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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
unseres Erdtheils. Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Messungen 411/2 Zoll, die Breite
85 Zoll; der Fittig mißt 29, der Schwanz 15 Zoll. Das Weibchen ist noch um 11/2 bis 2 Zoll
länger und um 2 bis 3 Zoll breiter. Der graue Geier klaftert also ungefähr ebenso weit als der
Kondor. Das Gefieder ist gleichmäßig dunkelbraun, das Auge ist braun, der Schnabel an der
Wachshaut blau, stellenweise röthlich, sodann lebhaft violett, an der Spitze aber blau. Die Füße sind
weiß oder fleischfarben, ins Violette spielend, die nackten Stellen am Halse sind lichtbleigrau. Ein
unbefiederter Ring ums Auge ist violett. Der junge Vogel ist dunkler; sein Gefieder hat mehr
Glanz, und die Flaumfedern am Scheitel sind schmuzig weißlichbraun.

Der Kuttengeier kommt auf allen drei südlichen Halbinseln Europa's als Stand- und Brutvogel
vor. Jn Spanien und Jtalien ist er seltner, als der Gänsegeier, in den Donautiefländern häufig.
Vonhieraus verbreitet er sich über einen großen Theil Asiens bis zum Altai und Himalaya. Jn
Afrika dagegen fehlt er, wie es scheint, überall, die Atlasländer ausgenommen. Nach Eversmann
verbreitet er sich in Asien mehr und mehr. Noch vor fünfundzwanzig Jahren war er im südlichen
Ural eine Seltenheit; gegenwärtig ist er häufig. Die beständige Viehseuche, welche seit Jahren in
jenen Gegenden herrscht, gibt ihnen hinreichende Nahrung. Pallas, der große Forscher, hat im
Ural noch keinen Geier beobachtet. Jn Deutschland ist der Kuttengeier wiederholt erlegt worden.
Für seine Flugkraft verursacht eine Reise aus Ungarn bis in unser Vaterland keine Schwierigkeiten.

Nach meinen Beobachtungen, welche mit denen anderer Forscher übereinstimmen, ist der Kutten-
geier regelmäßig seltener, als der Gänsegeier. Jn Südspanien sieht man ihn einzeln oder in kleinen
Flügen von drei bis fünf. Diese fallen mit den Gänsegeiern auf das Aas, geberden sich hier aber
viel ruhiger und anständiger, als letztere. Jhr Benehmen steht im vollsten Einklange zu dem großen,
wohlgebildeten Kopf. Die Bewegungen sind ruhiger, als bei den Gänsegeiern, aber, falls Dies
möglich, ausdauernder und gleichmäßiger. Die Haltung ist edler, mehr adlerartig, und der Blick des
Auges hat durchaus nichts Tückisches, sondern höchstens etwas Feuriges und Kluges. Bei dem
Schmause machen sich die Kuttengeier zunächst über die Muskeltheile her; Eingeweide eines Thieres
verzehren sie nur, wenn sie kein besseres Fleisch haben. Auch Knochen werden von ihnen verschlungen.
Nach einer brieflichen Mittheilung Lazar's stimmen alle Gebirgsjäger Siebenbürgens darin überein,
daß der Kuttengeier auch lebende Säugethiere ergreife und tödte.

Jm Gegensatz zu seinem vorher beschriebenen Verwandten scheint der Kuttengeier ausschließlich
auf Bäumen zu horsten. Graf Lazar theilt mir mit, daß ein Freund von ihm in einem Walde an
der Donau mehrere Horste gefunden habe, zwei von ihnen auf Linden, einen auf einer riesigen Ulme,
einen andern auf einer Fichte. Damit stimmen die Beobachtungen meines Bruders, welcher auch
diesen Geier horstend fand, vollständig überein. "Der Kuttengeier", berichtet er, "horstet nicht wie
der fahle Geier in Gesellschaften, sondern einzeln paarweise und, in Spanien wenigstens, nur auf
Bäumen. Sein umfangreicher Horst steht entweder auf dem starken Aste einer Kiefer oder auf dem
breiten, buschigen Gipfel einer immergrünen Eiche, oft nicht höher, als acht bis zwölf Fuß über dem
Boden. Er besteht aus einer Unterlage von armstarken Knüppeln, auf welche eine zweite Schicht
dünnerer Stöcke folgt; erst auf dieser ruht die flache Nestmulde aus dünnen, dürren Reisern. Jn
dieser findet man Ende Februars ein weißes, dickschaliges Ei, welches an Größe das der Gänsegeier
nicht übertrifft, demselben im Gegentheil häufig nachsteht. Man will auch buntgefleckte Eier gefunden
haben, behauptet außerdem, daß der Mönchsgeier zwei Eier lege; meine Beobachtungen jedoch wider-
sprechen Dem: ich habe bei dem Mönchsgeier sowohl als bei dem Gänsegeier stets nur ein Ei gefunden.
Die Erfahrungen aller spanischen Jäger, welche ich darüber befragte, stimmen mit meiner
Beobachtung überein."

"Das aus dem Ei geschlüpfte Junge ist mit dichtem, weißen, wolligen Flaum bekleidet und
bedarf mindestens vier Monate, bis es flugfähig ist. Es wird von den Eltern sorgfältig mit Aas
gekröpft, keineswegs aber so heldenmäßig vertheidigt, wie man gewöhnlich annimmt."

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
unſeres Erdtheils. Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Meſſungen 41½ Zoll, die Breite
85 Zoll; der Fittig mißt 29, der Schwanz 15 Zoll. Das Weibchen iſt noch um 1½ bis 2 Zoll
länger und um 2 bis 3 Zoll breiter. Der graue Geier klaftert alſo ungefähr ebenſo weit als der
Kondor. Das Gefieder iſt gleichmäßig dunkelbraun, das Auge iſt braun, der Schnabel an der
Wachshaut blau, ſtellenweiſe röthlich, ſodann lebhaft violett, an der Spitze aber blau. Die Füße ſind
weiß oder fleiſchfarben, ins Violette ſpielend, die nackten Stellen am Halſe ſind lichtbleigrau. Ein
unbefiederter Ring ums Auge iſt violett. Der junge Vogel iſt dunkler; ſein Gefieder hat mehr
Glanz, und die Flaumfedern am Scheitel ſind ſchmuzig weißlichbraun.

Der Kuttengeier kommt auf allen drei ſüdlichen Halbinſeln Europa’s als Stand- und Brutvogel
vor. Jn Spanien und Jtalien iſt er ſeltner, als der Gänſegeier, in den Donautiefländern häufig.
Vonhieraus verbreitet er ſich über einen großen Theil Aſiens bis zum Altai und Himalaya. Jn
Afrika dagegen fehlt er, wie es ſcheint, überall, die Atlasländer ausgenommen. Nach Eversmann
verbreitet er ſich in Aſien mehr und mehr. Noch vor fünfundzwanzig Jahren war er im ſüdlichen
Ural eine Seltenheit; gegenwärtig iſt er häufig. Die beſtändige Viehſeuche, welche ſeit Jahren in
jenen Gegenden herrſcht, gibt ihnen hinreichende Nahrung. Pallas, der große Forſcher, hat im
Ural noch keinen Geier beobachtet. Jn Deutſchland iſt der Kuttengeier wiederholt erlegt worden.
Für ſeine Flugkraft verurſacht eine Reiſe aus Ungarn bis in unſer Vaterland keine Schwierigkeiten.

Nach meinen Beobachtungen, welche mit denen anderer Forſcher übereinſtimmen, iſt der Kutten-
geier regelmäßig ſeltener, als der Gänſegeier. Jn Südſpanien ſieht man ihn einzeln oder in kleinen
Flügen von drei bis fünf. Dieſe fallen mit den Gänſegeiern auf das Aas, geberden ſich hier aber
viel ruhiger und anſtändiger, als letztere. Jhr Benehmen ſteht im vollſten Einklange zu dem großen,
wohlgebildeten Kopf. Die Bewegungen ſind ruhiger, als bei den Gänſegeiern, aber, falls Dies
möglich, ausdauernder und gleichmäßiger. Die Haltung iſt edler, mehr adlerartig, und der Blick des
Auges hat durchaus nichts Tückiſches, ſondern höchſtens etwas Feuriges und Kluges. Bei dem
Schmauſe machen ſich die Kuttengeier zunächſt über die Muskeltheile her; Eingeweide eines Thieres
verzehren ſie nur, wenn ſie kein beſſeres Fleiſch haben. Auch Knochen werden von ihnen verſchlungen.
Nach einer brieflichen Mittheilung Lázár’s ſtimmen alle Gebirgsjäger Siebenbürgens darin überein,
daß der Kuttengeier auch lebende Säugethiere ergreife und tödte.

Jm Gegenſatz zu ſeinem vorher beſchriebenen Verwandten ſcheint der Kuttengeier ausſchließlich
auf Bäumen zu horſten. Graf Lázár theilt mir mit, daß ein Freund von ihm in einem Walde an
der Donau mehrere Horſte gefunden habe, zwei von ihnen auf Linden, einen auf einer rieſigen Ulme,
einen andern auf einer Fichte. Damit ſtimmen die Beobachtungen meines Bruders, welcher auch
dieſen Geier horſtend fand, vollſtändig überein. „Der Kuttengeier‟, berichtet er, „horſtet nicht wie
der fahle Geier in Geſellſchaften, ſondern einzeln paarweiſe und, in Spanien wenigſtens, nur auf
Bäumen. Sein umfangreicher Horſt ſteht entweder auf dem ſtarken Aſte einer Kiefer oder auf dem
breiten, buſchigen Gipfel einer immergrünen Eiche, oft nicht höher, als acht bis zwölf Fuß über dem
Boden. Er beſteht aus einer Unterlage von armſtarken Knüppeln, auf welche eine zweite Schicht
dünnerer Stöcke folgt; erſt auf dieſer ruht die flache Neſtmulde aus dünnen, dürren Reiſern. Jn
dieſer findet man Ende Februars ein weißes, dickſchaliges Ei, welches an Größe das der Gänſegeier
nicht übertrifft, demſelben im Gegentheil häufig nachſteht. Man will auch buntgefleckte Eier gefunden
haben, behauptet außerdem, daß der Mönchsgeier zwei Eier lege; meine Beobachtungen jedoch wider-
ſprechen Dem: ich habe bei dem Mönchsgeier ſowohl als bei dem Gänſegeier ſtets nur ein Ei gefunden.
Die Erfahrungen aller ſpaniſchen Jäger, welche ich darüber befragte, ſtimmen mit meiner
Beobachtung überein.‟

„Das aus dem Ei geſchlüpfte Junge iſt mit dichtem, weißen, wolligen Flaum bekleidet und
bedarf mindeſtens vier Monate, bis es flugfähig iſt. Es wird von den Eltern ſorgfältig mit Aas
gekröpft, keineswegs aber ſo heldenmäßig vertheidigt, wie man gewöhnlich annimmt.‟

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[568/0600] Die Fänger. Raubvögel. Geier. unſeres Erdtheils. Die Länge des Männchens beträgt nach eigenen Meſſungen 41½ Zoll, die Breite 85 Zoll; der Fittig mißt 29, der Schwanz 15 Zoll. Das Weibchen iſt noch um 1½ bis 2 Zoll länger und um 2 bis 3 Zoll breiter. Der graue Geier klaftert alſo ungefähr ebenſo weit als der Kondor. Das Gefieder iſt gleichmäßig dunkelbraun, das Auge iſt braun, der Schnabel an der Wachshaut blau, ſtellenweiſe röthlich, ſodann lebhaft violett, an der Spitze aber blau. Die Füße ſind weiß oder fleiſchfarben, ins Violette ſpielend, die nackten Stellen am Halſe ſind lichtbleigrau. Ein unbefiederter Ring ums Auge iſt violett. Der junge Vogel iſt dunkler; ſein Gefieder hat mehr Glanz, und die Flaumfedern am Scheitel ſind ſchmuzig weißlichbraun. Der Kuttengeier kommt auf allen drei ſüdlichen Halbinſeln Europa’s als Stand- und Brutvogel vor. Jn Spanien und Jtalien iſt er ſeltner, als der Gänſegeier, in den Donautiefländern häufig. Vonhieraus verbreitet er ſich über einen großen Theil Aſiens bis zum Altai und Himalaya. Jn Afrika dagegen fehlt er, wie es ſcheint, überall, die Atlasländer ausgenommen. Nach Eversmann verbreitet er ſich in Aſien mehr und mehr. Noch vor fünfundzwanzig Jahren war er im ſüdlichen Ural eine Seltenheit; gegenwärtig iſt er häufig. Die beſtändige Viehſeuche, welche ſeit Jahren in jenen Gegenden herrſcht, gibt ihnen hinreichende Nahrung. Pallas, der große Forſcher, hat im Ural noch keinen Geier beobachtet. Jn Deutſchland iſt der Kuttengeier wiederholt erlegt worden. Für ſeine Flugkraft verurſacht eine Reiſe aus Ungarn bis in unſer Vaterland keine Schwierigkeiten. Nach meinen Beobachtungen, welche mit denen anderer Forſcher übereinſtimmen, iſt der Kutten- geier regelmäßig ſeltener, als der Gänſegeier. Jn Südſpanien ſieht man ihn einzeln oder in kleinen Flügen von drei bis fünf. Dieſe fallen mit den Gänſegeiern auf das Aas, geberden ſich hier aber viel ruhiger und anſtändiger, als letztere. Jhr Benehmen ſteht im vollſten Einklange zu dem großen, wohlgebildeten Kopf. Die Bewegungen ſind ruhiger, als bei den Gänſegeiern, aber, falls Dies möglich, ausdauernder und gleichmäßiger. Die Haltung iſt edler, mehr adlerartig, und der Blick des Auges hat durchaus nichts Tückiſches, ſondern höchſtens etwas Feuriges und Kluges. Bei dem Schmauſe machen ſich die Kuttengeier zunächſt über die Muskeltheile her; Eingeweide eines Thieres verzehren ſie nur, wenn ſie kein beſſeres Fleiſch haben. Auch Knochen werden von ihnen verſchlungen. Nach einer brieflichen Mittheilung Lázár’s ſtimmen alle Gebirgsjäger Siebenbürgens darin überein, daß der Kuttengeier auch lebende Säugethiere ergreife und tödte. Jm Gegenſatz zu ſeinem vorher beſchriebenen Verwandten ſcheint der Kuttengeier ausſchließlich auf Bäumen zu horſten. Graf Lázár theilt mir mit, daß ein Freund von ihm in einem Walde an der Donau mehrere Horſte gefunden habe, zwei von ihnen auf Linden, einen auf einer rieſigen Ulme, einen andern auf einer Fichte. Damit ſtimmen die Beobachtungen meines Bruders, welcher auch dieſen Geier horſtend fand, vollſtändig überein. „Der Kuttengeier‟, berichtet er, „horſtet nicht wie der fahle Geier in Geſellſchaften, ſondern einzeln paarweiſe und, in Spanien wenigſtens, nur auf Bäumen. Sein umfangreicher Horſt ſteht entweder auf dem ſtarken Aſte einer Kiefer oder auf dem breiten, buſchigen Gipfel einer immergrünen Eiche, oft nicht höher, als acht bis zwölf Fuß über dem Boden. Er beſteht aus einer Unterlage von armſtarken Knüppeln, auf welche eine zweite Schicht dünnerer Stöcke folgt; erſt auf dieſer ruht die flache Neſtmulde aus dünnen, dürren Reiſern. Jn dieſer findet man Ende Februars ein weißes, dickſchaliges Ei, welches an Größe das der Gänſegeier nicht übertrifft, demſelben im Gegentheil häufig nachſteht. Man will auch buntgefleckte Eier gefunden haben, behauptet außerdem, daß der Mönchsgeier zwei Eier lege; meine Beobachtungen jedoch wider- ſprechen Dem: ich habe bei dem Mönchsgeier ſowohl als bei dem Gänſegeier ſtets nur ein Ei gefunden. Die Erfahrungen aller ſpaniſchen Jäger, welche ich darüber befragte, ſtimmen mit meiner Beobachtung überein.‟ „Das aus dem Ei geſchlüpfte Junge iſt mit dichtem, weißen, wolligen Flaum bekleidet und bedarf mindeſtens vier Monate, bis es flugfähig iſt. Es wird von den Eltern ſorgfältig mit Aas gekröpft, keineswegs aber ſo heldenmäßig vertheidigt, wie man gewöhnlich annimmt.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/600>, abgerufen am 22.11.2024.