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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schmuzgeier.
verläßt. Schon Hasselquist berichtet, daß er die Pilger nach Mekka geleite, um den Wegwurf des
geschlachteten Viehs aufzufressen und die umgekommenen Kamele zu bestatten; die Annahme ist gewiß
richtig: er wandert tagelang mit den Reisenden.

Nebenbei verzehrt der Schmuzgeier übrigens auch kleine Säugethiere und Vögel, wenn er solche
erlangen kann. Mein Bruder beobachtete wenigstens von einem seiner Gefangenen, daß dieser augen-
blicklich mit entschiedener Raublust auf seine gezähmten Vögel losging und sie eifrigst verfolgte.
Einen Fettammer, welchen er glücklich erlangte, tödtete er mit einem einzigen Schnabelhiebe, hielt ihn
fest und verzehrte ihn auf der Stelle. Die Angabe der Alten, daß der Schmuzgeier auf Mäuse jage
und sich deshalb die Achtung der Egypter erworben habe, scheint also durchaus nicht vollständig aus
der Luft gegriffen zu sein, und ebenso halte ich die von Bolle gemachte Mittheilung der Kanarier
begründet, daß unser Vogel ein arger Eierdieb sei. Don Lorenzo Maurel erzählte Bolle, er
könne nur mit Schwierigkeit Pfauen erziehen, weil die Schmuzgeier deren frisch gelegte Eier auf das
Schamloseste wegholten, ja den Hennen zu diesem Behufe auf Tritt und Schritt nachschlichen. Es
stimmt Dies ganz mit den Beobachtungen überein, welche an den amerikanischen Verwandten des
Schmuzgeiers gemacht wurden. Dagegen bleibt es fraglich, ob letzterer wirklich Pflanzenstoffe frißt,
wie Anderson angibt; unmöglich ist es auch nicht.

Ueber das Brutgeschäft sind erst in der Neuzeit sichere Beobachtungen angestellt worden. Gosse
in Genf erhielt zu Anfang unseres Jahrhunderts vier Junge, welche angeblich einem Horste ent-
nommen waren. Der Horst hatte in einer Felsenschlucht gestanden. Wir haben Ursache, an der
Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln; denn höchst wahrscheinlich legt der Schmuzgeier niemals vier
Eier, kann also keine vier Junge erziehen. Krüper hat in den letzten Jahren in Griechenland
mehrere Horste bestiegen. Er gibt an, daß die Paare selten in großer Nähe neben einander brüten,
wohl aber zuweilen einige von ihnen in ein und derselben Gebirgswand. Bolle hingegen beobachtete,
daß fünf bis sechs Horste dicht neben einander in den zerklüfteten Wänden eines tiefen Thales standen.
"Sie lieben es", sagt er, "nachbarlich neben einander zu brüten. Wo eine steile Felswand ihnen
bequeme Nistplätze darbietet, da siedeln sie sich an, ohne auf die größere oder geringere Wärme der
Oertlichkeit besonders Rücksicht zu nehmen. Die Masse des neben und unter den Nestern sich
anhäufenden Kothes macht, daß dieselben weithin sichtbar werden und dem Beobachter mit Leichtigkeit
ins Auge fallen. Die Geier scheinen ihre Sicherheit durchaus nicht durch eine versteckte Lage
begünstigen zu wollen, sondern sich einzig und allein auf die Unzugänglichkeit der Orte, welche sie
wählen, zu verlassen." Jch glaube Bolle beistimmen zu können, obwohl ich selbst niemals den Horst
eines Schmuzgeiers bestiegen habe. Jn Spanien tritt der Vogel so einzeln auf, daß ein gesell-
schaftliches Brüten kaum möglich ist. Jn Egypten sieht man die Horste an den steilen Wänden der
Kalkfelsen zu beiden Seiten des Nils, und zwar wenn die Oertlichkeit es erlaubt, oft mehrere neben
einander, regelmäßig aber an Stellen, zu denen man nur dann gelangen kann, wenn man sich an
einem Seile von oben herabläßt. Das habe ich nicht gethan. Nach Jerdon gründet der Schmuz-
geier in Jndien seinen Horst auf alten Gebäuden, auf Pagoden z. B. Der Bau selbst besteht aus
Zweigen und mancherlei Abfällen; die Nestmulde ist oft mit alten Lumpen eingefaßt. Das
Gelege enthält gewöhnlich zwei Eier; dreimal fand jedoch Krüper nur ein einziges; ihrer drei
oder vier hat er nie gefunden. Die Eier sind länglich, hinsichtlich des Korns und der Färbung sehr
verschieden, gewöhnlich auf gilblichweißem Grunde entweder lehmfarben oder rostbraun gefleckt und
marmorirt, einzelne auch wie mit blutschwarzen größeren Flecken und Streifen überschmiert. Diese
Flecken stehen zuweilen am dickeren, zuweilen am spitzeren Ende dichter zusammen. Wie lange die
Brutzeit währt, ist noch nicht ermittelt, auch weiß man nicht, ob beide Geschlechter an der Bebrütung
theilnehmen, wie sich Dies erwarten läßt. Das Weibchen sitzt sehr fest auf den Eiern und verläßt sie
erst, wenn der störende Mensch unmittelbar vor dem Horste angelangt ist. Die Jungen, welche
anfänglich mit einem grauweißlichen Flaum bekleidet sind, werden aus dem Kropfe geäzt. Sie sitzen
lange Zeit am Horste und verweilen auch dann noch Monate in Gesellschaft ihrer Alten.

Brehm, Thierleben. III. 37

Schmuzgeier.
verläßt. Schon Haſſelquiſt berichtet, daß er die Pilger nach Mekka geleite, um den Wegwurf des
geſchlachteten Viehs aufzufreſſen und die umgekommenen Kamele zu beſtatten; die Annahme iſt gewiß
richtig: er wandert tagelang mit den Reiſenden.

Nebenbei verzehrt der Schmuzgeier übrigens auch kleine Säugethiere und Vögel, wenn er ſolche
erlangen kann. Mein Bruder beobachtete wenigſtens von einem ſeiner Gefangenen, daß dieſer augen-
blicklich mit entſchiedener Raubluſt auf ſeine gezähmten Vögel losging und ſie eifrigſt verfolgte.
Einen Fettammer, welchen er glücklich erlangte, tödtete er mit einem einzigen Schnabelhiebe, hielt ihn
feſt und verzehrte ihn auf der Stelle. Die Angabe der Alten, daß der Schmuzgeier auf Mäuſe jage
und ſich deshalb die Achtung der Egypter erworben habe, ſcheint alſo durchaus nicht vollſtändig aus
der Luft gegriffen zu ſein, und ebenſo halte ich die von Bolle gemachte Mittheilung der Kanarier
begründet, daß unſer Vogel ein arger Eierdieb ſei. Don Lorenzo Maurel erzählte Bolle, er
könne nur mit Schwierigkeit Pfauen erziehen, weil die Schmuzgeier deren friſch gelegte Eier auf das
Schamloſeſte wegholten, ja den Hennen zu dieſem Behufe auf Tritt und Schritt nachſchlichen. Es
ſtimmt Dies ganz mit den Beobachtungen überein, welche an den amerikaniſchen Verwandten des
Schmuzgeiers gemacht wurden. Dagegen bleibt es fraglich, ob letzterer wirklich Pflanzenſtoffe frißt,
wie Anderſon angibt; unmöglich iſt es auch nicht.

Ueber das Brutgeſchäft ſind erſt in der Neuzeit ſichere Beobachtungen angeſtellt worden. Goſſe
in Genf erhielt zu Anfang unſeres Jahrhunderts vier Junge, welche angeblich einem Horſte ent-
nommen waren. Der Horſt hatte in einer Felſenſchlucht geſtanden. Wir haben Urſache, an der
Richtigkeit dieſer Angabe zu zweifeln; denn höchſt wahrſcheinlich legt der Schmuzgeier niemals vier
Eier, kann alſo keine vier Junge erziehen. Krüper hat in den letzten Jahren in Griechenland
mehrere Horſte beſtiegen. Er gibt an, daß die Paare ſelten in großer Nähe neben einander brüten,
wohl aber zuweilen einige von ihnen in ein und derſelben Gebirgswand. Bolle hingegen beobachtete,
daß fünf bis ſechs Horſte dicht neben einander in den zerklüfteten Wänden eines tiefen Thales ſtanden.
„Sie lieben es‟, ſagt er, „nachbarlich neben einander zu brüten. Wo eine ſteile Felswand ihnen
bequeme Niſtplätze darbietet, da ſiedeln ſie ſich an, ohne auf die größere oder geringere Wärme der
Oertlichkeit beſonders Rückſicht zu nehmen. Die Maſſe des neben und unter den Neſtern ſich
anhäufenden Kothes macht, daß dieſelben weithin ſichtbar werden und dem Beobachter mit Leichtigkeit
ins Auge fallen. Die Geier ſcheinen ihre Sicherheit durchaus nicht durch eine verſteckte Lage
begünſtigen zu wollen, ſondern ſich einzig und allein auf die Unzugänglichkeit der Orte, welche ſie
wählen, zu verlaſſen.‟ Jch glaube Bolle beiſtimmen zu können, obwohl ich ſelbſt niemals den Horſt
eines Schmuzgeiers beſtiegen habe. Jn Spanien tritt der Vogel ſo einzeln auf, daß ein geſell-
ſchaftliches Brüten kaum möglich iſt. Jn Egypten ſieht man die Horſte an den ſteilen Wänden der
Kalkfelſen zu beiden Seiten des Nils, und zwar wenn die Oertlichkeit es erlaubt, oft mehrere neben
einander, regelmäßig aber an Stellen, zu denen man nur dann gelangen kann, wenn man ſich an
einem Seile von oben herabläßt. Das habe ich nicht gethan. Nach Jerdon gründet der Schmuz-
geier in Jndien ſeinen Horſt auf alten Gebäuden, auf Pagoden z. B. Der Bau ſelbſt beſteht aus
Zweigen und mancherlei Abfällen; die Neſtmulde iſt oft mit alten Lumpen eingefaßt. Das
Gelege enthält gewöhnlich zwei Eier; dreimal fand jedoch Krüper nur ein einziges; ihrer drei
oder vier hat er nie gefunden. Die Eier ſind länglich, hinſichtlich des Korns und der Färbung ſehr
verſchieden, gewöhnlich auf gilblichweißem Grunde entweder lehmfarben oder roſtbraun gefleckt und
marmorirt, einzelne auch wie mit blutſchwarzen größeren Flecken und Streifen überſchmiert. Dieſe
Flecken ſtehen zuweilen am dickeren, zuweilen am ſpitzeren Ende dichter zuſammen. Wie lange die
Brutzeit währt, iſt noch nicht ermittelt, auch weiß man nicht, ob beide Geſchlechter an der Bebrütung
theilnehmen, wie ſich Dies erwarten läßt. Das Weibchen ſitzt ſehr feſt auf den Eiern und verläßt ſie
erſt, wenn der ſtörende Menſch unmittelbar vor dem Horſte angelangt iſt. Die Jungen, welche
anfänglich mit einem grauweißlichen Flaum bekleidet ſind, werden aus dem Kropfe geäzt. Sie ſitzen
lange Zeit am Horſte und verweilen auch dann noch Monate in Geſellſchaft ihrer Alten.

Brehm, Thierleben. III. 37
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[577/0611] Schmuzgeier. verläßt. Schon Haſſelquiſt berichtet, daß er die Pilger nach Mekka geleite, um den Wegwurf des geſchlachteten Viehs aufzufreſſen und die umgekommenen Kamele zu beſtatten; die Annahme iſt gewiß richtig: er wandert tagelang mit den Reiſenden. Nebenbei verzehrt der Schmuzgeier übrigens auch kleine Säugethiere und Vögel, wenn er ſolche erlangen kann. Mein Bruder beobachtete wenigſtens von einem ſeiner Gefangenen, daß dieſer augen- blicklich mit entſchiedener Raubluſt auf ſeine gezähmten Vögel losging und ſie eifrigſt verfolgte. Einen Fettammer, welchen er glücklich erlangte, tödtete er mit einem einzigen Schnabelhiebe, hielt ihn feſt und verzehrte ihn auf der Stelle. Die Angabe der Alten, daß der Schmuzgeier auf Mäuſe jage und ſich deshalb die Achtung der Egypter erworben habe, ſcheint alſo durchaus nicht vollſtändig aus der Luft gegriffen zu ſein, und ebenſo halte ich die von Bolle gemachte Mittheilung der Kanarier begründet, daß unſer Vogel ein arger Eierdieb ſei. Don Lorenzo Maurel erzählte Bolle, er könne nur mit Schwierigkeit Pfauen erziehen, weil die Schmuzgeier deren friſch gelegte Eier auf das Schamloſeſte wegholten, ja den Hennen zu dieſem Behufe auf Tritt und Schritt nachſchlichen. Es ſtimmt Dies ganz mit den Beobachtungen überein, welche an den amerikaniſchen Verwandten des Schmuzgeiers gemacht wurden. Dagegen bleibt es fraglich, ob letzterer wirklich Pflanzenſtoffe frißt, wie Anderſon angibt; unmöglich iſt es auch nicht. Ueber das Brutgeſchäft ſind erſt in der Neuzeit ſichere Beobachtungen angeſtellt worden. Goſſe in Genf erhielt zu Anfang unſeres Jahrhunderts vier Junge, welche angeblich einem Horſte ent- nommen waren. Der Horſt hatte in einer Felſenſchlucht geſtanden. Wir haben Urſache, an der Richtigkeit dieſer Angabe zu zweifeln; denn höchſt wahrſcheinlich legt der Schmuzgeier niemals vier Eier, kann alſo keine vier Junge erziehen. Krüper hat in den letzten Jahren in Griechenland mehrere Horſte beſtiegen. Er gibt an, daß die Paare ſelten in großer Nähe neben einander brüten, wohl aber zuweilen einige von ihnen in ein und derſelben Gebirgswand. Bolle hingegen beobachtete, daß fünf bis ſechs Horſte dicht neben einander in den zerklüfteten Wänden eines tiefen Thales ſtanden. „Sie lieben es‟, ſagt er, „nachbarlich neben einander zu brüten. Wo eine ſteile Felswand ihnen bequeme Niſtplätze darbietet, da ſiedeln ſie ſich an, ohne auf die größere oder geringere Wärme der Oertlichkeit beſonders Rückſicht zu nehmen. Die Maſſe des neben und unter den Neſtern ſich anhäufenden Kothes macht, daß dieſelben weithin ſichtbar werden und dem Beobachter mit Leichtigkeit ins Auge fallen. Die Geier ſcheinen ihre Sicherheit durchaus nicht durch eine verſteckte Lage begünſtigen zu wollen, ſondern ſich einzig und allein auf die Unzugänglichkeit der Orte, welche ſie wählen, zu verlaſſen.‟ Jch glaube Bolle beiſtimmen zu können, obwohl ich ſelbſt niemals den Horſt eines Schmuzgeiers beſtiegen habe. Jn Spanien tritt der Vogel ſo einzeln auf, daß ein geſell- ſchaftliches Brüten kaum möglich iſt. Jn Egypten ſieht man die Horſte an den ſteilen Wänden der Kalkfelſen zu beiden Seiten des Nils, und zwar wenn die Oertlichkeit es erlaubt, oft mehrere neben einander, regelmäßig aber an Stellen, zu denen man nur dann gelangen kann, wenn man ſich an einem Seile von oben herabläßt. Das habe ich nicht gethan. Nach Jerdon gründet der Schmuz- geier in Jndien ſeinen Horſt auf alten Gebäuden, auf Pagoden z. B. Der Bau ſelbſt beſteht aus Zweigen und mancherlei Abfällen; die Neſtmulde iſt oft mit alten Lumpen eingefaßt. Das Gelege enthält gewöhnlich zwei Eier; dreimal fand jedoch Krüper nur ein einziges; ihrer drei oder vier hat er nie gefunden. Die Eier ſind länglich, hinſichtlich des Korns und der Färbung ſehr verſchieden, gewöhnlich auf gilblichweißem Grunde entweder lehmfarben oder roſtbraun gefleckt und marmorirt, einzelne auch wie mit blutſchwarzen größeren Flecken und Streifen überſchmiert. Dieſe Flecken ſtehen zuweilen am dickeren, zuweilen am ſpitzeren Ende dichter zuſammen. Wie lange die Brutzeit währt, iſt noch nicht ermittelt, auch weiß man nicht, ob beide Geſchlechter an der Bebrütung theilnehmen, wie ſich Dies erwarten läßt. Das Weibchen ſitzt ſehr feſt auf den Eiern und verläßt ſie erſt, wenn der ſtörende Menſch unmittelbar vor dem Horſte angelangt iſt. Die Jungen, welche anfänglich mit einem grauweißlichen Flaum bekleidet ſind, werden aus dem Kropfe geäzt. Sie ſitzen lange Zeit am Horſte und verweilen auch dann noch Monate in Geſellſchaft ihrer Alten. Brehm, Thierleben. III. 37

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/611>, abgerufen am 22.11.2024.