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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jung eingefangene Schmuzgeier sind sehr unterhaltende Vögel. Sie benehmen sich allerliebst.
Man kann sie unter dem Hofgeflügel umherlaufen lassen; denn sie denken nicht daran, den von der Glucke
gehüteten Küchlein Etwas zu Leide zu thun. Jhren Herrn lernen sie bald kennen, und wenn er sich mit
ihnen abgibt, begleiten sie ihn wie ein Hund durch Haus und Hof. Jn den Mittagsstunden sieht man
sie oft auf dem Bauche liegen und sich in dieser Stellung höchst behaglich sonnen. Wenn man in ihre
Nähe kommt und sich mit ihnen beschäftigt, schreien sie wie junge Gänse, gleichsam in der Absicht, den
Menschen zu begrüßen. Töne der Zufriedenheit und Behaglichkeit sind es jedenfalls, welche man
vernimmt. Wie sich ein alt eingefangener Vogel benimmt, hat uns bereits der alte Geßner
berichtet:

"Jm 1551. Jar den 29. Herbstmonat, da ein vngewonter Schnee fiel, da ist ein solcher Vogel
mit schweren vnd nassen Flügeln an ein kleines ebenes vnd offenes örtlein an eines Bürgers Hauß
hinabgefallen. Er war fleischfrässig, berürt die Fisch gar nicht, mocht kein Kälte erleiden, sein Leib war
vberal warm, also, daß wenn mit einer kalten Hand angerürt, dieselbig von stund an erwärmt. Er
saß an einem ort vier oder fünf Stund gantz still vnd vnbewegt, vnd sahe etwan in die scheinende
Sonn. Jch hab jhn mehr dann einen Monat in meinem Hauß erhalten, vnd jm von der Hand
gespeißt, dann er aß darvon Stück oder Bissen, vnd so sie jm zu groß, zerreiß er sie mit den Klawen,
vnd ob er schon nit tranck, ließ er doch Wassertropffen zum Schnabel herauß fallen. Zu letzt ist er
vnder andern Falcken zum Rittermeister in Franckreich getragen worden."

Der erlegte Schmuzgeier hat nur für den sammelnden Naturforscher Werth; in früherer Zeit
war Dies jedoch anders. "Dieser Vogel Alrachme", schließt Geßner, "wirt zu mancherlei
gebrauchet. Sein Gall wirt gedistilliert, vnd mit viol öl für den Schmertzen der Ohren gebraucht.
Man macht auch darauß ein Hauptreinigung für die Kinder, oder man geust jnen ein Artzney darvon
in die Nasen, die Bläst darinn auffzulösen. Man macht darauß auch ein Alcohol zu den weißen
Flecken im Aug. Etliche haben diese erfahren gut seyn für Gifft der Scorpion vnd Schlangen. Ob
seinem Mist gerochen, treibt die Geburt auß, als Auccenna schreibet."



Jn Mittel- und Westafrika gesellt sich zum Schmuzgeier ein naher Verwandter (Neophron
pileatus
), welchen wir Mönchsgeier nennen wollen. Er unterscheidet sich durch etwas kürzeren
Schnabel, breitere Flügel, kürzeren, gerade abgestutzten Schwanz, eine wollige Befiederung der Hinter-
hals- und Nackentheile und geringere Ausdehnung der unbefiederten Stellen, da nur der Scheitel, die
Wangen und der Vorderhals nackt sind. Das Gefieder ist sehr gleichmäßig chocoladenfarben, die
weichen Hinterhalsfedern sind lichtfahlgrau. Die Ohröffnungen sind ausgebildet, fast muschelartig;
der Vorderhals zeigt warzenartige Hautwucherungen. Der Schnabel ist hornblau, an der Spitze
dunkler, der Fuß lichtbleigrau, die Wachshaut ist lebhaft violett, der nackte Kopf bläulichroth, an der
Kehle etwas lichter. Den jungen Vogel unterscheidet ein dunkelbrauner Hinterhals, die minder
deutlichen Ohren, die glatte Halshaut und die weniger lebhafte Farbe derselben von den Alten. Die
Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 66 Zoll, die Fittiglänge 17, die Schwanzlänge 91/2 Zoll.

Aus den bisherigen Erfahrungen scheint hervorzugehen, daß der Mönchsgeier auf Mittel- und
Südafrika beschränkt ist. Jn Nordafrika hat man ihn nicht gefunden, und auch in Asien dürfte er
nicht vorzukommen, es sei denn, daß einer oder der andere das Bab el Mandeb überfliege. Dagegen
ist neuerdings behauptet worden, daß er in Europa gefunden worden sei; diese Angabe bedarf
jedoch noch sehr der Bestätigung. Jn Westafrika ist er, soviel bis jetzt bekannt, der einzige
Geier, welcher das Küstengebiet belebt. Jn Habesch ist er häufiger, als alle dort lebenden Verwandten,
wenigstens viel häufiger, als der Schmuzgeier. Mit diesem zusammen bewohnt er das Jnnere,
namentlich das untere Stromgebiet des weißen und blauen Nils; bei Charthum ist er ebenso häufig

Die Fänger. Raubvögel. Geier.

Jung eingefangene Schmuzgeier ſind ſehr unterhaltende Vögel. Sie benehmen ſich allerliebſt.
Man kann ſie unter dem Hofgeflügel umherlaufen laſſen; denn ſie denken nicht daran, den von der Glucke
gehüteten Küchlein Etwas zu Leide zu thun. Jhren Herrn lernen ſie bald kennen, und wenn er ſich mit
ihnen abgibt, begleiten ſie ihn wie ein Hund durch Haus und Hof. Jn den Mittagsſtunden ſieht man
ſie oft auf dem Bauche liegen und ſich in dieſer Stellung höchſt behaglich ſonnen. Wenn man in ihre
Nähe kommt und ſich mit ihnen beſchäftigt, ſchreien ſie wie junge Gänſe, gleichſam in der Abſicht, den
Menſchen zu begrüßen. Töne der Zufriedenheit und Behaglichkeit ſind es jedenfalls, welche man
vernimmt. Wie ſich ein alt eingefangener Vogel benimmt, hat uns bereits der alte Geßner
berichtet:

„Jm 1551. Jar den 29. Herbſtmonat, da ein vngewonter Schnee fiel, da iſt ein ſolcher Vogel
mit ſchweren vnd naſſen Flügeln an ein kleines ebenes vnd offenes örtlein an eines Bürgers Hauß
hinabgefallen. Er war fleiſchfräſſig, berürt die Fiſch gar nicht, mocht kein Kälte erleiden, ſein Leib war
vberal warm, alſo, daß wenn mit einer kalten Hand angerürt, dieſelbig von ſtund an erwärmt. Er
ſaß an einem ort vier oder fünf Stund gantz ſtill vnd vnbewegt, vnd ſahe etwan in die ſcheinende
Sonn. Jch hab jhn mehr dann einen Monat in meinem Hauß erhalten, vnd jm von der Hand
geſpeißt, dann er aß darvon Stück oder Biſſen, vnd ſo ſie jm zu groß, zerreiß er ſie mit den Klawen,
vnd ob er ſchon nit tranck, ließ er doch Waſſertropffen zum Schnabel herauß fallen. Zu letzt iſt er
vnder andern Falcken zum Rittermeiſter in Franckreich getragen worden.‟

Der erlegte Schmuzgeier hat nur für den ſammelnden Naturforſcher Werth; in früherer Zeit
war Dies jedoch anders. „Dieſer Vogel Alrachme‟, ſchließt Geßner, „wirt zu mancherlei
gebrauchet. Sein Gall wirt gediſtilliert, vnd mit viol öl für den Schmertzen der Ohren gebraucht.
Man macht auch darauß ein Hauptreinigung für die Kinder, oder man geuſt jnen ein Artzney darvon
in die Naſen, die Bläſt darinn auffzulöſen. Man macht darauß auch ein Alcohol zu den weißen
Flecken im Aug. Etliche haben dieſe erfahren gut ſeyn für Gifft der Scorpion vnd Schlangen. Ob
ſeinem Miſt gerochen, treibt die Geburt auß, als Auccenna ſchreibet.‟



Jn Mittel- und Weſtafrika geſellt ſich zum Schmuzgeier ein naher Verwandter (Neophron
pileatus
), welchen wir Mönchsgeier nennen wollen. Er unterſcheidet ſich durch etwas kürzeren
Schnabel, breitere Flügel, kürzeren, gerade abgeſtutzten Schwanz, eine wollige Befiederung der Hinter-
hals- und Nackentheile und geringere Ausdehnung der unbefiederten Stellen, da nur der Scheitel, die
Wangen und der Vorderhals nackt ſind. Das Gefieder iſt ſehr gleichmäßig chocoladenfarben, die
weichen Hinterhalsfedern ſind lichtfahlgrau. Die Ohröffnungen ſind ausgebildet, faſt muſchelartig;
der Vorderhals zeigt warzenartige Hautwucherungen. Der Schnabel iſt hornblau, an der Spitze
dunkler, der Fuß lichtbleigrau, die Wachshaut iſt lebhaft violett, der nackte Kopf bläulichroth, an der
Kehle etwas lichter. Den jungen Vogel unterſcheidet ein dunkelbrauner Hinterhals, die minder
deutlichen Ohren, die glatte Halshaut und die weniger lebhafte Farbe derſelben von den Alten. Die
Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 66 Zoll, die Fittiglänge 17, die Schwanzlänge 9½ Zoll.

Aus den bisherigen Erfahrungen ſcheint hervorzugehen, daß der Mönchsgeier auf Mittel- und
Südafrika beſchränkt iſt. Jn Nordafrika hat man ihn nicht gefunden, und auch in Aſien dürfte er
nicht vorzukommen, es ſei denn, daß einer oder der andere das Bab el Mandeb überfliege. Dagegen
iſt neuerdings behauptet worden, daß er in Europa gefunden worden ſei; dieſe Angabe bedarf
jedoch noch ſehr der Beſtätigung. Jn Weſtafrika iſt er, ſoviel bis jetzt bekannt, der einzige
Geier, welcher das Küſtengebiet belebt. Jn Habeſch iſt er häufiger, als alle dort lebenden Verwandten,
wenigſtens viel häufiger, als der Schmuzgeier. Mit dieſem zuſammen bewohnt er das Jnnere,
namentlich das untere Stromgebiet des weißen und blauen Nils; bei Charthum iſt er ebenſo häufig

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[578/0612] Die Fänger. Raubvögel. Geier. Jung eingefangene Schmuzgeier ſind ſehr unterhaltende Vögel. Sie benehmen ſich allerliebſt. Man kann ſie unter dem Hofgeflügel umherlaufen laſſen; denn ſie denken nicht daran, den von der Glucke gehüteten Küchlein Etwas zu Leide zu thun. Jhren Herrn lernen ſie bald kennen, und wenn er ſich mit ihnen abgibt, begleiten ſie ihn wie ein Hund durch Haus und Hof. Jn den Mittagsſtunden ſieht man ſie oft auf dem Bauche liegen und ſich in dieſer Stellung höchſt behaglich ſonnen. Wenn man in ihre Nähe kommt und ſich mit ihnen beſchäftigt, ſchreien ſie wie junge Gänſe, gleichſam in der Abſicht, den Menſchen zu begrüßen. Töne der Zufriedenheit und Behaglichkeit ſind es jedenfalls, welche man vernimmt. Wie ſich ein alt eingefangener Vogel benimmt, hat uns bereits der alte Geßner berichtet: „Jm 1551. Jar den 29. Herbſtmonat, da ein vngewonter Schnee fiel, da iſt ein ſolcher Vogel mit ſchweren vnd naſſen Flügeln an ein kleines ebenes vnd offenes örtlein an eines Bürgers Hauß hinabgefallen. Er war fleiſchfräſſig, berürt die Fiſch gar nicht, mocht kein Kälte erleiden, ſein Leib war vberal warm, alſo, daß wenn mit einer kalten Hand angerürt, dieſelbig von ſtund an erwärmt. Er ſaß an einem ort vier oder fünf Stund gantz ſtill vnd vnbewegt, vnd ſahe etwan in die ſcheinende Sonn. Jch hab jhn mehr dann einen Monat in meinem Hauß erhalten, vnd jm von der Hand geſpeißt, dann er aß darvon Stück oder Biſſen, vnd ſo ſie jm zu groß, zerreiß er ſie mit den Klawen, vnd ob er ſchon nit tranck, ließ er doch Waſſertropffen zum Schnabel herauß fallen. Zu letzt iſt er vnder andern Falcken zum Rittermeiſter in Franckreich getragen worden.‟ Der erlegte Schmuzgeier hat nur für den ſammelnden Naturforſcher Werth; in früherer Zeit war Dies jedoch anders. „Dieſer Vogel Alrachme‟, ſchließt Geßner, „wirt zu mancherlei gebrauchet. Sein Gall wirt gediſtilliert, vnd mit viol öl für den Schmertzen der Ohren gebraucht. Man macht auch darauß ein Hauptreinigung für die Kinder, oder man geuſt jnen ein Artzney darvon in die Naſen, die Bläſt darinn auffzulöſen. Man macht darauß auch ein Alcohol zu den weißen Flecken im Aug. Etliche haben dieſe erfahren gut ſeyn für Gifft der Scorpion vnd Schlangen. Ob ſeinem Miſt gerochen, treibt die Geburt auß, als Auccenna ſchreibet.‟ Jn Mittel- und Weſtafrika geſellt ſich zum Schmuzgeier ein naher Verwandter (Neophron pileatus), welchen wir Mönchsgeier nennen wollen. Er unterſcheidet ſich durch etwas kürzeren Schnabel, breitere Flügel, kürzeren, gerade abgeſtutzten Schwanz, eine wollige Befiederung der Hinter- hals- und Nackentheile und geringere Ausdehnung der unbefiederten Stellen, da nur der Scheitel, die Wangen und der Vorderhals nackt ſind. Das Gefieder iſt ſehr gleichmäßig chocoladenfarben, die weichen Hinterhalsfedern ſind lichtfahlgrau. Die Ohröffnungen ſind ausgebildet, faſt muſchelartig; der Vorderhals zeigt warzenartige Hautwucherungen. Der Schnabel iſt hornblau, an der Spitze dunkler, der Fuß lichtbleigrau, die Wachshaut iſt lebhaft violett, der nackte Kopf bläulichroth, an der Kehle etwas lichter. Den jungen Vogel unterſcheidet ein dunkelbrauner Hinterhals, die minder deutlichen Ohren, die glatte Halshaut und die weniger lebhafte Farbe derſelben von den Alten. Die Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 66 Zoll, die Fittiglänge 17, die Schwanzlänge 9½ Zoll. Aus den bisherigen Erfahrungen ſcheint hervorzugehen, daß der Mönchsgeier auf Mittel- und Südafrika beſchränkt iſt. Jn Nordafrika hat man ihn nicht gefunden, und auch in Aſien dürfte er nicht vorzukommen, es ſei denn, daß einer oder der andere das Bab el Mandeb überfliege. Dagegen iſt neuerdings behauptet worden, daß er in Europa gefunden worden ſei; dieſe Angabe bedarf jedoch noch ſehr der Beſtätigung. Jn Weſtafrika iſt er, ſoviel bis jetzt bekannt, der einzige Geier, welcher das Küſtengebiet belebt. Jn Habeſch iſt er häufiger, als alle dort lebenden Verwandten, wenigſtens viel häufiger, als der Schmuzgeier. Mit dieſem zuſammen bewohnt er das Jnnere, namentlich das untere Stromgebiet des weißen und blauen Nils; bei Charthum iſt er ebenſo häufig

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/612>, abgerufen am 22.11.2024.