der Eine frißt, schauen die Andern zwar aufmerksam, aber sehr ruhig zu, und eigentliche Kämpfe um die Nahrung kommen nicht vor, sind von uns wenigstens nicht beobachtet worden. Ein Pärchen von ihnen hat sogar vier Eier gelegt und dieselben lange bebrütet, oft unter Mithilfe von zwei oder drei seiner Mitgefangenen. Dagegen wird ein Todter im Käfig ohne Bedenken aufgefressen und ein Kranker grausam erwürgt.
Dem muntern Steinkauz zum Verwechseln ähnlich ist ein zweiter Nachtkauz, welcher in Deutsch- land überall, jedoch nirgends häufig gefunden worden ist, der Rauchfußkauz (Nyctale dasypus). Jhn kennzeichnen der sehr breite Kopf mit außerordentlich großen Ohröffnungen und vollkommenem Schleier, die abgerundeten Flügel, der ziemlich lange Schwanz, die kurzen, ungemein dichten und lang befiederten Füße und das außerordentlich weiche, seidenartige Gefieder. Die Färbung unterscheidet sich wenig von der des Steinkauzes. Der Oberkörper ist mäusegrau, durch große weißliche Flecken gezeichnet, der Unterkörper weiß mit deutlichen und vertuschten mänsebraunen Querflecken. Die Schwung- und Schwanzfedern sind mäusegran mit weißen unterbrochenen Binden, von denen fünf bis sechs auf den Steuerfedern stehen. Der Schleier ist weißgrau, schwarz getuscht, der Schnabel horngelb, das Auge lebhaft goldgelb. Junge Vögel sind einfarbig kaffeebraun, auf den Flügeln und dem Schwanze weißlich gefleckt. Die Länge beträgt 9 bis 10 Zoll, die Breite 21 bis 23 Zoll, die Schwanzlänge 4 bis 5 Zoll.
Auch der Rauchfußkauz gehört vorzugsweise Mitteleuropa an. Jm nördlichen Asien hat man ihn jedoch ebenfalls angetroffen, und im hohen Norden Amerikas ist er, nach Richardson's Ver- sicherung, keineswegs eine seltene Erscheinung. Jn Deutschland lebt er wahrscheinlich in jedem größeren Gebirgswalde; er wird aber niemals häufig bemerkt und gehört deshalb in den Sammlungen, namentlich in denen lebender Thiere, immer zu den Seltenheiten. Soviel man bis jetzt erfahren hat, verläßt auch er den Wald nur ausnahmsweise. Eine geeignete Baumhöhlung wird zum Mittelpunkt seines Gebietes, und das Pärchen hält an ihm mit großer Zähigkeit fest.
"Er ist", sagt mein Vater, "ein einsamer, furchtsamer, licht- und menschenscheuer Vogel, der sich am Tage sehr sorgfältig verbirgt. Gegen das Tageslicht ist er sehr empfindlich. Jch hatte ein Weibchen, welches im Winter ermattet im Walde gefunden wurde, einige Zeit lebendig. Dieses suchte immer die dunkelsten Orte im Zimmer und öffnete auch hier die Augen nur wenig. Brachte man es in das volle Tageslicht, dann schloß es die Augen fast ganz und hüpfte, sobald man es frei ließ, sogleich wieder seinem Schlupfwinkel schwerfällig zu. Es knackte mit dem Schnabel wie andere Eulen, war aber sehr wenig wild und ungestüm."
"Ein Freund von mir hatte einen rauchfüßigen Kauz längere Zeit lebendig, welcher nach seiner Erzählung ein allerliebstes Thier war. Er wurde bald zahm, knackte aber doch mit dem Schnabel, wenn man ihn neckte, sträubte dabei seine Federn und hob die Flügel etwas; doch drückte er sich bei Weitem nicht so nieder, wie der Uhu. Kleine Mäuse verschluckte er ganz, jedoch ungern am Tage; größere zerstückelte er, fraß aber das Fell mit und spie es in Klumpen nebst den darin eingewickelten Knochen wieder aus. Mit zwei Mäusen hatte er den Tag hinlänglich genug. Er saß, wie der meinige, meist mit etwas eingezogenen Fußwurzeln und locker anliegenden Federn."
Ein Paar, welches in einem düstern Waldgrund genistet hatte, konnte mein Vater in der Freiheit beobachten. "Sobald es dämmerig wurde", erzählt er, "begannen die Jungen zu schreien. Näherte man sich ihnen, dann schwiegen sie und regten sich nicht eher wieder, als bis Alles lange ruhig geblieben war und sie also keine Gefahr mehr fürchteten. Sobald sie wieder zu schreien anfingen, wurde eins herabgeschossen; es hatte ziemlich tief unten am Stamme auf einem dürren Aste gesessen. Sogleich kam das alte Weibchen herbeigeflogen und bewog durch sein klägliches Geschrei die übrigen zur Flucht. Jetzt waren sie lange Zeit still; endlich ertönte ihr langgezogenes "Piep" von neuem. Es wurde sich
Wald- und Rauchfußkauz.
der Eine frißt, ſchauen die Andern zwar aufmerkſam, aber ſehr ruhig zu, und eigentliche Kämpfe um die Nahrung kommen nicht vor, ſind von uns wenigſtens nicht beobachtet worden. Ein Pärchen von ihnen hat ſogar vier Eier gelegt und dieſelben lange bebrütet, oft unter Mithilfe von zwei oder drei ſeiner Mitgefangenen. Dagegen wird ein Todter im Käfig ohne Bedenken aufgefreſſen und ein Kranker grauſam erwürgt.
Dem muntern Steinkauz zum Verwechſeln ähnlich iſt ein zweiter Nachtkauz, welcher in Deutſch- land überall, jedoch nirgends häufig gefunden worden iſt, der Rauchfußkauz (Nyctale dasypus). Jhn kennzeichnen der ſehr breite Kopf mit außerordentlich großen Ohröffnungen und vollkommenem Schleier, die abgerundeten Flügel, der ziemlich lange Schwanz, die kurzen, ungemein dichten und lang befiederten Füße und das außerordentlich weiche, ſeidenartige Gefieder. Die Färbung unterſcheidet ſich wenig von der des Steinkauzes. Der Oberkörper iſt mäuſegrau, durch große weißliche Flecken gezeichnet, der Unterkörper weiß mit deutlichen und vertuſchten mänſebraunen Querflecken. Die Schwung- und Schwanzfedern ſind mäuſegran mit weißen unterbrochenen Binden, von denen fünf bis ſechs auf den Steuerfedern ſtehen. Der Schleier iſt weißgrau, ſchwarz getuſcht, der Schnabel horngelb, das Auge lebhaft goldgelb. Junge Vögel ſind einfarbig kaffeebraun, auf den Flügeln und dem Schwanze weißlich gefleckt. Die Länge beträgt 9 bis 10 Zoll, die Breite 21 bis 23 Zoll, die Schwanzlänge 4 bis 5 Zoll.
Auch der Rauchfußkauz gehört vorzugsweiſe Mitteleuropa an. Jm nördlichen Aſien hat man ihn jedoch ebenfalls angetroffen, und im hohen Norden Amerikas iſt er, nach Richardſon’s Ver- ſicherung, keineswegs eine ſeltene Erſcheinung. Jn Deutſchland lebt er wahrſcheinlich in jedem größeren Gebirgswalde; er wird aber niemals häufig bemerkt und gehört deshalb in den Sammlungen, namentlich in denen lebender Thiere, immer zu den Seltenheiten. Soviel man bis jetzt erfahren hat, verläßt auch er den Wald nur ausnahmsweiſe. Eine geeignete Baumhöhlung wird zum Mittelpunkt ſeines Gebietes, und das Pärchen hält an ihm mit großer Zähigkeit feſt.
„Er iſt‟, ſagt mein Vater, „ein einſamer, furchtſamer, licht- und menſchenſcheuer Vogel, der ſich am Tage ſehr ſorgfältig verbirgt. Gegen das Tageslicht iſt er ſehr empfindlich. Jch hatte ein Weibchen, welches im Winter ermattet im Walde gefunden wurde, einige Zeit lebendig. Dieſes ſuchte immer die dunkelſten Orte im Zimmer und öffnete auch hier die Augen nur wenig. Brachte man es in das volle Tageslicht, dann ſchloß es die Augen faſt ganz und hüpfte, ſobald man es frei ließ, ſogleich wieder ſeinem Schlupfwinkel ſchwerfällig zu. Es knackte mit dem Schnabel wie andere Eulen, war aber ſehr wenig wild und ungeſtüm.‟
„Ein Freund von mir hatte einen rauchfüßigen Kauz längere Zeit lebendig, welcher nach ſeiner Erzählung ein allerliebſtes Thier war. Er wurde bald zahm, knackte aber doch mit dem Schnabel, wenn man ihn neckte, ſträubte dabei ſeine Federn und hob die Flügel etwas; doch drückte er ſich bei Weitem nicht ſo nieder, wie der Uhu. Kleine Mäuſe verſchluckte er ganz, jedoch ungern am Tage; größere zerſtückelte er, fraß aber das Fell mit und ſpie es in Klumpen nebſt den darin eingewickelten Knochen wieder aus. Mit zwei Mäuſen hatte er den Tag hinlänglich genug. Er ſaß, wie der meinige, meiſt mit etwas eingezogenen Fußwurzeln und locker anliegenden Federn.‟
Ein Paar, welches in einem düſtern Waldgrund geniſtet hatte, konnte mein Vater in der Freiheit beobachten. „Sobald es dämmerig wurde‟, erzählt er, „begannen die Jungen zu ſchreien. Näherte man ſich ihnen, dann ſchwiegen ſie und regten ſich nicht eher wieder, als bis Alles lange ruhig geblieben war und ſie alſo keine Gefahr mehr fürchteten. Sobald ſie wieder zu ſchreien anfingen, wurde eins herabgeſchoſſen; es hatte ziemlich tief unten am Stamme auf einem dürren Aſte geſeſſen. Sogleich kam das alte Weibchen herbeigeflogen und bewog durch ſein klägliches Geſchrei die übrigen zur Flucht. Jetzt waren ſie lange Zeit ſtill; endlich ertönte ihr langgezogenes „Piep‟ von neuem. Es wurde ſich
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[619/0655]
Wald- und Rauchfußkauz.
der Eine frißt, ſchauen die Andern zwar aufmerkſam, aber ſehr ruhig zu, und eigentliche Kämpfe um
die Nahrung kommen nicht vor, ſind von uns wenigſtens nicht beobachtet worden. Ein Pärchen von
ihnen hat ſogar vier Eier gelegt und dieſelben lange bebrütet, oft unter Mithilfe von zwei oder drei
ſeiner Mitgefangenen. Dagegen wird ein Todter im Käfig ohne Bedenken aufgefreſſen und ein
Kranker grauſam erwürgt.
Dem muntern Steinkauz zum Verwechſeln ähnlich iſt ein zweiter Nachtkauz, welcher in Deutſch-
land überall, jedoch nirgends häufig gefunden worden iſt, der Rauchfußkauz (Nyctale dasypus).
Jhn kennzeichnen der ſehr breite Kopf mit außerordentlich großen Ohröffnungen und vollkommenem
Schleier, die abgerundeten Flügel, der ziemlich lange Schwanz, die kurzen, ungemein dichten und lang
befiederten Füße und das außerordentlich weiche, ſeidenartige Gefieder. Die Färbung unterſcheidet
ſich wenig von der des Steinkauzes. Der Oberkörper iſt mäuſegrau, durch große weißliche Flecken
gezeichnet, der Unterkörper weiß mit deutlichen und vertuſchten mänſebraunen Querflecken. Die
Schwung- und Schwanzfedern ſind mäuſegran mit weißen unterbrochenen Binden, von denen fünf
bis ſechs auf den Steuerfedern ſtehen. Der Schleier iſt weißgrau, ſchwarz getuſcht, der Schnabel
horngelb, das Auge lebhaft goldgelb. Junge Vögel ſind einfarbig kaffeebraun, auf den Flügeln und
dem Schwanze weißlich gefleckt. Die Länge beträgt 9 bis 10 Zoll, die Breite 21 bis 23 Zoll, die
Schwanzlänge 4 bis 5 Zoll.
Auch der Rauchfußkauz gehört vorzugsweiſe Mitteleuropa an. Jm nördlichen Aſien hat man
ihn jedoch ebenfalls angetroffen, und im hohen Norden Amerikas iſt er, nach Richardſon’s Ver-
ſicherung, keineswegs eine ſeltene Erſcheinung. Jn Deutſchland lebt er wahrſcheinlich in jedem
größeren Gebirgswalde; er wird aber niemals häufig bemerkt und gehört deshalb in den Sammlungen,
namentlich in denen lebender Thiere, immer zu den Seltenheiten. Soviel man bis jetzt erfahren hat,
verläßt auch er den Wald nur ausnahmsweiſe. Eine geeignete Baumhöhlung wird zum Mittelpunkt
ſeines Gebietes, und das Pärchen hält an ihm mit großer Zähigkeit feſt.
„Er iſt‟, ſagt mein Vater, „ein einſamer, furchtſamer, licht- und menſchenſcheuer Vogel, der ſich
am Tage ſehr ſorgfältig verbirgt. Gegen das Tageslicht iſt er ſehr empfindlich. Jch hatte ein
Weibchen, welches im Winter ermattet im Walde gefunden wurde, einige Zeit lebendig. Dieſes ſuchte
immer die dunkelſten Orte im Zimmer und öffnete auch hier die Augen nur wenig. Brachte man es
in das volle Tageslicht, dann ſchloß es die Augen faſt ganz und hüpfte, ſobald man es frei ließ,
ſogleich wieder ſeinem Schlupfwinkel ſchwerfällig zu. Es knackte mit dem Schnabel wie andere Eulen,
war aber ſehr wenig wild und ungeſtüm.‟
„Ein Freund von mir hatte einen rauchfüßigen Kauz längere Zeit lebendig, welcher nach ſeiner
Erzählung ein allerliebſtes Thier war. Er wurde bald zahm, knackte aber doch mit dem Schnabel,
wenn man ihn neckte, ſträubte dabei ſeine Federn und hob die Flügel etwas; doch drückte er ſich bei
Weitem nicht ſo nieder, wie der Uhu. Kleine Mäuſe verſchluckte er ganz, jedoch ungern am Tage;
größere zerſtückelte er, fraß aber das Fell mit und ſpie es in Klumpen nebſt den darin eingewickelten
Knochen wieder aus. Mit zwei Mäuſen hatte er den Tag hinlänglich genug. Er ſaß, wie der meinige,
meiſt mit etwas eingezogenen Fußwurzeln und locker anliegenden Federn.‟
Ein Paar, welches in einem düſtern Waldgrund geniſtet hatte, konnte mein Vater in der Freiheit
beobachten. „Sobald es dämmerig wurde‟, erzählt er, „begannen die Jungen zu ſchreien. Näherte
man ſich ihnen, dann ſchwiegen ſie und regten ſich nicht eher wieder, als bis Alles lange ruhig geblieben
war und ſie alſo keine Gefahr mehr fürchteten. Sobald ſie wieder zu ſchreien anfingen, wurde eins
herabgeſchoſſen; es hatte ziemlich tief unten am Stamme auf einem dürren Aſte geſeſſen. Sogleich
kam das alte Weibchen herbeigeflogen und bewog durch ſein klägliches Geſchrei die übrigen zur Flucht.
Jetzt waren ſie lange Zeit ſtill; endlich ertönte ihr langgezogenes „Piep‟ von neuem. Es wurde ſich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/655>, abgerufen am 22.11.2024.
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