Gefieder, dicke, kurze Federohren und ein wenig bemerklicher Schleier, welcher den kleinen Ohröffnungen entspricht, kennzeichnen die Zwerge unserer Familie, welche ihrer geringen Größe wegen Zwerg- ohreulen (Scops) genannt werden. Die in diese Sippe zählenden Vögel bewohnen Südeuropa, Asien, Afrika und Amerika. Sie gehören zu den niedlichsten und liebenswürdigsten Eulen überhaupt und erwerben sich die Zuneigung eines Jeden, welcher sie kennen lernt. Leben und Betragen ent- sprechen, so weit es uns bekannt, dem Wesen und Treiben der südeuropäischen Art, über welche ich, größtentheils nach eigener Erfahrung, Einiges berichten will.
Die Zwergohreule, der Ohrenkauz, das Waldeufel, die Posseneule (Scops carniolica oder Ephialtes Scops) ist 63/4 bis 71/4 Zoll lang und 181/2 bis 191/4 Zoll breit; der Fittig mißt 5 2/3 Zoll, der Schwanz 21/2 bis 23/4 Zoll. Das Gefieder ist sehr bunt, aber höchst ansprechend gefärbt und gezeichnet. Auf der Oberseite herrscht ein durch Aschgrau gedämpftes Rothbraun vor, welches schwärzlich gewässert und längs gestreift ist, auf dem Flügel aber weiß und in der Schultergegend röth- lich geschuppt ist. Die Färbung der ganzen Unterseite ist ein verworrenes Gemisch von Braunrost- gelb und Grauweiß. Der Schleier ist undeutlich, die Federohren sind mittellang. Der Schnabel ist blaugrau, der Fuß dunkelbleigrau, das Auge hellschwefelgelb. Männchen und Weibchen unterscheiden sich kaum durch die Färbung; die Jungen sind etwas trüber gefärbt und minder bunt gezeichnet, als die Alten. Bei genauerer Betrachtung erstaunt man über den Farbenreichthum und über die feine und manchfaltige Zeichnung des Gefieders.
Erst von Süddeutschland an nach Mittag hin ist die Zwergohreule eine regelmäßige Erscheinung; nach Nord- und Mitteldeutschland verirrt sie sich nur. Horstend trifft man sie einzeln am Rhein und in dem Alpengebiet, öfterer aber schon in Südfrankreich und häufig in ganz Südeuropa. Doch muß man ihre Lebensweise genau kennen, wenn man sie überhaupt auffinden will. Jn Europa ist sie Zugvogel, welcher ziemlich früh im Jahre erscheint, aber auch ziemlich bald, im September, spä- testens Anfang Oktober wieder wegwandert und seine Reisen bis in das tiefste Jnnere von Afrika ausdehnt. Heuglin ist geneigt, zu glauben, daß sie in den Bogosländern Standvogel sei; ich habe sie in den oberen Nilländern niemals paarweise, wohl aber in zahlreichen Gesellschaften gefunden, welche unzweifelhaft auf dem Zuge begriffen waren. Solche Flüge freilich, welche ihrer Anzahl nach mit ziehenden Schwalben verglichen werden könnten, wie Buffon es angibt, habe ich nie gesehen.
Jn Spanien hält sich die Zwergeule in ebenen, mit einzelnen Bäumen bestandenen Gegenden auf, namentlich in Feldern und Weinbergen, Gärten und Spaziergängen. Ob sie im eigentlichen Walde vorkommt, vermag ich nicht zu sagen; gefunden habe ich sie hier nie. Sie scheut sich durch- aus nicht vor dem Menschen, sondern siedelt sich unmittelbar in dessen Nachbarschaft an: so ist sie z. B. recht häufig auf den Bäumen des belebtesten Spazierganges in Madrid. Aber es ist doch nicht leicht, sie aufzufinden. Auch sie hält sich bei Tage ganz ruhig, dicht an einen Baumstamm gedrückt oder auch unter Weinlaub verborgen, niedrig über dem Boden sitzend, und der kleine Vogel schmiegt sich trotz seiner bunten Zeichnung so innig der Rindenfärbung an oder verliert sich so vollständig in dem Gelaube, daß nur der Zufall ihn in Sicht bringt. Erst nach Sonnenuntergang sieht man ihn in gewandtem, mehr falken- als eulenartigen Fluge jagend, dahin streichen, nach anderer Eulenart ebenfalls niedrig über dem Boden. Eine Stimme habe ich von dem Freilebenden nie vernommen, von Gefangenen nur ein leises Gewisper.
Jm Verhältniß zu ihrer geringen Größe ist die Zwergohreule ein tüchtiger Räuber. Jhre Jagd gilt vorzugsweise kleinen Wirbelthieren, nicht aber Kerfen, wie man geneigt ist, zu glauben. Jn dem Magen der Getödteten fand ich hauptsächlich Mäuse; meine Gefangenen aber fielen mörderisch auch kleine Vögel an und eine von ihnen, welche ich frei im Zimmer herumfliegen hatte, fing mit großer Gewandtheit und Geschicklichkeit vor meinen Augen eine Fledermaus, welche durch die offene Thür hereingekommen war, und erwürgte sie im Umsehen. Größeren Wirbelthieren kann der Zwerg freilich Nichts anhaben.
Sumpfeule. Zwergohreule.
Gefieder, dicke, kurze Federohren und ein wenig bemerklicher Schleier, welcher den kleinen Ohröffnungen entſpricht, kennzeichnen die Zwerge unſerer Familie, welche ihrer geringen Größe wegen Zwerg- ohreulen (Scops) genannt werden. Die in dieſe Sippe zählenden Vögel bewohnen Südeuropa, Aſien, Afrika und Amerika. Sie gehören zu den niedlichſten und liebenswürdigſten Eulen überhaupt und erwerben ſich die Zuneigung eines Jeden, welcher ſie kennen lernt. Leben und Betragen ent- ſprechen, ſo weit es uns bekannt, dem Weſen und Treiben der ſüdeuropäiſchen Art, über welche ich, größtentheils nach eigener Erfahrung, Einiges berichten will.
Die Zwergohreule, der Ohrenkauz, das Waldeufel, die Poſſeneule (Scops carniolica oder Ephialtes Scops) iſt 6¾ bis 7¼ Zoll lang und 18½ bis 19¼ Zoll breit; der Fittig mißt 5⅔ Zoll, der Schwanz 2½ bis 2¾ Zoll. Das Gefieder iſt ſehr bunt, aber höchſt anſprechend gefärbt und gezeichnet. Auf der Oberſeite herrſcht ein durch Aſchgrau gedämpftes Rothbraun vor, welches ſchwärzlich gewäſſert und längs geſtreift iſt, auf dem Flügel aber weiß und in der Schultergegend röth- lich geſchuppt iſt. Die Färbung der ganzen Unterſeite iſt ein verworrenes Gemiſch von Braunroſt- gelb und Grauweiß. Der Schleier iſt undeutlich, die Federohren ſind mittellang. Der Schnabel iſt blaugrau, der Fuß dunkelbleigrau, das Auge hellſchwefelgelb. Männchen und Weibchen unterſcheiden ſich kaum durch die Färbung; die Jungen ſind etwas trüber gefärbt und minder bunt gezeichnet, als die Alten. Bei genauerer Betrachtung erſtaunt man über den Farbenreichthum und über die feine und manchfaltige Zeichnung des Gefieders.
Erſt von Süddeutſchland an nach Mittag hin iſt die Zwergohreule eine regelmäßige Erſcheinung; nach Nord- und Mitteldeutſchland verirrt ſie ſich nur. Horſtend trifft man ſie einzeln am Rhein und in dem Alpengebiet, öfterer aber ſchon in Südfrankreich und häufig in ganz Südeuropa. Doch muß man ihre Lebensweiſe genau kennen, wenn man ſie überhaupt auffinden will. Jn Europa iſt ſie Zugvogel, welcher ziemlich früh im Jahre erſcheint, aber auch ziemlich bald, im September, ſpä- teſtens Anfang Oktober wieder wegwandert und ſeine Reiſen bis in das tiefſte Jnnere von Afrika ausdehnt. Heuglin iſt geneigt, zu glauben, daß ſie in den Bogosländern Standvogel ſei; ich habe ſie in den oberen Nilländern niemals paarweiſe, wohl aber in zahlreichen Geſellſchaften gefunden, welche unzweifelhaft auf dem Zuge begriffen waren. Solche Flüge freilich, welche ihrer Anzahl nach mit ziehenden Schwalben verglichen werden könnten, wie Buffon es angibt, habe ich nie geſehen.
Jn Spanien hält ſich die Zwergeule in ebenen, mit einzelnen Bäumen beſtandenen Gegenden auf, namentlich in Feldern und Weinbergen, Gärten und Spaziergängen. Ob ſie im eigentlichen Walde vorkommt, vermag ich nicht zu ſagen; gefunden habe ich ſie hier nie. Sie ſcheut ſich durch- aus nicht vor dem Menſchen, ſondern ſiedelt ſich unmittelbar in deſſen Nachbarſchaft an: ſo iſt ſie z. B. recht häufig auf den Bäumen des belebteſten Spazierganges in Madrid. Aber es iſt doch nicht leicht, ſie aufzufinden. Auch ſie hält ſich bei Tage ganz ruhig, dicht an einen Baumſtamm gedrückt oder auch unter Weinlaub verborgen, niedrig über dem Boden ſitzend, und der kleine Vogel ſchmiegt ſich trotz ſeiner bunten Zeichnung ſo innig der Rindenfärbung an oder verliert ſich ſo vollſtändig in dem Gelaube, daß nur der Zufall ihn in Sicht bringt. Erſt nach Sonnenuntergang ſieht man ihn in gewandtem, mehr falken- als eulenartigen Fluge jagend, dahin ſtreichen, nach anderer Eulenart ebenfalls niedrig über dem Boden. Eine Stimme habe ich von dem Freilebenden nie vernommen, von Gefangenen nur ein leiſes Gewiſper.
Jm Verhältniß zu ihrer geringen Größe iſt die Zwergohreule ein tüchtiger Räuber. Jhre Jagd gilt vorzugsweiſe kleinen Wirbelthieren, nicht aber Kerfen, wie man geneigt iſt, zu glauben. Jn dem Magen der Getödteten fand ich hauptſächlich Mäuſe; meine Gefangenen aber fielen mörderiſch auch kleine Vögel an und eine von ihnen, welche ich frei im Zimmer herumfliegen hatte, fing mit großer Gewandtheit und Geſchicklichkeit vor meinen Augen eine Fledermaus, welche durch die offene Thür hereingekommen war, und erwürgte ſie im Umſehen. Größeren Wirbelthieren kann der Zwerg freilich Nichts anhaben.
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[615/0651]
Sumpfeule. Zwergohreule.
Gefieder, dicke, kurze Federohren und ein wenig bemerklicher Schleier, welcher den kleinen Ohröffnungen
entſpricht, kennzeichnen die Zwerge unſerer Familie, welche ihrer geringen Größe wegen Zwerg-
ohreulen (Scops) genannt werden. Die in dieſe Sippe zählenden Vögel bewohnen Südeuropa,
Aſien, Afrika und Amerika. Sie gehören zu den niedlichſten und liebenswürdigſten Eulen überhaupt
und erwerben ſich die Zuneigung eines Jeden, welcher ſie kennen lernt. Leben und Betragen ent-
ſprechen, ſo weit es uns bekannt, dem Weſen und Treiben der ſüdeuropäiſchen Art, über welche ich,
größtentheils nach eigener Erfahrung, Einiges berichten will.
Die Zwergohreule, der Ohrenkauz, das Waldeufel, die Poſſeneule (Scops carniolica
oder Ephialtes Scops) iſt 6¾ bis 7¼ Zoll lang und 18½ bis 19¼ Zoll breit; der Fittig mißt 5⅔
Zoll, der Schwanz 2½ bis 2¾ Zoll. Das Gefieder iſt ſehr bunt, aber höchſt anſprechend gefärbt
und gezeichnet. Auf der Oberſeite herrſcht ein durch Aſchgrau gedämpftes Rothbraun vor, welches
ſchwärzlich gewäſſert und längs geſtreift iſt, auf dem Flügel aber weiß und in der Schultergegend röth-
lich geſchuppt iſt. Die Färbung der ganzen Unterſeite iſt ein verworrenes Gemiſch von Braunroſt-
gelb und Grauweiß. Der Schleier iſt undeutlich, die Federohren ſind mittellang. Der Schnabel iſt
blaugrau, der Fuß dunkelbleigrau, das Auge hellſchwefelgelb. Männchen und Weibchen unterſcheiden
ſich kaum durch die Färbung; die Jungen ſind etwas trüber gefärbt und minder bunt gezeichnet, als
die Alten. Bei genauerer Betrachtung erſtaunt man über den Farbenreichthum und über die feine
und manchfaltige Zeichnung des Gefieders.
Erſt von Süddeutſchland an nach Mittag hin iſt die Zwergohreule eine regelmäßige Erſcheinung;
nach Nord- und Mitteldeutſchland verirrt ſie ſich nur. Horſtend trifft man ſie einzeln am Rhein
und in dem Alpengebiet, öfterer aber ſchon in Südfrankreich und häufig in ganz Südeuropa. Doch
muß man ihre Lebensweiſe genau kennen, wenn man ſie überhaupt auffinden will. Jn Europa iſt
ſie Zugvogel, welcher ziemlich früh im Jahre erſcheint, aber auch ziemlich bald, im September, ſpä-
teſtens Anfang Oktober wieder wegwandert und ſeine Reiſen bis in das tiefſte Jnnere von Afrika
ausdehnt. Heuglin iſt geneigt, zu glauben, daß ſie in den Bogosländern Standvogel ſei; ich habe
ſie in den oberen Nilländern niemals paarweiſe, wohl aber in zahlreichen Geſellſchaften gefunden,
welche unzweifelhaft auf dem Zuge begriffen waren. Solche Flüge freilich, welche ihrer Anzahl nach
mit ziehenden Schwalben verglichen werden könnten, wie Buffon es angibt, habe ich nie geſehen.
Jn Spanien hält ſich die Zwergeule in ebenen, mit einzelnen Bäumen beſtandenen Gegenden
auf, namentlich in Feldern und Weinbergen, Gärten und Spaziergängen. Ob ſie im eigentlichen
Walde vorkommt, vermag ich nicht zu ſagen; gefunden habe ich ſie hier nie. Sie ſcheut ſich durch-
aus nicht vor dem Menſchen, ſondern ſiedelt ſich unmittelbar in deſſen Nachbarſchaft an: ſo iſt ſie z. B.
recht häufig auf den Bäumen des belebteſten Spazierganges in Madrid. Aber es iſt doch nicht leicht,
ſie aufzufinden. Auch ſie hält ſich bei Tage ganz ruhig, dicht an einen Baumſtamm gedrückt oder auch
unter Weinlaub verborgen, niedrig über dem Boden ſitzend, und der kleine Vogel ſchmiegt ſich trotz
ſeiner bunten Zeichnung ſo innig der Rindenfärbung an oder verliert ſich ſo vollſtändig in dem
Gelaube, daß nur der Zufall ihn in Sicht bringt. Erſt nach Sonnenuntergang ſieht man ihn in
gewandtem, mehr falken- als eulenartigen Fluge jagend, dahin ſtreichen, nach anderer Eulenart
ebenfalls niedrig über dem Boden. Eine Stimme habe ich von dem Freilebenden nie vernommen, von
Gefangenen nur ein leiſes Gewiſper.
Jm Verhältniß zu ihrer geringen Größe iſt die Zwergohreule ein tüchtiger Räuber. Jhre Jagd
gilt vorzugsweiſe kleinen Wirbelthieren, nicht aber Kerfen, wie man geneigt iſt, zu glauben. Jn dem
Magen der Getödteten fand ich hauptſächlich Mäuſe; meine Gefangenen aber fielen mörderiſch auch
kleine Vögel an und eine von ihnen, welche ich frei im Zimmer herumfliegen hatte, fing mit großer
Gewandtheit und Geſchicklichkeit vor meinen Augen eine Fledermaus, welche durch die offene Thür
hereingekommen war, und erwürgte ſie im Umſehen. Größeren Wirbelthieren kann der Zwerg freilich
Nichts anhaben.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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