Sitzstange, von dieser auf seinen Arm, läßt sich von ihm herumtragen und liebkost sein Gesicht mit dem Schnabel auf's zärtlichste. Dieser steckt ihm den Finger in den Schnabel, setzt sich ihm fast frei auf den Rücken, zieht ihm die Halskrause über den Kopf und treibt mit ihm alle Spielereien, wie mit einem Hunde. Dabei wird das Weibchen über das verlängerte Fasten ungeduldig und zieht ihn am Rocke, bis es Futter bekommt. Ueberhaupt sind sie auf die Liebkosungen ihres Herrn so eifer- süchtig, daß ihm oft einer die Kleider zerreißt, um ihn von dem andern, mit dem er spielt, wegzu- bringen. Kommt er des Morgens, um zu füttern, so kommen sie mit einem frohlockenden, wiehernden Ton von der Stauge herab; außerdem lassen sie bisweilen ein Brüllen hören; das Weibchen schnalzt zuweilen im Zorn und beißt. Das Männchen springt oft wie ein lustiger Knabe umher und treibt mit jedem Gegenstand sein Spiel. Sie unterscheiden sich mithin von allen Raubvögeln durch ihre Zähmbarkeit ohne allen Zwang und von den Geiern durch ihre Munterkeit."
Mit andern Familienverwandten vertragen sich die Kondoren recht wohl, wie die unseres Thier- gartens beweisen. Sie wissen sich Achtung zu verschaffen und diese sich zu behaupten. Wenn es zum Beißen kommt, gebrauchen sie ihren Schnabel mit so großer Geschicklichkeit, Gewandtheit und Kraft, daß selbst die bissigen Gänsegeier ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen.
Auf den kalifornischen Gebirgen wird der Kondor durch eine zweite Art seiner Sippe (Sarcor- ramphus californianus) vertreten. Dieser erreicht nach Taylor's Messungen eine Länge von 4 Fuß 6 Zoll, wovon 15 Zoll auf den Schwanz kommen, bei einer Breite von 8 Fuß 4 Zoll. Das Gefieder ist einfärbig dunkelbraun oder schwarz, ein dreieckiger Fleck unter den Flügeln und über der Brust aber ist schmuzigweiß und auch einige Außenfedern der Unterflügel sind weiß angeflogen. Die mit Ausnahme eines dreieckigen Bandes kleiner Federn faltige, nackte Haut des Kopfes ist schön citronengelb gefärbt, der Hals blaßschmuzigfleischfarben. Der kalifornische Kondor ist ein Bewohner des Felsgebirges, steigt aber auch oft zur Küste herab und nährt sich hauptsächlich von Fischen. Jm Uebrigen ähnelt er seinen Verwandten.
Jn der Neuzeit ist der allbekannte Königsgeier (Sarcorramphus Papa) unter dem Namen Gyparchus von den Kondoren getrennt worden, obwohl die Unterschiede im Bau der betreffenden Vögel nur sehr geringfügige sind. Nach Tschudi unterscheidet sich der Königsgeier hauptsächlich durch den abweichenden Bau seiner Nasenlöcher von den Kondoren. Die verschiedene Färbung des Gefieders kann selbstverständlich bei Aufftellung einer Sippe nicht in Betracht kommen.
"Wie der Kondor die Aufmerksamkeit der ersten Reisenden in Peru auf sich zog", sagt Tschudi, "so that es in Mejiko und Südamerika der Königsgeier. Er wird schon von Hernandez angeführt. Sein lebhaftes, zierliches Gefieder, wie es bei keinem andern Raubvogel vorkommt, verdient ihm den Namen Rex vulturum, König der Geier." Es gibt aber auch noch andere Gründe für diese Benennung. Der Königsgeier ist wie alle großen Arten seiner Familie, welche mit kleineren verkehren, der Fürst und Beherrscher dieser. Er hält sie durch seine Stärke und seinen Eigenwillen in höchster Achtung.
Ein ausgefärbter Königsgeier trägt ein wirklich prachtvolles Kleid. Der Vorderrücken und die oberen Flügeldeckfedern sind lebhaft röthlichweiß, der Bauch und die Unterflügeldeckfedern reinweiß, die Fittige und der Schwanz aber tiefschwarz; die Halskrause ist grau, die Schwingen sind am äußeren Fahnenbarte meistens grau gesäumt. Scheitel und Gesicht, welche mit kurzen, steifen, borstenähnlichen Federn besetzt sind, haben eine fleischrothe Farbe. Rundliche Warzen, welche das Gesicht hinter und unter dem Auge in eigenthümlicher Weise zieren, sind dunkelroth, eine wulstige Falte, welche nach dem Hinterhaupte verläuft, hat dieselbe Färbung. Die Wachshaut, der Hals und der Kopf sind hellgelb, der hohe, lappig getheilte Kamm, welchen auch das Weibchen trägt, ist schwärzlich; der Schnabel ist am Grunde schwarz, in der Mitte lebhaft roth, an der Spitze gelblichweiß; die Füße sind schwarz- grau; das Auge ist silberweiß. Junge Vögel sind einfarbig nußbraun, auf dem Rücken dunkler, am
Die Fänger. Raubvögel. Geier.
Sitzſtange, von dieſer auf ſeinen Arm, läßt ſich von ihm herumtragen und liebkoſt ſein Geſicht mit dem Schnabel auf’s zärtlichſte. Dieſer ſteckt ihm den Finger in den Schnabel, ſetzt ſich ihm faſt frei auf den Rücken, zieht ihm die Halskrauſe über den Kopf und treibt mit ihm alle Spielereien, wie mit einem Hunde. Dabei wird das Weibchen über das verlängerte Faſten ungeduldig und zieht ihn am Rocke, bis es Futter bekommt. Ueberhaupt ſind ſie auf die Liebkoſungen ihres Herrn ſo eifer- ſüchtig, daß ihm oft einer die Kleider zerreißt, um ihn von dem andern, mit dem er ſpielt, wegzu- bringen. Kommt er des Morgens, um zu füttern, ſo kommen ſie mit einem frohlockenden, wiehernden Ton von der Stauge herab; außerdem laſſen ſie bisweilen ein Brüllen hören; das Weibchen ſchnalzt zuweilen im Zorn und beißt. Das Männchen ſpringt oft wie ein luſtiger Knabe umher und treibt mit jedem Gegenſtand ſein Spiel. Sie unterſcheiden ſich mithin von allen Raubvögeln durch ihre Zähmbarkeit ohne allen Zwang und von den Geiern durch ihre Munterkeit.‟
Mit andern Familienverwandten vertragen ſich die Kondoren recht wohl, wie die unſeres Thier- gartens beweiſen. Sie wiſſen ſich Achtung zu verſchaffen und dieſe ſich zu behaupten. Wenn es zum Beißen kommt, gebrauchen ſie ihren Schnabel mit ſo großer Geſchicklichkeit, Gewandtheit und Kraft, daß ſelbſt die biſſigen Gänſegeier ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen.
Auf den kaliforniſchen Gebirgen wird der Kondor durch eine zweite Art ſeiner Sippe (Sarcor- ramphuſ californianuſ) vertreten. Dieſer erreicht nach Taylor’s Meſſungen eine Länge von 4 Fuß 6 Zoll, wovon 15 Zoll auf den Schwanz kommen, bei einer Breite von 8 Fuß 4 Zoll. Das Gefieder iſt einfärbig dunkelbraun oder ſchwarz, ein dreieckiger Fleck unter den Flügeln und über der Bruſt aber iſt ſchmuzigweiß und auch einige Außenfedern der Unterflügel ſind weiß angeflogen. Die mit Ausnahme eines dreieckigen Bandes kleiner Federn faltige, nackte Haut des Kopfes iſt ſchön citronengelb gefärbt, der Hals blaßſchmuzigfleiſchfarben. Der kaliforniſche Kondor iſt ein Bewohner des Felsgebirges, ſteigt aber auch oft zur Küſte herab und nährt ſich hauptſächlich von Fiſchen. Jm Uebrigen ähnelt er ſeinen Verwandten.
Jn der Neuzeit iſt der allbekannte Königsgeier (Sarcorramphus Papa) unter dem Namen Gyparchus von den Kondoren getrennt worden, obwohl die Unterſchiede im Bau der betreffenden Vögel nur ſehr geringfügige ſind. Nach Tſchudi unterſcheidet ſich der Königsgeier hauptſächlich durch den abweichenden Bau ſeiner Naſenlöcher von den Kondoren. Die verſchiedene Färbung des Gefieders kann ſelbſtverſtändlich bei Aufftellung einer Sippe nicht in Betracht kommen.
„Wie der Kondor die Aufmerkſamkeit der erſten Reiſenden in Peru auf ſich zog‟, ſagt Tſchudi, „ſo that es in Mejiko und Südamerika der Königsgeier. Er wird ſchon von Hernandez angeführt. Sein lebhaftes, zierliches Gefieder, wie es bei keinem andern Raubvogel vorkommt, verdient ihm den Namen Rex vulturum, König der Geier.‟ Es gibt aber auch noch andere Gründe für dieſe Benennung. Der Königsgeier iſt wie alle großen Arten ſeiner Familie, welche mit kleineren verkehren, der Fürſt und Beherrſcher dieſer. Er hält ſie durch ſeine Stärke und ſeinen Eigenwillen in höchſter Achtung.
Ein ausgefärbter Königsgeier trägt ein wirklich prachtvolles Kleid. Der Vorderrücken und die oberen Flügeldeckfedern ſind lebhaft röthlichweiß, der Bauch und die Unterflügeldeckfedern reinweiß, die Fittige und der Schwanz aber tiefſchwarz; die Halskrauſe iſt grau, die Schwingen ſind am äußeren Fahnenbarte meiſtens grau geſäumt. Scheitel und Geſicht, welche mit kurzen, ſteifen, borſtenähnlichen Federn beſetzt ſind, haben eine fleiſchrothe Farbe. Rundliche Warzen, welche das Geſicht hinter und unter dem Auge in eigenthümlicher Weiſe zieren, ſind dunkelroth, eine wulſtige Falte, welche nach dem Hinterhaupte verläuft, hat dieſelbe Färbung. Die Wachshaut, der Hals und der Kopf ſind hellgelb, der hohe, lappig getheilte Kamm, welchen auch das Weibchen trägt, iſt ſchwärzlich; der Schnabel iſt am Grunde ſchwarz, in der Mitte lebhaft roth, an der Spitze gelblichweiß; die Füße ſind ſchwarz- grau; das Auge iſt ſilberweiß. Junge Vögel ſind einfarbig nußbraun, auf dem Rücken dunkler, am
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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
Sitzſtange, von dieſer auf ſeinen Arm, läßt ſich von ihm herumtragen und liebkoſt ſein Geſicht mit
dem Schnabel auf’s zärtlichſte. Dieſer ſteckt ihm den Finger in den Schnabel, ſetzt ſich ihm faſt frei
auf den Rücken, zieht ihm die Halskrauſe über den Kopf und treibt mit ihm alle Spielereien, wie
mit einem Hunde. Dabei wird das Weibchen über das verlängerte Faſten ungeduldig und zieht ihn
am Rocke, bis es Futter bekommt. Ueberhaupt ſind ſie auf die Liebkoſungen ihres Herrn ſo eifer-
ſüchtig, daß ihm oft einer die Kleider zerreißt, um ihn von dem andern, mit dem er ſpielt, wegzu-
bringen. Kommt er des Morgens, um zu füttern, ſo kommen ſie mit einem frohlockenden, wiehernden
Ton von der Stauge herab; außerdem laſſen ſie bisweilen ein Brüllen hören; das Weibchen ſchnalzt
zuweilen im Zorn und beißt. Das Männchen ſpringt oft wie ein luſtiger Knabe umher und treibt
mit jedem Gegenſtand ſein Spiel. Sie unterſcheiden ſich mithin von allen Raubvögeln durch ihre
Zähmbarkeit ohne allen Zwang und von den Geiern durch ihre Munterkeit.‟
Mit andern Familienverwandten vertragen ſich die Kondoren recht wohl, wie die unſeres Thier-
gartens beweiſen. Sie wiſſen ſich Achtung zu verſchaffen und dieſe ſich zu behaupten. Wenn es zum
Beißen kommt, gebrauchen ſie ihren Schnabel mit ſo großer Geſchicklichkeit, Gewandtheit und Kraft,
daß ſelbſt die biſſigen Gänſegeier ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen.
Auf den kaliforniſchen Gebirgen wird der Kondor durch eine zweite Art ſeiner Sippe (Sarcor-
ramphuſ californianuſ) vertreten. Dieſer erreicht nach Taylor’s Meſſungen eine Länge von 4 Fuß
6 Zoll, wovon 15 Zoll auf den Schwanz kommen, bei einer Breite von 8 Fuß 4 Zoll. Das
Gefieder iſt einfärbig dunkelbraun oder ſchwarz, ein dreieckiger Fleck unter den Flügeln und über der
Bruſt aber iſt ſchmuzigweiß und auch einige Außenfedern der Unterflügel ſind weiß angeflogen. Die
mit Ausnahme eines dreieckigen Bandes kleiner Federn faltige, nackte Haut des Kopfes iſt ſchön
citronengelb gefärbt, der Hals blaßſchmuzigfleiſchfarben. Der kaliforniſche Kondor iſt ein Bewohner
des Felsgebirges, ſteigt aber auch oft zur Küſte herab und nährt ſich hauptſächlich von Fiſchen. Jm
Uebrigen ähnelt er ſeinen Verwandten.
Jn der Neuzeit iſt der allbekannte Königsgeier (Sarcorramphus Papa) unter dem Namen
Gyparchus von den Kondoren getrennt worden, obwohl die Unterſchiede im Bau der betreffenden
Vögel nur ſehr geringfügige ſind. Nach Tſchudi unterſcheidet ſich der Königsgeier hauptſächlich
durch den abweichenden Bau ſeiner Naſenlöcher von den Kondoren. Die verſchiedene Färbung des
Gefieders kann ſelbſtverſtändlich bei Aufftellung einer Sippe nicht in Betracht kommen.
„Wie der Kondor die Aufmerkſamkeit der erſten Reiſenden in Peru auf ſich zog‟, ſagt Tſchudi,
„ſo that es in Mejiko und Südamerika der Königsgeier. Er wird ſchon von Hernandez angeführt.
Sein lebhaftes, zierliches Gefieder, wie es bei keinem andern Raubvogel vorkommt, verdient ihm den
Namen Rex vulturum, König der Geier.‟ Es gibt aber auch noch andere Gründe für dieſe
Benennung. Der Königsgeier iſt wie alle großen Arten ſeiner Familie, welche mit kleineren
verkehren, der Fürſt und Beherrſcher dieſer. Er hält ſie durch ſeine Stärke und ſeinen Eigenwillen
in höchſter Achtung.
Ein ausgefärbter Königsgeier trägt ein wirklich prachtvolles Kleid. Der Vorderrücken und die
oberen Flügeldeckfedern ſind lebhaft röthlichweiß, der Bauch und die Unterflügeldeckfedern reinweiß,
die Fittige und der Schwanz aber tiefſchwarz; die Halskrauſe iſt grau, die Schwingen ſind am äußeren
Fahnenbarte meiſtens grau geſäumt. Scheitel und Geſicht, welche mit kurzen, ſteifen, borſtenähnlichen
Federn beſetzt ſind, haben eine fleiſchrothe Farbe. Rundliche Warzen, welche das Geſicht hinter und
unter dem Auge in eigenthümlicher Weiſe zieren, ſind dunkelroth, eine wulſtige Falte, welche nach dem
Hinterhaupte verläuft, hat dieſelbe Färbung. Die Wachshaut, der Hals und der Kopf ſind hellgelb,
der hohe, lappig getheilte Kamm, welchen auch das Weibchen trägt, iſt ſchwärzlich; der Schnabel iſt
am Grunde ſchwarz, in der Mitte lebhaft roth, an der Spitze gelblichweiß; die Füße ſind ſchwarz-
grau; das Auge iſt ſilberweiß. Junge Vögel ſind einfarbig nußbraun, auf dem Rücken dunkler, am
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/592>, abgerufen am 22.11.2024.
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