Seeadlerpaar wohnen bleibt, d. h. seinen Horst auf einem der höchsten Bäume des Waldes gründet. Fernab von größeren Gewäffern scheint Solches nie zu geschehen.
Außer der Brutzeit leben die Seeadler ziemlich gesellig, mehr nach Geier-als nach Adlerart, in der Nähe der Gewässer. Ein günstig gelegener Wald oder ein günstig gelegener Felsen wird zum Vereinigungs- oder Schlafplatze. Jm Hochsommer übernachten sie gern auf kleinen Jnseln, namentlich auf den Scheren, außerdem auf hohen Bäumen in einem Küstenwalde. Schon früh am Morgen, ja bereits in der Morgendämmerung begeben sie sich wieder nach der Seeküste und stellen hier den verschiedenen Meeresvögeln, namentlich den Enten und Alken, sowie verschiedenen Fischen oder Meersäugethieren nach. Die Taucher sind nach Wallengren's Bericht mehr gefährdet, als die nicht tauchenden Vögel. Diese erheben sich beim Anblick des allgefürchteten Räubers so schnell sie können und entweichen, jene vertrauen oft zuviel auf die Wassertiefe, warten den Adler ruhig ab, tauchen und glauben sich gesichert, während der böse Feind doch nur darauf lauert, daß sie wieder zum Vorschein kommen müssen. Sie entrinnen vielleicht zwei-, dreimal der verderben- bringenden Klaue -- beim vierten Auftauchen, wenn sie dem Ersticken nahe, einen Augenblick länger verweilen, als sonst, sind sie gefaßt und wenige Augenblicke später erwürgt. Am Mensalehsee in Unteregypten und in Norwegen habe ich den Seeadler oft beobachtet und immer gesehen, daß Groß und Klein, selbst andere Raubvögel, seine Nähe fürchteten. Jch zweifle auch nicht daran, daß er den Fluß- oder Fischadler, seinen nächsten Verwandten, welchem er oft seine Beute abjagt, ebenso ruhig verzehren würde, wie jedes andere Wild. Mit der Kühnheit und dem Bewußtsein der Kraft dieses Vogels vereinigt sich die größte Hartnäckigkeit. A. von Homeyer beobachtete, daß ein Seeadler wiederholt auf Meister Reinecke stieß, welcher, wie bekannt, seiner Haut sich wohl zu wehren weiß, und derselbe Forscher erfuhr von glaubwürdigen Augenzeugen, daß ein Adler bei einer derartigen Jagd den von ihm erspäheten Fuchs beinahe umbrachte, indem er fortwährend auf ihn stieß, den Bissen des Vierfüßlers geschickt auszuweichen und alle Versuche des Letzteren, den nahen, deckenden Wald zu erreichen, zu vereiteln wußte. Daß die kleineren Herdenthiere aufs höchste durch den Seeadler gefährdet sind, ist eine bekannte Thatsache, daß er Kinder angreift, keinem Zweifel unterworfen. An den Vogelbergen des Nordens findet auch er regelmäßig sich ein und zieht sich mit aller Gelassenheit die Bergvögel aus ihren Nestern hervor. Die Eidergänse fängt er wie oben beschrieben; die jungen Seehunde nimmt er dicht neben ihren Müttern weg; die Fische verfolgt er bis in die Tiefe des Wassers: er arbeitet dann als Stoßtaucher. Zuweilen jedoch mißglücken diese Versuche. Kittlitz hörte von den Bewohnern Kamtschatkas erzählen, daß der Seeadler manchmal von Delfinen, auf welche er gestoßen, in die Wassertiefe hinabgezogen und ertränkt werde und Lenz erzählt Folgendes: "Ein Seeadler schwebte Beute suchend über der Havel und entdeckte einen Stör, auf welchen er sogleich herabschoß; allein der kühne Adler hatte seiner Kraft zuviel zugetraut: der Stör war ihm zu schwer, und es war ihm unmöglich, denselben aus dem Wasser emporzuheben; jedoch war auch der Stör nicht stark genug, den Adler in die Tiefe hinabzuziehen. Er schoß wie ein Pfeil an der Oberfläche des Wassers dahin; auf ihm saß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, so daß beide wie ein Schiff mit Segeln anzusehn waren. Einige Leute bemerkten dies seltne Schauspiel, bestiegen einen Nachen und fingen sowohl den Stör als den Adler, welcher sich so fest in den Fisch eingekrallt hatte, daß er seine Krallen nicht befreien konnte." --
Derartige Fälle mögen wohl noch öfters vorkommen, als man annimmt.
Jn ihren Begabungen stehen die Seeadler übrigens weit hinter den eigentlichen Adlern zurück. Sie bewegen sich auf dem Boden vielleicht geschickter, als diese und beherrschen, wie bemerkt, in gewissem Grade das Wasser; ihr Flug jedoch ist viel langsamer und schwerfälliger, als der der Edeladler. Die Sinne stehen mit denen der eigentlichen Adler ungefähr auf gleicher Höhe. Jn geistiger Hinsicht unterscheiden sie sich zu ihrem Nachtheile. Das wirklich Adlige, welches der Steinadler bekundet, fehlt ihnen: sie sind nicht blos muthig, sondern auch grausam. Jch habe gesehen, daß zwei Bussarde, welche ich zu dem Steinadler in den Käfig brachte, sich auf diesem niederließen und von ihm
Die Fänger. Raubvögel. Adler.
Seeadlerpaar wohnen bleibt, d. h. ſeinen Horſt auf einem der höchſten Bäume des Waldes gründet. Fernab von größeren Gewäffern ſcheint Solches nie zu geſchehen.
Außer der Brutzeit leben die Seeadler ziemlich geſellig, mehr nach Geier-als nach Adlerart, in der Nähe der Gewäſſer. Ein günſtig gelegener Wald oder ein günſtig gelegener Felſen wird zum Vereinigungs- oder Schlafplatze. Jm Hochſommer übernachten ſie gern auf kleinen Jnſeln, namentlich auf den Scheren, außerdem auf hohen Bäumen in einem Küſtenwalde. Schon früh am Morgen, ja bereits in der Morgendämmerung begeben ſie ſich wieder nach der Seeküſte und ſtellen hier den verſchiedenen Meeresvögeln, namentlich den Enten und Alken, ſowie verſchiedenen Fiſchen oder Meerſäugethieren nach. Die Taucher ſind nach Wallengren’s Bericht mehr gefährdet, als die nicht tauchenden Vögel. Dieſe erheben ſich beim Anblick des allgefürchteten Räubers ſo ſchnell ſie können und entweichen, jene vertrauen oft zuviel auf die Waſſertiefe, warten den Adler ruhig ab, tauchen und glauben ſich geſichert, während der böſe Feind doch nur darauf lauert, daß ſie wieder zum Vorſchein kommen müſſen. Sie entrinnen vielleicht zwei-, dreimal der verderben- bringenden Klaue — beim vierten Auftauchen, wenn ſie dem Erſticken nahe, einen Augenblick länger verweilen, als ſonſt, ſind ſie gefaßt und wenige Augenblicke ſpäter erwürgt. Am Menſalehſee in Unteregypten und in Norwegen habe ich den Seeadler oft beobachtet und immer geſehen, daß Groß und Klein, ſelbſt andere Raubvögel, ſeine Nähe fürchteten. Jch zweifle auch nicht daran, daß er den Fluß- oder Fiſchadler, ſeinen nächſten Verwandten, welchem er oft ſeine Beute abjagt, ebenſo ruhig verzehren würde, wie jedes andere Wild. Mit der Kühnheit und dem Bewußtſein der Kraft dieſes Vogels vereinigt ſich die größte Hartnäckigkeit. A. von Homeyer beobachtete, daß ein Seeadler wiederholt auf Meiſter Reinecke ſtieß, welcher, wie bekannt, ſeiner Haut ſich wohl zu wehren weiß, und derſelbe Forſcher erfuhr von glaubwürdigen Augenzeugen, daß ein Adler bei einer derartigen Jagd den von ihm erſpäheten Fuchs beinahe umbrachte, indem er fortwährend auf ihn ſtieß, den Biſſen des Vierfüßlers geſchickt auszuweichen und alle Verſuche des Letzteren, den nahen, deckenden Wald zu erreichen, zu vereiteln wußte. Daß die kleineren Herdenthiere aufs höchſte durch den Seeadler gefährdet ſind, iſt eine bekannte Thatſache, daß er Kinder angreift, keinem Zweifel unterworfen. An den Vogelbergen des Nordens findet auch er regelmäßig ſich ein und zieht ſich mit aller Gelaſſenheit die Bergvögel aus ihren Neſtern hervor. Die Eidergänſe fängt er wie oben beſchrieben; die jungen Seehunde nimmt er dicht neben ihren Müttern weg; die Fiſche verfolgt er bis in die Tiefe des Waſſers: er arbeitet dann als Stoßtaucher. Zuweilen jedoch mißglücken dieſe Verſuche. Kittlitz hörte von den Bewohnern Kamtſchatkas erzählen, daß der Seeadler manchmal von Delfinen, auf welche er geſtoßen, in die Waſſertiefe hinabgezogen und ertränkt werde und Lenz erzählt Folgendes: „Ein Seeadler ſchwebte Beute ſuchend über der Havel und entdeckte einen Stör, auf welchen er ſogleich herabſchoß; allein der kühne Adler hatte ſeiner Kraft zuviel zugetraut: der Stör war ihm zu ſchwer, und es war ihm unmöglich, denſelben aus dem Waſſer emporzuheben; jedoch war auch der Stör nicht ſtark genug, den Adler in die Tiefe hinabzuziehen. Er ſchoß wie ein Pfeil an der Oberfläche des Waſſers dahin; auf ihm ſaß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, ſo daß beide wie ein Schiff mit Segeln anzuſehn waren. Einige Leute bemerkten dies ſeltne Schauſpiel, beſtiegen einen Nachen und fingen ſowohl den Stör als den Adler, welcher ſich ſo feſt in den Fiſch eingekrallt hatte, daß er ſeine Krallen nicht befreien konnte.‟ —
Derartige Fälle mögen wohl noch öfters vorkommen, als man annimmt.
Jn ihren Begabungen ſtehen die Seeadler übrigens weit hinter den eigentlichen Adlern zurück. Sie bewegen ſich auf dem Boden vielleicht geſchickter, als dieſe und beherrſchen, wie bemerkt, in gewiſſem Grade das Waſſer; ihr Flug jedoch iſt viel langſamer und ſchwerfälliger, als der der Edeladler. Die Sinne ſtehen mit denen der eigentlichen Adler ungefähr auf gleicher Höhe. Jn geiſtiger Hinſicht unterſcheiden ſie ſich zu ihrem Nachtheile. Das wirklich Adlige, welches der Steinadler bekundet, fehlt ihnen: ſie ſind nicht blos muthig, ſondern auch grauſam. Jch habe geſehen, daß zwei Buſſarde, welche ich zu dem Steinadler in den Käfig brachte, ſich auf dieſem niederließen und von ihm
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[476/0508]
Die Fänger. Raubvögel. Adler.
Seeadlerpaar wohnen bleibt, d. h. ſeinen Horſt auf einem der höchſten Bäume des Waldes gründet.
Fernab von größeren Gewäffern ſcheint Solches nie zu geſchehen.
Außer der Brutzeit leben die Seeadler ziemlich geſellig, mehr nach Geier-als nach Adlerart, in
der Nähe der Gewäſſer. Ein günſtig gelegener Wald oder ein günſtig gelegener Felſen wird zum
Vereinigungs- oder Schlafplatze. Jm Hochſommer übernachten ſie gern auf kleinen Jnſeln,
namentlich auf den Scheren, außerdem auf hohen Bäumen in einem Küſtenwalde. Schon früh am
Morgen, ja bereits in der Morgendämmerung begeben ſie ſich wieder nach der Seeküſte und ſtellen
hier den verſchiedenen Meeresvögeln, namentlich den Enten und Alken, ſowie verſchiedenen
Fiſchen oder Meerſäugethieren nach. Die Taucher ſind nach Wallengren’s Bericht mehr
gefährdet, als die nicht tauchenden Vögel. Dieſe erheben ſich beim Anblick des allgefürchteten
Räubers ſo ſchnell ſie können und entweichen, jene vertrauen oft zuviel auf die Waſſertiefe, warten den
Adler ruhig ab, tauchen und glauben ſich geſichert, während der böſe Feind doch nur darauf lauert,
daß ſie wieder zum Vorſchein kommen müſſen. Sie entrinnen vielleicht zwei-, dreimal der verderben-
bringenden Klaue — beim vierten Auftauchen, wenn ſie dem Erſticken nahe, einen Augenblick länger
verweilen, als ſonſt, ſind ſie gefaßt und wenige Augenblicke ſpäter erwürgt. Am Menſalehſee in
Unteregypten und in Norwegen habe ich den Seeadler oft beobachtet und immer geſehen, daß Groß
und Klein, ſelbſt andere Raubvögel, ſeine Nähe fürchteten. Jch zweifle auch nicht daran, daß er den
Fluß- oder Fiſchadler, ſeinen nächſten Verwandten, welchem er oft ſeine Beute abjagt, ebenſo ruhig
verzehren würde, wie jedes andere Wild. Mit der Kühnheit und dem Bewußtſein der Kraft dieſes
Vogels vereinigt ſich die größte Hartnäckigkeit. A. von Homeyer beobachtete, daß ein Seeadler
wiederholt auf Meiſter Reinecke ſtieß, welcher, wie bekannt, ſeiner Haut ſich wohl zu wehren weiß,
und derſelbe Forſcher erfuhr von glaubwürdigen Augenzeugen, daß ein Adler bei einer derartigen
Jagd den von ihm erſpäheten Fuchs beinahe umbrachte, indem er fortwährend auf ihn ſtieß, den
Biſſen des Vierfüßlers geſchickt auszuweichen und alle Verſuche des Letzteren, den nahen, deckenden Wald
zu erreichen, zu vereiteln wußte. Daß die kleineren Herdenthiere aufs höchſte durch den Seeadler
gefährdet ſind, iſt eine bekannte Thatſache, daß er Kinder angreift, keinem Zweifel unterworfen. An
den Vogelbergen des Nordens findet auch er regelmäßig ſich ein und zieht ſich mit aller Gelaſſenheit
die Bergvögel aus ihren Neſtern hervor. Die Eidergänſe fängt er wie oben beſchrieben; die
jungen Seehunde nimmt er dicht neben ihren Müttern weg; die Fiſche verfolgt er bis in die Tiefe
des Waſſers: er arbeitet dann als Stoßtaucher. Zuweilen jedoch mißglücken dieſe Verſuche.
Kittlitz hörte von den Bewohnern Kamtſchatkas erzählen, daß der Seeadler manchmal von
Delfinen, auf welche er geſtoßen, in die Waſſertiefe hinabgezogen und ertränkt werde und Lenz
erzählt Folgendes: „Ein Seeadler ſchwebte Beute ſuchend über der Havel und entdeckte einen Stör,
auf welchen er ſogleich herabſchoß; allein der kühne Adler hatte ſeiner Kraft zuviel zugetraut: der
Stör war ihm zu ſchwer, und es war ihm unmöglich, denſelben aus dem Waſſer emporzuheben; jedoch
war auch der Stör nicht ſtark genug, den Adler in die Tiefe hinabzuziehen. Er ſchoß wie ein Pfeil
an der Oberfläche des Waſſers dahin; auf ihm ſaß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, ſo daß beide
wie ein Schiff mit Segeln anzuſehn waren. Einige Leute bemerkten dies ſeltne Schauſpiel, beſtiegen
einen Nachen und fingen ſowohl den Stör als den Adler, welcher ſich ſo feſt in den Fiſch eingekrallt
hatte, daß er ſeine Krallen nicht befreien konnte.‟ —
Derartige Fälle mögen wohl noch öfters vorkommen, als man annimmt.
Jn ihren Begabungen ſtehen die Seeadler übrigens weit hinter den eigentlichen Adlern zurück.
Sie bewegen ſich auf dem Boden vielleicht geſchickter, als dieſe und beherrſchen, wie bemerkt, in gewiſſem
Grade das Waſſer; ihr Flug jedoch iſt viel langſamer und ſchwerfälliger, als der der Edeladler. Die
Sinne ſtehen mit denen der eigentlichen Adler ungefähr auf gleicher Höhe. Jn geiſtiger Hinſicht
unterſcheiden ſie ſich zu ihrem Nachtheile. Das wirklich Adlige, welches der Steinadler bekundet,
fehlt ihnen: ſie ſind nicht blos muthig, ſondern auch grauſam. Jch habe geſehen, daß zwei Buſſarde,
welche ich zu dem Steinadler in den Käfig brachte, ſich auf dieſem niederließen und von ihm
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/508>, abgerufen am 22.11.2024.
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