Der Gefangene des hamburger Thiergartens hat uns keine Gelegenheit zu bemerkenswerthen Beobachtungen gegeben. Wir müssen ihn in einem engen Käfig halten, in welchem er sein eigentliches Wesen nicht bekunden kann. Auch er zeigt gegen seinen Pfleger keine Zuneigung, sondern höchstens Gleichgiltigkeit, wie er sich überhaupt um die Außenwelt wenig zu kümmern scheint. Durch seine hoch aufgerichtete Stellung fällt er auf; im Uebrigen besitzt er durchaus nichts Anziehendes. Stunden- lang sitzt er regungslos auf ein und derselben Stelle, ohne eins seiner Glieder zu rühren; höchstens die Haube bewegt er laugsam auf und nieder. Jm Käfig wählt er sich den höchsten Ast zum Sitzpunkte; er meidet aber auch den ebenen Boden durchaus nicht, sondern ergeht sich zuweilen gern, indem er längere Zeit auf- und abwandelt. Fleisch ist seine gewöhnliche und anscheinend auch seine liebste Speise; indeß verschmäht er auch Pflanzenstoffe keineswegs: so scheinen ihm namentlich Kartoffeln sehr wohl zu behagen. Einen Stimmlaut haben wir niemals vernommen.
Durch Audubon erfahren wir noch außerdem, daß die frischen Farben aller nackten Hautstellen des Carancho nach dem Tode desselben außerordentlich schnell verbleichen und gänzlich unscheinbar werden, so daß der Vogel bereits eine Stunde nach seinem Tode nur theilweise noch die volle Pracht des Lebens zeigt.
Jn den tieferen Urwäldern wird der Carancho durch einen Familienverwandten ersetzt, welcher im Jnnern Brasiliens Ganga genannt wird. Er vertritt die Sippe Ibicter, welche der Prinz Schreibussarde nennt. Der Vogel ist gestreckt gebaut, sein Schwanz lang, der Flügel in der Ruhe bis über die Mitte desselben hinausreichend; der Fuß ist mäßig lang, die Fußwurzel der Mittelzehe an Länge gleich. Der Schnabel ist gestreckt, schmal, vorn fast nach der Spitze hinabgewölbt, mit schwachem Haken und zahnlosem Kieferrande. Zügel, Wangen und Kehle sind nackt, nur der vordere Theil des Zügels hinter der Wachshaut ist mit dünn stehenden strahligen Borsten bekleidet.
Der Ganga (Ibicter americanus oder I. nudicollis) ist 22 Zoll lang und 42 bis 45 Zoll breit; die Fittiglänge beträgt 151/2, die Schwanzlänge 91/2 Zoll. Das Gefieder ist auf Kopf, Hals, Rücken, auf den Flügeln, dem Schwanz, der Brust, den Seiten und dem Oberbauche glänzend schwarz, metal- lisch grün schimmernd, auf dem Unterbauch und den Schenkeln aber reinweiß. Das Auge ist lebhaft hochroth; die Wachshaut, der Rand des Mundwinkels und die Wurzel des Unterkiefers sind schön himmelblau; der nackte Theil des Gesichts ist zinnoberroth. Der Schnabel ist hellgrünlichgelb, an der Spitze etwas lebhafter, als an der Wurzel, der Fuß ist orangenroth. Junge Vögel sind nicht so schön schwarz und glänzend, sondern matter und ihre Federn bräunlich gerandet. Jhr Auge ist nicht roth, sondern braun.
Unter seinen Verwandten ist der Ganga der mindest bekannte. Ausführlicher über ihn haben nur der Prinz von Wied und Schomburgk berichtet. "Jn Brasilien", sagt der Prinz, "scheint der Ganga nur in großen "Sertongs" oder einsamen, leeren Urwäldern und in öden, wenig beunruhigten Gegenden zu leben. Jch fand ihn nicht eher, als bis ich, vom Süden nach Norden reisend, den 15. Grad südl. Breite überschritt und mich hier in die zwischen den Flüssen Jlheos und Pardo gele- genen großen Waldungen vertieft hatte. Hier wurden wir zuerst durch eine sehr laute, durchdringende, höchst sonderbar durch die Einsamkeit der Wildniß schallende Stimme überrascht. Später haben wir den Vogel häufig in den großen Wäldern beobachtet, zuweilen einzeln oder paarweise, in zahlreichen Flügen, welche sich vereinigt hatten, wie Dies gegen das Ende der Brutzeit hin zu geschehen pflegt. Der Ganga lebt nur in großen Wäldern, da er sich von Bienen, Wespen und anderen Kerbthieren nährt; die vielen in jenen Wäldern vorkommenden Nester der Wespen werden von ihm bekriegt. Oft fand man seinen Magen ganz mit ihnen angefüllt. Er fliegt laut schreiend von einem Aste zum andern und fußt öfters auf hohen, dürren Zweigen, wo er sich schön ausnimmt. Seine Stimme wird alsdann häufig gehört; sie hat ein paar laute, von der Höhe zur Tiefe herabsinkende Töne, auf welche andere
Brehm, Thierleben. III. 34
Caraucho. Gauga.
Der Gefangene des hamburger Thiergartens hat uns keine Gelegenheit zu bemerkenswerthen Beobachtungen gegeben. Wir müſſen ihn in einem engen Käfig halten, in welchem er ſein eigentliches Weſen nicht bekunden kann. Auch er zeigt gegen ſeinen Pfleger keine Zuneigung, ſondern höchſtens Gleichgiltigkeit, wie er ſich überhaupt um die Außenwelt wenig zu kümmern ſcheint. Durch ſeine hoch aufgerichtete Stellung fällt er auf; im Uebrigen beſitzt er durchaus nichts Anziehendes. Stunden- lang ſitzt er regungslos auf ein und derſelben Stelle, ohne eins ſeiner Glieder zu rühren; höchſtens die Haube bewegt er laugſam auf und nieder. Jm Käfig wählt er ſich den höchſten Aſt zum Sitzpunkte; er meidet aber auch den ebenen Boden durchaus nicht, ſondern ergeht ſich zuweilen gern, indem er längere Zeit auf- und abwandelt. Fleiſch iſt ſeine gewöhnliche und anſcheinend auch ſeine liebſte Speiſe; indeß verſchmäht er auch Pflanzenſtoffe keineswegs: ſo ſcheinen ihm namentlich Kartoffeln ſehr wohl zu behagen. Einen Stimmlaut haben wir niemals vernommen.
Durch Audubon erfahren wir noch außerdem, daß die friſchen Farben aller nackten Hautſtellen des Carancho nach dem Tode deſſelben außerordentlich ſchnell verbleichen und gänzlich unſcheinbar werden, ſo daß der Vogel bereits eine Stunde nach ſeinem Tode nur theilweiſe noch die volle Pracht des Lebens zeigt.
Jn den tieferen Urwäldern wird der Carancho durch einen Familienverwandten erſetzt, welcher im Jnnern Braſiliens Ganga genannt wird. Er vertritt die Sippe Ibicter, welche der Prinz Schreibuſſarde nennt. Der Vogel iſt geſtreckt gebaut, ſein Schwanz lang, der Flügel in der Ruhe bis über die Mitte deſſelben hinausreichend; der Fuß iſt mäßig lang, die Fußwurzel der Mittelzehe an Länge gleich. Der Schnabel iſt geſtreckt, ſchmal, vorn faſt nach der Spitze hinabgewölbt, mit ſchwachem Haken und zahnloſem Kieferrande. Zügel, Wangen und Kehle ſind nackt, nur der vordere Theil des Zügels hinter der Wachshaut iſt mit dünn ſtehenden ſtrahligen Borſten bekleidet.
Der Ganga (Ibicter americanus oder I. nudicollis) iſt 22 Zoll lang und 42 bis 45 Zoll breit; die Fittiglänge beträgt 15½, die Schwanzlänge 9½ Zoll. Das Gefieder iſt auf Kopf, Hals, Rücken, auf den Flügeln, dem Schwanz, der Bruſt, den Seiten und dem Oberbauche glänzend ſchwarz, metal- liſch grün ſchimmernd, auf dem Unterbauch und den Schenkeln aber reinweiß. Das Auge iſt lebhaft hochroth; die Wachshaut, der Rand des Mundwinkels und die Wurzel des Unterkiefers ſind ſchön himmelblau; der nackte Theil des Geſichts iſt zinnoberroth. Der Schnabel iſt hellgrünlichgelb, an der Spitze etwas lebhafter, als an der Wurzel, der Fuß iſt orangenroth. Junge Vögel ſind nicht ſo ſchön ſchwarz und glänzend, ſondern matter und ihre Federn bräunlich gerandet. Jhr Auge iſt nicht roth, ſondern braun.
Unter ſeinen Verwandten iſt der Ganga der mindeſt bekannte. Ausführlicher über ihn haben nur der Prinz von Wied und Schomburgk berichtet. „Jn Braſilien‟, ſagt der Prinz, „ſcheint der Ganga nur in großen „Sertongs‟ oder einſamen, leeren Urwäldern und in öden, wenig beunruhigten Gegenden zu leben. Jch fand ihn nicht eher, als bis ich, vom Süden nach Norden reiſend, den 15. Grad ſüdl. Breite überſchritt und mich hier in die zwiſchen den Flüſſen Jlhéos und Pardo gele- genen großen Waldungen vertieft hatte. Hier wurden wir zuerſt durch eine ſehr laute, durchdringende, höchſt ſonderbar durch die Einſamkeit der Wildniß ſchallende Stimme überraſcht. Später haben wir den Vogel häufig in den großen Wäldern beobachtet, zuweilen einzeln oder paarweiſe, in zahlreichen Flügen, welche ſich vereinigt hatten, wie Dies gegen das Ende der Brutzeit hin zu geſchehen pflegt. Der Ganga lebt nur in großen Wäldern, da er ſich von Bienen, Weſpen und anderen Kerbthieren nährt; die vielen in jenen Wäldern vorkommenden Neſter der Weſpen werden von ihm bekriegt. Oft fand man ſeinen Magen ganz mit ihnen angefüllt. Er fliegt laut ſchreiend von einem Aſte zum andern und fußt öfters auf hohen, dürren Zweigen, wo er ſich ſchön ausnimmt. Seine Stimme wird alsdann häufig gehört; ſie hat ein paar laute, von der Höhe zur Tiefe herabſinkende Töne, auf welche andere
Brehm, Thierleben. III. 34
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Caraucho. Gauga.
Der Gefangene des hamburger Thiergartens hat uns keine Gelegenheit zu bemerkenswerthen
Beobachtungen gegeben. Wir müſſen ihn in einem engen Käfig halten, in welchem er ſein eigentliches
Weſen nicht bekunden kann. Auch er zeigt gegen ſeinen Pfleger keine Zuneigung, ſondern höchſtens
Gleichgiltigkeit, wie er ſich überhaupt um die Außenwelt wenig zu kümmern ſcheint. Durch ſeine
hoch aufgerichtete Stellung fällt er auf; im Uebrigen beſitzt er durchaus nichts Anziehendes. Stunden-
lang ſitzt er regungslos auf ein und derſelben Stelle, ohne eins ſeiner Glieder zu rühren; höchſtens die
Haube bewegt er laugſam auf und nieder. Jm Käfig wählt er ſich den höchſten Aſt zum Sitzpunkte;
er meidet aber auch den ebenen Boden durchaus nicht, ſondern ergeht ſich zuweilen gern, indem er
längere Zeit auf- und abwandelt. Fleiſch iſt ſeine gewöhnliche und anſcheinend auch ſeine liebſte
Speiſe; indeß verſchmäht er auch Pflanzenſtoffe keineswegs: ſo ſcheinen ihm namentlich Kartoffeln ſehr
wohl zu behagen. Einen Stimmlaut haben wir niemals vernommen.
Durch Audubon erfahren wir noch außerdem, daß die friſchen Farben aller nackten Hautſtellen
des Carancho nach dem Tode deſſelben außerordentlich ſchnell verbleichen und gänzlich unſcheinbar
werden, ſo daß der Vogel bereits eine Stunde nach ſeinem Tode nur theilweiſe noch die volle Pracht
des Lebens zeigt.
Jn den tieferen Urwäldern wird der Carancho durch einen Familienverwandten erſetzt, welcher
im Jnnern Braſiliens Ganga genannt wird. Er vertritt die Sippe Ibicter, welche der Prinz
Schreibuſſarde nennt. Der Vogel iſt geſtreckt gebaut, ſein Schwanz lang, der Flügel in der Ruhe
bis über die Mitte deſſelben hinausreichend; der Fuß iſt mäßig lang, die Fußwurzel der Mittelzehe
an Länge gleich. Der Schnabel iſt geſtreckt, ſchmal, vorn faſt nach der Spitze hinabgewölbt, mit
ſchwachem Haken und zahnloſem Kieferrande. Zügel, Wangen und Kehle ſind nackt, nur der vordere
Theil des Zügels hinter der Wachshaut iſt mit dünn ſtehenden ſtrahligen Borſten bekleidet.
Der Ganga (Ibicter americanus oder I. nudicollis) iſt 22 Zoll lang und 42 bis 45 Zoll breit;
die Fittiglänge beträgt 15½, die Schwanzlänge 9½ Zoll. Das Gefieder iſt auf Kopf, Hals, Rücken,
auf den Flügeln, dem Schwanz, der Bruſt, den Seiten und dem Oberbauche glänzend ſchwarz, metal-
liſch grün ſchimmernd, auf dem Unterbauch und den Schenkeln aber reinweiß. Das Auge iſt lebhaft
hochroth; die Wachshaut, der Rand des Mundwinkels und die Wurzel des Unterkiefers ſind ſchön
himmelblau; der nackte Theil des Geſichts iſt zinnoberroth. Der Schnabel iſt hellgrünlichgelb, an der
Spitze etwas lebhafter, als an der Wurzel, der Fuß iſt orangenroth. Junge Vögel ſind nicht ſo ſchön
ſchwarz und glänzend, ſondern matter und ihre Federn bräunlich gerandet. Jhr Auge iſt nicht roth,
ſondern braun.
Unter ſeinen Verwandten iſt der Ganga der mindeſt bekannte. Ausführlicher über ihn haben
nur der Prinz von Wied und Schomburgk berichtet. „Jn Braſilien‟, ſagt der Prinz, „ſcheint
der Ganga nur in großen „Sertongs‟ oder einſamen, leeren Urwäldern und in öden, wenig beunruhigten
Gegenden zu leben. Jch fand ihn nicht eher, als bis ich, vom Süden nach Norden reiſend, den
15. Grad ſüdl. Breite überſchritt und mich hier in die zwiſchen den Flüſſen Jlhéos und Pardo gele-
genen großen Waldungen vertieft hatte. Hier wurden wir zuerſt durch eine ſehr laute, durchdringende,
höchſt ſonderbar durch die Einſamkeit der Wildniß ſchallende Stimme überraſcht. Später haben wir
den Vogel häufig in den großen Wäldern beobachtet, zuweilen einzeln oder paarweiſe, in zahlreichen
Flügen, welche ſich vereinigt hatten, wie Dies gegen das Ende der Brutzeit hin zu geſchehen pflegt.
Der Ganga lebt nur in großen Wäldern, da er ſich von Bienen, Weſpen und anderen Kerbthieren nährt;
die vielen in jenen Wäldern vorkommenden Neſter der Weſpen werden von ihm bekriegt. Oft fand
man ſeinen Magen ganz mit ihnen angefüllt. Er fliegt laut ſchreiend von einem Aſte zum andern und
fußt öfters auf hohen, dürren Zweigen, wo er ſich ſchön ausnimmt. Seine Stimme wird alsdann häufig
gehört; ſie hat ein paar laute, von der Höhe zur Tiefe herabſinkende Töne, auf welche andere
Brehm, Thierleben. III. 34
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/561>, abgerufen am 22.11.2024.
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