"Nähert man sich dem Horste, in welchem sich ein Junges befindet, so umkreisen wohl die Geier den Platz, jedoch in bedeutender Entfernung, und kommen nie dem Jäger auf Schußweite heran. Bei La Granja, wo die Geier in dem das Dorf umschließenden, ausgedehnten Kiefernwalde die herrlichsten Nistplätze, finden, horsten sie häufig und ungefähr in der Entfernung von einer Viertelstunde von einander. Jch habe auch den Horst in der Nähe des Nistplatzes einer Gesellschaft der fahlen Geier bemerkt und zwar unmittelbar neben einem Neste dieses letzteren; allein der Baum, auf welchem der Horst stand, war der einzige in der ganzen Gegend, und Dies war jedenfalls der Grund, warum der Mönchsgeier sich in Gesellschaft der vorher genannten Art ansiedelte."
Ueber das Gefangenleben dieses Geiers hat Leisler schon vor Jahren Beobachtungen ver- öffentlicht, und es ist daher billig, daß ich zunächst diese hier wiedergebe. "Anfangs war mein Kutten- geier sanft und gutmüthig, später aber wurde er boshaft und hieb nach Jedem mit Schnabel und Füßen, außer seinem Wärter. Er saß beständig in der Höhe und kam nur auf den Boden, um zu fressen und zu saufen. Dann saß er mit eingezogenem Halse stundenlang auf einem Beine. Er verzehrte ganz faule Thiere ebenso gern, wie frische und fraß sie mit Haut und Haaren, selbst den Schwanz von jungen Füchsen. Das Gewölle spie er sodann aus. Fünf bis sechs Zoll lange Knochen verdaute er ganz; Fische rührte er nie an. Er ertrug eine Kälte von 12 Grad und eine ziemliche Hitze. Lebende Thiere griff er nicht an: ein Kolkrabe und eine Rabenkrähe lebten monatelang friedlich mit ihm, und obschon man ihn Hunger leiden ließ, that er doch einem Hasen, mit dem er sich zusammen befand, Nichts zu Leide. Todte Katzen fraß er sehr gern; befestigte man aber einen Bind- faden an eine derselben und zog sie hin und her, so sprang er furchtsam davon, kam nach einiger Zeit wieder, gab ihr einen Hieb mit dem Fuß, sprang schnell wieder zurück und that Dies so oft, bis er von ihrem Tode überzeugt war. Um den Geier zu tödten, gab man ihm zwölf Gran Arsenik. Nach einer Stunde bekam er Zittern, würgte das vergiftete Fleisch heraus, fraß es wieder und befand sich abermals eine Stunde später wiederum ganz wohl. Am selben Nachmittage gab man ihm noch zwei Quentchen Arsenik; es erfolgte Zittern und Erbrechen, aber nicht der Tod. Man mußte ihn durch einen Stich ins Genick tödten."
Ueber einen andern Gefangenen schreibt mir Lazar Folgendes. "Jch halte einen alten Kutten- geier schon seit zwei Jahren. Er klemmte sich einen Flügel zwischen die Gitter seines Behälters und brach einen der Knochen. Jn Folge dessen mußte ihm die Schwinge im Handgelenk abgelöst werden. Seit jener Zeit läuft der Geier frei in meinem Hofe herum. Als er noch in seinem geräumigen Behälter eingesperrt war, zeigte er sich trotzig; seitdem er größere Freiheit genießt, ist er ein lebens- froher, ich möchte sagen lustiger Gesell geworden. Er macht sich ein Vergnügen daraus, die Hähne zu schrecken, denkt aber niemals daran, sie zu ergreifen. Er zerrt die Schweine am Schwanze, läuft den Hunden nach und treibt sie wohl auch in die Flucht. Ueberhaupt ist er so dreist und kühn, daß Fremde sich vor ihm in Acht nehmen müssen. Selbst mein Diener muß sich in Acht nehmen, daß ihm Pandur, so heißt der Vogel, nicht das zur Fütterung meiner zahmen Raubvögel bestimmte Fleisch mit Gewalt wegnimmt. Jetzt bewehrt sich der Bursch regelmäßig mit einer Gerte, und damit hält er sich den Geier vom Leibe. Pandur kommt ungescheut in die Gemächer zur ebenen Erde herein, und ich finde ihn oft, wenn ich von meiner Arbeit aufstehe, vor der Thür des Zimmers sitzen. So lange er nicht gereizt wird, lebt er mit allen Leuten im besten Einverständniß; selbst Kinder können ohne Furcht in seine Nähe kommen. Angegriffen aber vertheidigt er sich tapfer und theilt kräftige Schnabelhiebe aus. Jm Zorn sieht er sehr drollig aus. Er schleift dann die halbgeöffneten Flügel, sträubt seine langen Rückendeckfedern, nimmt eine wagrechte Stellung an, streckt den Hals weit vor und trippelt und hüpft so sonderbar umher, daß man sich des Lachens kaum entwehren kann. Er ist so gefräßig wie der Gänsegeier, kann aber auch nicht so lange hungern, wie dieser. Jch lasse ihn jeden zweiten Tag füttern, und dabei befindet er sich sehr wohl. Wasser aber ist ihm Bedürfniß, er trinkt oft und badet ungemein gern. Das Fleisch von Säugethieren zieht er allem Andern vor, doch frißt er auch Vögel. Fische verzehrt er selbst beim größten Hunger nicht. Jch glaube aus seinem Gebahren
Kuttengeier.
„Nähert man ſich dem Horſte, in welchem ſich ein Junges befindet, ſo umkreiſen wohl die Geier den Platz, jedoch in bedeutender Entfernung, und kommen nie dem Jäger auf Schußweite heran. Bei La Granja, wo die Geier in dem das Dorf umſchließenden, ausgedehnten Kiefernwalde die herrlichſten Niſtplätze, finden, horſten ſie häufig und ungefähr in der Entfernung von einer Viertelſtunde von einander. Jch habe auch den Horſt in der Nähe des Niſtplatzes einer Geſellſchaft der fahlen Geier bemerkt und zwar unmittelbar neben einem Neſte dieſes letzteren; allein der Baum, auf welchem der Horſt ſtand, war der einzige in der ganzen Gegend, und Dies war jedenfalls der Grund, warum der Mönchsgeier ſich in Geſellſchaft der vorher genannten Art anſiedelte.‟
Ueber das Gefangenleben dieſes Geiers hat Leisler ſchon vor Jahren Beobachtungen ver- öffentlicht, und es iſt daher billig, daß ich zunächſt dieſe hier wiedergebe. „Anfangs war mein Kutten- geier ſanft und gutmüthig, ſpäter aber wurde er boshaft und hieb nach Jedem mit Schnabel und Füßen, außer ſeinem Wärter. Er ſaß beſtändig in der Höhe und kam nur auf den Boden, um zu freſſen und zu ſaufen. Dann ſaß er mit eingezogenem Halſe ſtundenlang auf einem Beine. Er verzehrte ganz faule Thiere ebenſo gern, wie friſche und fraß ſie mit Haut und Haaren, ſelbſt den Schwanz von jungen Füchſen. Das Gewölle ſpie er ſodann aus. Fünf bis ſechs Zoll lange Knochen verdaute er ganz; Fiſche rührte er nie an. Er ertrug eine Kälte von 12 Grad und eine ziemliche Hitze. Lebende Thiere griff er nicht an: ein Kolkrabe und eine Rabenkrähe lebten monatelang friedlich mit ihm, und obſchon man ihn Hunger leiden ließ, that er doch einem Haſen, mit dem er ſich zuſammen befand, Nichts zu Leide. Todte Katzen fraß er ſehr gern; befeſtigte man aber einen Bind- faden an eine derſelben und zog ſie hin und her, ſo ſprang er furchtſam davon, kam nach einiger Zeit wieder, gab ihr einen Hieb mit dem Fuß, ſprang ſchnell wieder zurück und that Dies ſo oft, bis er von ihrem Tode überzeugt war. Um den Geier zu tödten, gab man ihm zwölf Gran Arſenik. Nach einer Stunde bekam er Zittern, würgte das vergiftete Fleiſch heraus, fraß es wieder und befand ſich abermals eine Stunde ſpäter wiederum ganz wohl. Am ſelben Nachmittage gab man ihm noch zwei Quentchen Arſenik; es erfolgte Zittern und Erbrechen, aber nicht der Tod. Man mußte ihn durch einen Stich ins Genick tödten.‟
Ueber einen andern Gefangenen ſchreibt mir Lázár Folgendes. „Jch halte einen alten Kutten- geier ſchon ſeit zwei Jahren. Er klemmte ſich einen Flügel zwiſchen die Gitter ſeines Behälters und brach einen der Knochen. Jn Folge deſſen mußte ihm die Schwinge im Handgelenk abgelöſt werden. Seit jener Zeit läuft der Geier frei in meinem Hofe herum. Als er noch in ſeinem geräumigen Behälter eingeſperrt war, zeigte er ſich trotzig; ſeitdem er größere Freiheit genießt, iſt er ein lebens- froher, ich möchte ſagen luſtiger Geſell geworden. Er macht ſich ein Vergnügen daraus, die Hähne zu ſchrecken, denkt aber niemals daran, ſie zu ergreifen. Er zerrt die Schweine am Schwanze, läuft den Hunden nach und treibt ſie wohl auch in die Flucht. Ueberhaupt iſt er ſo dreiſt und kühn, daß Fremde ſich vor ihm in Acht nehmen müſſen. Selbſt mein Diener muß ſich in Acht nehmen, daß ihm Pandur, ſo heißt der Vogel, nicht das zur Fütterung meiner zahmen Raubvögel beſtimmte Fleiſch mit Gewalt wegnimmt. Jetzt bewehrt ſich der Burſch regelmäßig mit einer Gerte, und damit hält er ſich den Geier vom Leibe. Pandur kommt ungeſcheut in die Gemächer zur ebenen Erde herein, und ich finde ihn oft, wenn ich von meiner Arbeit aufſtehe, vor der Thür des Zimmers ſitzen. So lange er nicht gereizt wird, lebt er mit allen Leuten im beſten Einverſtändniß; ſelbſt Kinder können ohne Furcht in ſeine Nähe kommen. Angegriffen aber vertheidigt er ſich tapfer und theilt kräftige Schnabelhiebe aus. Jm Zorn ſieht er ſehr drollig aus. Er ſchleift dann die halbgeöffneten Flügel, ſträubt ſeine langen Rückendeckfedern, nimmt eine wagrechte Stellung an, ſtreckt den Hals weit vor und trippelt und hüpft ſo ſonderbar umher, daß man ſich des Lachens kaum entwehren kann. Er iſt ſo gefräßig wie der Gänſegeier, kann aber auch nicht ſo lange hungern, wie dieſer. Jch laſſe ihn jeden zweiten Tag füttern, und dabei befindet er ſich ſehr wohl. Waſſer aber iſt ihm Bedürfniß, er trinkt oft und badet ungemein gern. Das Fleiſch von Säugethieren zieht er allem Andern vor, doch frißt er auch Vögel. Fiſche verzehrt er ſelbſt beim größten Hunger nicht. Jch glaube aus ſeinem Gebahren
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[569/0601]
Kuttengeier.
„Nähert man ſich dem Horſte, in welchem ſich ein Junges befindet, ſo umkreiſen wohl die Geier
den Platz, jedoch in bedeutender Entfernung, und kommen nie dem Jäger auf Schußweite heran. Bei
La Granja, wo die Geier in dem das Dorf umſchließenden, ausgedehnten Kiefernwalde die herrlichſten
Niſtplätze, finden, horſten ſie häufig und ungefähr in der Entfernung von einer Viertelſtunde von
einander. Jch habe auch den Horſt in der Nähe des Niſtplatzes einer Geſellſchaft der fahlen Geier
bemerkt und zwar unmittelbar neben einem Neſte dieſes letzteren; allein der Baum, auf welchem der
Horſt ſtand, war der einzige in der ganzen Gegend, und Dies war jedenfalls der Grund, warum der
Mönchsgeier ſich in Geſellſchaft der vorher genannten Art anſiedelte.‟
Ueber das Gefangenleben dieſes Geiers hat Leisler ſchon vor Jahren Beobachtungen ver-
öffentlicht, und es iſt daher billig, daß ich zunächſt dieſe hier wiedergebe. „Anfangs war mein Kutten-
geier ſanft und gutmüthig, ſpäter aber wurde er boshaft und hieb nach Jedem mit Schnabel und
Füßen, außer ſeinem Wärter. Er ſaß beſtändig in der Höhe und kam nur auf den Boden, um zu
freſſen und zu ſaufen. Dann ſaß er mit eingezogenem Halſe ſtundenlang auf einem Beine. Er
verzehrte ganz faule Thiere ebenſo gern, wie friſche und fraß ſie mit Haut und Haaren, ſelbſt den
Schwanz von jungen Füchſen. Das Gewölle ſpie er ſodann aus. Fünf bis ſechs Zoll lange Knochen
verdaute er ganz; Fiſche rührte er nie an. Er ertrug eine Kälte von 12 Grad und eine ziemliche
Hitze. Lebende Thiere griff er nicht an: ein Kolkrabe und eine Rabenkrähe lebten monatelang
friedlich mit ihm, und obſchon man ihn Hunger leiden ließ, that er doch einem Haſen, mit dem er ſich
zuſammen befand, Nichts zu Leide. Todte Katzen fraß er ſehr gern; befeſtigte man aber einen Bind-
faden an eine derſelben und zog ſie hin und her, ſo ſprang er furchtſam davon, kam nach einiger Zeit
wieder, gab ihr einen Hieb mit dem Fuß, ſprang ſchnell wieder zurück und that Dies ſo oft, bis er von
ihrem Tode überzeugt war. Um den Geier zu tödten, gab man ihm zwölf Gran Arſenik. Nach
einer Stunde bekam er Zittern, würgte das vergiftete Fleiſch heraus, fraß es wieder und befand ſich
abermals eine Stunde ſpäter wiederum ganz wohl. Am ſelben Nachmittage gab man ihm noch zwei
Quentchen Arſenik; es erfolgte Zittern und Erbrechen, aber nicht der Tod. Man mußte ihn durch
einen Stich ins Genick tödten.‟
Ueber einen andern Gefangenen ſchreibt mir Lázár Folgendes. „Jch halte einen alten Kutten-
geier ſchon ſeit zwei Jahren. Er klemmte ſich einen Flügel zwiſchen die Gitter ſeines Behälters und
brach einen der Knochen. Jn Folge deſſen mußte ihm die Schwinge im Handgelenk abgelöſt werden.
Seit jener Zeit läuft der Geier frei in meinem Hofe herum. Als er noch in ſeinem geräumigen
Behälter eingeſperrt war, zeigte er ſich trotzig; ſeitdem er größere Freiheit genießt, iſt er ein lebens-
froher, ich möchte ſagen luſtiger Geſell geworden. Er macht ſich ein Vergnügen daraus, die Hähne zu
ſchrecken, denkt aber niemals daran, ſie zu ergreifen. Er zerrt die Schweine am Schwanze, läuft den
Hunden nach und treibt ſie wohl auch in die Flucht. Ueberhaupt iſt er ſo dreiſt und kühn, daß
Fremde ſich vor ihm in Acht nehmen müſſen. Selbſt mein Diener muß ſich in Acht nehmen, daß ihm
Pandur, ſo heißt der Vogel, nicht das zur Fütterung meiner zahmen Raubvögel beſtimmte Fleiſch
mit Gewalt wegnimmt. Jetzt bewehrt ſich der Burſch regelmäßig mit einer Gerte, und damit hält er
ſich den Geier vom Leibe. Pandur kommt ungeſcheut in die Gemächer zur ebenen Erde herein, und
ich finde ihn oft, wenn ich von meiner Arbeit aufſtehe, vor der Thür des Zimmers ſitzen. So lange
er nicht gereizt wird, lebt er mit allen Leuten im beſten Einverſtändniß; ſelbſt Kinder können ohne
Furcht in ſeine Nähe kommen. Angegriffen aber vertheidigt er ſich tapfer und theilt kräftige
Schnabelhiebe aus. Jm Zorn ſieht er ſehr drollig aus. Er ſchleift dann die halbgeöffneten Flügel,
ſträubt ſeine langen Rückendeckfedern, nimmt eine wagrechte Stellung an, ſtreckt den Hals weit vor und
trippelt und hüpft ſo ſonderbar umher, daß man ſich des Lachens kaum entwehren kann. Er iſt ſo
gefräßig wie der Gänſegeier, kann aber auch nicht ſo lange hungern, wie dieſer. Jch laſſe ihn jeden
zweiten Tag füttern, und dabei befindet er ſich ſehr wohl. Waſſer aber iſt ihm Bedürfniß, er trinkt
oft und badet ungemein gern. Das Fleiſch von Säugethieren zieht er allem Andern vor, doch frißt
er auch Vögel. Fiſche verzehrt er ſelbſt beim größten Hunger nicht. Jch glaube aus ſeinem Gebahren
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/601>, abgerufen am 22.11.2024.
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