ich einen Keilschwanzadler, wie er ein Mutterkängurn mit dem
Jungen im Beutel durch den Wald jagte. Der schlaue Vogel verfolgte sein Wild auf Schritt und
Tritt. Er wagte es nicht, das Mutterthier anzugreifen, wußte aber sehr wohl, daß, sobald es
erschöpft, sein Junges von sich werfen und ihm zur Beute überliefern würde."

Auf das Aas fällt der Keilschwanzadler mit der Gier der in Australien fehlenden Geier.
Gould sah ihrer dreißig bis vierzig auf dem Leichnam eines großen Ochsen versammelt. Einige
bereits Vollgefressene saßen auf den benachbarten Bäumen; die übrigen feierten noch ihr Mahl. Den
Kängurujägern folgt der Keilschwanzadler meilenweit und tagelang nach, nachdem er in Erfahrung
gebracht, daß bei ihren Jagden für ihn immer Etwas abfällt. Er ist der Schrecken des Waldes wie
der Ebene, in den Augen der Viehzüchter eine entsetzliche Landplage.

Der Horst wird auf den unzugänglichsten Bäumen angelegt, nicht immer hoch über dem Boden,
aber regelmäßig so, daß er fast unersteiglich ist. Seine Größe schwankt beträchtlich; denn wie es
scheint, benutzt ein Paar den alten Horst wiederholt und vergrößert ihn durch jährliche Ausbesserungen.
Die Unterlage besteht aus starken Aststücken, der Mittelbau aus schwächeren; die Nestmulde ist mit
feinen Zweigen und Gras belegt. Nach Ramsay fällt die Brutzeit in unsere letzten Sommer-
monate; man findet gewöhnlich im August die zwei runden, rauhschaligen Eier, welche 3 Zoll lang
und an der dicksten Stelle 2 3/8 Zoll stark und auf weißem Grunde mehr oder minder mit roströthlichen,
hellgelblichbraunen und röthlichblauen Punkten und Flecken bedeckt sind. Jn vielen Waldungen sieht
man eine Menge von unbewohnten Horsten als zurückgebliebene Wahrzeichen aus jenen Tagen, in
welchen diese Waldungen der Fuß des weißen Mannes noch nicht betreten hatte.

Der Keilschwanzadler ist namentlich bei dem Aase leicht zu erlegen und noch leichter in Fallen
aller Art zu fangen. Er wird auch von den Eingebornen oft jung aus dem Neste gehoben, in den
Küstenstädten aufgezogen und dann nach Europa gesendet. Jn unsern Thiergärten ist er eine

Zwergadler. Keilſchwanzadler.

Ein unſerm Stein- oder Goldadler vollkommen ebenbürtiger Raubvogel bewohnt Auſtralien.
Er ſteht den eigentlichen Edeladlern in Geſtalt und Färbung ſehr nahe, unterſcheidet ſich aber durch
ſeinen geſtreckten, aber doch kräftigen Schnabel, ſeinen langen, ſtark abgeſtuften Schwanz und die
langen Federn am Hinterhalſe von ihnen, ſowie von den übrigen Arten der Familie und iſt deshalb
zum Vertreter einer eigenen Sippe erhoben worden, welche Kaup Buſſardfalkenadler
(Uroaëtus) genannt hat.

Der Keilſchwanzadler (Uroaëtus audax) iſt 3 Fuß 1 Zoll lang und bis 6 Fuß 8 Zoll breit.
Der Kopf, die Gurgelgegend und die Ober- und Unterſeite ſind ſchwärzlichbraun, die Federn an den
Rändern und an der Spitze blaßbraun, namentlich die des Flügels und der Oberſchwanzdecke; der
Rücken und die Halsſeiten ſind roſtfarbig. Das Auge iſt nußbraun, die Wachshaut und ein nackter
Streifen um das Auge ſind gelblichweiß, der Schnabel an der Wurzel iſt gelblichhornfarben, an der
Spitze gelb, der Fuß hellgelb. Bisher hat man nur dieſe eine Art der Keilſchwanzadler gekannt; es
ſcheint jedoch, als ob Auſtralien deren mindeſtens zwei beherberge, eine, welche gedrungener gebaut und
dunkler gefärbt iſt als die andere, welche ſich durch Schlankheit und lichte Färbung auszeichnet.
Nach den Beobachtungen des „alten Buſchmann‟ iſt die dunkle Art oder Abart ſeltener als die
andere, jedoch ebenſo weit verbreitet.

Beide Arten oder Abarten bewohnen ganz Auſtralien und ſind nirgends ſelten. Man findet ſie
ebenſowohl im tiefen Walde, als in den Ebenen, paarweiſe und in Geſellſchaften. Am häufigſten
ſind ſie in den Kängurugründen: hier konnte der „alte Buſchmann‟ im Laufe eines Winters über ein
Dutzend Stück erlegen. „Alles, was die Schriſtſteller von dem Muthe, der Kraft und der Raubſucht
des Steinadlers erzählen‟, ſagt Gould, „paßt auch auf den Keilſchwanzadler. Er raubt alle kleinen
Arten von Kängurus, welche ſich auf den Ebenen und offenen Hügeln vorfinden, bewältigt den edeln
Trappen und iſt der größte Feind der Schafherden, welche ſchreckliche Niederlagen von ihnen
erleiden.‟ Die großen Kängurus vermag er nicht zu bewältigen, wohl aber die Jungen. Er weiß
ſich ſogar derer zu bemächtigen, welche noch im Beutel der Mutter ſich befinden. „Einſt‟, erzählt der
„alte Buſchmann‟, „beobachtete ich einen Keilſchwanzadler, wie er ein Mutterkängurn mit dem
Jungen im Beutel durch den Wald jagte. Der ſchlaue Vogel verfolgte ſein Wild auf Schritt und
Tritt. Er wagte es nicht, das Mutterthier anzugreifen, wußte aber ſehr wohl, daß, ſobald es
erſchöpft, ſein Junges von ſich werfen und ihm zur Beute überliefern würde.‟

Auf das Aas fällt der Keilſchwanzadler mit der Gier der in Auſtralien fehlenden Geier.
Gould ſah ihrer dreißig bis vierzig auf dem Leichnam eines großen Ochſen verſammelt. Einige
bereits Vollgefreſſene ſaßen auf den benachbarten Bäumen; die übrigen feierten noch ihr Mahl. Den
Kängurujägern folgt der Keilſchwanzadler meilenweit und tagelang nach, nachdem er in Erfahrung
gebracht, daß bei ihren Jagden für ihn immer Etwas abfällt. Er iſt der Schrecken des Waldes wie
der Ebene, in den Augen der Viehzüchter eine entſetzliche Landplage.

Der Horſt wird auf den unzugänglichſten Bäumen angelegt, nicht immer hoch über dem Boden,
aber regelmäßig ſo, daß er faſt unerſteiglich iſt. Seine Größe ſchwankt beträchtlich; denn wie es
ſcheint, benutzt ein Paar den alten Horſt wiederholt und vergrößert ihn durch jährliche Ausbeſſerungen.
Die Unterlage beſteht aus ſtarken Aſtſtücken, der Mittelbau aus ſchwächeren; die Neſtmulde iſt mit
feinen Zweigen und Gras belegt. Nach Ramſay fällt die Brutzeit in unſere letzten Sommer-
monate; man findet gewöhnlich im Auguſt die zwei runden, rauhſchaligen Eier, welche 3 Zoll lang
und an der dickſten Stelle 2⅜ Zoll ſtark und auf weißem Grunde mehr oder minder mit roſtröthlichen,
hellgelblichbraunen und röthlichblauen Punkten und Flecken bedeckt ſind. Jn vielen Waldungen ſieht
man eine Menge von unbewohnten Horſten als zurückgebliebene Wahrzeichen aus jenen Tagen, in
welchen dieſe Waldungen der Fuß des weißen Mannes noch nicht betreten hatte.

Der Keilſchwanzadler iſt namentlich bei dem Aaſe leicht zu erlegen und noch leichter in Fallen
aller Art zu fangen. Er wird auch von den Eingebornen oft jung aus dem Neſte gehoben, in den
Küſtenſtädten aufgezogen und dann nach Europa geſendet. Jn unſern Thiergärten iſt er eine

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[459/0491] Zwergadler. Keilſchwanzadler. Ein unſerm Stein- oder Goldadler vollkommen ebenbürtiger Raubvogel bewohnt Auſtralien. Er ſteht den eigentlichen Edeladlern in Geſtalt und Färbung ſehr nahe, unterſcheidet ſich aber durch ſeinen geſtreckten, aber doch kräftigen Schnabel, ſeinen langen, ſtark abgeſtuften Schwanz und die langen Federn am Hinterhalſe von ihnen, ſowie von den übrigen Arten der Familie und iſt deshalb zum Vertreter einer eigenen Sippe erhoben worden, welche Kaup Buſſardfalkenadler (Uroaëtus) genannt hat. Der Keilſchwanzadler (Uroaëtus audax) iſt 3 Fuß 1 Zoll lang und bis 6 Fuß 8 Zoll breit. Der Kopf, die Gurgelgegend und die Ober- und Unterſeite ſind ſchwärzlichbraun, die Federn an den Rändern und an der Spitze blaßbraun, namentlich die des Flügels und der Oberſchwanzdecke; der Rücken und die Halsſeiten ſind roſtfarbig. Das Auge iſt nußbraun, die Wachshaut und ein nackter Streifen um das Auge ſind gelblichweiß, der Schnabel an der Wurzel iſt gelblichhornfarben, an der Spitze gelb, der Fuß hellgelb. Bisher hat man nur dieſe eine Art der Keilſchwanzadler gekannt; es ſcheint jedoch, als ob Auſtralien deren mindeſtens zwei beherberge, eine, welche gedrungener gebaut und dunkler gefärbt iſt als die andere, welche ſich durch Schlankheit und lichte Färbung auszeichnet. Nach den Beobachtungen des „alten Buſchmann‟ iſt die dunkle Art oder Abart ſeltener als die andere, jedoch ebenſo weit verbreitet. Beide Arten oder Abarten bewohnen ganz Auſtralien und ſind nirgends ſelten. Man findet ſie ebenſowohl im tiefen Walde, als in den Ebenen, paarweiſe und in Geſellſchaften. Am häufigſten ſind ſie in den Kängurugründen: hier konnte der „alte Buſchmann‟ im Laufe eines Winters über ein Dutzend Stück erlegen. „Alles, was die Schriſtſteller von dem Muthe, der Kraft und der Raubſucht des Steinadlers erzählen‟, ſagt Gould, „paßt auch auf den Keilſchwanzadler. Er raubt alle kleinen Arten von Kängurus, welche ſich auf den Ebenen und offenen Hügeln vorfinden, bewältigt den edeln Trappen und iſt der größte Feind der Schafherden, welche ſchreckliche Niederlagen von ihnen erleiden.‟ Die großen Kängurus vermag er nicht zu bewältigen, wohl aber die Jungen. Er weiß ſich ſogar derer zu bemächtigen, welche noch im Beutel der Mutter ſich befinden. „Einſt‟, erzählt der „alte Buſchmann‟, „beobachtete ich einen Keilſchwanzadler, wie er ein Mutterkängurn mit dem Jungen im Beutel durch den Wald jagte. Der ſchlaue Vogel verfolgte ſein Wild auf Schritt und Tritt. Er wagte es nicht, das Mutterthier anzugreifen, wußte aber ſehr wohl, daß, ſobald es erſchöpft, ſein Junges von ſich werfen und ihm zur Beute überliefern würde.‟ Auf das Aas fällt der Keilſchwanzadler mit der Gier der in Auſtralien fehlenden Geier. Gould ſah ihrer dreißig bis vierzig auf dem Leichnam eines großen Ochſen verſammelt. Einige bereits Vollgefreſſene ſaßen auf den benachbarten Bäumen; die übrigen feierten noch ihr Mahl. Den Kängurujägern folgt der Keilſchwanzadler meilenweit und tagelang nach, nachdem er in Erfahrung gebracht, daß bei ihren Jagden für ihn immer Etwas abfällt. Er iſt der Schrecken des Waldes wie der Ebene, in den Augen der Viehzüchter eine entſetzliche Landplage. Der Horſt wird auf den unzugänglichſten Bäumen angelegt, nicht immer hoch über dem Boden, aber regelmäßig ſo, daß er faſt unerſteiglich iſt. Seine Größe ſchwankt beträchtlich; denn wie es ſcheint, benutzt ein Paar den alten Horſt wiederholt und vergrößert ihn durch jährliche Ausbeſſerungen. Die Unterlage beſteht aus ſtarken Aſtſtücken, der Mittelbau aus ſchwächeren; die Neſtmulde iſt mit feinen Zweigen und Gras belegt. Nach Ramſay fällt die Brutzeit in unſere letzten Sommer- monate; man findet gewöhnlich im Auguſt die zwei runden, rauhſchaligen Eier, welche 3 Zoll lang und an der dickſten Stelle 2⅜ Zoll ſtark und auf weißem Grunde mehr oder minder mit roſtröthlichen, hellgelblichbraunen und röthlichblauen Punkten und Flecken bedeckt ſind. Jn vielen Waldungen ſieht man eine Menge von unbewohnten Horſten als zurückgebliebene Wahrzeichen aus jenen Tagen, in welchen dieſe Waldungen der Fuß des weißen Mannes noch nicht betreten hatte. Der Keilſchwanzadler iſt namentlich bei dem Aaſe leicht zu erlegen und noch leichter in Fallen aller Art zu fangen. Er wird auch von den Eingebornen oft jung aus dem Neſte gehoben, in den Küſtenſtädten aufgezogen und dann nach Europa geſendet. Jn unſern Thiergärten iſt er eine

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/491>, abgerufen am 22.11.2024.